Im Saarland werden nach einer aktuellen Entscheidung des Amtsgerichts St. Ingbert Messungen mit dem Leivtec XV 3 wieder gegen die Betroffenen verwertet.
Das Amtsgericht St. Ingbert hat mit Urteil vom 29.10.2019 – 25 OWi 66 Js 1919/19 – (2968/19) entschieden, dass es genügt, wenn ein Messverfahren eine nachträgliche „falsifizierende Plausibilitätseinschätzung“ ermöglicht. Im konkret entschiedenen Fall ging es um eine Messung mit dem Gerät Leivtec XV 3. Das Amtsgericht hat aber zu weiteren Messgeräten, namentlich Multanova und Poliscan – klargestellt, dass auch mit diesen gemessen werden darf.
Das AG St. Ingbert führt aus, dass eine nachträgliche Plausibilitätskontrolle beim Leivtec XV3, beim Multanova und bei Poliscan Messgeräten grundsätzlich möglich ist. Aus den Gründen:
„Der VerfGH hat jedoch nicht entschieden, ob – sofern mehr Daten als bei dem Messgerät TraffiStar S 350 gespeichert sind – die geforderte Plausibilisierungsmöglichkeit ausschließlich aufgrund vollständig gespeicherter Messdaten oder in anderer Art und Weise möglich sein muss.
Bei dem hier verwendeten Messgerät Leivtec XV 3 sind zwei Arten der Plausibilisierung ohne Rückgriff auf sämtliche in die Messwertbildung eingehenden Daten möglich, nämlich durch Weg-Zeit-Berechnung (vgl. Leivtec XV 3, Geschwindigkeitsüberwachungsgerät, Beschreibung des Messverfahren, Stand 3.3.2015, 13 ff) sowie durch Photogrammetrie (vgl. Leivtec XV 3, a.a.O., 19 ff):
– Plausibilitätsprüfung durch Weg-Zeitberechnung (Ziff. 4.1, Seite 13): In der aktuellen Version 2.0 des Referenzauswertprogramms wird neben dem abgerundeten XV3 Gerätemesswert zusätzlich der Wert XV3 Geschwindigkeit vor Abrundung angezeigt. Für eine Plausibilitätsprüfung kann jetzt der Wert XV3 Geschwindigkeit vor Abrundung mit der durch die Plausibilitätsberechnung ermittelten Geschwindigkeit Auswertstrecke verglichen werden. Eine Verfälschung durch Abrundungseinflüsse wird somit vermieden. Die Berechnung der Abweichung beider Geschwindigkeiten wird vom Referenz-Auswertprogramm Speed Check bereits durchgeführt als Geschwindigkeitsdifferenz im Fenster zur Anzeige von Zusatzdaten angezeigt. Die Geschwindigkeitsdifferenz kann aber natürlich zur Kontrolle anhand zusätzlich dargestellter Hilfsgrößen nochmals überprüft werden.
– Plausibilitätsprüfung durch Photogrammetrie (Ziff. 4.3, Seite 19): Unter Zuhilfenahme der Parameter von Kamera und Objektiv kann mittels photogrammetrischer Auswertung der Abstand der Fahrzeuge zur Messeinheit im Messung- Start- und Messung-Ende-Bild ermittelt werden. Die so ermittelte Abstandsdifferenz des gemessenen Fahrzeugs zusammen mit der in Speed Check angezeigten „Zeitdifferenz zwischen Messung-Start-Bild und Messung-Ende-Bild“ ermöglicht die Berechnung eines „Photogrammetrie-Geschwindigkeitswertes“.
Beide Plausibilisierungsverfahren können – wie die Gerichtspraxis zeigt – durch Sachverständige ohne weiteren Aufwand und ohne Rückgriff auf nicht zur Verfügung stehende Algorithmen durchgeführt werden und bedürfen keiner Erstellung eines Modells, welches wohl auch nur besonders befähigte bzw. ausgebildete Sachverständige erstellen könnten.
Eine unter Berücksichtigung von Toleranzen erfolgte Plausibilitätsbetrachtung kann den Gerätemesswert zwar nicht ersetzen, sondern lediglich bestätigen oder anzweifeln. Verbleiben Zweifel, hat das Gericht individuell den vorwerfbaren Geschwindigkeitsmesswert zu ermitteln, also das zu tun, was es bei nicht-standardisierten Messverfahren ohnehin zu tun hätte, nämlich die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 261 stopp auszuüben (hierzu Dr. Peukert, a.a.O.).
Das auf den Gerätetyp S 350 bezogene nicht näher begründete landesverfassungsrechtliche Verwertungsverbot stünde nur dann in offenkundigem Widerspruch zur bundesverfassungsrechtlich bestätigten Strafrechtsprechung, die für Verwertungsverbote eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift verlangt oder aber einen wichtigen Grund im Einzelfall, wenn der Begriff „Plausibilisierung“ durch „Verifizierung“ ersetzt würde, was der VerfGH gerade nicht getan hat. Deshalb ist für jeden Gerätetyp gesondert zu prüfen, ob eine nachträgliche Plausibilitätskontrolle möglich ist oder nicht. Ist diese möglich, ist nicht von einem Verwertungsverbot betreffend erlangte Messdaten auszugehen.
Das vom VerfGH angenommene Verfahrensgrundrecht kann somit im Ergebnis nicht verletzt sein, wenn ohne weiteres zugängliche und leicht zu handhabende Plausibilisierungsmöglichkeiten – wie hier bei Leivtec XV 3 – bestehen.
Dies gilt, wenn auch für vorliegende Entscheidung nicht von Bedeutung, wohl ebenfalls für Messungen mit anderen Messgeräten, bei denen Messdaten gelöscht/nicht gespeichert werden: Bei Messungen mit dem Gerät PoliScan der Fa. Vitronic werden neben den Orts- und Zeitkoordinaten von erstem und letztem Messpunkt 3 weitere Punkte gespeichert, was eine photogrammetrische Auswertung ermöglicht. Bei dem Messgerät Multanova der Fa. Jenoptik handelt es sich – anders als bei S 350 – um ein halb-analoges Messsystem, welches einen aufmerksamen Messbetrieb erfordert und als halb-analoges Messsystem die Messdaten nicht speichert. Die Überprüfung der richtigen Positionierung des Messgerätes – auch hier besteht ein Unterschied zu S350, denn diese wird nicht digital erfasst, verwertet oder gespeichert – kann durch photogrammetrische Auswertung erfolgen. Der Geschwindigkeitsmesswert kann ferner bei diesen beiden Messgeräten – soweit ein geeignetes Messfoto zur Verfügung steht, was bei allen verwertbaren Fällen ohnehin der Fall sein sollte – mit Hilfe des Smear-Effektes überprüft werden.
Messung und Messergebnis waren daher vorliegend uneingeschränkt verwertbar.“ ( AG St. Ingbert, Urteil vom 29.10.2019 – 25 OWi 66 Js 1919/19 (2968/19))