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Kategorie: Verfahrensrecht

BVerfG äußert sich zu Rohmessdaten

Der Zug ist abgefahren: Rohmessdaten müssen nicht gespeichert werden (BVerfG)

„Was lange währt, wird nichts …“, könnte man auch titeln.

Oder: „Klein Bonum ist gefallen.“

Dem Bundesverfassungsgericht lagen mehrerer Verfassungsbeschwerden vor, mit denen sich die jeweiligen Betroffenen gegen die Verwertung von Geschwindigkeitsmessungen gewendet hatten. In Fachkreisen wurde insbesondere die Entscheidung in der Sache 2 BvR 1167/20 zum Messgerät LeivtecXV3, die bereits für das Kalenderjahr 2021 angekündigt war, mit Spannung erwartet. Hintergrund der gesamten Diskussion um die Rohmessdaten ist die Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichts, Urt. v. 5.7.2019 – Lv 7/17, die zum Messgerät Traffistar S 350 erging.

Herausgekommen sind drei Nichtannahmebeschlüsse, aus denen aber nach meiner Ansicht folgt, dass sich das BVerfG der überwiegenden Rechtsprechung – Ausnahme Saarländisches VerfG – angeschlossen hat.

Zum Leivtec XV3: 2 BvR 1167/20

Zum Poliscan M1 HP: 2 BvR 1082/21

Zum Traffistar S 350: 2 BvR 1090/21

Im Ergebnis werden Betroffene nach meiner Einschätzung mit dem Argument, das Messergebnis dürfe nicht gegen Sie verwertet werden, weil die Rohmessdaten nicht mehr vorhanden seien, nun auch im Saarland (klein Bonum) von den Instanzgerichten nicht mehr gehört werden. Ob, wann und wie das Saarländische Verfassungsgericht noch einmal unter Berücksichtigung der Beschlüsse des BVerfG entscheiden wird, ist offen. Zum Verhältnis Bundesverfassungsgericht und Landesverfassungsgerichte ist insoweit anzumerken, dass Landesverfassungsgerichte eben die Vereinbarkeit mit der Landesverfassung prüfen, während das BVerfG über die „Bundesverfassung“ sprich das Grundgesetz wacht. Die Landesverfassung kann grundsätzlich verletzt sein, auch wenn das Grundgesetz nicht verletzt ist. Vorliegend geht es aber um das Recht auf ein faires Verfahren bzw. die sog. Waffengleichheit. Der Entscheidungsgegenstand ist daher identisch. Hätte das BVerfG über die Beschwerden entschieden statt sie nicht anzunehmen, ginge meines Erachtens dessen Entscheidung vor.

Hat es aber nicht.

Die Verfassungsbeschwerden wurden allesamt als unsubstantiiert bezeichnet und nicht zur Entscheidung angenommen. Die BeschwerdeführerInnen haben aus Sicht des BVerfG nicht hinreichend dargelegt, dass eine Grundrechtsverletzung vorliege.

Unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 12.11.2020 – BvR 1616/18 führt das BVerfG nämlich aus, dass der Betroffene grundsätzlich Anspruch auf Zugang auch zu solchen Informationen hat, die bei der Bußgeldbehörde vorhanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden.

Hierzu zählt es aber gerade nicht die nicht (mehr) vorhandenen Rohmessdaten.

„Der Beschwerdeführer schlussfolgert jedoch, der aus dem Grundsatz des Rechts auf ein faires Verfahren resultierende Gedanke der Waffengleichheit gebiete es darüber hinaus, dass die zuständigen Behörden nur Geräte einsetzen, die sogenannte „Rohmessdaten“ erheben. Damit verlangt er ein Mehr im Vergleich zur bloßen Herausgabe von vorhandenen Informationen, weil nach seinem Vorbringen auch die Bußgeldbehörde nicht im Besitz der von ihm bezeichneten „Rohmessdaten“ ist. Der Beschwerdeführer legt insofern nicht substantiiert dar, dass aus dem verfassungsrechtlich verankerten Recht auf ein faires Verfahren − aus Gründen der „Waffengleichheit“ oder in sonstiger Hinsicht − auch eine staatliche Pflicht folgt, potentielle Beweismittel zur Wahrung von Verteidigungsrechten vorzuhalten beziehungsweise zu schaffen.“ (BVerfG, Beschl. v. 20.6.2023 – 2 BvR 1167/20)

Das BVerfG wägt ab zwischen dem standardisierten Mesverfahren, bei dem wegen der „Massentauglichkeit“ eben geringere Anforderungen an die Beweisführung zu stellen seien und dem Recht des Betroffenen auf effektive Verteidigung. Es ist der Entscheidung eindeutig zu entnehmen, dass das BVerfG den Grundsätzen des standardisierten Messverfahrens den Vorrang einräumt. Einen Anspruch auf Speicherung sämtlicher Rohmessdaten sieht es nicht. Nach wie vor müssten Betroffene an der jeweiligen Einzelfallmessung konkrete Zweifel aufzeigen.

Hinzu kommt, dass das BVerfG die Ausführungen des Beschwerdeführers zur grundsätzlichen „offenkundigen tatsächlichen Unsicherheit im Hinblick auf die Relevanz von Rohmessdaten für die Verteidigungsmöglichkeiten“ anspricht und hierzu feststellt, dass nicht dargelegt ist, dass die Einsicht in die Rohmessdaten überhaupt geeignet ist, eine Messung anzugreifen. Gemeint ist damit, dass bei der Begutachtung der früher noch vorhandenen Rohmessdaten in der Regel auch „nichts rauskam“.

Fazit: Zwar ist rein theoretisch denkbar, dass es dem Betroffenen im Einzelfall gelingen könnte, konkrete Anhaltspunkte für Messfehler aufzuzeigen, die Anlass geben könnten, sich auf die fehlenden Rohmessdaten zu berufen. Ich halte das aber für eine rein theoretische Konstellation. Faktisch ist das Thema fehlende Rohmessdaten aus meiner Sicht erledigt.

Cannabis am Steuer – Was kommt auf Sie zu?

Sie wurden unter Cannabiseinfluss am Steuer erwischt und fragen sich, was nun auf Sie zukommt?

Mit diesem Beitrag gebe ich Ihnen einen groben Überblick. Ausführlichere Erläuterungen können Sie sich in meiner nachfolgend verlinkten Podcastfolge anhören:

Zum Verkehrsrecht-Podcast: # 26 Cannabisfahrt – Was tun?

Zunächst ist es für Betroffene wichtig, zwischen verschiedenen rechtlichen Problemkreisen zu unterscheiden. Diese stehen zwar in engem rechtlichen, nicht aber zwingend im engen zeitlichen Zusammenhang, z.B. tauchen fahrerlaubnisrechtliche Fragestellungen oft erst lange nach Abschluss des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens auf.

Kommt es zu einem Unfall, stehen auch versicherungsrechtliche Probleme an. Denn betreffend die Kfz-Haftpflichtversicherung kommt ein betragsmäßig begrenzter Regress in Betracht. Die Vollkaskoleistung können Sie sogar vollständig verlieren. Das soll aber nicht Gegenstand dieses Beitrages sein. Wir gehen im Folgenden von einer Cannabisfahrt OHNE Unfall aus.

Bei Cannabis sind mehrere Werte zu unterscheiden. Hauptsächlich kommt es auf den THC-Wert (aktiver Wert) und den THC-COOH-Wert (THC-Carbonsäurewert, Abbauwert oder Langzeitwert) an. Daneben wird in manchen Fällen auch der THC-OH-Wert ermittelt. Dieser gibt Anhaltspunkte für einen zeitnahen Konsum, da er innerhalb weniger Stunden auf Null zurückgeht.

Der „Grenzwert“ bei Cannabis liegt nach der ganz überwiegenden Rechtsprechung (Ausnahme Bayern) bei einem THC-Gehalt von 1,0 ng/ml. Liegt der Wert darunter, sind Sie nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nicht unter der Wirkung von Cannabis gefahren. Eine Strafbarkeit kommt dann nicht in Betracht, ebenso wenig eine Ordnungswidrigkeit.

Liegt der THC-Wert bei 1,0 ng/ml oder darüber, so wird zunächst ein Strafverfahren gegen den oder die Beschuldigte(n) eingeleitet. Eine Bestrafung wegen Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB kommt aber nur in Betracht, wenn – unabhängig von der tatsächlichen Höhe des THC-Wertes – verkehrsbezogene Ausfallerscheinungen nachweisbar sind. Typische Ausfallerscheinungen sind beispielsweise Schlangenlinien, das Überfahren von Bordsteinen, etc..

Sind solche Ausfallerscheinungen feststellbar, folgt eine Bestrafung – bei erwachsenen Beschuldigten häufig durch Strafbefehl – und eine Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Gericht. Der Beschuldigte muss dann bei der Fahrerlaubnisbehörde die Neuerteilung der Fahrerlaubnis beantragen.

Sind solche Ausfallerscheinungen nicht feststellbar, so liegt, auch bei sehr hohen THC-Werten, keine Strafbarkeit nach § 316 StGB vor. Die Staatsanwaltschaft stellt dann das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts ein und gibt die Akte an die Bußgeldstelle ab. Dem Betroffenen wird sodann „nur noch“ eine Ordnungswidrigkeit, konkret ein Verstoß gegen § 24 a Absatz 2 StVG, vorgeworfen. Satz 1 dieser Vorschrift lautet:

„Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. …“

Rechtsfolge ist ein Bußgeldbescheid über 500,00 Euro und ein Fahrverbot von einem Monat. Wird dem Betroffenen Vorsatz vorgeworfen, verdoppelt sich die Geldbuße.

Mit der Rechtskraft des Bußgeldbescheides sind Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren abgeschlossen.

Bei einem solchen Ablauf – also einer Entscheidung im Bußgeldverfahren – tritt der Betroffene das Fahrverbot an und erhält dann seinen Führerschein zurück. Betroffene gehen dann häufig davon aus, dass „nichts mehr kommt“. Denn Ihnen wurde die Fahrerlaubnis nicht vom Gericht entzogen.

Tatsächlich aber erhält die Fahrerlaubnisbehörde spätestens nach Abschluss des Bußgeld- oder Strafverfahrens eine Information über die Cannabisfahrt, häufig auch schon früher. Daraufhin wird ein fahrerlaubnisrechtliches Verfahren zur Klärung der Frage eingeleitet, ob der Betroffene geeignet ist, Fahrzeuge im Straßenverkehr zu führen. Für die Frage der Eignung bzw. die Frage, welche Maßnahme die Behörde ergreift, ist entscheidend, ob ein einmaliger, ein gelegentlicher oder ein regelmäßiger Konsum von Cannabis vorliegt.

Die Behörde prüft in diesem Zusammenhang unter anderem vorab, wie hoch der THC-COOH Wert (Langzeitwert) ist. Aber auch Einlassungen des Betroffenen und sonstige Tatsachen aus der Bußgeld- bzw. Strafakte werden von der Behörde geprüft. Die Fahrerlaubnisbehörde erhält hierfür nicht nur Einsicht in die Bußgeldakte sondern holt auch weitere Auskünfte ein (Fahrerlaubnisregisterauszug, polizeiliche Auskünfte, BZR-Auszug, …). In diesem Zusammenhang kann es auch passieren, dass andere, allgemeine Strafsachen, die ebenfalls Eignungszweifel wecken, auf den Tisch kommen. Damit wollen wir uns in diesem Beitrag aber nicht beschäftigen.

Zu beachten ist im Fahrerlaubnisverfahren, dass es sich, auch wenn es Betroffene häufig anders empfinden, bei Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde nicht um Strafmaßnahmen sondern letztlich um verwaltungsrechtliche Maßnahmen zur Sicherung des Straßenverkehrs handelt. Dass es sich nicht um Strafverfahren handelt, bedeutet auch, dass die strafrechtlichen Grundsätze, wie etwa, dass Schweigen nicht zum Nachteil des Betroffenen gewertet werden darf oder im Zweifel zu Gunsten des Betroffenen zu entscheiden ist, keine Geltung beanspruchen.

Der Betroffene ist hier in der „Bringschuld“. Er muss daran mitwirken, dass seine Eignung festgestellt wird. Nimmt er an rechtmäßig angeordneten Maßnahmen nicht teil, wird ihm die Fahrerlaubnis entzogen.

Liegt einmaliger Konsum vor, was so gut wie nie vorkommt und bereits anhand des Langzeitwertes widerlegbar ist, ist keine weitere Maßnahme veranlasst.

Meistens liegt gelegentlicher Konsum vor. Dieser wird bereits bei eingeräumtem zweimaligen Konsum angenommen und steht bei einem THC-COOH-Wert von mehr als 5 ng/ml praktisch fest.

Bei gelegentlichem Konsum wird die Behörde eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) anordnen, um die Frage zu klären, ob der Betroffene zukünftig zwischen dem Konsum und dem Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr trennen können wird.

Bei regelmäßigem Konsum, welcher ab 75 ng/ml THC-COOH-Wert anzunehmen ist, wird die Fahrerlaubnis entzogen.

Wie bereits erwähnt, sind für das Konsumverhalten nicht nur die Blutwerte maßgeblich, sondern auch die Erkenntnisse aus dem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Wer im Strafverfahren von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch macht, wird in dem oft Monate später angestoßenen Fahrerlaubnisverfahren mit entlastenden Angaben (z.B. versehentliche Einnahme oder einmaliger Konsum) in der Regel nicht mehr gehört.

Wer mit Cannabis am Steuer erwischt wurde, sollte sich also nicht nur fragen, ob und wie er sich äußert, sondern vor allem auch wann. Letztlich kann wegen der Komplexität dieser Verfahren und den erheblichen Rechtsfolgen für Betroffene, nur angeraten werden, sich sofort nach dem Verstoß an einen Fachanwalt für Verkehrsrecht zu wenden.

VerfGH RLP zum Poliscan FM1: Speicherung von Rohmessdaten nicht erforderlich!

Der Verfassungsgerichtshof Rheinlandpfalz hat entschieden, dass die Verwertung eines Geschwindigkeitsmessergebnisses auch ohne Speicherung von Rohmessdaten zulässig ist. Nach Ansicht des Verfassungsgerichts RLP verstößt das nicht gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren.

Der Betroffene wurde mit einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb  geschlossener Ortschaften um 70 km/h geblitzt. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte dabei mittels eines Messgeräts des Typs Poliscan FM1. Es handelt sich hierbei um ein weit verbreitetes Lasermessgerät, welches beispielsweise in Trailern verwendet wird. Messgeräte vom Typ Poliscan des Herstellers Vitronic kommen auch mobil oder in Blitzersäulen zum Einsatz.

Umfangreiche Positions- und Zeitdaten könnten eigentlich gespeichert werden, werden aber, wie auch bei verschiedenen anderen Messgeräten, von der Gerätesoftware gelöscht. Eine dauerhafte Speicherung dieser Daten wäre technisch möglich.

Der Betroffene hatte sich durch die Instanzen gegen seine Verurteilung durch das Amtsgericht Wittlich gewehrt und war zuletzt auch vor dem Oberlandesgericht Koblenz gescheitert.

Mit der Verfassungsbeschwerde machte er unter anderem eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren geltend, da die Rohmessdaten vom Gerät gelöscht worden seien und für eine nachträgliche Überprüfung der Messung nicht mehr herangezogen werden könnten.

Das rheinland-pfälzische Verfassungsgericht stellt darauf ab, dass der Gedanke der Waffengleichheit, im Falle von nicht oder nicht mehr vorhandenen Rohmessdaten, nicht zum Tragen komme. Entscheidend sei, dass die Rohmessdaten weder den Betroffenen noch der Bußgeldstelle, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zur Verfügung stünden. Der Betroffene einer Geschwindigkeitsmessung hat nach Ansicht des Verfassungsgerichts Rheinlandpfalz keinen aus dem Recht auf ein faires Verfahren abzuleitenden Anspruch darauf, dass bei standardisierten Messverfahren, Rohmessdaten zwingend gespeichert werden müssten. Etwaige Messfehler würden ohnehin durch die erforderlichen Toleranzabzüge kompensiert.

Die Entscheidung finden Sie hier zum Download als PDF-Datei:

Beschluss vom 22. Juli 2022 Aktenzeichen VGH B 30/ 21

Hier geht es zur Presseerklärung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz:

Pressemitteilung Nr. 4/2022 – Verwertung eines Geschwindigkeitsmessergebnisses ohne Speicherung von Rohmessdaten verstößt nicht gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren

Die Entscheidung ist im Kontext mit der gegenläufigen Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs zu sehen, über die ich bereits berichtet habe, und die Gegenstand zahlreicher amts- und oberlandesgerichtlicher Entscheidungen war.

Messungen unverwertbar! Saarl. VerfG hebt Verurteilung auf!

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Frage der fehlenden Speicherung beziehungsweise Löschung von Rohmessdaten steht demnächst an. Das Verfahren läuft noch. Mit einem Termin zur Verhandlung könnte noch im Sommer 2022 zu rechnen sein.

Geblitzt mit Leivtec XV3: Wiederaufnahme des Verfahrens möglich!

Das Amtsgericht Cloppenburg hat mit Beschluss vom 6.8.2021 – 18 OWi 775 Js 46945/21 einem Antrag auf Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Bußgeldverfahrens stattgegeben.

Wiederaufnahme des Verfahrens bedeutet, dass eine bereits rechtskräftige Entscheidung praktisch aufgehoben und der Betroffene/Beschuldigte behandelt wird, als hätte er rechtzeitig Rechtsmittel bzw. Rechtsbefehl eingelegt.

 

 

Gegen den Betroffenen war ein zwischenzeitlich rechtskräftiger Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung erlassen worden. Der Bescheid enthielt ein Fahrverbot. Rechtskraft war eingetreten, da der Betroffene die Einspruchsfrist hatte verstreichen lassen.

 

 

Nach § 85 OWiG i. V. m. § 359 StPO kann ein durch rechtskräftigen Bußgeldbescheid eigentlich abgeschlossenes Bußgeldverfahren unter bestimmten Voraussetzungen wiederaufgenommen werden. Im Wesentlichen sind diese Voraussetzungen in § 359 StPO geregelt.

 

Nach § 359 Absatz 5 StPO ist eine solche Wiederaufnahme zulässig,

 

„ … wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind, … „

 

Das Amtsgericht Cloppenburg hat entschieden:

 

„Dadurch dass bei dem Messgerät Leivtec XV3 die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens derzeit nicht mehr als gegeben angesehen werden, liegen neue Tatsachen im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO vor.“

 

Hintergrund dieser Entscheidung ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg, Beschl. v. 20.4.2021 – 2 Ss(OWi) 92/21. In dieser Entscheidung hat das OLG Oldenburg festgestellt, dass im Falle des Messgerätes Leivtec XV3 die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens derzeit als nicht gegeben anzusehen sind. Das Verfahren gegen den dortigen Betroffenen hat das OLG Oldenburg eingestellt.

 

Zu beachten ist, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens für den Betroffenen nicht automatisch bedeutet, dass er auch freigesprochen wird.  Im Saarland ist allerdings wegen der aktuellen Rechtsprechung des OLG Saarbrücken und des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs im Falle des Leivtec XV3 mit einer Einstellung zu rechnen.

 

Schließlich begrenzt § 85 II OWiG die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens. Voraussetzung ist, dass entweder eine Geldbuße von mindestens 250,00 Euro oder ein Fahrverbot verhängt wurde.

 

Ein solcher Wiederaufnahmeantrag macht vor allem dann Sinn, wenn ein eigentlich rechtskräftiger Bußgeldbescheid vorliegt, in dem ein Fahrverbot mit der sogenannten viermonatigen Schonfrist verhängt wurde und der Antrag noch so frühzeitig gestellt werden kann, dass mit einer Entscheidung innerhalb der Schonfrist zu rechnen ist.

 

Es dürfte sich hierbei um eine eher geringe Anzahl von Fällen handeln.

Pflicht zur Vernehmung von Entlastungszeugen im Bußgeldverfahren

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit Beschluss vom 15.9.2020 – 1 Rb 37 Ss 473/20 – entschieden, dass die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen nicht ohne Weiteres zurückgewiesen werden darf.

Insbesondere genügt die Begründung nicht, durch die Aussagen des bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil zum Nachteil des Betroffenen bereits erwiesen.

In der Sache ging es um einen Verstoß gegen eine Personenbeförderungsvorschrift. Der Betroffene soll seinen siebenjährigen Sohn ohne Kindersitz oder Sitzerhöhung befördert haben. Im Fond des Autos befanden sich die beiden Söhne des Betroffenen. Der Betroffene hatte in der ersten Instanz seinen zweiten, älteren Sohn als Zeugen dafür benannt, dass der Siebenjährige auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

Das Amtsgericht Wertheim hat den Antrag auf Vernehmung des Sohnes als Zeugen mit der Begründung abgelehnt, der Polizeibeamte sei bereits vernommen worden und habe das Gegenteil bezeugt.

Das OLG Karlsruhe hat die Entscheidung des AG Wertheim aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das AG Wertheim zurückverwiesen.

Es hat klargestellt, dass die Ablehnung des Antrages auf Vernehmung des Zeugen das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzte. Es hätte sich dem AG Wertheim aufdrängen müssen, dass der als Zeuge benannte Sohn zu der Frage, ob eine Sitzerhöhung  genutzt wurde oder nicht, eigene Wahrnehmungen und somit potentiell auch eine eigene Aussage mit entsprechend überprüfbarem Wahrheitsgehalt hätte machen können.

Das OLG Karlsruhe weist ergänzend darauf hin, dass eine Ausnahme von der Aufklärungspflicht des Gerichts durch Vernehmung von Zeugen beispielsweise dann vorliegen kann, wenn die Möglichkeit der Wahrnehmung der behaupteten Tatsache durch den Zeugen bereits zweifelhaft erscheint. Hauptanwendungsfall dürfte hier das Angebot der Vernehmung eines Fahrzeuginsassen zur gefahrenen Geschwindigkeit sein. Einer solchen Vernehmung steht regelmäßig das Messergebnis bzw. die Aussage des Messbeamten zur Ordnungsgemäßheit des Messergebnisses entgegen.

Kurzum: Mit der Behauptung, ein Fahrzeuginsasse könne eine niedrigere als die gemessene gefahrene Geschwindigkeit im Tatzeitpunkt bestätigen, wird man nach wie vor regelmäßig (zu Recht) nicht vor Gericht gehört werden.

Die Entscheidung enthält auch Ausführungen zur Begründungspflicht des Gerichts bezüglich der Ablehnung solcher Beweisanträge. Das OLG Karlsruhe führt dazu aus, dass eine Kurzbegründung in der Hauptverhandlung ausreicht, allerdings im Urteil eine Begründung zu erfolgen hat, die einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zugänglich ist.

Keine vorschnelle Fahrerlaubnisentziehung wegen depressiver Phase – OVG Saar

Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat sich zu den Voraussetzungen an die Rechtmäßigkeit der Anordnung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens im Falle einer depressiven Episode geäußert.

Die Entscheidung finden Sie im Volltext hier:

OVG des Saarlandes – Beschl. v. 24.11.2020 – 1 D 278/20

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde. Er hat Prozesskostenhilfe für das verwaltungsgerichtliche Verfahren um seine Fahrerlaubnis beantragt.

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass er keine Prozesskostenhilfe erhält, denn er habe keine Aussicht auf Erfolg in der Hauptsache. Die Fahrerlaubnisentziehung sei absehbar rechtmäßig.

Das OVG hat diese Entscheidung aufgehoben und das Vorgehen der Behörde sowie die Entscheidung des Verwaltungsgerichts scharf kritisiert.

Hintergrund des Verfahrens war, dass der Antragsteller sich bei der Fahrerlaubnisbehörde in einer persönlichen Vorsprache dahingehend geäußert hatte, er sei wegen schwerer Depressionen einige Wochen in einer Klinik behandelt worden.

Ferner legte er ein ärztliches Attest vor, wonach bei ihm eine leichtgradige depressive Episode  bestehe und er in einer Universitätsklinik 5 Monate zuvor wegen einer schweren depressiven Episode stationär behandelt worden sei.

Die Behörde ordnete die Vorlage eines neurologisch-psychologischen Gutachtens an mit der Fragestellung:

„Ist Herr A. aus ärztlicher Sicht geeignet, ein Kraftfahrzeug der Klassen B + C1E + M + L sicher im öffentlichen Straßenverkehr zu führen? Liegt insbesondere eine Krankheit nach Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV vor?“

Der Antragsteller brachte dieses Gutachten nicht bei. Daraufhin entzog ihm die Behörde die Fahrerlaubnis. Hiergegen wendete sich der Antragsteller und begehrte Prozesskostenhilfe für das Verwaltungsgerichtsverfahren.

Das OVG stellt zunächst fest:

„Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem ein Gutachten eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist.“ (OVG d. Saarlandes a. a. O.)

Sodann setzt sich das OVG des Saarlandes mit dem Einzelfall des Antragstellers auseinander:

„Die von der Fahrerlaubnisbehörde für einschlägig erachtete Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV setzt indes abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Krankheitsbild einer Manie das Bestehen einer „sehr schweren“ Depression bzw. „sehr schwerer depressiver Phasen mit kurzen Intervallen“ voraus. „Sehr schwer“ ist eine Depression, die zum Beispiel mit depressiv-wahnhaften, depressiv-stuporösen (= psychische und motorische Erstarrung) Symptomen oder mit akuter Suizidalität einhergeht.

Demgegenüber bestand beim Antragsteller ausweislich des von ihm vorgelegten ärztlichen Attests vom 12.8.2019 lediglich eine depressive Episode leichtgradiger Ausprägung, und seine für den Aufenthalt in der Universitätsklinik A-Stadt ursächlich gewesene schwere depressive Episode lag zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Monate zurück. Demgemäß bestätigte der behandelnde Arzt des Antragstellers mit Datum vom 16.10.2019, es ergäben sich keine Hinweise dafür, dass die Fahreignung des Antragstellers krankheitsbedingt derzeit eingeschränkt wäre. Ausgehend von dieser Tatsachengrundlage war die Annahme des Vorliegens einer „sehr schweren“ Depression bzw. „sehr schwerer“ depressiver Phasen mit kurzen Intervallen zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Begutachtungsanordnung eher fernliegend.“ (OVG d. Saarlandes  a. a. O.)

Darüber hinaus beanstandet das OVG die Fragestellung durch die Behörde an den Gutachter.

Es stellt heraus, dass der Gutachter an die in der Anordnung formulierte Fragestellung gebunden ist und es die Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde ist, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar festzulegen. Weiter aus den Gründen:

„Diesen Vorgaben wird die in der Gutachtenanordnung vom 13.8.2019 zuerst formulierte Frage, ob der Kläger aus ärztlicher Sicht geeignet ist, ein Kraftfahrzeug sicher im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, nicht ansatzweise gerecht. Die zweite Frage, ob eine Krankheit nach Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV vorliegt, ist sehr weit gefasst und lässt jeden Bezug zu dem aktenkundigen Sachverhalt vermissen.“ (OVG d. Saarlandes a. a. O.)

Aus Sicht des OVG „spricht viel dafür“, dass die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zunächst hätte auffordern müssen, den Entlassungsbericht der Universitätsklinik vorzulegen. Die schwere depressive Phase des Antragstellers sei bei Erlass der Anordnung bereits 5 Monate her gewesen.

Fazit:

Das ist eine äußerst erfreuliche Entscheidung für alle Betroffenen von Depressionen oder depressiven Phasen. Die Häufigkeit dieser Krankheitsbilder nimmt seit Jahren stark zu. Unreflektierten und unverhältnismäßigen Anordnungen der Fahrerlaubnisbehörden muss ein Riegel vorgeschoben werden. Schließlich sollte nicht vergessen werden, dass die Betroffenen einer solchen Anordnung, unabhängig vom Ausgang der Begutachtung, die Kosten derselben zu tragen haben. Es besteht insoweit im Verwaltungsverfahren (leider) keine Kostentragungspflicht der Behörde. Je nach Anordnung bzw. Begutachtungsstelle werden hier schnell Kosten im vierstelligen Bereich generiert, die viele Antragsteller in ihrer Not einfach nicht vorfinanzieren können. Folge ist dann, wie vorliegend, dass der Führerschein weg ist.

Dass das OVG sich – für ein Prozesskostenhilfeverfahren doch recht differenziert – mit der Problematik depressiver Erkrankungen befasst hat, bedeutet, dass auch die Behörden das in Zukunft tun werden müssen. Der „Freigiebigkeit“ saarländischer Fahrerlaubnisbehörden in Bezug auf Begutachtungsanordnungen wegen depressiver Erkrankungen sollte damit hoffentlich ein Ende gesetzt sein.

BVerfG: Betroffener hat Anspruch auf Einsicht in die Rohmessdaten!

Ein „Dauerbrenner des Ordnungswidrigkeitenrechts“ ist die Frage, in welchem Umfang der Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens Anspruch auf Akteneinsicht hat. Das betrifft vor allem die Frage, ob er auch Anspruch auf Einsicht in solche Dokumente hat, die sich gar nicht in der behördlichen Akte befinden.

Mit diesem Thema, konkret der Einsicht des Betroffenen in die Dateien (Rohmessdaten) der Verkehrsmessung, hat sich das Bundesverfassungsgericht jetzt befasst. Der vor allem in südlichen Bundesländern verbreiteten Ansicht dortiger Behörden und der dortigen Rechtsprechung nach dem Motto „Quod non est in actis non est in mundo – Was nicht in der Akte ist, ist nicht in der Welt“, hat das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage erteilt. Es hat  die angegriffene Entscheidung des OLG Bamberg für verfassungswidrig  erklärt und festgestellt:

„Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt hiernach, dass der Beschuldigte eines Strafverfahrens neben der Möglichkeit, prozessual im Wege von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen auf den Gang der Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, grundsätzlich auch das Recht hat, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden (vgl. BVerfGE 63, 45 <66>).“ BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18

Link zum Beschluss des BVerfG:

BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18

Damit ist der „Teufelskreis“ für den Betroffenen aufgelöst. Bislang hatten mehrere Obergerichte die Betroffenen darauf verwiesen, es handele sich bei den jeweiligen Messverfahren um standardisierte Verfahren. Um das Gericht dann dazu zu bewegen, eine Messung zu begutachten oder die Rohmessdateien beizuziehen, wurde vom Betroffenen gefordert, konkrete Zweifel an der Messung darzulegen. Das ist aber ohne die Messdateien kaum möglich.

Meine ehrliche Meinung:

Die Entscheidung ist für die Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz von untergeordneter Relevanz, da ich erfahrungsgemäß als Verteidiger von den zentralen Bußgeldstellen St. Ingbert und Speyer sowohl die Rohmessdaten als auch alle anderen wesentlichen Dokumente (z.B.: „Lebensakte“ des Messgeräts, Schulungsnachweise der Messbeamten) auf erste Anfrage erhalte, sofern ich im Einzelfall meine, dass mit der Messung etwas schiefgelaufen sein könnte oder es auf ein oder zwei km/h mehr oder weniger ankommt (z.B. bei Erreichen der Fahrverbotsgrenze).

Wichtig ist sie aber für andere Bundesländer, insbesondere Bayern. Dort wird man sich bei den Bugßeldstellen neu sortieren müssen, nachdem das für seine restriktive Rechtsprechung in Ordnungswidrigkeitensachen berüchtigte OLG Bamberg nun zum Umdenken gezwungen ist.

De facto wird man in den weit überwiegenden Fällen leider mit den Rohmessdaten nichts anfangen können. Sofern sie nicht vom Messgerät gelöscht werden, was in den betroffenen Verfahren übrigens immer noch zu Einstellungen durch das OLG des Saarlandes führt, lässt sich nach meiner Erfahrung mit einer sachverständigen Überprüfung der Rohmessdaten in der Regel wenig gewinnen. Denn die Messungen an sich sind fast immer korrekt. Durchschlagende Messfehler sind die absloute Ausnahme. Allenfalls kann in dem ein oder anderen Fall ein weiterer Toleranzabzug von einem oder zwei km/h durchgesetzt werden. Das ist aber auch die Ausnahme.

Aber: Jetzt kriegen wir sie endlich, die Dateien! Da freuen sich die Sachverständigen, die jetzt wahrwcheinlich noch mehr Umsatz machen. Wer sich nicht freut, das sind die Rechtsschutzversicherer, die das Ganze bezahlen dürfen und der Betroffene, für den bei der Begutachtung nichts rauskommt und der wegen der hohen Kosten von seinem Rechtsschutzversicherer die Quittung in Form der Kündigung kassiert.

Feststellungen zum Rotlichtverstoß und Ermittlung der Rotlichtzeit durch Zeugen – OLG Düsseldorf hebt Verurteilung auf!

Ganz, ganz üble Klatsche für das Amtsgericht Wuppertal!

Erinnert mich stark an meine damalige Lateinlehrerin: „Weiser, setzen! 6!“.

Das OLG Düsseldorf hat die Verurteilung eines Betroffenen durch das Amtsgericht Wuppertal aufgehoben, der wegen eines Rotlichtverstoßes von mehr als einer Sekunde verurteilt worden war. Beträgt die Rotlichtzeit mehr als eine Sekunde im Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie, so sieht der Bußgeldkatalog ein Fahrverbot vor (sog. Sekundenverstoß). Zudem erhält der Betroffene 2 Punkte, die 5 Jahre lang (plus 1 Jahr Überliegefrist) im Fahrerlaubnisregister gespeichert werden.

Das Amtsgericht Wuppertal hatte den Betroffenen aufgrund der gezielten Beobachtung der Ampelanlage durch einen Polizeibeamten und der Aussage eines weiteren Zeugen wegen eines Sekundenverstoßes verurteilt und einen Monat Fahrverbot angeordnet.

Der Polizeibeamte hatte den Verstoß gezielt beobachtet und zudem den Zeugen, der an der Fußgängerampel stand, vor Ort befragt. Der Fußgänger gab an, die Fußgängerampel sei bereits grün gewesen, er habe gerade die Straße überqueren wollen, als der Betroffene über die Ampel gefahren sei.

Der Betroffene berief sich vor Ort darauf, sein auf dem Beifahrersitz befindlicher Pitbull (!) könne als Zeuge bestätigen, dass die Ampel noch Gelb angezeigt hätte. Offenbar ein Tierfreund mit Humor.

 Das OLG Düsseldorf hob das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal auf. Man könnte in diesem Fall auch von einer „Abfuhr“ sprechen, wenn es in den Gründen heißt:

„Die Rechtsbeschwerde hat (vorläufig) Erfolg. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es den Mindestanforderungen an die Begründung einer Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes nicht genügt. … Für das neue Verfahren weist der Senat daraufhin, dass auch die Rechtsfolgenentscheidung im angefochtenen Urteil keinen Bestand hätte haben können, weil die Feststellungen der Tatrichterin zur Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde sowie die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung ebenfalls unzureichend sind und die Verhängung der im Bußgeldkatalog für einen sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß vorgesehenen Rechtsfolgen nicht tragen.“ (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2020 – IV-4 RBs 46/20)

Das Amtsgericht Wuppertal hat in diesem Fall mehrere Fehler gemacht, die allerdings nach meinen Erfahrungen geradezu typisch sind für Amtsgerichte, die – im Gegensatz zum Amtsgericht St. Ingbert – nicht „in Vollzeit“ mit Bußgeldverfahren befasst sind.

  1. Einfahren in den geschützten Bereich nicht festgestellt:

„Ein Rotlichtverstoß liegt vor, wenn gegen das Gebot des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO – „Halt vor der Kreuzung“ – verstoßen wird, ein Fahrzeugführer also bei Rotlicht in den durch die Lichtzeichenanlage gesicherten Bereich, im Regelfall den Kreuzungs- oder Einmündungsbereich, einfährt.“ (OLG Düsseldorf a. a. O.)

Entgegen landläufiger Meinung, ist ein Rotlichtverstoß nicht bereits dann vollendet, wenn das Fahrzeug „über die rote Ampel“ fährt.  Er ist erst dann vollendet, wenn das Fahrzeug in den Bereich einfährt, der von der Ampelanlage geschützt wird. Bei einer Fußgängerfurt ist das eben der – meist durch Markierungen – abgesetzte Bereich, in welchem der Fußgänger die Fahrbahn überquert. Bei einer Ampelkreuzung – ohne Fußgängerüberweg – ist dies beispielsweise die (ggflls. gedachte) Linie der querenden Fahrspur. Es ist also praktisch ein Einfahren in den Kreuzungsbereich erforderlich.

Gerade in diesem Punkt werden häufig Fehler gemacht, da sich diese Fragen bei dem Regelfall eines „geblitzten“ Rotlichtverstoßes nicht stellen. Denn bei der Rotlichtüberwachung durch Messanlagen wird zwei Mal geblitzt. Auf dem ersten Foto wird das Überfahren der Haltelinie dokumentiert, auf dem zweiten Foto das Einfahren in den geschützten Bereich.

Da das Amtsgericht keinerlei Feststellungen zu den Örtlichkeiten (geschützter Bereich und Einfahren in den geschützten Bereich) getroffen hat und lediglich festgestellt hat, der Betroffene sei „über Rot gefahren“, war das Urteil insgesamt aufzuheben.

  1. Lückenhafte Feststellungen/fehlerhafte Beweiswürdigung zur Rotlichtdauer:

Die Urteilsgründe genügten für sich bereits nicht, überhaupt einen Rotlichtverstoß zu begründen. Da der bedauenswerten Amtsrichterin aber auch in punkto Feststellung der Rotlichtdauer gravierende Fehler unterliefen und die Sache nun neu verhandelt werden muss, hat das OLG Düsseldorf dem Amtsgericht Wuppertal auch dies betreffend eine Lehrstunde erteilt:

„Auch beruht die der Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zugrunde liegende Feststellung, die Lichtzeichenanlage habe zum Zeitpunkt des Passierens durch den Betroffenen mehr als eine Sekunde Rotlicht gezeigt, auf einer lückenhaften Beweiswürdigung. Zwar kann die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes grundsätzlich auch — wie hier — auf die Schätzungen von Zeugen, insbesondere von Polizeibeamten gestützt werden. Jedoch müssen derartige Schätzungen wegen der ihnen innewohnenden möglichen Fehlerquellen durch das Hinzutreten weiterer, im tatrichterlichen Bußgeldurteil anzugebender Umstände erhärtet  und hinsichtlich ihrer Grundlagen sowie ihres Beweiswerts vom Tatrichter einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Solche Umstände, durch die die Richtigkeit einer Schätzung erhärtet wird, können sich — je nach den Umständen des Einzelfalls — etwa aus der angewandten Zählmethode (gedankliches Aussprechen der Zahlen „einundzwanzig, zweiundzwanzig“: …) oder einem während der Rotlichtdauer abgelaufenen, zeitlich eingrenzbaren Vorgang, an dem sich der Zeuge bei seiner Schätzung orientiert hat, ergeben. Freie Schätzungen aufgrund einer bloß gefühlsmäßigen Erfassung der verstrichenen Zeit sind jedenfalls zur Feststellung von Zeitintervallen im Sekundenbereich ungeeignet. …

Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil nicht. Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Schätzung des Zeugen auf tragfähiger Grundlage beruht, hätte es Angaben zur Methode seiner Schätzung (Mitzählen, Zeitmessung mittels (Stopp-)Uhr? sonstige Orientierung?), zum Ablauf des Rotlichtverstoßes, zur Entfernung des Fahrzeuges zur Lichtzeichenanlage und einer ggf. vorhandenen Haltelinie sowie zur genauen Beobachtungsposition des Zeugen (Standort? Gezielte oder zufällige Überwachung der Lichtzeichenanlage? Sichtverhältnisse auf Ampel, Vorbereich und Haltelinie?) bedurft.

Soweit der Schluss auf den qualifizierten Rotlichtverstoß aus Zeugenaussagen hergeleitet wird, die – wie hier offenbar der Zeuge pp – nur Angaben zum Grünlicht für den Querverkehr machen können, sind grundsätzlich Feststellungen zum automatisierten Programmablauf der Lichtzeichenanlage zu treffen.“ (OLG Düsseldorf a. a. O.)

Um dem Schlag ins Gesicht die Krone aufzusetzen, hat das OLG Düsseldorf abschließend noch einige formale Fehler des Urteils gerügt. Insbesondere hat es die Unterschrift der Tatrichterin als unzureichend betrachtet, weil diese keine hinlänglichen, charakteristischen Merkmale zur Identifizierung aufweise, sinngemäß: Die Unterschrift sieht ebenso schlampig aus wie das Urteil.

Fazit: Wer die Entscheidung liest, könnte meinen, es sei eine Einzelfallsache, dass ein Amtsgericht nicht befähigt ist, einen (qualifizierten) Rotlichtverstoß ordnungsgemäß in den Urteilsgründen festzustellen. Dem ist aber nicht so. Es ist für unerfahrene Amtsrichter keine Einfachheit einen Rotlichtverstoß, der durch Beobachtung festgestellt wurde, festzustellen und mit tragenden Entscheidungsgründen auszuurteilen.

Vor Feststellungen nach dem Motto: „Die Polizei hat mich beobachtet, was soll ich da schon gegen machen?“, sollte man sich ebenfalls hüten! Denn nach meiner Erfahrung sind auch die Polizeibeamten nicht oder nur unzureichend zu diesem Thema geschult und die Feststellungen in den Bußgeldakten dürftig und in der Regel für sich alleine betrachtet unzureichend.

Schleudertrauma

Es geht auch ohne Gutachten – BGH entscheidet zum Nachweis eines Schleudertraumas

Es geht auch ohne teure Gutachten!

So könnte man das Urteil des BGH vom 23.6.2020 – VI ZR 435/19 zusammenfassen.

HWS-Distorsionen (umgangssprachlich: Schleudertraumata) sind typische Verletzungsfolgen eines Verkehrsunfalles. In der Rechtsprechung und Literatur sind sie äußerst umstritten. Nicht selten muss das Schmerzensgeld wegen einer HWS-Distorsion eingeklagt werden.

In aller Regel kommt es dann zu zwei Begutachtungen. Im Rahmen der ersten Begutachtung wird ein biomedizinisches Gutachten erstellt zur Ermittlung, von welcher „Aufprallgeschwindigkeit“ (sehr vereinfacht ausgedrückt) ausgegangen werden muss. Sodann wird in einem zweiten, medizinischen Gutachten – meist durch Untersuchung der Geschädigten und durch Prüfung der vorgelegten ärztlichen Befunde – ermittelt, ob eine HWS-Distorsion aus medizinischer Sicht vorgelegen hat bzw. vorgelegen haben kann.

Die Begutachtungen kosten den Unterlegenen – in der Regel die Versicherungswirtschaft – des jeweiligen Rechtsstreites mehrere Tausend Euro.

Dass es auch ohne Begutachtung geht, hat der BGH in seiner aktuellen Entscheidung dargelegt. In diesem Fall war der Beweis, dass eine HWS-Distorsion eingetreten war, zwar nicht erbracht. Der BGH hat aber auf Folgendes hingewiesen:

„Der angefochtenen Entscheidung liegt die rechtsfehlerhafte Auffassung zugrunde, dass sich eine unfallbedingte Körperverletzung nur dann feststellen ließe, wenn die Klägerin die von ihr behauptete HWS-Distorsion beweisen könnte. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass auch die von der Zeugin W. bekundeten starken Nacken-und Kopfschmerzen als Primärverletzung in Betracht kommen können, und deshalb Feststellungen dazu unterlassen, ob diese Schmerzen unfallbedingt waren und zur Arbeitsunfähigkeit der Zeugin W. geführt haben.“ (BGH Urteil vom 23.6.2020 – VI ZR 435/19)

Mit anderen Worten: Die HWS-Distorsion steht zwar nicht fest. Es genügt aber, dass der Geschädigte das Gericht davon überzeugt, dass er starke Schmerzen hatte. Primärverletzungen sind eben die starken Nacken. Und Kopfschmerzen.

Hintergrund des Prozesses war eine Arbeitgeberregressklage, so dass die eigentliche Geschädigte als Zeugin vernommen wurde. Für den Geschädigten, der selbst auf Schmerzensgeld klagt, gilt aber das gleiche. Es muss in Zukunft verstärkt darauf gedrängt werden, das Gericht, vor allem mittels informatorischer Anhörung oder Parteivernehmung des Geschädigten dazu zu bewegen, sich – auch ohne Gutachten – von dem Vorhandensein entsprechender Schmerzsymptome zu überzeugen.

Lesenswert zum Thema „richterliche Überzeugung vom Vorliegen eines HWS-Schleudertraumas“: OLG Saarbrücken Urt. v. 28.2.2013 – 4 U 587/10.

Die Begutachtungen in den Schleudertrauma-Fällen sind ein großes Ärgernis. Sie verschlingen Unsummen an Geldern der Versichertengemeinschaft und zudem sind sie für die Geschädigten, die Monate nach einem Unfall noch ärztlich „untersucht“ werden sollen, belastend.

 

Verkehrsgerichtstag 2020 – Die Empfehlungen

Vom 29. bis 31. Januar fand der jährliche Verkehrsgerichtstag – eine Zusammenkunft von Verkehrsexperten – in Goslar statt. Er endet mit den Empfehlungen der Arbeitskreise.

Wer sich die Empfehlungen im Volltext durchlesen will, findet diese hier:

Meine Zusammenfassung:

Arbeitskreis I –  Grenzüberschreitende Unfallregulierung in der EU

Das materielle Schadensersatzrecht der verschiedenen EU-Länder muss für den (ausländischen) Anwalt einfacher zu verstehen sein. Die EU-Kommission soll entsprechende Hilfsmittel zur Verfügung stellen.

Des Weiteren soll für grenzüberschreitende Gerichtsprozesse ein System geschaffen werden, wie es bereits für Zivil- und Handelssachen besteht.

Einführung von Videokonferenzen für Vernehmungen im Ausland.

Kurze Verjährungsfristen in anderen EU-Staaten sollen auf mindestens drei oder vier Jahre verlängert werden.

Arbeitskreis II – Abschied vom fiktiven Schadensersatz

Empfehlung: Kein Abschied vom fiktiven Schadensersatz. Außerdem: Werkstattverweis bei fiktiver Abrechnung ist für alle Beteiligten an der Unfallregulierung nervig und zeitaufwendig. Der BGH wird gebeten, sich etwas einfallen zu lassen.

Arbeitskreis III – Aggressivität im Straßenverkehr

Schulungen und Anti-Aggressions-Maßnahmen sollen gefördert werden.

Die gesetzlichen Möglichkeiten, auf aggressives Verhalten zu reagieren, müssen konsequent ausgeschöpft werden.

Es sollte ein Bußgeld für „aggressives Posen im Straßenverkehr“ geben.

Fahrerlaubnisbehörden sollen Einsicht in das Bundeszentral- und Erziehungsregister erhalten.

Sofern sich bei einer Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahrteignung steht, Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotential ergeben, soll die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU anordnen.

Der „Alleinrasertatbestand“ (§ 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB)  sollte im Wortlaut nachgebessert werden.

Arbeitskreis IV – Praxistauglichkeit des Bußgeldverfahrens

Der Gesetzgeber soll per Gesetz regeln, unter welchen Voraussetzungen ein standardisiertes Messverfahren vorliegt. Außerdem soll er per Gesetz ein umfassendes Einsichtsrecht in die Messdateien vorschreiben.

Bußgeldverfahren sollen gegen Auflagen eingestellt werden können.

Nach einer verkehrstherapeutischen Schulung soll vom Fahrverbot abgesehen werden können.

Arbeitskreis V – Elektrokleinstfahrzeuge

Aktuell herrscht in der Bevölkerung weitgehende Unkenntnis, was man mit E-Scootern überhaupt darf und was nicht. Das erfordert mehr Öffentlichkeitsarbeit, vor allem durch die Verleihfirmen.

Öffentlichkeitsarbeit habe ich selbst ja bereits geleistet:

10 Fragen und Antworten zum E-Scooter

Außerdem:

– Mehr Infrastruktur für E-Scooter und Fahrräder

– Blinkerpflicht für E-Scooter

– Keine Zulassung von Fahrzeugen ohne Lenkstange

– Erfassung und Herausgabe der Nutzerdaten durch Verleihfirmen zum Zweck der Verfolgung von Straftaten und Orddnungswidrigkeiten

– verbindliche Astellplätze für Verleihscooter

– Prüfbescheinigungspflicht für E-Scooter

Arbeitskreis VI  – Fahranfänger – neue Wege zur Fahrkompetenz

Der Arbeitskreis begrüßt das Optionsmodell, das Folgendes vorsieht:

Drei statt zwei Jahre Probezeit, aber verkürzbar auf bis zu zwei Jahre durch Teilnahme an Schulungsmaßnahmen oder begleitetes Fahren.

Auswetung örtlicher Unfalldaten von Fahranfängern und darauf gestützte regionalisierte Fahranfängervorbereitung.

Arbeitskreis VII – Entschädigung von Opfern nach terroristischen Anschlägen

Neben Harmonisierungen der Opferentschädigung und Zentralisierungen von Strukturen, insbesondere Opferbeauftragte, empfiehlt der Arbeitskreis die Schaffung eines Fachanwaltes für Personenschadensrecht.

 

OLG Frankfurt schlägt eine Fliege mit drei Klappen: Keine Privatisierung von Verkehrsmessungen!

Heute stelle ich drei aktuelle Entscheidungen des OLG Frankfurt vor, von denen besonders die dritte Entscheidung  die Gemüter erregen wird und das zu Recht.

Im Einzelnen:

  1. Keine Geschwindigkeitsmessung durch Private (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 6.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19)
  2. Kein Knöllchen durch Private (OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19)
  3. Verurteilung wegen Fälschung eines Messprotokolls zur Verschleierung von „privaten Messungen“ (OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19)

Zu den einzelnen Entscheidungen:

  1. Keine Geschwindigkeitsmessung durch Private – OLG Frankfurt

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass eine Verkehrsüberwachung – im konkreten Fall eine Geschwindigkeitsmessung – durch private Dienstleister unzulässig ist (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 6.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19).

Rechtsfolge: Unverwertbarkeit des Messergebnisses, also Freispruch des Betroffenen.

Der Betroffenen hatte einen Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften erhalten.

Dem Bescheid lag eine Geschwindigkeitsmessung durch einen Angestellten einer privaten GmbH zugrunde.

Die Gemeinde hatte mit dieser GmbH einen Vertrag  zum Zweck der „Unterstützung bei der Durchführung von Geschwindigkeitsprotokollen, allgemeine Datenverarbeitung und Erstellung von Messberichten“ geschlossen. Der „private Messbeamte“ war also im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung für die Gemeinde tätig.

Das Amtsgericht Gelnhausen sprach den Betroffenen frei wegen verbotener Tätigkeit eines Privaten bei der hoheitlichen Aufgabe der Geschwindigkeitsüberwachung.

Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft Hanau eingelegte Rechtsbeschwerde hat das OLG Frankfurt a. M. zurückgewiesen.

Aus den Urteilsgründen:

„Die vorliegend durchgeführte Verkehrsüberwachung durch den gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirk der Gemeinden Freigericht und Hasselroth ist gesetzeswidrig. Die im hoheitlichen Auftrag von einer privaten Person durchgeführte Geschwindigkeitsmessung hat keine Rechtsgrundlage. In der Folge hätte das Regierungspräsidium Kassel keinen Bußgeldbescheid erlassen dürfen. … In der Folge dieses gesetzwidrigen Handelns sind sämtliche Verkehrsüberwachungen des gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirks der Gemeinden Freigericht und Hasselroth mindestens seit dem 23.03.2017 unzulässig … Darüber hinaus dürfte dies auch für die Gemeinden Brachttal und Nidderau gelten, da der Zeuge dort…ebenfalls unter den genannten Bedingungen tätig war“. (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 6.11.2019, Az. 2 Ss-OWi 942/19)

  1. Kein Knöllchen durch Private – OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19

Die Frage, ob auch Verstöße im ruhenden Verkehr, also Parkverstöße, umgangssprachlich: Knöllchen, einem Verwertungsverbot unterliegen, wenn die Knöllchen von einem Privatunternehmen verteilt wurden, hat das OLG Frankfurt am Main ebenfalls bejaht (OLG Frankfurt, a. a. O.).

Ebenso wie die Auswertung von Messungen, ist die Erhebung der Messdaten, also die Durchführung der Messung hoheitliche Aufgabe. Werden diese Aufgaben durch Private durchgeführt, sollte man sich verteidigen.

Zur Erinnerung: Das OLG des Saarlandes hat zum Thema „Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen durch Private“ bereits im Jahr 2017 entschieden, dass das Vorgehen der Kreisstadt Neunkirchen rechtswidrig war und meinen Mandanten freigesprochen:

Freispruch! OLG Saarbrücken verwirft Geschwindigkeitsmessungen der Stadt Neunkirchen

Wie aber finde ich als Betroffener heraus, ob die Messung von einem privaten Unternehmen durchgeführt wurde oder nicht?

Hierzu ist zunächst durch einen Verteidiger Akteneinsicht zu nehmen.

Bislang konnte man mit dem nötigen Glauben an den Gutwill der Behörde, anhand des Messprotokolls und der Schulungsnachweise feststellen, ob ein Bediensteter der Stadt bzw. ein Beamter die Messung durchgeführt hat. Zudem kann man eine Vernehmung der Messbeamten beantragen. Eine solche Vernehmung findet auch regelmäßig statt.

Dass man nie auslernt, zeigt die letzte in diesem Themenkomplex zu erwähnende Entscheidung des OLG Frankfurt:

  1. Verurteilung wegen Fälschung eines Messprotokolls zur Verschleierung von „privaten Messungen“

Was man da liest, schlägt dem Fass den Boden aus.

 

Das OLG Frankfurt hat in einer Strafsache wegen Urkundenfälschung als Revisionsinstanz entschieden:

 

„Die von einem „privaten Dienstleister“ vorgenommene gesetzeswidrige Verkehrsmessung und das dabei von ihm erstellte Messprotokoll, das vorher von dem zuständigen Ordnungspolizeibeamten blanko unterschrieben worden war, damit verschleiert wird, dass die Verkehrsmessung nicht – wie gesetzlich vorgesehen – von der Polizei durchgeführt worden ist, stellt nicht nur eine schriftliche Lüge dar, sondern eine strafbare Falschbeurkundung im Amt durch den Ordnungspolizeibeamten, zu dem der private Dienstleister Beihilfe geleistet hat“.  (OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19)

Folgendes war passiert:

 

„Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte A als „privater Dienstleister“ gesetzeswidrig Verkehrsmessungen vorgenommen, (vor-)ausgewertet und Messprotokolle erstellt, die in einer Vielzahl von Bußgeld- und Verwarngeldverfahren als Beweismittel Verwendung gefunden haben. Dies erfolgte im bewusstem, kollusiven Zusammenwirken mit dem Angeklagten B als zuständigem Ordnungspolizeibeamten, der zur Verschleierung dem Angeklagten A eine von ihm unterzeichnete Kopie eines Blankomessprotokolls zur Verfügung gestellt hat. Da in den vom Angeklagten A erstellten und digitalisierte Messprotokollen der Angeklagte B als Messbeamter aufgeführt war, sollte auf diese Weise suggeriert werden, dass die Messungen von dem Hoheitsträger durchgeführt wurden. Auf diese Weise wurde im Rahmen der gesamten elektronischen Aktenführung – was beide Angeklagte wussten – unter Täuschen der Zentralen Bußgeld- und Verwarnstelle in eine Vielzahl von Fällen Buß- und Verwarngelder erlassen, die so nicht hätten ergehen dürfen.“ (OLG Frankfurt a. a. O.)

Die Verurteilten haben sich übrigens damit verteidigt, es liege keine Urkundenfälschung vor, da ein Messprotokoll keine Urkunde nach § 348 StGB darstelle.  Dieser Rechtsansicht hat das OLG Frankfurt eine klare Absage erteilt.

 

Fazit: Es soll keiner Behörde oder Gemeinde unterstellt werden, dass dort ebenfalls ein solches Vorgehen stattfindet. Nach dieser Entscheidung ist das allerdings auch nicht mehr auszuschließen. Wer in Verkehrsordnungswidrigkeiten verteidigt, sollte sich zukünftig nicht mehr mit dem Messprotokoll und den Schulungsnachweisen des Messbeamten zufrieden geben. Private Unternehmen, die meist als Kapitalgesellschaften organisiert sind und damit den Zweck der Gewinnerzielung verfolgen, dürfen nicht Herren eines Bußgeldverfahrens werden, schon gar nicht heimlich und verdeckt.

 

Verschleierungen von Beteiligungen privater Unternehmen müssen aufgedeckt und angegriffen werden.

 

Verkehrsüberwachung ist eine hoheitliche Aufgabe. Sie soll der Verkehrssicherheit und nicht dem Gewinnstreben Privater dienen!

 

BGH entscheidet zu Gunsten der Geschädigten bei Vorschadensproblematik

Der Bundesgerichtshof hat in einem wegweisenden Beschluss von ganz erheblicher praktischer Bedeutung der bisher wohl herrschenden Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte (z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 8.4.2016 – I-9 U 79/15) eine deutliche Absage erteilt. Er hat die Anforderungen an die Darlegung eines Vorschadens durch den Geschädigten deutlich reduziert, indem er in weitem Umfang den Zeugenbeweis für zulässig erklärt hat. Damit hat er sich in einer für die Geschädigten oft unverschuldeten und misslichen Lage auf deren Seite gestellt. Eine sehr begrüßenswerte Entscheidung.

Worum geht es? Die Vorschadensproblematik beim Verkehrsunfall!

Das Problem stellt sich vor allem bei älteren Fahrzeugen, die der Geschädigte als Gebrauchtfahrzeug erworben hat. Fahrzeuge aus zweiter, dritter Hand etc..

Definitionen

Altschaden = unreparierter vorangegangener Unfallschaden
Vorschaden = reparierter vorangegangener Unfallschaden

Beispiel:

A erwirbt einen 5 Jahre alten BMW X1 von privat. Beide verwenden einen Mustervertrag aus dem Internet für einen Privatverkauf gebrauchter PKW, der auch einen Gewährleistungsausschluss enthält. Der Verkäufer teilt A mündlich mit, er habe keinen Unfall mit dem PKW, den er selbst gebraucht gekauft habe, gehabt. A geht auch davon aus, dass das Fahrzeug keinen Unfall hatte, denn es ist kein Vor- oder Altschaden erkennbar. Das Fahrzeug sieht einwandfrei aus.

A erleidet mit dem PKW einen unverschuldeten Unfall. Der Kfz-Haftpflichtversicher (H) des Schädigers ist dem Grunde nach eintrittspflichtig. Darüber besteht auch kein Streit.

A lässt sein Fahrzeug begutachten, reicht das Gutachten bei H ein und beziffert seine Schäden. Es ist nach den Ausführungen des Sachverständigen ein Totalschaden. Den Wiederbeschaffungswert – Wert unmittelbar vor dem Unfall – gibt der Sachverständige mit 20.000,00 Euro an.

H prüft das Gutachten und gibt das Fahrzeug in sein Hinweis- und Informationssystem (HIS) ein. Dort werden bestimmte Daten zu Unfällen gespeichert. Es ergibt sich, dass das Fahrzeug vor dem Verkauf an A einen Verkehrsunfall hatte. Mithin hat es einen Vorschaden. Wie der H mitteilt, handelt es sich um einen gravierenden Vorschaden.

H verweigert aus diesem Grund die Zahlung, bestreitet den Wiedebeschaffungswert und fordert den A auf, darzulegen, welche Vorschäden am Fahrzeug vorhanden waren und  ob und wie diese repariert wurden.

Unstreitig und nach wie vor ständige Rechtsprechung ist und wird es bleiben, dass es Sache des Geschädigten ist, die Schadenshöhe nachzuweisen. Wenig zweifelhaft ist es weiterhin, dass ein solcher Vorschaden erheblichen Einfluss auf den Wert des Fahrzeugs vor dem Unfall (Wiederbeschaffungswert) haben kann.

Klar ist daher, dass A nun erstmal die A-Karte gezogen hat, denn er muss den Wiederbeschaffungswert schlüssig darlegen. Also muss er auch darlegen, ob und wie sich der Vorschaden, der in seinem Gutachten nicht erwähnt ist, ausgewirkt hat.

Fraglich ist, wie detailliert diese Darlegungen sein müssen und welche Anforderungen an die Beweisführung zu stellen sind.

Bisher waren die Oberlandesgerichte gegenüber den Geschädigten in solchen Fällen äußerst streng. Die Anforderungen an die Darlegungen zum Vorschaden, vor allem an die durchgeführten Reparaturarbeiten waren kaum einzuhalten.

Insbesondere ließen die Gerichte Zeugenbewiese, beispielsweise zum Zustand des Fahrzeugs vor dem Unfall, zu den durchgeführten Reparaturarbeiten etc. häufig nicht zu und schmetterten solche Zeugenbeweisanträge als unsubstantiiert oder als sog. unzulässige Beweisausforschungsanträge ab. Die Rechtsfolge ist für die Geschädigten bitter. Denn sie verlieren nicht nur vollständig den Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugschadens sondern bleiben darüber hinaus auch auf den Kosten des Gutachtens sitzen.

Diese ausufernde Rechtsprechung hat der BGH nun erst einmal ausgebremst, indem er klargestellt hat:

„Behauptet der Geschädigte eines Verkehrsunfalles, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und den beschädigten Pkw in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann ihm nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen. Darin liegt weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis.“ (BGH, Beschl. v. 15.10.2019 – VI ZR 377/18)

Damit ist der restriktiven Rechtsprechung der Untergerichte Einhalt geboten. Zukünftig muss in sehr weitem Umfang Zeugenbeweisanträge zum Zustand des Fahrzeuges und zu den Reparaturarbeiten am Fahrzeug nachgegangen werden. Denn der BGH konkretisiert zu Gunsten des Geschädigten die Anforderungen, die an einen Beweisantritt zu stellen sind wie folgt:

„Gemäß § 373 ZPO hat die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen beantragen will, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die dieser vernommen werden soll. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe. Wie weit eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, hängt von ihrem Kenntnisstand ab (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1988 – IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529, juris Rn. 8). Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Anerkanntermaßen ist jedoch bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen können (Senatsurteil vom 25. April 1999 – VI ZR 178/94, NJW 1995, 2111, juris Rn. 13; BGH, Urteile vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159, juris Rn. 40; 7. Februar 2019 – III ZR 498/16, NJW 2019, 1137 Rn. 37; jeweils mwN).“ (BGH a. a. O.)

Nachweis einer Unfallmanipulation durch Blackbox – OLG Hamm

Soweit ersichtlich, liegt nunmehr die erste obergerichtliche Entscheidung vor, in der eine Blackbox ausgewertet wurde. Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Urteil vom 13.5.2019 – 6 U 144/17 eine Unfallklage abgewiesen. Es hat, unter anderem aufgrund der Auswertung der Daten der Blackbox eines der drei beteiligten PKWs, festgestellt, dass es sich um einen sogenannten gestellten Unfall handelte. Ein gestellter oder manipulierter Unfall ist eine Betrugsmasche, bei der zwei oder mehrere Beteiligte einvernehmlich eine Fahrzeugkollision herbeiführen in der Absicht, den Kfz-Haftpflichtversicherer zu betrügen. In der Vorinstanz hatte der Kläger obsiegt. Das OLG Hamm hat das Urteil des LG Münster aufgehoben.

Der Fall dürfte für die Beteiligten ein strafrechtliches Nachspiel haben.

Der Kläger hatte vorgetragen, mit seinem Mercedes einem entgegenkommenden Citroen, der auf seine Fahrspur gefahren sei, ausgewichen zu sein. Hierbei sei es zu einer Streifkollision der beiden Fahrzeuge gekommen. Der Mercedes des Klägers sei in den rechten Straßengraben geraten. Dass der Citroen auf seine Fahrspur gekommen sei, sei darauf zurückzuführen, dass ein Lexus von links aus einer untergeordneten Straße eingefahren und den Citroen seitlich erfasst hätte.

Das Landgericht Münster hat in der ersten Instanz Beweis erhoben durch Vernehmung sämtlicher Zeugen, vor allem der Fahrer der drei beteiligten PKWs. Des Weiteren hat es, wie üblich, ein Unfallrekonstruktionsgutachten in Auftrag gegeben. Der Sachverständige konnte die Blackbox des Lexus auslesen. Aus den Daten ergab sich, dass der PKW unmittelbar vor dem Unfall mindestens 5 Sekunden lang bei geöffnetem Fahrergurt gestanden hatte, mithin nicht in Bewegung gewesen war.

Das LG Münster hielt die Klage nach der durchgeführten Beweisaufnahme für begründet. Der beklagte Versicherer habe den Beweis, dass der Kläger mit dem Unfall einverstanden gewesen sei, nicht geführt. Es sprach dem Kläger Schadensersatz in Höhe von rund 15.000,00 Euro zu.

Das OLG Hamm hat auf die Berufung des Versicherers erneut Beweis erhoben. Es hat sämtliche Zeugen erneut vernommen und den Kläger erneut persönlich angehört. Der Sachverständige wurde erneut zu seinem unfallanalytischen Gutachten angehört. Der Senat kam zum gegenteiligen Ergebnis.

EDR - Event Data Recorder "Blackbox"

In Flugzeugen ist die Blackbox schon lange Standard. Auch in der Unfallregulierung wird sie in den kommenden Jahren erheblich an Bedeutung gewinnen.

Das OLG Hamm führt zunächst aus, was allgemeine Rechtsprechung ist:

„Für den Nachweis eines mit Einwilligung des Anspruchstellers beziehungsweise Geschädigten manipulierten Unfalls ausreichend aber erforderlich ist, dass derart gewichtige Indizien vorgebracht und gegebenenfalls bewiesen werden, die bei einer Gesamtschau in ihrem Zusammenwirken vernünftigerweise nur den Schluss zulassen, dass der Anspruchsteller beziehungsweise Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt hat. Eine mathematisch lückenlose Gewissheit ist insoweit nicht erforderlich. Es genügt vielmehr nach der unmittelbaren Überzeugungsbildung des Tatrichters ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, das heißt ein für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie mathematisch lückenlos auszuschließen. Die feststehenden Indizien müssen in lebensnaher Zusammenschau und praktisch vernünftiger Gewichtung den Schluss auf eine Einwilligung beziehungsweise auf ein kollusives Zusammenwirken zulassen, das die Rechtswidrigkeit der angeblichen Rechtsgutverletzung ausschließt (exemplarisch OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 08.12.2017, Az. 15 U 37/16, NJW-RR 2018, 538, Rn. 21 f. m.w.N.).“ (OLG Hamm, a. a. O.)

Den ersten Unfall, also die Kollision zwischen dem Lexus und dem Citroen, hat der Senat bereits aufgrund des Gutachtens und der Feststellung, dass der Lexus mindestens 5 Sekunden lang gestanden haben musste, als manipuliert betrachtet.

Der Senat hat auch nicht verkannt, dass es theoretisch möglich gewesen wäre, dass der Unfall zwischen dem Lexus und dem Citroen abgesprochen war und der Kläger mit seinem Mercedes nur zufällig in dieses Geschehen geraten sein könnte. Da dieser aber in seiner erneuten Anhörung vor dem OLG Hamm abweichende Angaben zu den Umständen des Unfalls machte, wurde ihm kein Glauben geschenkt.

Mitunter hatte er in erster Instanz angegeben, Anlass seiner Fahrt sei die beabsichtigte Abholung eines Bekannten gewesen, der einige Tage bei ihm übernachten wollte. In zweiter Instanz hat er dann einen anderen Nachnamen dieses Bekannten angegeben.

„Aufgrund des Auswechselns des Nachnamens des angeblichen Bekannten sowie der Angabe, dass es im Nachgang zu dem Unfall keinerlei Kontaktaufnahme gegeben habe, ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger zum Anlass seiner Fahrt eine unwahre Geschichte erzählt hat.“ (OLG Hamm, a.a.O.)

AG St. Ingbert: Es werde geblitzt! Leivtec XV3-Messungen wieder verwertbar.

Im Saarland werden nach einer aktuellen Entscheidung des Amtsgerichts St. Ingbert Messungen mit dem Leivtec XV 3 wieder gegen die Betroffenen verwertet.

Das Amtsgericht St. Ingbert hat mit Urteil vom 29.10.2019 – 25 OWi 66 Js 1919/19 – (2968/19) entschieden, dass es genügt, wenn ein Messverfahren eine nachträgliche „falsifizierende Plausibilitätseinschätzung“ ermöglicht. Im konkret entschiedenen Fall ging es um eine Messung mit dem Gerät Leivtec XV 3. Das Amtsgericht hat aber zu weiteren Messgeräten, namentlich Multanova und Poliscan – klargestellt, dass auch mit diesen gemessen werden darf.

Das AG St. Ingbert führt aus, dass eine nachträgliche Plausibilitätskontrolle beim Leivtec XV3, beim Multanova und bei Poliscan Messgeräten grundsätzlich möglich ist. Aus den Gründen:

„Der VerfGH hat jedoch nicht entschieden, ob – sofern mehr Daten als bei dem Messgerät TraffiStar S 350 gespeichert sind – die geforderte Plausibilisierungsmöglichkeit ausschließlich aufgrund vollständig gespeicherter Messdaten oder in anderer Art und Weise möglich sein muss.

Bei dem hier verwendeten Messgerät Leivtec XV 3 sind zwei Arten der Plausibilisierung ohne Rückgriff auf sämtliche in die Messwertbildung eingehenden Daten möglich, nämlich durch Weg-Zeit-Berechnung (vgl. Leivtec XV 3, Geschwindigkeitsüberwachungsgerät, Beschreibung des Messverfahren, Stand 3.3.2015, 13 ff) sowie durch Photogrammetrie (vgl. Leivtec XV 3, a.a.O., 19 ff):

–  Plausibilitätsprüfung durch Weg-Zeitberechnung
(Ziff. 4.1, Seite 13): In der aktuellen Version 2.0 des
Referenzauswertprogramms wird neben dem abgerundeten XV3 Gerätemesswert
zusätzlich der Wert XV3 Geschwindigkeit vor Abrundung angezeigt. Für eine
Plausibilitätsprüfung kann jetzt der Wert XV3 Geschwindigkeit vor Abrundung mit
der durch die Plausibilitätsberechnung ermittelten Geschwindigkeit
Auswertstrecke verglichen werden. Eine Verfälschung durch Abrundungseinflüsse
wird somit vermieden. Die Berechnung der Abweichung beider Geschwindigkeiten
wird vom Referenz-Auswertprogramm Speed Check bereits durchgeführt als
Geschwindigkeitsdifferenz im Fenster zur Anzeige von Zusatzdaten angezeigt. Die
Geschwindigkeitsdifferenz kann aber natürlich zur Kontrolle anhand zusätzlich
dargestellter Hilfsgrößen nochmals überprüft werden.

– Plausibilitätsprüfung durch Photogrammetrie (Ziff. 4.3,
Seite 19): Unter Zuhilfenahme der Parameter von Kamera und Objektiv kann
mittels photogrammetrischer Auswertung der Abstand der Fahrzeuge zur
Messeinheit im Messung- Start- und Messung-Ende-Bild ermittelt werden. Die so
ermittelte Abstandsdifferenz des gemessenen Fahrzeugs zusammen mit der in Speed
Check angezeigten „Zeitdifferenz zwischen Messung-Start-Bild und
Messung-Ende-Bild“ ermöglicht die Berechnung eines „Photogrammetrie-Geschwindigkeitswertes“.

Beide Plausibilisierungsverfahren können – wie die
Gerichtspraxis zeigt – durch Sachverständige ohne weiteren Aufwand und ohne
Rückgriff auf nicht zur Verfügung stehende Algorithmen durchgeführt werden und
bedürfen keiner Erstellung eines Modells, welches wohl auch nur besonders
befähigte bzw. ausgebildete Sachverständige erstellen könnten.

Eine unter Berücksichtigung von Toleranzen erfolgte
Plausibilitätsbetrachtung kann den Gerätemesswert zwar nicht ersetzen, sondern
lediglich bestätigen oder anzweifeln. Verbleiben Zweifel, hat das Gericht
individuell den vorwerfbaren Geschwindigkeitsmesswert zu ermitteln, also das zu
tun, was es bei nicht-standardisierten Messverfahren ohnehin zu tun hätte,
nämlich die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 261 stopp auszuüben
(hierzu Dr. Peukert, a.a.O.).

Das auf den Gerätetyp S 350 bezogene nicht näher
begründete landesverfassungsrechtliche Verwertungsverbot stünde nur dann in
offenkundigem Widerspruch zur bundesverfassungsrechtlich bestätigten
Strafrechtsprechung, die für Verwertungsverbote eine ausdrückliche gesetzliche
Vorschrift verlangt oder aber einen wichtigen Grund im Einzelfall, wenn der
Begriff „Plausibilisierung“ durch „Verifizierung“ ersetzt würde, was der VerfGH
gerade nicht getan hat. Deshalb ist für jeden Gerätetyp gesondert zu prüfen, ob
eine nachträgliche Plausibilitätskontrolle möglich ist oder nicht. Ist diese
möglich, ist nicht von einem Verwertungsverbot betreffend erlangte Messdaten
auszugehen.

Das vom VerfGH angenommene Verfahrensgrundrecht kann
somit im Ergebnis nicht verletzt sein, wenn ohne weiteres zugängliche und
leicht zu handhabende Plausibilisierungsmöglichkeiten – wie hier bei Leivtec XV
3 – bestehen.

Dies gilt, wenn auch für vorliegende Entscheidung
nicht von Bedeutung, wohl ebenfalls für Messungen mit anderen Messgeräten, bei
denen Messdaten gelöscht/nicht gespeichert werden: Bei Messungen mit dem Gerät
PoliScan der Fa. Vitronic werden neben den Orts- und Zeitkoordinaten von erstem
und letztem Messpunkt 3 weitere Punkte gespeichert, was eine photogrammetrische
Auswertung ermöglicht. Bei dem Messgerät Multanova der Fa. Jenoptik handelt es
sich – anders als bei S 350 – um ein halb-analoges Messsystem, welches einen
aufmerksamen Messbetrieb erfordert und als halb-analoges Messsystem die
Messdaten nicht speichert. Die Überprüfung der richtigen Positionierung des
Messgerätes – auch hier besteht ein Unterschied zu S350, denn diese wird nicht
digital erfasst, verwertet oder gespeichert – kann durch photogrammetrische
Auswertung erfolgen. Der Geschwindigkeitsmesswert kann ferner bei diesen beiden
Messgeräten – soweit ein geeignetes Messfoto zur Verfügung steht, was bei allen
verwertbaren Fällen ohnehin der Fall sein sollte – mit Hilfe des Smear-Effektes
überprüft werden.

Messung und Messergebnis waren daher vorliegend uneingeschränkt verwertbar.“ ( AG St. Ingbert, Urteil vom 29.10.2019 – 25 OWi 66 Js 1919/19 (2968/19))

Geblitzt? Sofort Einspruch einlegen! Messungen im Saarland sind vermutlich verfassungswidrig!

Der Saarländische Verfassungsgerichtshof hat am 9.5.2019 über die Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen verhandelt. Gegenstand der Verhandlung war die Frage, ob die sogenannten Rohmessdaten einer Geschwindigkeitsmessung vom Messgerät gespeichert werden müssen.

Prozessbeobachter vermuten nach dem Verlauf der Verhandlung, dass der Saarländische Verfassungsgerichtshof diese Frage bejahen wird. Das vermute ich ebenfalls.

Die Verhandlung hat bundesweit großes mediales Interesse geweckt:

Spiegel Online – Richter zweifeln an Fairness von Bußgeldverfahren

SR – Verfassungsbeschwerde wegen Blitzer

FOCUS – Beschwerde gegen Geldbuße: Verfassungsrichter zweifeln Zulässigkeit von Blitzern an

Bereits mit Beschluss vom 27.4.2018 – Lv 1/18 – hatte der Saarländische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass ein Betroffener Anspruch auf Einsicht in diese Rohmessdaten hat:

Das Gericht hat klargestellt, dass der Betroffene einer Verkehrsmessung darauf angewiesen ist, diese Daten zu erhalten, um überhaupt in der Lage zu sein, Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung nachzuweisen.

Jedenfalls für das Saarland steht seitdem fest, dass der Betroffene die Rohmessdaten auf Antrag seines Verteidigers erhält und überprüfen lassen kann.

Was war also das Problem des Falles, der am 9.5.2019 verhandelt wurde? Der Betroffene hätte doch die Daten erhalten können/müssen?

Das Problem war, dass der Messgerätehersteller Jenoptik im Rahmen eines Softwareupdates die Software des Messgerätes geändert hat und zwar dahingehend, dass fast sämtliche Rohmessdaten der Messung gelöscht werden. Mit den verbliebenen Daten lässt sich aber ein Messfehler kaum nachweisen.

Diese Problematik war bereits Gegenstand eines Freispruchs des Amtsgerichts St. Ingbert vom 26.4.2017 – 2 OWi 379/16. Das Amtsgericht St. Ingbert, inzwischen das „zentrale“ Bußgeldgericht des Saarlandes, hatte damals einen Betroffenen freigesprochen und ausdrücklich gerügt, dass der Hersteller Jenoptik die Rohmessdaten durch das Softwareupdate gelöscht hatte.

Auch was die Auswertung der Messungen angeht, erlitten Jenoptik und die Stadt Neunkirchen damals vorm Oberlandesgericht des Saarlandes eine derbe Schlappe. An das Verfahren kann ich mich noch gut erinnern, denn ich habe es als Verteidiger geführt. Zur Erinnerung:

Der Verfassungsgerichtshof hörte anlässlich der Verhandlung vom 9.5.2019 Sachverständige, unter anderem von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, an.

Die Entscheidung soll Ende Juni 2019 ergehen.

Sollte sich die Einschätzung bestätigen, dass der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes zu Gunsten des Betroffenen entscheiden wird, wird auch für alle anderen anhängigen Bußgeldverfahren die Forderung aufgestellt werden müssen, dass die Rohmessdaten einer Messung gespeichert werden müssen. Das ist allerdings nicht nur bei dem konkret verwendeten Messgerät nicht der Fall gewesen sondern bei den meisten „standardisierten Messverfahren“ – also fast allen Messsystemen – nicht üblich.

Dann kann nach meiner Bewertung der Rechtslage für alle Verfahren, in denen eine solche Speicherung nicht erfolgte, auf eine Verfahrenseinstellung bzw. einen Freispruch verteidigt werden.

Dies gilt jedenfalls für Verstöße, die im Saarland begangen wurden und hier anhängig sind. Ob die Entscheidung bundesweit „durchschlägt“, halte ich für fraglich.

Was müssen Sie jetzt tun, wenn Sie geblitzt wurden?

1. Einspruch einlegen! Es sollte keinesfalls zur Rechtskraft der Entscheidung kommen, da nach meiner Einschätzung ein Wiederaufnahmeverfahren nicht erfolgversprechend ist, denn

2. Sie sollten die Beiziehung und Zurfverfügungstellung der Rohmessdaten Ihres Falles bereits bei der Bußgeldstelle beantragen.

Bereits an dieser Stelle setzt für den Betroffenen das erste Problem ein. Denn als Betroffener haben Sie keinen Anspruch auf Übersendung Ihrer Fallakte an Sie persönlich. Abgesehen davon, dürfte die Antragstellung für den Laien problematisch sein. Sie sollten daher frühzeitig anwaltliche Hilfe suchen, so dass noch im Verfahren vor der Bußgeldbehörde agiert werden kann.

Die Kosten hierfür übernimmt Ihr Rechtsschutzversicherer. Sind Sie nicht rechtsschutzversichert, aber mit einem PKW gefahren, der auf eine rechtsschutzversicherte Person oder ein Unternehmen zugelassen ist (z.B. Firmenwagen) übernimmt der Rechtsschutzversicherer des Halters die Kosten.

Die Rechtsprechung verfährt in Fällen, in denen der Betroffene sich nicht bereits im Verfahren vor der Bußgeldstelle ernsthaft um den Erhalt der Messdateien bemüht hat, generell zurückweisend.

Sie können also nicht einfach Einspruch einlegen und abwarten in der Hoffnung, dass Ihr Verfahren vom Amtsgericht St. Ingbert oder der zuständigen Bußgeldstelle eingestellt wird, wenn die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ergangen sein wird.

Nach meiner Prognose wird es eine „generelle Einstellung“ dieser Verfahren nicht geben.

Zu erwarten ist, dass die Messgerätehersteller per Softwareupdate eine Speicherung der Rohmessdaten herbeiführen werden. Für die bereits laufenden verfahren und die derzeitigen Blitzer kann das aber nach meiner Einschätzung keine „Heilung“ mehr bewirken.

Ein Mal bekifft gefahren? Reicht nicht für Fahrerlaubnisentzug! BVerwG ändert seine Rechtsprechung

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 11.4.2019 seine lang erwartete Entscheidung zum Thema Fahrerlaubnisentzug  und Cannabiskonsum gefällt. Es hat sich überraschender Weise für die Mindermeinung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes und damit gegen die überwiegende Meinung – hier vertreten durch das des OVG Nordrhein-Westfalen – und seine eigene bisherige Rechtsprechung entschieden.

Die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts titelt:

Erstmaliger Verstoß eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten gegen das Gebot des Trennens von Konsum und Fahren führt regelmäßig nicht unmittelbar zur Entziehung der Fahrerlaubnis

Über das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes hatte ich hier berichtet:


Stellvertretend für die bis dato geltende herrschende Meinung:

Aus der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts:

An seiner gegenteiligen Annahme im Urteil vom 23. Oktober 2014 hält das Bundesverwaltungsgericht nicht fest. Auch ein einmaliger Verstoß begründet aber Bedenken gegen die Fahreignung, denen die Fahrerlaubnisbehörde nachgehen muss. Erforderlich ist eine Prognose, ob der Betroffene auch künftig nicht zwischen einem möglicherweise die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Fahren trennen wird. Um hierfür eine ausreichend abgesicherte Beurteilungsgrundlage zu haben, bedarf es in der Regel der Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Die Fahrerlaubnisbehörde hat gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Anordnung der Beibringung eines solchen Gutachtens und die hierbei einzuhaltende Frist zu entscheiden.

Die Pressemitteilung ist hier veröffentlicht:

https://www.bverwg.de/pm/2019/29

Damit ist der ständigen Praxis fast aller Bundesländer, bei einer erstmaligen Cannabisfahrt ohne weitere Prüfung die Fahrerlaubnis zu entziehen, ein Riegel vorgeschoben worden. In Zukunft müssen die Fahrerlaubnisbehörden dazu übergehen, zu prüfen, ob eine medizinisch-psychologische Begutachtung der Fahreignung angezeigt ist. Dies wiederum wird auch beim erstmaligen Fahren unter Cannabiseinfluss der Regelfall sein. Es heißt nun also doch: MPU statt Sofortentzug der Fahrerlaubnis.

Für den Betroffenen bringt das den ganz entscheidenden Vorteil mit sich, dass er zukünftig bis zur MPU seinen Führerschein behalten werden darf. Bislang wurde die Fahrerlaubnis nach der Praxis fast aller Bundesländer sofort entzogen. Sodann musste der Betroffene entweder im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom Verwaltungsgericht seiner Fahrerlaubnis hinterherlaufen (im wahrsten Sinne des Wortes) oder eben einen Neuantrag stellen und das Antragsverfahren durchlaufen (wiederum im wahrsten Sinne des Wortes).

Fazit: Die Entscheidung ist ein echter „Knaller“ und eine ausdrückliche Abkehr von der bisherigen Marschroute. Zu beachten ist Folgendes: Die Entscheidung bezieht sich auf gelegentliche Konsumenten von Cannabis. Nach ständiger Rechtsprechung liegt gelegentlicher Konsum allerdings bereits beim zweiten Konsumvorgang vor. Der gelegentliche Konsum ist daher der Regelfall und wird bereits durch die Carbonsäurewerte hinreichend zu belegen sein. Des Weiteren ist die Entscheidung nur auf Ersttäter anwendbar.

Zur Identifizierung des Fahrers durch Sachverständigengutachten – „Höchstwahrscheinlich“ reicht nicht (OLG Oldenburg)

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in einer aktuellen Entscheidung noch einmal klargestellt, welche Anforderungen in einem Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren an die Identifizierung des Fahrers zu stellen sind. Die konkrete Entscheidung behandelt das Thema Identifizierung durch Einholung eines Gutachtens.

Dem Betroffenen wurde ein Geschwindigkeitsverstoß vorgeworfen. Er bestritt, der auf dem Messfoto abgebildete Fahrer zu sein. Das Amtsgericht holte daraufhin ein Gutachten ein. Hierzu ist anzumerken, dass es durchaus üblich ist, dass das Gericht ein anthropologisch-morphologisches Gutachten (Identitätsgutachten) einholt, wenn es sich anhand des Messfotos alleine nicht von der Fahrereigenschaft überzeugen kann.

Es ist also nicht ungewöhnlich, dass bei schlechter Qualität des Messfotos ein solches Gutachten eingeholt wird.

Der Gutachter kam im Verfahren vor dem Amtsgericht zu der Überzeugung, dass der Betroffene „höchstwahrscheinlich“ der auf dem Messfoto abgebildete Fahrer sei, allerdings mit der Einschränkung, dass kein Blutsverwandter in Betracht komme.

Allein auf diese Einschätzung stützte das Amtsgericht die Verurteilung des Betroffenen.

Das OLG Oldenburg führt zu diesem Vorgehen zutreffend aus:

„Dass jemand „höchstwahrscheinlich“ eine Straftat oder wie hier eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, rechtfertigt eine Verurteilung nicht.“ (OLG Oldenburg, Beschluss vom 22.6.2018 – 2 Ss (OWi) 176/18)

Das OLG Oldenburg hat die Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes.

Es hat darauf hingewiesen, dass eine Feststellung der Fahrereigenschaft in einem solchen Fall zusätzlich weitere Feststellungen erfordere, etwa dass der Betroffene im Tatzeitpunkt Halter des Fahrzeugs war oder dem Halter so nahe stehe, dass er auch Zugriff auf das Fahrzeug hatte.

Die Feststellung der Fahrereigenschaft spielt im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht eine große Rolle, da einzige Beweismittel häufig das Messfoto bzw. die Messfotos oder das Messvideo sind.

Insofern als es dem Betroffenen frei steht, zu bestreiten, dass er der auf dem Messfoto abgebildete Fahrer ist, Messfotos aber nicht selten von zweifelhafter Qualität sind und zudem Gesichtspartien verdeckt sein können, ranken sich viele Entscheidungen um das Thema „Fahreridentifizierung“.

Dass der vorliegende Wahrscheinlichkeitsgrad, den der Gutachter mit „höchstwahrscheinlich unter Ausnahme eines Blutsverwandten“ angenommen hat, für sich  alleine betrachtet nicht ausreicht, hätte sich dem Amtsgericht aufgrund der ständigen Rechtsprechung aufdrängen müssen.

Wie die Sache nach der Zurückverweisung und erneuten Verhandlung für den Betroffenen ausging, ist nicht veröffentlicht. Jedenfalls sollte jedem Betroffenen klar sein, dass er nicht verpflichtet ist, sich als Fahrer zu erkennen zu geben. Des Weiteren ist es sein gutes Recht, die Fahrereigenschaft zu bestreiten.

Vorschnelle Reaktionen auf Anhörbögen sollten daher dringend vermieden werden!

Die Nichtbeantwortung eines Anhörbogens ist im Übrigen keine Ordnungswidrigkeit. In dem Moment, in dem Ihre Daten der Behörde bekannt sind, entfällt der in Anhörbögen regelmäßig zitierte Tatbestand des § 111 OWiG. Falls Sie Post von der Bußgeldstelle erhalten haben, rufen Sie mich an, bevor Sie irgendwelche Angaben machen.

Der auf dem Beitragsfoto abgebildete Fahrer bin übrigens nicht ich … oder doch?

LG Nürnberg-Fürth: Entziehung der Fahrerlaubnis nach Unfallflucht erst ab 2.500,00 Euro Fremdschaden!

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat festgestellt, dass einbedeutender Fremdschaden bei einer Unfallflucht erst ab einem Betrag von 2.500,00 € netto vorliegt.

Diese sog. Wertgrenze ist von herausragender Bedeutung für die Frage, ob der Beschuldigte seinen Führerschein (vorläufig) behalten darf oder nicht.

Gerade weil die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts der Unfallflucht und Überschreiten der Fremdschadensgrenze der Regelfall ist, hat auch die Verteidigung auf die Höhe des Fremdschadens besonderes Augenmerk zu legen.

 Wird die Wertgrenze überschritten und gehen die Staatsanwaltschaft und der Ermittlungsrichter davon aus, dass der Beschuldigte der Täter der Unfallflucht ist (einfach ausgedrückt), dann ergeht in der Regel schon während des laufenden Verfahrens ein Beschluss nach § 111 a StPO. Das bedeutet, dem Beschuldigten wird, ohne vorherige gerichtliche Verhandlung, vorläufig, aber mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis entzogen.

Bisher sehen die Gerichte die Wertgrenze bei etwa 1.400,00 € bis 1.800,00 € als erreicht an (mit gewissen regionalen Unterschieden).

Das Problem dabei ist, dass diese Grenze sehr schnell erreicht ist, unter anderem regelmäßig auch schon bei den üblichen „Parkplatzremplern“. Nicht zuletzt deswegen steht die Wertgrenze seit Jahren in zunehmender Kritik. Auch die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht und der Verkehrsgerichtstag empfehlen eine Anhebung der Wertgrenze.

Das LG Nürnberg-Fürth hat nun in Anlehnung an einen vorangegangenen Beschluss einen gewaltigen Schritt in die meines Erachtens richtige Richtung gemacht:

Ein bedeutender Fremdschaden liegt ab einem Betrag von 2.500,00 € netto vor (vgl. z.B. die Beschlüsse der Kammer vom 10.04.08 – Az. 5Qs 23/18 und vom 05.11.18, Az. 5 Qs 69/18). Die Kammer hat die Änderung von §44 Abs. 1 StPO und damit die seit dem 24.08.2017 geschaffene Möglichkeit der Verhängung von Fahrverboten von bis zu sechs Monaten anstelle von drei Monaten zum Anlass genommen, ihre Rechtsprechung zum Begriff des bedeutenden Fremdschadens Anfang 2018 zu ändern (bis 2017: 1.800,00 € netto, vgl. z. B.Beschluss vom 11.04.2008, Az. 5 Qs 61/08). Im Hinblick auf die in § 69 Abs. 2Nr. 3 StGB angeordnete Gleichsetzung des bedeutenden Fremdschadens mit der Tötung bzw. nicht unerheblichen Verletzung eines Menschen einerseits und der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten zehn Jahren andererseits hat die Kammer im Interesse der Rechtssicherheit eine großzügige Anpassung derWertgrenze nach oben vorgenommen. Die Kammer hat dabei die Entwicklung der Einkommen und der Kosten für die Beseitigung der Folgen von Verkehrsunfällen berücksichtigt und sich an einer groben Schätzung der wirtschaftlichen Entwicklung orientiert. Eine exakte Ermittlung der Kostenentwicklung bei der Beseitigung von Unfallfolgen ist nicht zuletzt wegen der Vielfältigkeit der Unfallszenarien von geringer Aussagekraft. Die Kammer hat deswegen davon abgesehen anhand von einem Musterunfallgeschehen auf eine insoweit singuläre Kostenentwicklung abzustellen (vgl. aber zu diesem Ansatz, LG Frankfurt amMain, Beschluss vom 13.05.2008, Az. 5/9a Qs 5/08). Die Verbraucherpreise für die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen sind allein in den Jahren von 2010 bis 2016 um 11,6% angestiegen (vgl. Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindex für Deutschland, Klassifikation CC 0723). Im gleichen Zeitraum steigerte sich der Reallohnindex lediglich um 7,8% (vgl. Statistisches Bundesamt, Verdienste und Arbeitskosten, Reallohnindex und Nominallohnindex, 4. Vierteljahr 2017). Auch im Bereich der Bergungs- und Abschleppkosten ist es zu deutlichen Preissteigerungen gekommen. So sind beispielsweise die Preise für ein Standard-Bergungsfahrzeug zum Abtransport von liegen gebliebenen Pkws bis 7,49t zwischen den Jahren 2006 und 2016 um 35,5% angestiegen (vgl. VBA, Preis- undStrukturumfrage im Bergungs- und Abschleppgewerbe, Ergebnisse 2006 bis 2016). Eine großzügige Anpassung der Wertgrenze war im Interesse der Rechtssicherheit geboten, um eine wiederholte Anpassung um kleinere Beträge in kürzeren Zeitabständen möglichst zu vermeiden.“ (LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v.12.11.2018 – 5 Qs 73/18)

Spurwechsel vs. Auffahrunfall und Bedeutung einer Zeugenaussage im Prozess – OLG München

Die Situation ist ein Klassiker im Bereich der Unfallregulierung.

Es kommt zu einem Unfall. Einer der am Unfall beteiligten Fahrer – Fahrer A – behauptet, der andere sei ihm von hinten aufgefahren. Der andere Fahrer – Fahrer B – trägt einen Spurwechsel des Vordermannes vor.

Das Oberlandesgericht München hat nun zu Gunsten des Fahrers B, der den Spurwechsel behauptet hatte, entschieden. Es hat ihm 100 %-igen Schadensersatz zugesprochen, weil der Anscheinsbeweis des Spurwechsels greife, nicht aber der Anscheinsbeweis des Auffahrens.

Zusammengefasst hat der Spurwechsler vorliegend den Prozess verloren, weil das unfallanalytische Sachverständigengutachten seine Unfalldarstellung ausschließen konnte. Es lag ein seitlicher Anstoß vor.  Zudem war die Zeugenaussage widersprüchlich.

Die Leitsätze des Urteils:

1. Steht die Kollision zweier Kraftfahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Wechsel des Fahrstreifens, so spricht der Anscheinsbeweis für die Missachtung der Sorgfaltspflichten, die für den Fahrstreifenwechsler gelten, wobei die Haftungsabwägung regelmäßig zu dessen Alleinhaftung führt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

2. Wer mit seinem Kraftfahrzeug auf ein vorausfahrendes oder vor ihm stehendes Kraftfahrzeug auffährt, hat den Anscheinsbeweis gegen sich, wonach er entweder nicht den nötigen Sicherheitsabstand eingehalten hat, mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist oder falsch reagiert hat. Eine bloße Teilüberdeckung der Fahrzeugschäden an Heck und Front lässt nicht auf einen atypischen Geschehensablauf schließen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

3. Der Aussage eines Zeugen kommt keine zwingende prozessrechtliche Priorität vor der Anhörung einer Partei im Rahmen des § 141 ZPO oder auch nur dem Prozessvertrag der anderen Seite zu (vgl. BGH BeckRS 9998, 165994). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz) (OLG München, Urt. v. 13.7.2018 – 10 U 1856/17)

Das Urteil finden Sie im Volltext hier:

OLG München, Endurteil v. 13.07.2018 – 10 U 1856/17

Grundsätzlich hat sich der Bundesgerichtshof zur Beweislastverteilung in seinem Urteil vom  13.12.2016 – VI ZR 32/16 – geäußert:

Das Urteil des Oberlandesgerichts München ist aber nicht nur wegen der überzeugenden Ausführungen zur Haftungsverteilung bzw. zum Durchgreifen des Anscheinsbeweises – in diesem Falle gegen den Spurwechsler – lesenswert.

Es räumt auch gründlich mit der weit verbreiteten Fehlvorstellung auf, dass derjenige, der „einen Zeugen hat“, den Prozess gewinnt. Diese immer noch vielfach von Mandanten geäußerte Auffassung ist falsch.

Und das gilt nicht nur, wenn sich der Zeuge, wie im Falle des OLG München, widersprüchlich äußert. Gerade bei einem Verkehrsunfall ist zu beachten, dass die Parteien in der Regel informatorisch angehört und im Einzelfall gegebenenfalls auch als Partei vernommen werden.

Das OLG München stellt diesbezüglich noch einmal unzweifelhaft klar:

Der Aussage eines Zeugen kommt keine zwingende prozessrechtliche Priorität vor der Anhörung einer Partei im Rahmen des § 141 ZPO oder auch nur dem Prozessvertrag der anderen Seite zu (vgl. BGH BeckRS 9998, 165994). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz) (OLG München a. a. O.)

Folge ist übrigens, dass bei streitigem Unfallhergang fast ausnahmslos verkehrsunfallanalytische Gutachten eingeholt werden.

OLG Frankfurt: Maximal 4 Wochen Regulierungsfrist für Kfz-Haftpflichtversicherer!

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat entschieden:

1. Der Geschädigte kann nach Vorlage des Anspruchsschreibens erwarten, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung kurzfristig mitteilt, ob, inwieweit und wie lange eine Prüfung stattfindet.
2. Die Dauer der Prüffrist ist von der Lage des Einzelfalls abhängig, beträgt in der Regel aber maximal vier Wochen. (Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschl. v. 06.02.2018 – 22 W 2/18)

Die Entscheidung ist hier veröffentlicht:

OLG Frankfurt, Beschl. v. 06.02.2018 – 22 W 2/18

Kürzlich hat das Landgericht Saarbrücken noch einmal klargestellt, dass die Regulierungsfrist bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall vier bis sechs Wochen beträgt. Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass die Regulierungsfrist erst beginnt, wenn der Haftpflichtversicherer ordnungsgemäß vom Geschädigten in die Lage versetzt wird, dessen Ansprüche nach Grund und Höhe zu prüfen.

Fristbeginn ist also nicht der Unfall selbst, wie viele Geschädigte, die sich an mich wenden, zu meinen scheinen. Ich verweise zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße „Inverzugsetzung“ noch einmal auf die Ausführungen des Landgerichts Saarbrücken, die ich in diesem Artikel bereits zusammengefasst habe:

OLG Saarbrücken zur Unfallregulierung: Wann gerät der gegnerische Haftpflichtversicherer in Verzug?

Dass der Geschädigte Herr des Regulierungsgeschehens ist, bedeutet eben auch, dass er die Regulierung betreiben muss. Dass das gar nicht so einfach ist, hat das OLG Frankfurt übrigens prägnant mit Urteil vom 2.12.2014 – 22 U 171/13 festgestellt:

Auch bei einfachen Verkehrsunfallsachen ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts von vornherein als erforderlich anzusehen. Gerade die immer unüberschaubarere Entwicklung der Schadenspositionen und der Rechtsprechung zu den Mietwagenkosten, Stundenverrechnungssätzen u.ä. lässt es geradezu als fahrlässig erscheinen, einen Schaden ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts abzuwickeln. (Hervorh. d. Unterz.)

Wenn Sie unverschuldet einen Unfall erleiden, werden Ihre Rechtsanwaltskosten vom gegnerischen Haftpflichtversicherer übernommen. Ich rate Ihnen daher:

Eiern Sie nicht rum! Rufen Sie mich nach einem Unfall sofort kostenlos und unverbindlich an!

Das ist besser, als monatelang auf die Regulierung zu warten, nur um dann festzustellen, dass der Haftpflichtversicherer von Ihnen nicht ordnungsgemäß in Verzug gesetzt wurde.

Abgasskandal: Erste Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Hersteller und Händler können gemeinsam am gleichen Gerichtsort verklagt werden.

Das hat der Bundesgerichtshof entschieden, indem er mit seinem ersten Urteil zum Abgasskandal Folgendes klargestellt hat:

„Macht der Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Verkäufer Ansprüche wegen eines behaupteten Sachmangels (hier: im Fahrbetrieb abgeschalteter Abgasreinigungseinrichtungen) und gegen den Hersteller des Fahrzeugs Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend, die auf die Vortäuschung eines mangelfreien Zustands gestützt werden, können Verkäufer und Hersteller als Streitgenossen gemeinschaftlich verklagt werden.“

Das Urteil ist hier im PDF-Format hinterlegt:

BGH Urteil vom 6.6.2018 – X ARZ 303/18 (PDF)

Bislang kam es in zahlreichen Verfahren zu einer Trennung des Prozesses wegen fehlender örtlicher Zuständidigkeit, wenn gegen den Verkäufer des Fahrzeuges und gegen den Hersteller des Fahrzeuges eine Klage eingereicht wurde. Dem hat der BGH ein Ende gesetzt. Kommt es zum Streit, an welchem Gericht eine Klage gegen Hersteller und Händler als Gesamtschuldner einzureichen ist, dann entscheidet diese Frage das übergeordnete Gericht.

Verfassungsgerichtshof des Saarlandes: Betroffener hat Anspruch auf Einsicht in die Messdateien!

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat – sozusagen als „letzte Instanz“ – entschieden, dass einem Betroffenen die Messdateien zur Auswertung und Überprüfung durch einen Sachverständigen zur Verfügung zu stellen sind. Im konkreten Fall hatte der Betroffene sich gegen den Vorwurf eines Rotlichtverstoßes zur Wehr gesetzt und mehrmals erfolglos versucht, die Bußgeldstelle dazu zu bewegen, ihm die Falldateien zu übersenden.

Letztlich wurde er ohne Einsicht in die Falldateien durch alle Instanzen (Amtsgericht Saarbrücken und Oberlandesgericht Saarbrücken) verurteilt. Nach Ausschöpfung des ordentlichen Rechtsweges verblieb ihm nur noch die Anrufung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes.
Dieser entschied, dass die vorangegangenen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts den Betroffenen in seinen Grundrechten auf ein faires gerichtliches Verfahren und auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzten.

In seiner Begründung setzt sich der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes eindrucksvoll und einleuchtend mit dem sogenannten Teufelskreis bei der Frage der Gewährung der Einsicht in die Falldateien auseinander. Er führt aus:

Die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei verletzen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs.

a) Nach der Rechtsprechung zum sog. standardisierten Verfahren, der vorliegend auch das Amtsgericht Saarbrücken und das Saarländische Oberlandesgericht gefolgt sind, genügt es, dass der Tatrichter in den Urteilsgründen das verwendete Messverfahren und ggf. den erfolgten Toleranzabzug angibt. Weitere Angaben und Nachforschungen hinsichtlich des Messgeräts, seiner genauen Funktionsweise und der Richtigkeit der Messdurchführung bzw. -auswertung sollen nicht erforderlich sein, da eine Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit aufgestellt wird (Fromm, NZV 2013, 16 [17]). Dies gilt für die Geschwindigkeits- wie auch für die Rotlichtüberwachung im Straßenverkehr. Daher werden die von einem automatisch arbeitenden Messgerät erfassten sog. Rohmessdaten, aus denen dieses die Geschwindigkeit oder die Tatsache eines Rotlichtverstoßes ableitet, üblicherweise auch nicht vom Tatrichter oder von der Bußgeldbehörde auf Messfehler oder Störungen hin überprüft; es genügt der in das Messfoto eingeblendete Geschwindigkeitswert (oder hier: Tatsache des Missachtens des Rotlichtes sowie Dauer des Rotlichtes beim Überfahren), den das Gerät bestimmt hat. Aus diesem Grund sind die Rohmessdaten auch nicht Teil der Gerichtsakte.

Die Richtigkeitsvermutung kann der Betroffene eines Bußgeldverfahrens nur angreifen, wenn er konkrete Anhaltspunkte für einen Fehler im Rahmen der Messung vorträgt. Es wird ihm also eine Beibringungs- bzw. Darlegungslast auferlegt (Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Diese Punkte vorzutragen, also die erfolgversprechende Verschaffung rechtlichen Gehörs, wird ihm jedoch unmöglich gemacht, wenn die Messdaten als die Grundlage der Messung nicht für eine sachverständige Untersuchung zur Verfügung gestellt werden (OLG Celle, Urteil vom 16.6.2016- 1 Ss OWi 96/16 -, NJOZ 2017, 559 Rn. 5; Deutscher, DAR 2017, 723; Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Letztlich wird er unter Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens als Objekt des Verfahrens behandelt, dem wesentliche Mitwirkungsrechte versagt werden bzw. welches diese nicht effektiv ausüben kann.

Für den Betroffenen bzw. seinen Verteidiger ist es möglich, der Darlegungslast nachzukommen und das Messergebnis in Zweifel zu ziehen, wenn er die vom jeweiligen Messgerät erzeugten Digitaldaten als Grundlage jeder Messung technisch auswerten lässt. Daraus, dass einerseits die Verwaltungsbehörden bzw. die Gerichte sich zu einer Überprüfung aller Einzelheiten der Geschwindigkeitsmessung nicht verpflichtet sehen, andererseits der Betroffene für eine solche in eigener Regie durch einen Sachverständigen durchgeführte Überprüfung die bei der Messung angefallenen digitalen Daten als Grundlage der Messung benötigt, hat das Saarländische Oberlandesgericht als Konsequenz des Rechts auf ein faires Verfahren gefolgert, dass ihm diese Daten – auch wenn sie sich nicht in der Akte befinden und damit von § 147 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG nicht erfasst werden – zur Verfügung zu stellen sind (Beschluss vom 24.2.2016 – Ss [Bs] 6/2016 [4/16 OWi] -, juris Rn. 7, unter Hinweis auf Cierniak, ZfS 2012, 664 [673]). Dem ist zuzustimmen, denn durch die sodann ermöglichte Transparenz des Messverfahrens ist die Waffengleichheit wieder hergestellt und dem Gebot eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs genügt: Ein Betroffener kann dann adäquat auf den Tatvorwurf reagieren und den Tatvorwurf der Behörde bei Anhaltspunkten für Messfehler qualifiziert durch das Ergebnis der von ihm veranlassten technischen Untersuchung widerlegen oder erschüttern.

Aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden Gebot der Waffengleichheit folgt, dass ebenso, wie dem „Ankläger“ Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, einen Tatvorwurf nachzuweisen – was in Fällen der hier diskutierten Art leicht möglich ist, da der vom Gerät angezeigte Wert dafür genügt -, einem im Bußgeldverfahren Betroffenen Zugang zu den Informationen gewährt werden muss, die er benötigt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen oder durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen („Parität des Wissens“, vgl. LG Trier, DAR 2017, 721 [722]; „Informationsparität“ gemäß Art. 6 EMRK, vgl. Krenberger, jurisPR-VerkR 17/2016).

(VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18)

OLG Bamberg: Absehen vom Fahrverbot wegen verkehrspsychologischer Schulung?

Nach Ansicht des OLG Bamberg genügt die alleinige Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung nicht, um von einem verwirkten Regelfahrverbot abzusehen:

Eine auf eigene Kosten erfolgende freiwillige Teilnahme des Betroffenen an einer verkehrspsychologischen Schulung rechtfertigt für sich allein grundsätzlich nicht das Absehen von einem verwirkten bußgeldrechtlichen Fahrverbot. Eine Ausnahme kann auch dann nur in Betracht kommen, wenn daneben eine Vielzahl weiterer zu Gunsten des Betroffenen sprechender Gesichtspunkte festgestellt werden können.

(OLG Bamberg, Beschluss vom 2.1.2018 – 3 Ss OWi 1704/17)

Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Absehen vom Fahrverbot nicht bei Hinzutreten weiterer, begünstigender Umstände für den Betroffenen möglich wäre. In dem Fall, den das OLG Bamberg zu entscheiden hatte, ging es um eine Betroffene, gegen die ein Fahrverbot wegen Beharrlichkeit verhängt worden war. Es waren drei Voreintragungen im Fahrerlaubnisregister vorhanden, wobei ein in zeitlicher Nähe zum gegenständlichen Verstoß rechtskräftig gewordener Verstoß bereits ein Fahrverbot nach sich gezogen hatte.

Das Amtsgericht hatte dennoch das Fahrverbot wegen der Schulungsteilnahme aufgehoben. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat das OLG Bamberg die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung ans Amtsgericht zurückverwiesen.

Es hat angedeutet, dass über die Frage einer unzumutbaren Härte durch die Verhängung des Fahrverbotes noch ergänzende Feststellungen getroffen werden müssen.

Die Entscheidung liest sich auf den ersten Blick natürlich nicht positiv für Betroffene. Sieht man sich den konkreten Sachverhalt, so wie er sich aus dem Beschluss des OLG Bamberg im Wesentlichen ergibt, an, so lässt sich aber sagen:

1. Die Tendenz, bei einem Mehrfachtäter, der in zeitlicher Nähe zum Verstoß bereits ein Fahrverbot angetreten und weitere einschlägige Voreintragungen vorzuweisen hat, wegen der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung vom Fahrverbot abzusehen, ist bei Gericht – vielleicht auch zu Recht – nicht besonders groß.

2. Des Weiteren zeigt das OLG Bamberg auf, dass die Frage der unzumutbaren Härte, die durch das Fahrverbot eintreten würde, nach seiner Ansicht vom Amtsgericht nicht ausreichend aufgeklärt wurde. Ob ein Absehen vom Fahrverbot durchgesetzt werden kann oder nicht, ist immer Einzelfallsache.

Die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulungsmaßnahme wird allerdings auch von anderen Oberlandesgerichten regelmäßig für nicht ausreichend für ein Absehen vom Fahrverbot erachtet – so beispielsweise auch vom OLG Saarbrücken, Beschl. v. 12.2.2013 – Ss (B) 14/13 (9/13 OWi). Es bedarf in jedem Falle weiteren Sachvortrages und gegebenenfalls auch Beweisantrittes zu den Umständen, die ein Absehen vom Fahrverbot begründen.

Trotz 1,6 Promille keine MPU?!

Die Fahrerlaubnisverordnung sieht in § 13 vor, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einer Alkoholfahrt ab einer BAK von 1,6 Promille zwingend eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen hat:

 

Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass … ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn … ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr … geführt wurde.

Der Fahrerlaubnisbehörde steht nach dem eindeutigen Wortlaut der Fahrerlaubnisverordnung kein Ermessen zu. Wird die Grenze von 1,6 Promille erreicht, muss die MPU angeordnet werden.


Dennoch gibt es Fälle, in denen der Betroffene die MPU vermeiden kann. Heute möchte ich einen solchen Fall aus meiner Praxis vorstellen. Mein Mandant hatte wegen einer Alkoholfahrt mit mehr als 1,6 Promille einen Strafbefehl erhalten, gegen den ich Einspruch einlegte.

Im Rahmen der Hauptverhandlung konnten wir eine mehrmonatige Abstinenz meines Mandanten und die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung nachweisen. Der zuständige Strafrichter hob die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf und händigte meinem Mandanten in der Hauptverhandlung den Führerschein aus. Auf meine Bitte hin vermerkte er in den Urteilsgründen:

„Im Hinblick auf die Dauer des vorläufigen Maßregelvollzugs ist der Angeklagte aufgrund seiner zwischenzeitlichen Nachschulungsmaßnahme und Verhaltensänderung im Hinblick auf Alkoholkonsum – entsprechende Unterlagen wurden in  der Hauptverhandlung vorgelegt – zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet zu erachten, sodass lediglich noch ein deklaratorisches Fahrverbot verhängt wird.“

Mithin enthielt das Urteil positive Feststellungen zur Fahreignung des Mandanten. Die Entscheidung erging am 17.8.2017. Am 2.2.2018 meldete sich die zuständige Fahrerlaubnisbehörde schriftlich bei meinem Mandanten und ordnete die Vorlage einer MPU an.

Die Anordnung dieser MPU war allerdings rechtswidrig. Hintergrund ist die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 S. 1 des Straßenverkehrsgesetzes:

„Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht.“

Da die Urteilsgründe erkennen ließen, dass der Strafrichter sich ein eigenes Bild von der Eignung meines Mandanten gemacht und eine eigene Beurteilung der Eignung vorgenommen hatte, durfte die Fahrerlaubnisbehörde hiervon nicht zum Nachteil des Mandanten abweichen.

Nach einem Hinweis auf die Rechtslage und die Feststellungen des Amtsgerichts zur Eignung hob die Fahrerlaubnisbehörde die Anordnung sofort auf.

Im Ergebnis musste der Mandant also trotz einer BAK von mehr als 1,6 Promille keine MPU absolvieren.

Tipp: Bei Alkoholfahrten direkt zum Anwalt!

Die Tendenzen der Gerichte, selbst über die Eignung zu entscheiden, sind eher rückläufig. Hierfür muss der Fall "richtig liegen" und ausreichend Vortrag gehalten werden (Abstinenznachweise etc.). Aber auch wenn es nicht gelingt, das Gericht zu einer Eignungsentscheidung zu bewegen, ist es wichtig, im Strafverfahren dafür zu sorgen, dass der Führerschein nicht zu lange entzogen bleibt. Das ist beispielsweise mit Sperrfristverkürzungskursen möglich. Eine kompetente Verteidigung im Strafverfahren setzt gerade bei Führerscheinmaßnahmen voraus, dass der Verteidiger seinem Mandanten hilft, die Weichen für ein nachfolgendes Fahrerlaubnisverfahren frühzeitig in die richtige Richtung zu stellen.

AG Jülich verwirft Geschwindigkeitsmessung mit dem Leivtec XV3

Das  Messgerät Leivtec XV3 – ein besonders im Saarland weit verbreitetes Infrarotmessgerät zur Geschwindigkeitsüberwachung – ist nach den Erkenntnissen des Amtsgerichts Jülich nicht ordnungsgemäß von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen. Das AG Jülich hat daher eine Messung mit diesem Gerät als nicht standardisiert betrachtet. Der Betroffenen wurde freigesprochen.
Bereits im Jahr 2015 stellte sich bei diesem Messgerät heraus, dass es mit zu langen Kabeln betrieben wurde, weshalb damals zahlreiche Verfahren mit Einstellungen und Freisprüchen endeten.
Nunmehr hat sich herausgestellt, dass es bei dem Gerät zu einem Fehler bei der Zulassung gekommen ist. Wie der Sachverständige Blath festgestellt hat, ist das Gerät nicht ausreichend auf Magnetfeldresistenz überprüft worden. Mithin wurden nach den Ausführungen des Sachverständigen die Vorgaben für die Zulassung des Messgerätes nicht eingehalten.
Das Amtsgericht Jülich zog daraus den folgenden Schluss:

Im Hinblick darauf, dass vorliegend keine ordnungsgemäße Zulassung durch die PTB vorliegt, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass im Sinne eines standardisierten Messverfahrens unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse erzielt werden.
Da aus diesen Gründen kein standardisiertes Messverfahren vorliegt, musste die Messung als solche auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

(AG Jülich Urt. v. 8.12.2017 – 12 OWi 122/16)

Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung der Messdateien stellte der Sachverständige fest, dass seit einer neueren Softwareversion die zur Überprüfung der Korrektheit der Geschwindigkeitsmessung erforderlichen Daten systematisch von der Gerätesoftware gelöscht werden. Eine Überprüfung der Messung des Betroffenen anhand der Falldateien der konkreten Messung war daher nicht möglich.

Das AG Jülich hat den Betroffenen daraufhin vom Tatvorwurf freigesprochen.

OLG Saarbrücken zur Unfallregulierung: Wann gerät der gegnerische Haftpflichtversicherer in Verzug?

Es passiert nicht gerade selten, dass mich Geschädigte eines Verkehrsunfalls anrufen, die bereits versucht haben, ihren Verkehrsunfall ohne anwaltliche Hilfe selbst zu regeln.

„Es passiert nichts!“, heißt es dann oft. Man habe sich telefonisch an den gegnerischen Haftpflichtversicherer gewendet und diesen informiert. Es sei einem gesagt worden, der Versicherer kümmere sich um alles. Nun passiere aber seit Wochen nichts, obwohl man dort mehrmals angerufen habe. „Die sind doch längst in Verzug.“, meint der künftige Mandant dann, wie selbstverständlich. Mitnichten!

Ganz so einfach ist das nämlich nicht. Abgesehen davon, dass Telefongespräche mit Versicherern meines Erachtens „Schall und Rauch“ sind, wenn es zu einem Zivilprozess kommt, gilt Folgendes:

Grundsätzlich ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Geschädigte der Herr der Unfallregulierung. Daraus folgt aber nicht nur, dass es sein gutes Recht ist, seinen Schaden selbst zu beziffern und hierzu beispielsweise einen Sachverständigen seiner Wahl zu beauftragen. Vielmehr ist es auch seine „Pflicht“, den gegnerischen Haftpflichtversicherer in die Lage zu versetzen, eine korrekte Regulierungsentscheidung zu treffen.

Der Unfallgeschädigte befindet sich also quasi in einer Bringschuld. Solange er nicht die Grundlage dafür schafft, dass der gegnerische Haftpflichtversicherer den Schadenfall beurteilen kann, gerät dieser auch nicht in Verzug.

Einheitlich vertritt die Rechtsprechung hierzu die Auffassung, dass der Geschädigte mindestens ein sogenanntes spezifiziertes Anspruchschreiben und die erforderlichen Belege zur Schadensbezifferung, in der Regel also das Haftpflichtgutachten oder den bebilderten Kostenvoranschlag, einzureichen hat. Erst wenn diese Mindestangaben gemacht sind, beginnt die dem Versicherer zuzubilligende Prüffrist von – je nach Einzelfall – etwa vier bis sechs Wochen überhaupt zu laufen.

Erst nach Ablauf dieser Prüffrist wiederum tritt Verzug ein.

Vorgerichtlich sind damit einige unter Umständen auch finanziell schwerwiegende Folgen verbunden, beispielsweise wenn es darum geht, wie lange ein Mietwagen angemietet werden darf.

Prozessual taucht das Problem immer dann auf, wenn der Geschädigte bzw. sein Anwalt (vermeintlich) zu früh klagt und der Versicherer daraufhin ein sofortiges Anerkenntnis abgibt und zahlt. Dann stellt sich die Frage, wer die Kosten des Klageverfahrens zu tragen hat. Denn wenn die KLage ohne Anlass eingereicht ist, weil der Versicherer nicht in Verzug war, muss der Geschädigte damit rechnen, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, auch wenn er in der Sache Recht hat und der Versicherer den Schaden vollumfänglich zahlt.

Ein solches Verfahren hat das OLG des Saarlandes nun zum Anlass genommen, noch einmal zu verdeutlichen, welche Anforderungen an den Verzug des Versicherers zu stellen sind und was der Geschädigte mindestens beizubringen hat, bevor der Versicherer überhaupt in die Prüffrist gerät:

Die Prüffrist beginnt mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens. Ihre Dauer ist vom Einzelfall abhängig, wobei die wohl überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen als angemessen ansieht.
Auch wenn ein Versicherer die Prüfung eines Schadens, für den er einzustehen hat, tunlichst beschleunigen muss, gibt es für die Länge der Prüfungsfrist keine festen oder starren Regeln.
Bei komplexem Unfallhergang, bei Auslandsberührung oder auch bei mehreren dazwischenliegenden Feiertagen kann sich der Zeitraum unter Umständen verlängern.
Gleiches gilt, wenn der Versicherer konkrete Unterlagen angefordert und deren Eingang abgewartet hatte, ohne dass der Geschädigte bzw. sein Rechtsanwalt dem widersprochen hatte.
Keine Verlängerung rechtfertigt hingegen z. B. grundsätzlich die beabsichtigte Einsicht in die Ermittlungsakte. Selbst dann kann es aber nach Treu und Glauben geboten sein, dass der Geschädigte, wenn er einerseits an der Ermöglichung der Einsicht mitwirkt und dem Verlangen des Haftpflichtversicherers nicht widerspricht, die Prüfungsfrist so zu verlängern, dass der Versicherer in angemessen kurzer Frist die ihm zugeleiteten Unterlagen zur Kenntnis nehmen und dann (umgehend) regulieren kann.

Die Anforderungen an ein die Prüffrist auslösendes spezifiziertes Anspruchsschreiben sind stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Der gegnerische Haftpflichtversicherer benötigt zur sachgerechten Prüfung seiner Eintrittspflicht und des Haftungsgrundes, insbesondere der Haftungsquote, zumindest kurze Angaben zum Unfallhergang. (OLG des Saarlandes, Beschl. v. 10.11.2017 – 4 W 16/17)

Fazit: Nach einem Unfall lieber gleich zum Fachanwalt für Verkehrsrecht!

Cannabis am Steuer: MPU statt sofortiger Entzug der Fahrerlaubnis?

Keine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis bei einmaliger Fahrt unter der Wirkung von Cannabis.

Verkürzt dargestellt, ist dies die Kernaussage des aktuellen Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (VGH München) vom 25.04.2017. Der VGH München hat entschieden:

„Bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten kann die Fahrerlaubnisbehörde nach einer erstmaligen, als Ordnungswidrigkeit geahndeten Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis grundsätzlich nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen. Vielmehr sieht § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV hierfür die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung im Ermessenswege vor.“ (VGH München, Urt. V. 25.04.2017 – 11 BV 17.33)

Beim Cannabiskonsum sind verschiedene Konsumformen zu trennen. In der vorliegenden Konstellation geht es um den sogenannten Gelegenheitskonsumenten. Gelegenheitskonsument ist nach der Rechtsprechung derjenige, der mindestens zwei Mal, aber nicht täglich oder fast täglich, Cannabis konsumiert. Das dürfte die weit größte Fallgruppe in der Praxis sein.

Gängige Verwaltungspraxis – und vielleicht bald „Veraltungspraxis“ – in allen Bundesländern war bislang, dass auch bei einer einmaligen Cannabisfahrt eines Gelegenheitskonsumenten die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen ist.

Das basiert auf der Entscheidung des BVerwG vom 23.10.2014 – 3 C 3.13 (hier veröffentlicht: bundesveraltungsgericht.de – BVerwG vom 23.10.2014 – 3 C 3.13). Demnach galt bislang bundesweit Folgendes:

„Ein gelegentlicher Konsument von Cannabis trennt dann nicht in der gebotenen Weise zwischen diesem Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs, wenn er fährt, obwohl eine durch den Drogenkonsum bedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht auszuschließen ist.“ (BVerwG a. a. O.)

Das bedeutet, wer Gelegenheitskonsument ist und unter der Wirkung von Cannabis (also ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml), ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr fährt, muss mit der sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis rechnen.

Dem stellt sich nunmehr ausgerechnet das bei Drogendelikten wohl schärfste Bundesland entgegen, indem der VGH München postuliert, dass in einem solchen Fall zunächst eine Überprüfung der Fahreignung mittels MPU zu erfolgen habe.
Die Entscheidung ist rechtsdogmatisch sehr überzeugend begründet. Sie bezieht sich auf den Fall einer als Ordnungswidrigkeit geahndeten Tat, mithin einer Drogenfahrt nach § 24 a des Straßenverkehrsgesetzes.

Rechtsgrundlage für Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde bei einer solchen Drogenfahrt ist § 14 der Fahrerlaubnisverordnung (FEV).

§ 14 Absatz 1 Satz 3 FEV lautet:

„Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens kann angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen.“

Demgegenüber ist in § 14 Absatz 2 Nr. 3 FEV geregelt:

„Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist für die Zwecke nach Absatz 1 anzuordnen, wenn

wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a des Straßenverkehrsgesetzes begangen wurden.“ (Hervorhebung durch Unterzeichner)

Wenn nun aber bei wiederholten Fahrten unter Cannabiseinfluss zwingend eine MPU anzuordnen ist, dann stellt sich doch die Frage, weshalb bei einer einmaligen Drogenfahrt nach § 24 a StVG der Sofortentzug gerechtfertigt sein soll. Demnach „dürfte“ der Wiederholungstäter zur MPU, während der Ersttäter sofort den Führerschein abgeben müsste. Das erscheint systemwidrig und kann so vom Gesetzgeber nicht gemeint gewesen sein.

Abschließend möchte ich aber nicht unerwähnt lassen, dass die Führerscheinstellen – jedenfalls jenseits des Weißwurstäquators – weiterhin von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgehen und die Fahrerlaubnis in einem solchen Fall sofort entziehen.
Das Urteil des VGH München ist nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesverwaltungsgericht in dieser Sache entscheiden wird und ob hier ein Umdenken erfolgen wird oder nicht.

Fahrverbote nicht mehr gleichzeitig vollstreckbar

Der Gesetzgeber hat eine „Regelungslücke“, die dazu führte, dass Betroffene in einer bestimmten Konstellation zwei Fahrverbote gleichzeitig antreten konnten, geschlossen.

Hatte ein Betroffener beispielsweise zwei Fahrverbote (ohne Schonfrist) von jeweils einem Monat anzutreten, konnte er sie gleichzeitig antreten. Letztlich „verkürzte“ sich dann die Dauer der Fahrverbote von insgesamt zwei Monaten auf einen Monat (sog. Parallelvollstreckung von Fahrverboten).

Hier noch einmal der Beitrag zum alten Recht:

Aus zwei mach eins – Fahrverbote gleichzeitig antreten

Dem hat der Gesetzgeber nun durch Einfügung eines weiteren Absatzes in die Vorschrift des § 25 StVG ein Ende gemacht:
§ 25 (2b) lautet:

(2b) Werden gegen den Betroffenen mehrere Fahrverbote rechtskräftig verhängt, so sind die Verbotsfristen nacheinander zu berechnen. Die Verbotsfrist auf Grund des früher wirksam gewordenen Fahrverbots läuft zuerst. Werden Fahrverbote gleichzeitig wirksam, so läuft die Verbotsfrist auf Grund des früher angeordneten Fahrverbots zuerst, bei gleichzeitiger Anordnung ist die frühere Tat maßgebend.

Man könnte also sagen: Aus dem guten alten „aus-zwei-mach-eins“ wurde ein „doppelt-vollstreckt-hält-besser“.

Falls Ihnen ein Fahrverbot droht, sollten Sie nicht den Sand in den Kopf stecken (Zitat: L. Matthäus). Abschließend ein paar Tipps in Videoform, wie Sie sich gegen ein drohendes Fahrverbot verteidigen können:

[wpdevart_youtube]Fg_0J-FboBI[/wpdevart_youtube]

Bundesverwaltungsgericht: MPU unter 1,6 Promille nur unter besonderen Voraussetzungen

Ist der Betroffene mit 1,6 Promille oder mehr am Steuer erwischt worden, kommt die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) der Fahreignung zwingend. Die Fahrerlaubnisbehörde hat in einem solchen Fall kein Ermessen. Das gleiche gilt, wenn ein wiederholter Verstoß unter Alkoholeinfluss begangen wurde und zwar schon bei zwei Fahrten, auch unter 1,6 Promille.

In beiden Fallgestaltungen hat die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU anzuordnen.

Was aber gilt bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt, wenn der Betroffene eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von weniger als 1,6 Promille hatte?

Auch in einem solchen Fall kann eine MPU durch die Fahrerlaubnisbehörde angeordnet werden. Es handelt sich dann aber um eine Ermessensentscheidung der Behörde. Die Behörde kann, muss aber keine MPU anordnen.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte über eine solche Fallgestaltung zu entscheiden. Der Klägerin war im Strafverfahren wegen einer einmaligen Trunkenheitsfahrt bei einer BAK von 1,28 Promille die Fahrerlaubnis entzogen worden. Auf Ihren Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis hin ordnete die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU an.

Die Klägerin zog dagegen vor das Verwaltungsgericht und unterlag in beiden Vorinstanzen. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch nachfolgend der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wiesen ihre Klage ab und erklärten die Anordnung der MPU für rechtmäßig. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof schloss sich in seinem Urteil aktuellen Tendenzen in der Rechtsprechung an, wonach nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen sei.
In einem Bundesland wie Bayern, in dem man nach der Beckstein’schen Formel nach zwei Maß Bier noch fahrtüchtig ist, ein erstaunliches Ergebnis.
Zur Erinnerung:

Nach zwei Maß Bier darf Beckstein noch fahren

Das Bundesverwaltungsgericht dagegen gab der Klage statt und verurteilte die Fahrerlaubnisbehörde dazu, der Klägerin die Fahrerlaubnis (ohne vorherige MPU) zu erteilen. Es führt aus:

Diese Auffassung ist mit § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d i.V.m. Buchst. a bis c FeV (Fahrerlaubnisverordnung) nicht vereinbar. Lag die Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille, so bedarf es bei einer einmalig gebliebenen Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss zusätzlicher Tatsachen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht genügt für sich gesehen nicht.

Freispruch! OLG Saarbrücken verwirft Geschwindigkeitsmessungen der Stadt Neunkirchen

Das Thema ging im Saarland durch die Medien. Da es sich um laufende Verfahren handelte, habe ich mich inhaltlich bislang nicht dazu geäußert (zum damaligen Beitrag:https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/innenministerium-des-saarlandes-keine-privatisierung-der-verkehrsueberwachung/).

Es geht um die Einbeziehung von Privaten in die Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen.

Konkret hatte die Stadt Neunkirchen den Messgerätehersteller Jenoptik in die Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen einbezogen.

Das habe ich gerügt und zwar unter Hinweis auf den folgenden ministerialen Erlass:

Erlass über die Wahrnehmung der Verkehrsüberwachung durch Ortspolizeibehörden

Das Amtsgericht Neunkirchen hat sowohl in meinem Verfahren als auch in einem Parallelverfahren die jeweiligen Betroffenen freigesprochen. Es hat hinsichtlich des Messfotos ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Da, wie üblich, keine weiteren Beweismittel zur Verfügung standen, konnte der Tatnachweis ohne das „Blitzerfoto“ nicht geführt werden.

Gegen die Freisprüche hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht des Saarlandes eingelegt.

Das Oberlandesgericht des Saarlandes hat die Ansicht des Amtsgerichts Neunkirchen bestätigt und die Freisprüche aufrechterhalten. Aus den Gründen:

… Nach Maßgabe dieser Grundsätze unterliegt das unter rechtswidriger Beteiligung der Jenoptik an der Auswertung der Rohmessdaten zustande gekommene Messbild im vorliegenden Fall hierbei einem Verwertungsverbot. Denn die Stadt Neunkirchen hat hierbei unter bewusster Missachtung der für sie geltenden Bestimmungen gehandelt.

Der Beschluss des OLG des Saarlandes ist sehr ausführlich und überzeugend begründet, weshalb ich ihn eingescannt habe und unter diesem Link zur Verfügung stelle:

OLG des Saarlandes, Beschl. v. 31.5.2017 – Ss BS 34/2017 (31/17 OWi)

Zwei aktuelle Entscheidungen des OLG Hamm zum Handyverstoß

Da Handyverstöße mit einem Punkt bewehrt sind, kommt es häufig zu gerichtlichen Entscheidungen über diese Verstöße. In Anbetracht der etwas vagen Formulierung des § 23 Abs. 1 a StVO kommt es häufig zu Streit, zum Beispiel darüber, wann ein „Benutzen“ im Sinne dieser Vorschrift oder wann ein „Mobiltelefon“ vorliegt. § 23 Abs. 1 a StVO lautet:

Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist.

Zum Thema „Benutzen“ eines Mobiltelefons hat das OLG Hamm mit Urteil vom 29.12.2016 – 1 RBs 170/16 – entschieden, dass unter die Benutzung eines Mobiltelefons auch die Kontrolle gehört, ob dieses ausgeschaltet ist. Der Betroffene hatte vorgetragen, er habe lediglich die Home-Taste seines Mobiltelefons gedrückt, um zu prüfen, ob das Gerät ausgeschaltet sei. Darin hatte die Verteidigung keine „Benutzung“ im Sinne des § 23 Abs.1 a StVO gesehen. Das sah das OLG Hamm leider anders und verurteilte den Betroffenen. Allgemein lässt sich sagen, dass die Gerichte ein „Benutzen“ eines Mobiltelefons praktisch bei jeder Nutzung irgendeiner Funktion desselben (z.B. auch Musik abspielen, E-Mails lesen etc.) annehmen.

Mit einer zweiten – allerdings wenig überraschenden – Entscheidung hat das OLG Hamm bestätigt, dass auch dann von einem „Mobiltelefon“ auszugehen ist, wenn in dieses keine SIM-Karte eingelegt ist, so dass die Telefonfunktion nicht genutzt werden kann. Der Betroffene hatte vorgetragen, er habe lediglich Musik gehört. In seinem Handy sei keine SIM-Karte eingelegt gewesen.

Allgemein lässt sich zum Handyverstoß konstatieren, dass die Verteidigungsmöglichkeiten eher im Tatsächlichen liegen. In der Regel sind diese Verstöße nur protokollhaft von der Polizei dokumentieren. In der Akte befindet sich häufig nur ein Protokollzettel, den die Beamten vor Ort handschriftlich ausgefüllt haben.

Wichtig ist es in jedem Fall, zeitig konkreten Sachvortrag zu liefern, da die Tendenz bei den Amtsgerichten besteht, zu späten Sachvortrag als Schutzbehauptung abzutun. In aller Regel wird die Rechtsbeschwerde bei einem Handyverstoß auch nicht zugelassen, es sei denn, es handelt sich um ungeklärte Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung. Sprich: Das Amtsgericht hat das letzte Wort.

Falschbenennung des Fahrers ist strafbar

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden:

Führen der Täter einer Ordnungswidrigkeit und eine mit ihm zusammenwirkende, an der Tat unbeteiligte Person die Bußgeldbehörde bewusst in die Irre, indem sich die weitere Person selbst zu Unrecht der Täterschaft bezichtigt, kann dies für den Täter zu einer Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft und für die weitere Person wegen Beihilfe hierzu führen.

(OLG Stuttgart, Urt. v. 23.7.2015 Az 2 Ss 94/15)

Dem lag folgende Fallgestaltung zugrunde:

Der Angeklagte und später Verurteilte (im Folgenden: Fahrer) wurde mit einem Firmenwagen geblitzt. Sein Arbeitgeber erhielt eine Halteranfrage, benannte daraufhin den Fahrer als solchen und leitete den Fragebogen an ihn weiter. In der Folge entschlossen sich der Fahrer und ein Arbeitskollege (im Folgenden: Kollege), dass sich der Kollege als Fahrer benennen solle. Daraufhin richtete sich das Verfahren zunächst gegen den Kollegen. Nach Eintritt der Verjährung für den Fahrer gab der Kollege dann bekannt, dass er nicht der Fahrzeugführer war.

In solchen Konstellationen ist bislang geklärt, dass sich der Fahrer, der einen Dritten selbst benennt, indem er ihn als Fahrer gegenüber der Behörde benennt, z. B. indem er die Personendaten des Kollegen auf dem Anhörbogen einträgt, wegen falscher Verdächtigung strafbar macht.
Lange Zeit war es dagegen Lehrmeinung und führte zur Straflosigkeit, wenn der Fahrer sich gar nicht äußerte und der Kollege sich selbst benannte, indem er – üblicher Weise – den Anhörbogen selbst ausfüllte und an die Bußgeldstelle schickte.

Dieser „Verteidigungsstrategie“ hat das OLG Stuttgart eine klare Absage erteilt, indem es den Fahrer wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft verurteilt hat. Es führt zur Begründung aus:

Die Tatherrschaft des Hintermanns (Anmerkung: Des Fahrers und Angeklagten) kann auch im Fall eines objektiv tatbestandslos handelnden Tatmittlers wie hier gegeben sein. Der Angeklagte Ka ist im vorliegenden Fall mittelbarer Täter, weil er im Wege einer wertenden Zuschreibung Tatherrschaft und Wille zur Tatherrschaft hatte und die Tat allein in seinem Interesse begangen wurde. Er nahm auf die Tatbegehung dadurch Einfluss, dass er dem Angeklagten Kr (Anmerkung: Arbeitskollege) die an ihn gelangten Schreiben der Bußgeldbehörde mit den Daten zur Ordnungswidrigkeit übergab, nachdem er den Tatplan mit ihm vereinbart hatte. Obwohl Kr die Schriftstücke alleine ausfüllte und an die Bußgeldbehörde übersandte, hielt der Angeklagte Ka die Herrschaft über den Geschehensablauf gleichwohl weiter auch selbst in der Hand, weil er sich zu jedem Zeitpunkt an die Bußgeldbehörde wenden und den wahren Sachverhalt offenbaren konnte.

OLG Celle: Anspruch auf Einsicht in die Messdateien!

Bereits die Entscheidung, dem Betroffenen nicht die Möglichkeit einzuräumen, auf die Rohmessdaten zurückzugreifen, stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Auch wenn die Messdaten nicht Bestandteil der Verfahrensakte sind, müssen sie dem Betroffenen auf dessen Antrag zur Verfügung gestellt werden.

(OLG Celle, Beschluss vom 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16)

Diese Entscheidung des OLG Celle betrifft die sehr strittige Frage, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene einer Verkehrsmessung Anspruch auf Einsicht in die Rohmessdaten seiner Geschwindigkeitsmessung hat. Hierbei handelt es sich um eine entscheidende Fragestellung im Bußgeldverfahren. Hat der Betroffene Zweifel an der Ordnungsgemäßheit des Messergebnisses, muss es ihm frei stehen, die Messung überprüfen zu lassen. Hierfür werden die Messdateien benötigt.

Während die Gerichte in der Vergangenheit und in Bayern noch immer Gründe suchen, dieses Einsichtsrecht zu torpedieren, häufen sich die Entscheidungen, nach denen es eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt, dem Betroffenen die Einsichtnahme zu verweigern.

Besonders begrüßenswert sind folgende Ausführungen des OLG Celle:

Dass es sich bei der angewendeten Messmethode um ein standardisiertes Verfahren handelt, steht dem nicht entgegen. Gerade weil bei einer solchen Messmethode das erkennende Gericht nur zu einer weiteren Aufklärung und Darlegung verpflichtet ist, wenn sich Anzeichen für eine fehlerhafte Messung ergeben, muss dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet sein, solche Fehler substantiiert vortragen zu können. Hierfür ist er auf die Messdaten angewiesen. Werden diese zurückgehalten, liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.; Cierniak, ZfS 2012, 664).

AG Bad Kissingen: ESO ES 3.0 – Freispruch! Ohne Rohmessdaten keine Verwertung einer ESO-Messung!

Das AG Bad Kissingen hat mit Urteil vom 30.11.2015 – 3 OWi 16 Js 3704/14 – einen Betroffenen von dem Vorwurf einer Geschwindigkeitsmessung freigesprochen. Die Anhörung eines Sachverständigen, der die Messung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ES 3.0 überprüft hat, ergab Folgendes:

Bei der Softwareversion 1.007.1 werden lediglich noch die vom Messgerät vorläufig berechneten Geschwindigkeitswerte gespeichert. Bei der konkreten Messung lagen diese zwischen 165 km/h und 173 km/h. Wegen dieser erheblichen Schwankung konnte der Sachvertsändige – ohne Zugriff auf die sogenannten Rohmessdaten – nicht verifizieren, dass das Messergebnis von 171 km/h tatsächlich zutreffend ermittelt war.

Der Messgerätehersteller bietet inzwischen ein kostenpflichtiges (!!!) Onlineprogramm an, das die Rohmessdaten auswerten soll. Hierzu führte der Sachverständige aus, dass durch das Programm lediglich grafisch aufbereitete Daten nicht aber die erforderlichen Rohmessdaten zur Verfügung gestellt werden würden. Es könne anhand dieser Software nicht sichergestellt werden, dass es sich hierbei um die echten Daten, die bei der Messung erhoben wurden, handele. Ebenfalls könnten Manipulationen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.

Das AG Bad Kissingen ist diesen Ausführungen gefolgt, hat die Messung verworfen und den Betroffenen freigesprochen.

OLG Zweibrücken: Verjährung und Zustellung des Bußgeldbescheids an den Verteidiger

Die aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken bezieht sich auf einen Klassiker des Verfahrensrechts in Bußgeldsachen. Bekanntlich gelten hier sehr kurze Verjährungsfristen von in der Regel 3 Monaten. Die Verjährung wird allerdings durch mehrere Unterbrechungstatbestände unterbrochen (§ 33 OWiG). Greift ein solcher Tatbestand ein, beginnt die Verjährung ab diesem Zeitpunkt neu. Von besonderer Bedeutung ist die Unterbrechung der Verjährung durch die Zustellung des Bußgeldbescheides nach § 33 Absatz 1 Satz Nr.9 OWiG.

Nur die wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides unterbricht dabei die Verjährung. Ist die Zustellung unwirksam, dann wird die Verjährung nicht unterbrochen.

Die Zustellung ist grundsätzlich auch an den Verteidiger des Betroffenen möglich, wenn sich eine Vollmacht in der Akte befindet. Die Entscheidung des OLG befasst sich mit einer Situation, in der ein Bußgeldbescheid an die aus mehreren Anwälten bestehende Kanzlei des Verteidigers gerichtet war, die unter den Namen der Kanzleiinhaber (auch des Verteidigers) auftritt. Der Bußegeldbescheid war also an die Kanzlei „Müller, Meier, Schmidt“ gerichtet, zum Verteidiger hatte sich aber nur der Anwalt Meier bestellt (vereinfacht ausgedrückt).

Das OLG Zweibrücken stellt fest (Beschluss vom 6.1.2016 – 1Ss 1 OWi Bs 9/15):

Eine Zustellung ist nur an den bestellten Verteidiger möglich.

Eine Zustellung ist unwirksam, wenn sie an die ganze Kanzlei und nicht an das jeweilige Kanzleimitglied, das sich als Verteidiger bestellt hat, gerichtet ist.

Eine im Strafprozess erteilte Vollmacht wirkt im Bußgeldverfahren zwar nicht automatisch fort. Die Bevollmächtigung kann sich aber aus dem Gesamtverhalten im Bußgeldverfahren ergeben.

Eine fehlerhafte Zustellung wird nur geheilt, wenn der Verteidiger tatsächliche Kenntnis vom Inhalt des Bußgeldbescheides erhalten hat. Hierfür reicht es nicht aus, wenn er nur weiß, dass gegen seinen Mandanten ein Bescheid erlassen wurde. Es genügt aber, dass er Kenntnis davon hat, dass sich der Bußgeldbescheid in seiner Kanzlei befindet.

Allein durch die Übersendung der Bußgeldakte in die Kanzlei ist nicht belegt, dass der Verteidiger Kenntnis von dem in der Akte befindlichen Bußgeldbescheid erhalten hat.

OLG Rostock zur Auswertung von Verkehrsmessungen durch Private

Das OLG Rostock hat mit Beschluss vom 17.11.2015 – 21 Ss OWi 158/15 – ein Urteil des AG Parchim aufgehoben. Der Betroffene wurde vorm Amtsgericht Parchim vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung freigesprochen, weil nach Ansicht des Amtsrichters die Auswertung der Messdaten durch ein Privatunternehmen rechtlich unzulässig sei und daraus ein Beweisverwertungsverbot folge.

Gegen das freisprechende Urteil legte die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde zum OLG Rostock ein. Die Staatsanwaltschaft erhob die Aufklärungsrüge mit der Begründung, wenn das Amtsgericht davon ausgehe, dass die Auswertung der Messung durch Private unzulässig sei, müsse es zumindest im Wege der Amtsaufklärung die noch vorhandenen Rohmessdaten selbst auswerten lassen.

Der Senat stimmte dieser Auffassung zu, hob das Urteil auf und verwies an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung der Sache zurück.

Obiter dictum weist der Senat daraufhin, dass nach seiner Auffassung die Auswertung von Messungen durch Private keinen rechtlichen Bedenken begegne.

Diese Auffassung des OLG Rostock steht in Widerspruch zu den bereits vorliegenden Entscheidungen des OLG Naumburg, des OLG Frankfurt und des Amtsgerichts Kassel (AG Kassel zur Unverwertbarkeit einer von Privaten ausgewerteten Messung).

Nach meiner Meinung überzeugt der Beschluss allerdings im Tenor. Wenn das Gericht ein Beweisverwertungsverbot annimmt, weil die Messung durch Private ausgewertet wurde, dann hat es selbst aufzuklären, ob der Tatvorwurf noch auf anderem Wege geklärt werden kann. So weit die Rechtslage. Allerdings ist oft praktisch gar nicht mehr nachzuvollziehen, ob die Rohmessdaten unverändert vorliegen. Häufig werden diese nämlich zunächst auf dem Server des Privaten gelagert und dort bearbeitet, ohne dass die Behörde sie überhaupt prüfen kann. In diesen Fällen dürfte sich auch eine nachträgliche Auswertung durch einen vom Gericht beauftragten Sachverständigen verbieten.

Die Empfehlungen des deutschen Verkehrsgerichtstags 2016

An diesem Wochenende tagte der Verkehrsgerichtstag in Goslar. Es handelt sich um eine interdisziplinäre Zusammenkunft von Experten auf verschiedenen Gebieten des Verkehrsrechts und angrenzender wissenschaftlicher Bereiche ( z.B. Psychologie, Medizin, Verkehrsmesstechnik, etc.).

Der Verkehrsgerichtstag diskutiert in mehreren getrennten Arbeitskreisen aktuelle Fragen des Verkehrsrechts aus und beschließt einen Empfehlungskatalog für den Gesetzgeber.

Im Video fasse ich die wesentlichen – und nach meiner Einschätzung für die Allgemeinheit auch interessanten – Empfehlung zusammen. Sie betreffen Fragen der Alkoholproblematik im Straßenverkehr (vor allem: MPU unter 1,6 Promille), des Messwesens (Blitzer etc.), Verwertung von Dashcamaufnahmen, steuerliche Fragen beim Verkehrsunfall, Beschleunigung des Verkehrszivilprozesses (Unfallklagen), sowie die Reform des Fahrlehrerrechts und Rechtsfragen um das Thema Mega-Containerschiffe.

Wer sich die Empfehlungen im Volltext ansehen möchte, findet hier den Link zum PDF-Dokument:

Die Empfehlungen des 54. deutschen Verkehrsgerichtstags (PDF)

 

OLG Zweibrücken zum Wegfall des Fahverbots wegen Zeitablaufs

Das OLG Zweibrücken hat bereits im Jahr 2011 (Link zum damaligen Artikel) klargestellt, dass die Denkzettelfunktion eines Fahrverbots entfällt, wenn zwischen Tat und deren Ahndung mehr als 1 Jahr und 9 Monate liegen.

In einer aktuellen Entscheidung (OLG Zweibrücken, Urt. 22.10.2015 Az: 1 OWi Ss Bs 47/15) stellt das OLG klar, dass weniger als 1 Jahr und 7 Monate noch nicht ausreichen, um einen Wegfall der Denkzettelfunktion und damit des Fahrverbots anzunehmen. Näheres im Video:

 

 

AG Saarbrücken: Fahrverbote nacheinander antreten!

Dass es grundsätzlich möglich ist, zwei Fahrverbote gleichzeitig anzutreten, ist bekannt. Darüber habe ich schon vor einiger Zeit berichtet:

(Link: https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/aus-zwei-mach-eins-fahrverbote-gleichzeitig-antreten/)

Dabei ist allerdings zu unterscheiden:

Handelt es sich bei den Fahrverboten um solche, für die eine Schonfrist bewilligt wurde, dann ist der gleichzeitige Antritt, mit der Folge der Verkürzung der Fahrverbotsdauer auf die Dauer eines (des längeren) Fahrverbotes, immer möglich.

Wie die Rechtslage bei zwei Fahrverboten ist, bei denen nur eines oder keines der Fahrverbote mit Schonfrist verhängt wurde, ist umstritten.

Das Amtsgericht Saarbrücken hatte nun über einen Fall zu entscheiden, in dem der Betroffene zwei Fahrverbote erhalten hatte, von denen nur eines mit Schonfrist verhängt worden war.

Es hat – zu Ungunsten des Betroffenen – entschieden, dass in einem solchen Fall kein gleichzeitiger Antritt möglich ist. Die Fahrverbote müssen also nacheinander angetreten werden. Dumm gelaufen … (Wortspiel beabsichtigt)

OLG Naumburg – Betroffener muss nicht in der Hauptverhandlung erscheinen

Nach meinem persönlichen Eindruck glauben viele Betroffene, dass sie, wenn sie gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch einlegen auch „automatisch“ vor Gericht erscheinen müssen. Diese Meinung wird teilweise unbewusst, vielleicht auch bewusst, durch diverse Hinweise im Laufe des Verfahrens noch gefördert. Dabei ist den Betroffenen schon nicht bewusst, dass sie im Ordnungswidrigkeitenverfahren jederzeit den Einspruch zurücknehmen können. Auch kommt eine Verfahrenseinstellung oder eine Beschlussentscheidung durch das Gericht (ohne mündliche Verhandlung) in Betracht.

Auch im Rahmen der Ladung zum Hauptverhandlungstermin wird der Betroffene ausführlich darüber belehrt, dass er persönlich zu erscheinen hat.

Nach den Formulierungen dieser Belehrungsmuster drängt sich dem Betroffenen häufig der Eindruck auf, um das persönliche Erscheinen in der Hauptverhandlung käme man quasi nicht herum.

Das Gegenteil ist der Fall.

Auch wenn es im Einzelfall zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht kommen sollte, stellt die Entbindung von der Pflicht dort zu erscheinen in der Regel, wenn die Fahrereigenschaft eingeräumt wird, kein Problem dar.

In § 73 OWiG sind die Voraussetzungen einer Entbindung von der grundsätzlich Bestehenden Pflicht zum Hauptverhandlungstermin zu erschienen geregelt. Man mag mir eine eventuelle juristische Ungenauigkeit verzeihen, aber pragmatisch und für den Laien verständlich ausgedrückt, ergibt sich aus der Norm Folgendes:

Wenn der Betroffene einräumt, dass er der Fahrer war und zudem entweder klarstellt, dass er zur Sache gar nichts mehr oder eben nur das bereits zur Akte gereichte, nichts aber darüber hinausgehendes, sagen wird, dann MUSS das Gericht ihn entbinden. Das heißt, er muss dann nicht erscheinen.
Das ist ständige Rechtsprechung und eindeutige Rechtslage. Das OLG Naumburg hat es noch einmal deutlich klargestellt:

„Die Entscheidung über den Entbindungsantrag eines Betroffenen steht nicht im Ermessen des Gerichtes. Vielmehr ist es verpflichtet, dem Antrag nachzukommen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.“

Amtsgericht Bremen: Messung mit Poliscan Speed nicht verwertbar!

Über die aktuelle Diskussion um die Verwertbarkeit von Messungen mit Poliscan Speed – Messsystemen der Herstellerfirma Vitronic hatte ich bereits berichtet:

OLG Frankfurt zum Poliscan: „Passt schon!“

Nun hat sich das Amtsgericht Bremen der Argumentation des Oberlandesgerichts Frankfurt entgegengestellt und einen Betroffenen wegen Unverwertbarkeit einer Poliscan-Messung freigesprochen.

Das Gericht hat einen Sachverständigen gehört, der ausführte, der sogenannte Auswerterahmen auf dem Messfoto sei von der Auswertesoftware Tuff Viewer und gerade nicht von der geeichten Messsoftware des Gerätes erzeugt worden.

Die Auswertesoftware selbst ist allerdings nach den Erkenntnissen des Gerichts nicht geeicht.
Der Sachverständige legte Messfotos aus anderen Verfahren vor, die je nach Verwendung der unterschiedlichen Softwareversionen eben dieser Auswertesoftware Tuff Viewer den Messrahmen in unterschiedlicher Position abbildeten.

Der Auswerterahmen ist aber nach der Herstellerfirma und der PTB das maßgebliche Element zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung. Das ominöse Viereck, das auf Poliscan-Messfotos abgebildet wird, muss sich in einer bestimmten Position auf dem Messfoto befinden, sonst ist die Messung nicht verwertbar. Dass ein solches Element, das letztlich (mit-)entscheidend dafür sein soll, ob eine Messung korrekt verlaufen sein soll oder nicht,  je nach verwendeter Softwareversion in veränderter Position erscheint, kann meines Erachtens nach wie vor nicht angehen.

Dashcam-Video als Beweismittel vor Gericht

Bei einer Dashcam handelt es sich um eine im Fahrzeug installierte Kamera, mit der der Fahrer den Verkehr aufzeichnen kann. Die Frage, ob eine solche Filmaufnahme vor Gericht verwertbar ist, dürfte maßgeblich bei Verkehrsunfällen im Rahmen von Schadensersatzklagen und in Strafverfahren oder Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren eine Rolle spielen.

Das AG München hat in einer Unfallsache mit Beschluss vom 13.8.2014 festgestellt, dass Aufnahmen einer Dashcam, die anlasslos und dauerhaft den Straßenverkehr überwacht, das Persönlichkeitsrecht der Gefilmten verletzt. Aus diesem Grund hielt das Amtsgericht solche Aufnahmen für nicht verwertbar, stellt aber klar, dass eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen ist.

Nun hatte das AG Nienburg im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Nötigung („Drängeln“) im Straßenverkehr zu entscheiden, ob eine solche Videoaufnahme gegen den Beschuldigten verwertet werden darf.

Auch das AG Nienburg stellt klar, dass die Frage der Verwertbarkeit solcher Aufnahmen eine am Einzelfall zu entscheidende Frage ist, die nicht generell mit ja oder nein beantwortet werden kann.

Im Innenspiegel des Fahrzeugs des Geschädigten war eine Dashcam verbaut, die dieser aktiviert hatte, als er das Drängeln des Hintermannes bemerkte. Es fand also keine permanente und anlasslose Videoaufzeichnung statt.

Eine solche Aufnahme hielt das AG Nienburg für verwertbar.

Fazit: Die Frage, ob eine Dashcam-Aufnahme im Straf- oder Zivilverfahren verwertbar ist oder nicht, kann nicht pauschal beantwortet werden. Sie hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Es kristallisiert sich aber eine Tendenz dahingehend heraus, dass anlassbezogene Aufnahmen eher verwertbar sind als permanente Überwachungsaufnahmen.

AG Kassel: Allein von Privatfirmen ausgewertete Messungen sind nicht verwertbar

Das Amtsgericht Kassel hat mit Urteil vom 14.4.15, 385 OWi – 9863 Js 1377/15, eine Geschwindigkeitsmessung verworfen, die durch ein Privatunternehmen ausgewertet worden war.

Der Betroffene wurde freigesprochen.

Hintergrund war eine gar nicht so seltene Fallgestaltung, nämlich die Abgabe der Rohmessdateien an ein rein privates Unternehmen zum Zwecke der Auswertung der jeweiligen Falldateien. Solche Konstellationen sind meist im Rahmen des Leasings der Blitzeranlagen optional möglich. Dies obgleich in den meisten Bundesländern Vorschriften bestehen, wonach die Auswertung einer Messung hoheitlich zu erfolgen hat, z. B. in der Amtsstube.

Bereits an dieser Stelle setzt bei mir völliges Unverständnis ein. Wie kann eine Behörde eine hoheitliche Aufgabe denn ganz oder auch nur teilweise an Privatfirmen abgeben.

Das Gericht führt aus, dass es sich bei einer Messung, deren Auswertung von der Verwaltungsbehörde vollständig in die Hände privater Unternehmen gegeben worden sei, schon keine Überzeugung davon bilden könne, ob die Messung überhaupt stattgefunden habe.

Das Amtsgericht kritisiert vor allem das eigene finanzielle Interesse des Privatunternehmens, welches nach der Darstellung in den Urteilsgründen nur dann Gewinn erziele, wenn die Messung auch verwertbar sei.

Aus den Urteilsgründen:

„Völlig unverständlich wird diese Situation spätestens dann, wenn man berücksichtigt, dass das hier faktisch auswertende Privatunternehmen, welches als GmbH satzungsgemäß einem Gewinnstreben unterliegt, lediglich dann einen monetären Ertrag für seine Arbeit erhält, wenn die Messung als verwertbar eingestuft wird. Die Entscheidung, ob die Messung verwertbar ist oder nicht, oblag vorliegend jedoch faktisch dem Unternehmen selbst. Das hierdurch entstehende Eigeninteresse an dem Ergebnis der Auswertung der Messung stellt ein Interessenkonflikt dar, der im Rahmen einer hoheitlichen Messung nicht zu akzeptieren ist.“

Die aktuelle Entscheidung des Amtsgerichts Kassel ist wahrlich keine Ausreißerentscheidung sondern liegt „voll im Trend“ der aktuellen Rechtsprechung (ebenso haben auch das OLG Naumburg, das OLG Frankfurt und mehrere Amtsgerichte bereits entschieden).

Abgesehen von der überzeugenden Argumentation des finanziellen Eigeninteresses und dem grundsätzlichen Problem der Verwertbarkeit im Rahmen eines Bußgeldverfahrens, muss man sich doch Folgendes fragen:

Wenn sich Messgerätehersteller vor Gericht unter Berufung auf urheberrechtliche und datenschutzrechtliche Gründe standhaft weigern, nähere Auskunft über die Funktionsweise ihrer Messgeräte zu erteilen oder die Rohmessdateien herauszugeben, so dass diese von einem Sachverständigen überprüft werden können, wie ist es dann möglich, dass gerade diejenigen Verfechter der Schutzrechte, sei es selbst oder durch Drittfirmen, auf die Datenschutzrechte der Betroffenen vollständig pfeifen! Und „pfeifen“ ist da noch höflich ausgedrückt!

Es ist also ein datenschutzrechtlich und urheberrechtlich besonders relevantes Problem, der Verteidigung die Überprüfung der Messung durch einen Sachverständigen zu ermöglichen, aber die massenweise erhobenen Daten (auch unschuldiger) Betroffener, abzugreifen und auszuwerten, geht natürlich voll in Ordnung?!

Honi soit qui mal y pense!

OLG Hamm: Keine Verjährung bei Zustellungsvereitelung

Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Beschluss vom 27.1.2015 – 3 RBs 5/15 – die Rechtsbeschwerde einer Betroffenen in einem Bußgeldverfahren zurückgewiesen. Die Betroffene hat nach Ansicht des OLG Hamm die Zustellung des Bußgeldbescheides absichtlich vereitelt und wollte so die Verfolgungsverjährung herbeiführen.

Das OLG Hamm wertete dieses Verhalten als rechtsmissbräuchlich.
Hintergrund war, dass sowohl die Versendung des Anhörbogens als auch die Zustellung des Bußgeldbescheides an das Elternhaus der Betroffenen erfolgte, die bereits ausgezogen war, sich aber nicht umgemeldet hatte.

Die (wirksame) Zustellung des Bußgeldbescheids unterbricht die kurze dreimonatige Verjährungsfrist und führt zu einem Neubeginn der Verjährung, wobei dann eine Frist von sechs Monaten gilt.

Die Verteidigung hatte sich auf die in der Tat unwirksame Zustellung berufen. Ist die Zustellung des Bußgeldbescheides unwirksam, so tritt die Verjährungsunterbrechung nicht ein.

Das OLG Hamm sieht das anders und lastet der Betroffenen Rechtsmissbrauch an. Die Betroffene habe schließlich gegen Meldegesetze verstoßen und absichtlich die Zustellung vereitelt.

Eine meines Erachtens überraschende und rechtlich äußerst fragwürdige Entscheidung zum Nachteil der Betroffenen, die leider wohl Schule machen wird.

Das Thema Verjährung und Verjährungsvereitelung spielt in der Praxis des Verteidigers in Bußgeldsachen eine ganz erhebliche Rolle, insbesondere was die Zustellungsproblematik betrifft. Da weht eindeutig ein neuer Wind … und zwar mitten ins Gesicht der Betroffenen.

Sekunde, Sekunde! „Rotlichtüberwachung“ durch Polizeibeamte – geschätzt ist nicht gemessen

Zeit ist Geld … aber nicht nur das. Bekanntermaßen wird ein Rotlichtverstoß nicht nur teurer, Erhöhung der Geldbuße von 90 € auf 200 €, sondern zieht auch noch einen Punkt mehr (dann zwei Punkte statt einem Punkt) und vor allem ein Fahrverbot nach sich, wenn die Ampel länger als eine Sekunde rot war.

Dementsprechend existieren zahlreiche Entscheidungen, die sich um Sekunden – und teilweise sogar deren Bruchteile – drehen.
Besonders problematisch in Bezug auf die Frage der tatsächlichen Rotlichtdauer sind Bußgeldbescheide, die auf Beobachtungen durch Polizeibeamte beruhen. Hierbei wiederum existieren die unterschiedlichsten Fallgestaltungen. Insbesondere bei der gezielten Rotlichtüberwachung sind der Kreativität der Beamten keine Grenzen gesetzt. Da findet sich die nicht geeichte Stoppuhr/Armbanduhr, die Sekundenzählung, die Beschreibung des Abstandes des Fahrzeugs zur Ampel im Zeitpunkt des Umschaltens auf Rotlicht mit anschließender Berechnung der Rotlichtdauer nach dem Weg-Zeit-Prinzip (eigentlich schwierig, wenn man die Geschwindigkeit des Fahrzeugs nicht gemessen hat …) und so einiges mehr.

Besonders erfolgversprechend für Betroffene ist aber die Verteidigung gegen die zufällige Beobachtung des Rotlichtverstoßes durch die „Privatbeamten“. Letzteres ist übrigens eine Wortschöpfung meiner Person, die sich aber nach meinem Bauchgefühl durchsetzen und spätestens 2032 in den Duden aufgenommen werden wird (geschätzt nicht gezählt). Damit sind diejenigen Polizeibeamten gemeint, die irgendwie immer im Dienst sind, auch wenn sie gerade in ihrer Freizeit nur auf dem Weg zum Einkaufsmarkt sind.
Selbige Spezies erfreut sich – nebenbei bemerkt – ungefähr der gleichen Beliebtheit wie der Typus Anwalt, der beim abendlichen Kneipenbesuch auf die Frage:

„Du bist doch Anwalt! (Anmerkung: Meine Lieblingseinleitung) Sag doch mal! Wieso kann sich der Edathy eigentlich für 5.000,00 € freikaufen?“,

mit langatmigen Ausführungen zur Einstellungspraxis bei Gericht und Staatsanwaltschaft und einem in freier Rede gehaltenen Vortrag über Aufbau, sowie Sinn und Zweck eines Strafverfahrens antwortet, anstatt die – jedenfalls menschlich – korrekte Antwort zu geben:

„Keine Ahnung! Ich hätte ihn weggesperrt!“ (höflich ausgedrückt).

Nun ja, ich schweife ab …

Das Amtsgericht Lüdinghausen hatte nun einen Fall zu entscheiden, bei dem so ein Privatbeamter – übrigens auf dem Weg zum Rewe-Einkaufsmarkt – an der Ampel stehend einen Rotlichtverstoß beobachtet hatte. Er schritt natürlich gleich zur Tat und leitete Privatverfolgungsmaßnahmen gegen den Betroffenen ein. Der Privatbeamte hatte aber, zur vermutlich großen Freude des Betroffenen, keinerlei Zeitmessung vorgenommen.

Das AG Lüdinghausen führt aus:

„Der Zeuge X war sich sicher, dass die Rotlichtzeit zu dieser Zeit bereits deutlich mehr als eine Sekunde betragen habe. Der Zeuge X räumte aber auch ein, dass er keinerlei Zeitmessung durchgeführt habe. Insbesondere habe er weder eine Zählung vorgenommen, noch auf seine Uhr geschaut. Weitere Umstände, die den Schluss auf die Rotlichtdauer zugelassen hätten, konnte er nicht benennen – solche Umstände waren auch sonst nicht erkennbar.“

Glück gehabt! Das hat dem Amtsgericht nicht gereicht, um von einem Sekundenverstoß auszugehen. Kein Fahrverbot für den Betroffenen!

Achtung! Neue Verjährungsfristen für Alkohol- und Drogenfahrten!

Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Reform des Straßenverkehrsrechts mit Wirkung zum 1. Mai 2014 die Höchstgeldbuße für Verkehrsordnungswidrigkeiten nach § 24a StVG (Alkoholordnungswidrigkeiten ab 0,5 Promille) von 1.500,00 € auf 3.000,00 € angehoben.

Es bleibt zwar dabei, dass die Regelbuße gemäß Bußgeldkatalog für fahrlässige Begehungsweise 500,00 €, 1 Monat Fahrverbot und 2 Punkte (neu) beträgt.

Die Anhebung des (theoretischen) Höchstsatzes auf 3.000,00 € hat aber die für den Betroffenen nachteilige Folge, dass es sich nun bei fahrlässiger Begehung um eine Ordnungswidrigkeit nach § 31 II Nr. 3 OWiG handelt. Bei fahrlässiger Begehung (halber Höchstssatz = 1.500,00 €) tritt Verjährung daher künftig erst nach einem Jahr und nicht – wie bislang – nach sechs Monaten ein.

Bei vorsätzlicher Tatbegehung ist § 31 II Nr. 2 OWiG anwendbar. Dann beträgt die Höchstbuße 3.000,00 € und Verjährung tritt erst nach zwei Jahren ein.

Abschließend weise ich darauf hin, dass diese Ausführungen nur für das Ordnungswidrigkeitenverfahren Geltung beanspruchen nicht aber für ein Strafverfahren wegen Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) oder Gefährdung des Straßenverkehrs ( § 315 c StGB).

Tipp: Schweigen ist Gold!

Wenn Sie mit Alkohol am Steuer erwischt wurden, sollten Sie von Ihrem Schweigerecht Gebrauch machen und sich bei mir melden! In Verkehrsstrafsachen erhalten Sie umgehend einen Besprechungstermin.

Absehen vom Fahrverbot – Verkehrspsychologische Schulung

Das Amtsgericht Landstuhl hat mit Urteil vom 11.9.2014 entschieden, dass von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, wenn der Betroffene an einer verkehrspsychologischen Schulung teilgenommen hat. Im Gegenzug wurde die Geldbuße erhöht.

Das Amtsgericht war in diesem Fall außergewöhnlich großzügig, da der Betroffene bereits mehrere Voreintragungen hatte.

Verkehrspsychologische Schulungen gewinnen seit Jahren an Bedeutung bei der Frage der Erforderlichkeit eines Fahrverbotes im Bußgeldverfahren. Gleiches gilt für die Fahrerlaubnisentziehung und das Fahrverbot im Strafverfahren. Solche Schulungen werden von verschiedenen Stellen angeboten, z.B. dem TÜV.

Es sei allerdings davor gewarnt, vorschnell und auf eigene Faust irgendwelche Schulungsmaßnahmen zu absolvieren und dann zu erwarten, das Gericht werde auf jeden Fall vom Fahrverbot absehen. Es ist natürlich eine substantiierte Begründung der Einzelfalles erforderlich. Auch verfahren die Gerichte durchaus unterschiedlich großzügig. Das gilt ebenfalls für das vorgeschaltete Verwaltungsverfahren. Auch die Bußgeldstellen sind regional unterschiedlich streng bei der Verhängung von Fahrverboten.

„Einmal blasen!“ „Bitte?!“ – Zur Belehrungspflicht beim Atemalkoholtest

Den meisten Betroffenen ist nicht klar, dass sie nicht verpflichtet sind, an einer Atemalkoholkontrolle mitzuwirken. Hier gilt der Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten muss.

Es ist also durchaus zulässig, wenn man die Aufforderung: „Einmal blasen bitte“ mit: „Nein, danke!“ beantwortet.

Die Frage, die im Rahmen dieses Beitrages angesprochen werden soll, ist allerdings nicht, was passiert, wenn man das gut gemeinte Angebot der Beamten höflich ausschlägt. Dann folgt im Regelfall schlicht und einfach die Anordnung einer Blutentnahme, an der man nicht vorbeikommt. Im Einzelfall mag man auch Glück haben, und die Beamten lassen einen fahren … (im wörtlichen Sinne) Darum geht es in diesem Beitrag aber nicht.

Wenn man gar nicht blasen muss, dann stellt sich zum einen die Frage, ob die Polizeibeamten verpflichtet sind, über diesen Umstand zu belehren. Und wenn eine solche Verpflichtung besteht, eine Belehrung aber nicht erfolgt ist, ist dann das Ergebnis des Atemalkoholtests trotzdem verwertbar oder nicht?

Muss der Beamte also auf die Freiwilligkeit der Teilnahme an der Atemalkoholkontrolle hinweisen oder nicht?

Das Kammergericht Berlin (KG 30.7.14, 3 Ws (B) 356/14) meint, dass keine Belehrungspflicht besteht. Daraus folgt, dass auch ein ohne Belehrung durchgeführter Atemalkoholtest grundsätzlich verwertbar ist.

Anders sehen das das Amtsgericht Frankfurt und das Landgericht Freiburg. Die Rechtsprechung zu diesem Thema ist nämlich durchaus uneinheitlich. Es kommt mehr oder weniger darauf an, im Bezirk welchen Gerichts man angehalten wird. Berlin ist also eher schlecht für den Betroffenen, Freiburg eher gut, nicht aber, wenn der Betroffene zusätzlich Cannabis dabei hat, dann nämlich wäre er besser in Hamburg, auf keinen Fall aber in München erwischt worden. Soviel sei nebenbei zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland und dem daraus resultierenden Gerechtigkeitsempfinden des einfachen Bürgers erwähnt.

Wenn einen ein Beamter anhält und zur Teilnahme an einem Atemalkoholtest auffordert, sollte man aus taktischen Gründen dennoch nicht unbedingt rückfragen, wo man sich gerade befindet. „Einmal blasen bitte!“ „Wo bin ich hier eigentlich?“, ist nicht gerade die Art Kommunikation, die den Interessen des Betroffenen dienlich sein dürfte.

Folgt man der zweiten Ansicht und hält eine Belehrung für erforderlich und ist diese unterblieben, dann stellt sich die Folgefrage, ob ein solches Messergebnis trotzdem verwertbar ist oder nicht.

Auch hierzu lassen sich unterschiedliche Ansichten vertreten. Klar ist nur, dass solche Alkoholmessungen unverwertbar sind, bei denen ein offenkundiger Irrtum des Betroffenen über die Freiwilligkeit bewusst ausgenutzt wird.

Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass in allen Fällen, in denen dem Betroffenen vorgespiegelt wird, er sei zur Mitwirkung verpflichtet, per se – und zwar unabhängig davon – ob eine Belehrungspflicht überhaupt besteht, eine Unverwertbarkeit vorliegt.

TENDENZIELL könnte man also wie folgt zusammenfassen:

„Einmal blasen! Ist freiwillig!“ verwertbar
„Einmal blasen!“ fraglich, in Berlin aktuell verwertbar
„Einmal blasen!“ „Muss ich?“ „Ja!“ unverwertbar
„Einmal blasen! Sie müssen!“ unverwertbar
„Einmal blasen!“ „Muss ich?“ „Sag‘ ich nicht!“ fraglich
„Einmal blasen!“ „Muss ich?“ „Weiß ich nicht.“ Beruf verfehlt

Die Thematik der Verwertbarkeit der Atemalkoholmessung spielt übrigens nur im Bußgeldverfahren eine Rolle, da die Ergebnisse eines Atemalkoholtestes im Strafverfahren per se nicht verwertbar sind. Im Strafverfahren muss ein Blutgutachten vorliegen. Da heißt es dann: „Einmal zapfen!“, und zwar zur Not auch gegen den ausdrücklichen Willen des Beschuldigten.

D’rum richte (nicht), wer sich ewig bindet!

Das Amtsgericht Kehl hat einem Befangenheitsantrag des Verteidigers stattgegeben, weil die zuständige Richterin mit dem sachbearbeitenden Staatsanwalt verheiratet war. Auch in einem Bußgeldverfahren könne in einer solchen Konstellation die Besorgnis der Befangenheit aus Sicht des Betroffenen bestehen. In dem entschiedenen Fall hatte die Richterin keine Selbstanzeige nach § 30 StPO erstattet.

Das Amtsgericht Kehl vertritt die Auffassung, dass aus der – insoweit maßgeblichen Sicht – des Betroffenen die Besorgnis bestehe, dass die Richterin den Ausführungen und Anträgen des Ehemannes besondere Bedeutung beimesse. Es könne aus der Sicht des Betroffenen die Gefahr bestehen, dass (wenn auch unbewusst) dem Sachvortrag des eigenen Ehemannes ein höherer Wahrheitsgehalt beigemessen werde und zwar ohne sachlichen Grund.

Dass auch umgekehrt zu Gunsten des Betroffenen die Gefahr bestehen könne, dass die Richterin dem eigenen Ehemann überhaupt nichts glaubt und keinem seiner Anträge stattgibt, wurde vom Amtsgericht Kehl allerdings nicht gewürdigt.

In einem solchen Fall ist das sofortige Handeln des Verteidigers gefragt, da Befangenheitsanträge immer unverzüglich zu stellen sind.

Einführung der Halterhaftung in Deutschland?

Derzeit prüft die Bundesanstalt für Straßenwesen, ob eine Halterhaftung auch in Deutschland eingeführt werden kann.

Nach aktueller Rechtslage existiert eine solche Halterhaftung nur im ruhenden Verkehr (Park- und Halteverstöße). Kann der derjenige, der das Fahrzeug ordnungswidrig geparkt hat, nicht ermittelt werden, muss der Halter die Kosten des Verfahrens tragen.

Die sogenannte Halterhaftung existiert in den meisten europäischen Ländern auch im fließenden Verkehr. Diese ist meist so ausgestaltet, dass das Bußgeld letztlich für die Nichtbenennung des Fahrers verhängt wird. Bestraft wird der Halter also nicht für den eigentlichen Verstoß (z.B. Geschwindigkeitsverstoß) sondern weil er den Fahrer nicht preisgibt.

Eine ebensolche Haftung des Halters für Verstöße im fließenden Verkehr ist nun auch in Deutschland im Gespräch. Hintergrund ist, dass die Ermittlung des Fahrers immer dann, wenn der Fahrer nicht gleichzeitig Halter des Fahrzeugs ist, mit erheblichem Aufwand verbunden sein kann. Häufig verläuft sie auch erfolglos, wenn der Halter nicht „petzt“. Bislang besteht lediglich die Möglichkeit, dem Halter, der nicht an der Fahrerermittlung mitwirkt, eine Fahrtenbuchauflage aufzuerlegen.