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Kategorie: Ordnungswidrigkeiten

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Fahrerlaubnis entzogen – Womit darf man noch fahren?

Ist der Führerschein weg, fragen sich Betroffene häufig, ob und welche Fahrzeuge sie im Straßenverkehr noch nutzen dürfen. Hierbei ist zum einen zwischen verschiedenen Fahrzeugarten zu unterscheiden. Zum anderen kommt es darauf an, warum der Führerschein weg ist.

1. Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde oder das Gericht

Sowohl in einem Strafverfahren als auch in einem Verwaltungsverfahren vor der Fahrerlaubnisbehörde kann eine Entziehung der Fahrerlaubnis stattfinden. Entziehung der Fahrerlaubnis bedeutet, dass der Verwaltungsakt Fahrerlaubnis erlischt. Der Betroffene hat dann keine Fahrerlaubnis mehr. Er muss diese – zu gegebener Zeit – neu beantragen.

Insbesondere wenn das Gericht eine Sperrfrist verhängt hat, innerhalb derer der oder die Beschuldigte keine Fahrerlaubnis erwerben können, fragen sich Beschuldigte häufig, wie sie den Zeitraum der Entziehung überbrücken können. Folgende Fahrzeuge dürfen während des Entziehungszeitraums unter den nachfolgenden Bedingungen gefahren werden:

– Mopeds (bis 50 km/h): Nein, Fahrerlaubnis erforderlich

– Mofas (bis 25 km/h): Ja, sofern eine Prüfbescheinigung vorhanden ist oder der Betroffene vor dem 1.4.1965 geboren ist.

Hinweis: Bereits während laufender Verkehrsstrafverfahren erfolgen Meldungen an die Fahrerlaubnisbehörde und ans Kraftfahrtbundesamt (Fahrerlaubnisregister). Sind beim Betroffenen Eintragungen im Fahrerlaubnisregister gespeichert, die eine Ungeeignetheit vermuten lassen, wie etwa eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, darf keine Prüfbescheinigung erteilt werden. Ein aktueller Auszug ist bei Beantragung der Erteilung der Prüfbescheinigung vorzulegen.

– E-Scooter (bis 20 km/h): Ja

– E-Scooter (bis 25 km/h): siehe Mofas

– E-Scooter (bis 45 km/h): Nein, Fahrerlaubnis erforderlich

– Pedelec (bis 25 km/h): Ja, mit Ausnahmen (z.B. zu starke Nennleistung in Watt)

– E-Bike (bis 45 km/h): Nein, Fahrerlaubnis erforderlich

– Fahrrad: Ja

Ausnahmen gelten, wenn die Fahrerlaubnisbehörde ein entsprechendes sog. verwaltungsrechtliches Fahrverbot verhängt. Es handelt sich hierbei nicht um ein Fahrverbot nach § 25 StVG oder § 44 StGB (wegen einer Ordnungswidrigkeit oder als Nebenstrafe einer Straftat). Vielmehr erhält der Betroffene einen Bescheid von der Fahrerlaubnisbehörde, mit welchem ihm untersagt wird, mit bestimmten fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen am Straßenverkehr teilzunehmen (z.B. Fahrradfahrverbot, Mofafahrvebot etc.). Diese Maßnahme ist sehr selten.

2. Verhängung eines Fahrverbots nach § 44 StGB oder § 25 StVG

In Ordnungswidrigkeitenverfahren (Geschwindigkeitsverstöße etc.), aber auch in Strafverfahren werden häufig Fahrverbote verhängt. Im Gegensatz zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis ist hier der Verwaltungsakt Fahrerlaubnis nicht erloschen. Dem Betroffenen wird lediglich für einen bestimmten Zeitraum verboten mit bestimmten Kraftfahrzeugen am Straßenverkehr teilzunehmen.

Bereits aus dem Gesetzeswortlaut des § 25 StVG beziehungsweise des § 44 STGB ergibt sich, dass die Verwaltungsbehörde oder das Gericht dem Betroffenen/Beschuldigten für die Dauer von mehreren Monaten verbieten kann im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen.

Sofern im Einzelfall keine Beschränkung auf bestimmte Kraftfahrzeugarten erfolgt, gelten solche Fahrverbote für alle Kraftfahrzeuge. Kraftfahrzeuge sind nach der StVO Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein.

Da der Mensch keine Maschine ist (Achtung Ohrwurm), sind Fahrräder keine Kraftfahrzeuge. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf Jan Ullrich scheidet aus (Analogieverbot).

Im Gegensatz zur Fahrerlaubnisbehörde können also weder die Bußgeldstelle noch das Gericht Fahrverbote für sonstige Fahrzeuge, die nicht Kraftfahrzeuge sind, verhängen. Für Fahrräder gilt das Fahrverbot nach § 44 StGB oder § 25 StVG daher nicht.

Für alle anderen vorgenannten Fahrzeuge gilt das unbeschränkte Fahrverbot, also auch für E-Scooter, Pedelecs, etc..

Daraus folgt:  Wer während der Dauer eines gerichtliche oder bußgeldbehördlichen Fahrverbots E-Scooter, Pedelec, Mofa oder ein anderes Kraftfahrzeug führt, macht sich nach § 21 Abs. 1 StVG in der Alternative „Fahren während eines Fahrverbots“ strafbar.

Neuer THC-Grenzwert: AG Landstuhl stellt Verfahren ein

Im Nachgang zu meinem Beitrag zur Entscheidung des OLG Oldenburg vom 16.9.2024 habe ich heute die erste Einstellungsmitteilung in einem meiner eigenen Fälle erhalten.

3,5 ng/ml THC gilt auch für Altfälle (OLG Oldenburg)

Der Mandant hatte sich im März 2024 gemeldet. Sein THC-Wert lag zwischen 1,0 ng/ml und 3,5 ng/ml. Im April kam der Bußgeldbescheid über 500,00 Euro und einen Monat Fahrverbot.

Meinen Antrag auf Einstellung und hilfsweise Aussetzung des Verfahrens wegen der anstehenden Gesetzesänderung hat die Zentrale Bußgeldstelle RLP abgelehnt und das Verfahren ans Amtsgericht Landstuhl abgegeben.

Den Einspruch habe ich nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung gegenüber dem Amtsgericht mit Schriftsatz vom 26.8.2024 ergänzend begründet wie folgt:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

am 22.8.2024 ist das Gesetz zur Änderung des StVG in Kraft getreten. Nach § 24 a Abs. 1 a StVG wurde der Grenzwert, was absehbar war, auf 3,5 ng/ml THC festgelegt. Unter Bezugnahme auf meine Einspruchsbegründung beantrage ich hiermit noch einmal die Einstellung des Verfahrens.

Da das Gesetz zwischenzeitlich in Kraft getreten ist, muss hier § 4 III OWiG gelten.

„Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.“

Mit Entscheidung ist der Zeitpunkt der Ahndung und somit die letzte Entscheidung gemeint (Göhler § 4 Rn9). Kann eine Handlung nach späterem Recht nicht geahndet werden, so ist dieses eindeutig das mildeste (Göhler § 4 Rn5). Im Zeitpunkt der Hauptverhandlung wird daher das neue Recht anzuwenden sein.

Soweit ersichtlich hat der Gesetzgeber keine anderweitigen Überleitungsvorschriften beschlossen. Sollte ich hier einem Missverständnis unterliegen, bitte ich hiermit höflich um einen Hinweis vor Durchführung der Hauptverhandlung.“

Als Reaktion habe ich heute den nachfolgenden Einstellungsbeschluss erhalten:

Klicke, um auf AGLandstuhlEinstellungTHC.pdf zuzugreifen

Das AG Landstuhl wendet § 4 III OWiG direkt an. Das OLG Oldenburg analaog. Das Ergebnis ist das Gleiche. Es gilt das mildere Recht. Also gilt für Altfälle, die noch nicht endgültig entschieden sind, der neue Grenzwert von 3,5 ng/ml THC.

Die Verfahrenskosten und die Rechtsanwaltskosten trägt die Landeskasse.

Spannend bleibt die Frage, ob und ggflls. wie die Fahrerlaubnisbehörde reagieren wird. Nach meiner Rechtsauffassung ist in diesem Fall – und in allen anderen Fällen mit einem Aktivwert von weniger als 3,5 ng/ml THC, in denen keine sonstige Problematik bekannt ist, keine fahrelaubnisrechtliche Maßnahme (z.B. MPU) zulässig.

Cannabis Legalisierung

3,5 ng/ml THC gilt auch für Altfälle (OLG Oldenburg)

Das OLG Oldenburg hat einen Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 24 a StVG freigesprochen. Hintergrund war, dass der Betroffene vom Amtsgericht Papenburg zu einer Geldbuße von 1.000 € und einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt worden war. Er hatte ein Fahrzeug mit einem THC-Wert von 1,3 ng/ml THC im Blut geführt und damit nach der alten Rechtslage gegen § 24 a StVG verstoßen. Nach dem Urteil wurde der neue Grenzwert von 3,5 ng/ml THC ins Gesetz aufgenommen. Das OLG Oldenburg führt aus:

„Zwar war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Papenburg noch davon auszugehen, dass der Betroffene mit einem THC-Wert von 1,3 ng/ml im Blut gegen § 24a StVG verstoßen hat. Durch das am 22. August 2024 in Kraft getretene 6. Gesetz zur Änderung des StVG und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, ist allerdings § 24a StVG durch die Einfügung von Absatz 1a) dahingehend geändert worden, dass der maßgebliche Wert nunmehr 3,5 ng/ml beträgt.

Zwar beruhte der bisherige analytische Grenzwert von 1,0 ng/ml nicht auf einer gesetzlichen Grundlage, sondern war von der Rechtsprechung – entsprechend eines Beschlusses der „Grenzwertkommission“- als maßgeblich angesehen worden. Gleichwohl ist zumindest der Rechtsgedanke des § 4 Abs. 3 OWiG heranzuziehen, wonach in dem Fall, in dem ein Gesetz, dass bei der Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert wird, das mildeste Gesetz anzuwenden ist. Nachdem nunmehr der maßgebliche Wert in § 24a StVG über dem Wert liegt, den der Betroffene im Blut hatte, hätte er bei einer Tatbegehung nach Inkrafttreten des Gesetzes den Bußgeldtatbestand nicht verwirklicht.“

Mit anderen Worten: Es gilt nicht, wie von einigen Bußgeldstellen angenommen, die Gesetzeslage zum Tatzeitpunkt oder zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung (sprich Erlass des Bußgeldbescheids). Vielmehr gilt bei nachträglichen Gesetzesänderungen das im Zeitpunkt der letzten Entscheidung mildere Gesetz.

Das Oberlandesgericht hat das Verfahren nicht eingestellt und auch nicht zurückverwiesen ans Amtsgericht, sondern den Betroffenen vom Tatvorwurf freigesprochen und sowohl die Verfahrenskosten als auch die Rechtsanwaltskosten der Landeskasse auferlegt.

Für alle Betroffene laufender Verfahren, die bei der Fahrt zwischen 1,0 ng/ml und 3,5 ng/ml THC im Blut hatten, gilt: Sie sollten sich verteidigen (lassen)!

Cannabis – Änderungen des Straßenverkehrsrechts

Der Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des  Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften hat den Bundestag passiert.

Das Gesetz ist nicht zustimmungspflichtig. Es ist damit zu rechnen, dass es noch diesen Sommer verkündet werden und damit in Kraft treten wird.

Folgende Änderungen des Verkehrsordnungswidrigkeitenrechts in Bezug auf Cannabis werden im Wesentlichen kommen:

In § 24a StVG wird folgender Absatz eingeführt werden:

„(1a) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 3,5 ng/ml oder mehr Tetrahydrocannabinol im Blutserum hat.“

Dieses dürfte die wichtigste Änderung sein. Der Gesetzgeber hat sich entschieden, der Expertenkommission zu folgen und einen gesetzlichen Grenzwert für Cannabis einzuführen. Bislang war die Rechtsprechung von einem Grenzwert von 1,0 ng/ml aktivem THC ausgegangen.

Was bedeutet der neue Grenzwert faktisch?

Bei dem alten, gesetzlich nicht geregelten Grenzwert von 1,0 ng/ml bestand die Gefahr, dass auch noch bis zu etwa zwei Tage nach dem Konsum eine Grenzwertüberschreitung möglich war. Der neue Grenzwert von 3,5 ng/ml sollte etwa vier bis acht Stunden nach dem Konsum unterschritten werden. Hierbei ist zu beachten, dass der Abbau von Aktiv-THC sowohl vom Konsumverhalten als auch von der Person des Konsumenten abhängig ist. Eine exakte Berechnung, wann der Wert unterschritten ist und der oder die Betroffene wieder fahren darf, ist daher nach wie vor nicht möglich. Zumindest sollte aber im Regelfall einen Tag nach dem Konsum keine Ordnungswidrigkeit mehr vorliegen.

Weiter wird der Mischkonsum in einem neuen Abschnitt in Zukunft härter bestraft:

„(2a) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig eine in Absatz 1a genannte Handlung begeht und

  1. ein alkoholisches Getränk zu sich nimmt oder
  2. die Fahrt antritt, obwohl er unter der Wirkung eines alkoholischen Getränks steht.“

Wer also gleichzeitig „bekifft“ fährt und dabei Alkohol trinkt oder unter der Wirkung von Alkohol steht, muss mit einer höheren Geldbuße rechnen. Die Regelbuße für Ersttäter beläuft sich bei Mischkonsum auf 1.000,00 Euro und einen Monat Fahrverbot.

Für Fahranfänger gilt in Zukunft analog zur Regelung beim Alkohol, dass bei der Fahrt nicht konsumiert werden darf und nicht „unter der Wirkung von Cannabis“ gefahren werden darf.

Bereits beim Alkohol war es früher streitig, wann eine „Wirkung“ von Alkohol im Sinne des § 24 c StVG vorliegt. Es wurde oft von der Nullpromillegrenze für Fahranfänger gesprochen. Die überwiegende Rechtsprechung – und nun auch ausdrücklich der Gesetzgeber – gehen aber von 0,2 Promille aus. Wann aus Sicht des Gesetzgebers eine Wirkung von Cannabis eintritt bzw. noch vorhanden ist, ergibt sich ebenfalls aus der Gesetzesbegründung. Darin heißt es:

„Für Fahranfänger und Fahranfängerinnen bzw. junge Fahrer vor Vollendung des 21. Lebensjahres wird das bestehende Alkoholverbot in § 24c StVG um das Verbot von Cannabiskonsum ergänzt und hierfür der bisher von der Rechtsprechung festgelegte analytische Nachweisgrenzwert von 1,0 ng/ml THC im Blutserum angesetzt.“

Für Fahranfänger gilt also der „alte“ Grenzwert von 1,0 ng/ml THC.

Schließlich ist nun eine Klarstellung des Gesetzgebers zum sog. verwaltungsrechtlichen Grenzwert erfolgt. Bislang waren Teile der Anwaltschaft davon ausgegangen, dass es für Fahrerlaubnisangelegenheiten bei einem Grenzwert von 1,0 ng/ml THC bleiben solle. Es müsse künftig zwischen dem ordnungswidrigkeitenrechtlichen Grenzwert von 3,5 ng/ml und dem verwaltungsrechtlichen Grenzwert von 1,0 ng/ml unterschieden werden. Hieße vereinfacht: Bußgeld ab 3,5 ng/ml THC, MPU aber schon ab 1,0 ng/ml THC.

Das hielt ich von Anfang an für unvereinbar mit der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und zudem für unlogisch. Es hätte bedeutet, dass ein Betroffener, der einen THC-Wert zwischen 1,0 ng/ml und 3,5 ng/ml hatte,  nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht ordnungswidrig gehandelt sondern rechtmäßig am Straßenverkehr teilgenommen hat, dennoch mit einer Fahrerlaubnismaßnahme der Fahrerlaubnisbehörde hätte rechnen müssen.

Mit einfachen Worten: Trotz ordnungsgemäßer Teilnahme am Straßenverkehr hätte eine MPU angeordnet werden können.

In der Gesetzesbegründung stellt der Gesetzgeber nun wörtlich klar:

„Mit dem Gesetz wird zudem die in Anlage 4 Nummer 9.2.1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) enthaltene Legaldefinition von Cannabismissbrauch an den gesetzlichen Wirkungsgrenzwert von 3,5 ng/ml THC Blutserum in § 24a Absatz 1a StVG angepasst. Bei Erreichen dieses THC-Grenzwerts ist nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht fernliegend, aber deutlich unterhalb der Schwelle, ab welcher ein allgemeines Unfallrisiko beginnt.

Aufgrund der Einheit der Rechtsordnung ist folglich auch im Rahmen der Anlage 4 Nummer 9.2.1 FeV in der Legaldefinition von Cannabismissbrauch darauf abzustellen, dass das Führen von Fahrzeugen und ein Cannabiskonsum mit nicht fernliegender verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung beim Führen eines Fahrzeugs nicht hinreichend sicher getrennt werden können.“

Das ist vor allem für aktuell laufende Verfahren und für Betroffene von Bedeutung, die wegen Cannabisverstoßes bereits eine Fahrerlaubnisentziehung hatten und nun die Fahrerlaubnis neu beantragen müssen. Lag der THC-Wert unter 3,5 ng/ml, dann darf – spätestens ab Inkrafttreten des Gesetzes –  keine MPU vor Wiedererteilung der Fahrerlaubnis mehr angeordnet werden. Das setzt natürlich voraus, dass keine sonstigen Anhaltspunkte für Cannabismissbrauch oder sonstige Eignungszweifel bestehen. Jeder Fall ist ein Einzelfall.

Schließlich bedeutet diese Klarstellung meines Erachtens auch das, was ich von Anfang an vermutet habe: „Missbrauch“ liegt schon bei der ersten Fahrt mit 3,5 ng/ml THC vor. Es bestehen beim Gelegenheitskonsumenten also grundsätzlich erst dann Eignungszweifel, wenn er mit 3,5 ng/ml THC oder mehr fährt, weshalb eine MPU dann nach wie vor gerechtfertigt ist.  Nach der Neuregelung der Fahrerlaubnisverordnung gilt das nur dann nicht, wenn der Betroffene ein geändertes, gefestigtes Konsumverhalten nachweist. Nach meinem Dafürhalten kann er das durch Abstinenznachweise tun.

Wichtiger Hinweis: Aufgrund zahlreicher Anfragen zu diesem Thema möchte ich hiermit darauf hinweisen, dass jeder Fall ein Einzelfall ist und es in jedem Fall erforderlich ist, den gesamten Sachverhalt zu kennen. Es ist daher nicht möglich und unseriös, ohne vollständige Sachverhaltskenntnis, insbesondere aber der relevanten Dokumente, einen verbindlichen anwaltlichen Rat  zu Ihrem konkreten Einzelfall zu erteilen. Wenn Sie ein einschlägiges Problem haben, melden Sie sich bei mir! Ich erteile gerne unverbindliche Informationen auf Basis Ihrer Sachverhaltsschilderung und kläre Sie darüber auf, ob eine Beauftragung Sinn macht oder nicht. Ich werde aber nicht kostenlos Ihre Dokumente (wie z.B. negative MPU-Gutachten)  lesen und Ihren Fall kostenlos bearbeiten. Senden Sie mir also bitte nicht unaufgefordert Dokumente zu! Vielen Dank im Voraus für Ihr Verständnis!

Cannabisfahrt: Keine MPU mehr nach erstem Verstoß? Zu den Auswirkungen der Legalisierung!

Cannabis: Keine MPU mehr bei einmaligem Verstoß?

Podcastfolge für Lesefaule unter:

# 29 – Cannabislegalisierung und Fahrerlaubnis

Die Cannabislegalisierung hat im Wesentlichen zu Änderungen in zwei Regelungskomplexen betreffend Führerscheinsachen geführt.

Punkt 1: Die Anhebung des Grenzwertes.

Hierbei geht es darum, ab welchem THC-Wert (Aktiv-Wert) eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorliegt. Bislang geht die Rechtsprechung von 1 ng/ml THC aus. Der Wert soll nun (endlich) auf vermutlich 3,5 ng/ml angehoben werden. Da das (noch) nicht passiert ist, werde ich mich mit diesem Thema in diesem Beitrag nicht weiter beschäftigen. Es folgt ein gesonderter Beitrag, falls und sobald das Gesetz in Kraft getreten sein wird.

Wichtig für Betroffene laufender Verfahren ist, dass die jeweiligen Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren in Fällen, in denen 1,0 ng/ml überschritten, aber 3,5 ng/ml nicht erreicht sind, „am Laufen gehalten“ wird. Sind solche Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren rechtskräftig, folgt in der Regel ein Eignungsverfahren vor der Fahrerlaubnisbehörde. Auch in diesem werden die neuen Grenzwerte maßgeblich sein (müssen). Das heißt, dass nach meiner Rechtsauffassung, auch wenn ein Fahren mit bis zu 3,5 ng/ml vorlag, daraus überhaupt keine fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen (z.B. MPU) folgen dürfen.

Punkt 2: Fahrerlaubnisrecht: Änderung der Rechtslage beim ersten Verstoß

In die Fahrerlaubnisverordnung wurde § 13 a FEV eingefügt. Zusätzlich wurde die Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung unter Ziffer 9 (Cannabis) geändert.

Es ist zunächst klarzustellen, dass von der Änderung praktisch nur Gelegenheitskonsumenten profitieren. Steht regelmäßiger Konsum oder Cannabisabhängigkeit fest, was letztlich häufig vom Abbauwert (Carbonsäurewert) abhängig sein wird, dann ergeben sich keine Änderungen zur alten Rechtslage. Die Fahrerlaubnis ist dann zu entziehen.

Bei wiederholten Verstößen, also schon beim zweiten Verstoß, wird nach wie vor eine MPU angeordnet werden.

Für Gelegenheitskonsumenten bei einem einmaligen Verstoß im Straßenverkehr gilt nunmehr Folgendes:

Bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom April 2019 (https://rechtsanwalt-weiser.de/?s=Bverwg+cannabis) wurde die Fahrerlaubnis bereits beim ersten Verstoß im Straßenverkehr entzogen. Seit der Entscheidung aus 2019 behielten Betroffene zunächst ihre Fahrerlaubnis, mussten aber ein MPU-Gutachten vorlegen zum Nachweis, dass sie zwischen Konsum und Fahren trennen können.

Das hat sich nun zu Gunsten der Betroffenen durch Einfügung der vorgenannten Regelungen geändert.

Zusammengefasst muss ein Gelegenheitskonsument beim ersten Verstoß nur dann eine MPU machen,

wenn Tatsachen die Annahme von Cannabismissbrauch begründen,

die Fahrerlaubnis wegen einer Missbrauchsthematik entzogen war oder

sonst zu klären ist, ob Cannabismissbrauch oder -abhängigkeit nicht mehr besteht.

Hauptanwendungsfall in der Praxis ist die Fallkonstellation „Annahme von Cannabismissbrauch“. Fraglich ist nämlich, wann ein solcher Missbrauch vorliegt und welche Folgen sich daraus ergeben.

Hier kursieren aktuell erhebliche Missverständnisse in Foren und Internetbeiträgen. Teilweise wird angenommen, der Begriff „Missbrauch“ bedeute, dass regelmäßiger Konsum oder eine Abhängigkeit bestünde. Das ist nicht der Fall. Für einen Missbrauch reicht es, wie beim Alkohol aus, dass der Gelegenheitskonsument einmalig  unter Überschreitung des Grenzwertes fährt. Das ergibt sich wörtlich aus Ziffer 9 der Anlage 4  zur FEV:

„Missbrauch
(Das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Cannabiskonsum können nicht hinreichend sicher getrennt werden.)“

Der Annahme, dass ein Missbrauch vorliegt, ist also ab dem ersten Verstoß gegeben. Mithin ist die Anordnung einer MPU weiterhin grundsätzlich gerechtfertigt.

Die teilweise vertretene Ansicht, bei Gelegenheitskonsum reiche es für die Anordnung von Führerscheinmaßnahmen nicht mehr aus, dass der Betroffene ein einziges Mal am Steuer erwischt wird, ist falsch. Die eigentliche Änderung ergibt sich aus der Anlage 4 Ziffer 9 zur Fahrerlaubnisverordnung.

Darin ist nämlich neuerdings auch geregelt, dass auch bei Missbrauch eine „Wiedereignung“ eintritt, „ … wenn die Änderung des Cannabiskonsumverhaltens gefestigt ist“.

Fraglich ist, wann das der Fall ist und wie der oder die Betroffene das nachweisen kann. Die Antwort ist meines Erachtens in erster Linie, wie beim Alkohol: Durch ein längerfristiges Abstinenznachweisprogramm. Dem oder der Betroffenen ist daher zu raten, was eigentlich schon immer anzuraten war, nämlich zeitnah nach dem Verstoß mit einem Abstinenznachweisprogramm einer anerkannten Stelle zu beginnen. Es verhält sich übrigens so, dass auch vor der Gesetzesänderung in Fällen, in denen im Zeitpunkt des Tätigwerdens der Fahrerlaubnisbehörde ein monatelanger Nachweis der Abstinenz geführt werden konnte, oft eine MPU vermieden werden konnte. Bis die Fahrerlaubnisbehörden sich nach einem Drogenverstoß einschalten, gehen in der Regel Monate ins Land, die nicht ungenutzt bleiben dürfen.

Wer weiter konsumieren möchte, muss nach meiner Einschätzung geeignete verkehrspsychologische Nachweise bringen, dass er zukünftig wieder sicher zwischen Konsum und Fahren trennen kann.  Welche Nachweise hier anerkannt werden, ist fraglich. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass ein Attest vom Hausarzt ausreicht.

BVerfG äußert sich zu Rohmessdaten

Der Zug ist abgefahren: Rohmessdaten müssen nicht gespeichert werden (BVerfG)

„Was lange währt, wird nichts …“, könnte man auch titeln.

Oder: „Klein Bonum ist gefallen.“

Dem Bundesverfassungsgericht lagen mehrerer Verfassungsbeschwerden vor, mit denen sich die jeweiligen Betroffenen gegen die Verwertung von Geschwindigkeitsmessungen gewendet hatten. In Fachkreisen wurde insbesondere die Entscheidung in der Sache 2 BvR 1167/20 zum Messgerät LeivtecXV3, die bereits für das Kalenderjahr 2021 angekündigt war, mit Spannung erwartet. Hintergrund der gesamten Diskussion um die Rohmessdaten ist die Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichts, Urt. v. 5.7.2019 – Lv 7/17, die zum Messgerät Traffistar S 350 erging.

Herausgekommen sind drei Nichtannahmebeschlüsse, aus denen aber nach meiner Ansicht folgt, dass sich das BVerfG der überwiegenden Rechtsprechung – Ausnahme Saarländisches VerfG – angeschlossen hat.

Zum Leivtec XV3: 2 BvR 1167/20

Zum Poliscan M1 HP: 2 BvR 1082/21

Zum Traffistar S 350: 2 BvR 1090/21

Im Ergebnis werden Betroffene nach meiner Einschätzung mit dem Argument, das Messergebnis dürfe nicht gegen Sie verwertet werden, weil die Rohmessdaten nicht mehr vorhanden seien, nun auch im Saarland (klein Bonum) von den Instanzgerichten nicht mehr gehört werden. Ob, wann und wie das Saarländische Verfassungsgericht noch einmal unter Berücksichtigung der Beschlüsse des BVerfG entscheiden wird, ist offen. Zum Verhältnis Bundesverfassungsgericht und Landesverfassungsgerichte ist insoweit anzumerken, dass Landesverfassungsgerichte eben die Vereinbarkeit mit der Landesverfassung prüfen, während das BVerfG über die „Bundesverfassung“ sprich das Grundgesetz wacht. Die Landesverfassung kann grundsätzlich verletzt sein, auch wenn das Grundgesetz nicht verletzt ist. Vorliegend geht es aber um das Recht auf ein faires Verfahren bzw. die sog. Waffengleichheit. Der Entscheidungsgegenstand ist daher identisch. Hätte das BVerfG über die Beschwerden entschieden statt sie nicht anzunehmen, ginge meines Erachtens dessen Entscheidung vor.

Hat es aber nicht.

Die Verfassungsbeschwerden wurden allesamt als unsubstantiiert bezeichnet und nicht zur Entscheidung angenommen. Die BeschwerdeführerInnen haben aus Sicht des BVerfG nicht hinreichend dargelegt, dass eine Grundrechtsverletzung vorliege.

Unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 12.11.2020 – BvR 1616/18 führt das BVerfG nämlich aus, dass der Betroffene grundsätzlich Anspruch auf Zugang auch zu solchen Informationen hat, die bei der Bußgeldbehörde vorhanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden.

Hierzu zählt es aber gerade nicht die nicht (mehr) vorhandenen Rohmessdaten.

„Der Beschwerdeführer schlussfolgert jedoch, der aus dem Grundsatz des Rechts auf ein faires Verfahren resultierende Gedanke der Waffengleichheit gebiete es darüber hinaus, dass die zuständigen Behörden nur Geräte einsetzen, die sogenannte „Rohmessdaten“ erheben. Damit verlangt er ein Mehr im Vergleich zur bloßen Herausgabe von vorhandenen Informationen, weil nach seinem Vorbringen auch die Bußgeldbehörde nicht im Besitz der von ihm bezeichneten „Rohmessdaten“ ist. Der Beschwerdeführer legt insofern nicht substantiiert dar, dass aus dem verfassungsrechtlich verankerten Recht auf ein faires Verfahren − aus Gründen der „Waffengleichheit“ oder in sonstiger Hinsicht − auch eine staatliche Pflicht folgt, potentielle Beweismittel zur Wahrung von Verteidigungsrechten vorzuhalten beziehungsweise zu schaffen.“ (BVerfG, Beschl. v. 20.6.2023 – 2 BvR 1167/20)

Das BVerfG wägt ab zwischen dem standardisierten Mesverfahren, bei dem wegen der „Massentauglichkeit“ eben geringere Anforderungen an die Beweisführung zu stellen seien und dem Recht des Betroffenen auf effektive Verteidigung. Es ist der Entscheidung eindeutig zu entnehmen, dass das BVerfG den Grundsätzen des standardisierten Messverfahrens den Vorrang einräumt. Einen Anspruch auf Speicherung sämtlicher Rohmessdaten sieht es nicht. Nach wie vor müssten Betroffene an der jeweiligen Einzelfallmessung konkrete Zweifel aufzeigen.

Hinzu kommt, dass das BVerfG die Ausführungen des Beschwerdeführers zur grundsätzlichen „offenkundigen tatsächlichen Unsicherheit im Hinblick auf die Relevanz von Rohmessdaten für die Verteidigungsmöglichkeiten“ anspricht und hierzu feststellt, dass nicht dargelegt ist, dass die Einsicht in die Rohmessdaten überhaupt geeignet ist, eine Messung anzugreifen. Gemeint ist damit, dass bei der Begutachtung der früher noch vorhandenen Rohmessdaten in der Regel auch „nichts rauskam“.

Fazit: Zwar ist rein theoretisch denkbar, dass es dem Betroffenen im Einzelfall gelingen könnte, konkrete Anhaltspunkte für Messfehler aufzuzeigen, die Anlass geben könnten, sich auf die fehlenden Rohmessdaten zu berufen. Ich halte das aber für eine rein theoretische Konstellation. Faktisch ist das Thema fehlende Rohmessdaten aus meiner Sicht erledigt.

BGH: Promillegrenze für E-Scooter bleibt offen

Der BGH hat durch Beschluss vom 13.4.2023 – 4 StR 439/22 – entschieden, dass für E-Scooter, die nicht unter die Elektrokleinstfahrzeugeverordnung fallen, der Grenzwert zur absoluten Fahruntauglichkeit bei 1,1 Promille liegt.

Hintergrund der Entscheidung war, dass der Angeklagte mit einem E-Scooter gefahren war, der eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h erreichen konnte. Elektrokleinstfahrzeuge sind aber nur solche, die eine Maximalgeschwindigkeit von bis 20 km/h erreichen.

Die Frage, ob die 1,1 Promillegrenze zur absoluten Fahruntauglichkeit auch für E-Scooter gilt, auf die die Elektrokleinstfahrzeugeverordnung anwendbar ist (max. Höchstgeschwindigkeit 20 km/h), hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich offengelassen.

Die Tendenz in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und Landgerichte ist dagegen eindeutig: Alle mir bekannten obergerichtlichen Entscheidungen stellen auf die 1,1 Promillegrenze ab.

Rechtsfolge ist daher weiterhin, dass der Führerschein ab 1,1 Promille regelmäßig schon vor Ort von der Polizei beschlagnahmt bzw. sichergestellt wird und eine Entziehung der Fahrerlaubnis mit Verhängung einer entsprechenden Sperrfrist im Raum steht.

Es lohnt sich aktuell eine Einzelfallbetrachtung zur Widerlegung der Regelvermutung, dass der oder die Betroffene ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Je nach Fall kann eine Fahrerlaubnisentziehung auch über 1,1 Promille noch abgewendet werden.

Ab 1,6 Promille ist übrigens die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) zwingend vorgesehen. Das gilt für alle Fahrzeuge, auch Fahrräder. Nähert sich der/die Betroffene der 1,6 Promillegrenze an, kann eine MPU angeordnet werden, wenn Anhaltspunkte für Alkoholmissbrauch bestehen.

VerfGH RLP zum Poliscan FM1: Speicherung von Rohmessdaten nicht erforderlich!

Der Verfassungsgerichtshof Rheinlandpfalz hat entschieden, dass die Verwertung eines Geschwindigkeitsmessergebnisses auch ohne Speicherung von Rohmessdaten zulässig ist. Nach Ansicht des Verfassungsgerichts RLP verstößt das nicht gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren.

Der Betroffene wurde mit einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb  geschlossener Ortschaften um 70 km/h geblitzt. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte dabei mittels eines Messgeräts des Typs Poliscan FM1. Es handelt sich hierbei um ein weit verbreitetes Lasermessgerät, welches beispielsweise in Trailern verwendet wird. Messgeräte vom Typ Poliscan des Herstellers Vitronic kommen auch mobil oder in Blitzersäulen zum Einsatz.

Umfangreiche Positions- und Zeitdaten könnten eigentlich gespeichert werden, werden aber, wie auch bei verschiedenen anderen Messgeräten, von der Gerätesoftware gelöscht. Eine dauerhafte Speicherung dieser Daten wäre technisch möglich.

Der Betroffene hatte sich durch die Instanzen gegen seine Verurteilung durch das Amtsgericht Wittlich gewehrt und war zuletzt auch vor dem Oberlandesgericht Koblenz gescheitert.

Mit der Verfassungsbeschwerde machte er unter anderem eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren geltend, da die Rohmessdaten vom Gerät gelöscht worden seien und für eine nachträgliche Überprüfung der Messung nicht mehr herangezogen werden könnten.

Das rheinland-pfälzische Verfassungsgericht stellt darauf ab, dass der Gedanke der Waffengleichheit, im Falle von nicht oder nicht mehr vorhandenen Rohmessdaten, nicht zum Tragen komme. Entscheidend sei, dass die Rohmessdaten weder den Betroffenen noch der Bußgeldstelle, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zur Verfügung stünden. Der Betroffene einer Geschwindigkeitsmessung hat nach Ansicht des Verfassungsgerichts Rheinlandpfalz keinen aus dem Recht auf ein faires Verfahren abzuleitenden Anspruch darauf, dass bei standardisierten Messverfahren, Rohmessdaten zwingend gespeichert werden müssten. Etwaige Messfehler würden ohnehin durch die erforderlichen Toleranzabzüge kompensiert.

Die Entscheidung finden Sie hier zum Download als PDF-Datei:

Beschluss vom 22. Juli 2022 Aktenzeichen VGH B 30/ 21

Hier geht es zur Presseerklärung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz:

Pressemitteilung Nr. 4/2022 – Verwertung eines Geschwindigkeitsmessergebnisses ohne Speicherung von Rohmessdaten verstößt nicht gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren

Die Entscheidung ist im Kontext mit der gegenläufigen Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs zu sehen, über die ich bereits berichtet habe, und die Gegenstand zahlreicher amts- und oberlandesgerichtlicher Entscheidungen war.

Messungen unverwertbar! Saarl. VerfG hebt Verurteilung auf!

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Frage der fehlenden Speicherung beziehungsweise Löschung von Rohmessdaten steht demnächst an. Das Verfahren läuft noch. Mit einem Termin zur Verhandlung könnte noch im Sommer 2022 zu rechnen sein.

Tödlicher Unfall mit Handy: 1 Jahr und 9 Monate Haft ohne Bewährung!

Die Verurteilung eines Autofahrers wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung ist rechtskräftig. Der Verurteilte muss die Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten antreten. Er hatte die erlaubte Geschwindigkeit von 70 km/h auf einer Landstraße um mindestens 15 km/h überschritten und im Unfallzeitpunkt auf seinem Mobiltelefon gerade Textnachrichten gelesen und verfasst.

Aus diesem Grund übersah er drei Fahrradfahrer in einer langgezogenen Rechtskurve. Mit mindestens 82 km/h kollidierte er mit den Fahrrädern. Die Mutter wurde getötet. Die dreijährige Tochter, die auf dem Kindersitz des Fahrrades saß und die sechsjährige Tochter, die mit ihrem Kinderrad vor der Mutter fuhr, wurden schwer verletzt.

Der Verurteilte hatte ein frühes Geständnis abgegeben, was das Landgericht Paderborn schon in der ersten Instanz zu seinen Gunsten berücksichtigt hatte. Ebenso hat es zu seinen Gunsten bei der Strafzumessung berücksichtigt, dass er keine Vorstrafen und auch keine Voreintragungen im Fahrerlaubnisregister hatte.

In erster Instanz erhielt er eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren.

Das Landgericht Paderborn hat diese Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt. Zwar läge eine günstige Prognose vor, mithin sei zu erwarten, dass der Verurteilte nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung treten werde, allerdings sei die Vollstreckung der Haftstrafe nach § 56 II StGB geboten.

Danach wird die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung dies gebietet.

Das Landgericht hatte die Tatsache, dass der Verurteilte sich für einen belanglosen Austausch von Textnachrichten über das sog. „Handyverbot“ des § 23 Abs.1 StVO hinweggesetzt hat, herangezogen. Seine Tat sei Ausdruck einer verbreiteten Einstellung, die den erheblichen Unrechtsgehalt des Handyverbots verkennen in der unberechtigten Annahme, es käme von vornherein keine Haftstrafe in Betracht.

Das OLG Hamm hat das Urteil des Landgerichts bestätigt und sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen. Die Haftstrafe hat es auf ein Jahr und neun Monate herabgesetzt.

Diese Entscheidung ist von ganz erheblicher Bedeutung für alle Straßenverkehrsteilnehmer. Denn das OLG Hamm postuliert letztlich, dass Freiheitsstrafen in solchen Fällen in der Regel nicht zur Bewährung auszusetzen sind. Wird ein Mensch bei einem Unfall wegen einer Handynutzung schwer verletzt oder getötet, ist regelmäßig mit einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten zu rechnen.

Inwiefern die Entscheidung bei anderen Verstößen gegen die StVO – beispielsweise Nutzung einer Rettungsgasse o. ä. – herangezogen werden wird, bleibt abzuwarten.

Kommt es wegen der Nutzung elektronischer Geräte zur Verletzung oder Tötung, ist daher – nicht nur im Gerichtsbezirk des OLG Hamm – damit zu rechnen, dass die Freiheitsstrafe angetreten werden muss. Denn die „Verteidigung der Rechtsordnung“ hat mir der Persönlichkeit des Täters und der Prognose, ob der Täter rückfällig wird oder nicht, nichts zu tun. Dagegen wird von der Verteidigung schwer anzukämpfen sein.

Geblitzt mit Leivtec XV3: Wiederaufnahme des Verfahrens möglich!

Das Amtsgericht Cloppenburg hat mit Beschluss vom 6.8.2021 – 18 OWi 775 Js 46945/21 einem Antrag auf Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Bußgeldverfahrens stattgegeben.

Wiederaufnahme des Verfahrens bedeutet, dass eine bereits rechtskräftige Entscheidung praktisch aufgehoben und der Betroffene/Beschuldigte behandelt wird, als hätte er rechtzeitig Rechtsmittel bzw. Rechtsbefehl eingelegt.

 

 

Gegen den Betroffenen war ein zwischenzeitlich rechtskräftiger Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung erlassen worden. Der Bescheid enthielt ein Fahrverbot. Rechtskraft war eingetreten, da der Betroffene die Einspruchsfrist hatte verstreichen lassen.

 

 

Nach § 85 OWiG i. V. m. § 359 StPO kann ein durch rechtskräftigen Bußgeldbescheid eigentlich abgeschlossenes Bußgeldverfahren unter bestimmten Voraussetzungen wiederaufgenommen werden. Im Wesentlichen sind diese Voraussetzungen in § 359 StPO geregelt.

 

Nach § 359 Absatz 5 StPO ist eine solche Wiederaufnahme zulässig,

 

„ … wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind, … „

 

Das Amtsgericht Cloppenburg hat entschieden:

 

„Dadurch dass bei dem Messgerät Leivtec XV3 die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens derzeit nicht mehr als gegeben angesehen werden, liegen neue Tatsachen im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO vor.“

 

Hintergrund dieser Entscheidung ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg, Beschl. v. 20.4.2021 – 2 Ss(OWi) 92/21. In dieser Entscheidung hat das OLG Oldenburg festgestellt, dass im Falle des Messgerätes Leivtec XV3 die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens derzeit als nicht gegeben anzusehen sind. Das Verfahren gegen den dortigen Betroffenen hat das OLG Oldenburg eingestellt.

 

Zu beachten ist, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens für den Betroffenen nicht automatisch bedeutet, dass er auch freigesprochen wird.  Im Saarland ist allerdings wegen der aktuellen Rechtsprechung des OLG Saarbrücken und des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs im Falle des Leivtec XV3 mit einer Einstellung zu rechnen.

 

Schließlich begrenzt § 85 II OWiG die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens. Voraussetzung ist, dass entweder eine Geldbuße von mindestens 250,00 Euro oder ein Fahrverbot verhängt wurde.

 

Ein solcher Wiederaufnahmeantrag macht vor allem dann Sinn, wenn ein eigentlich rechtskräftiger Bußgeldbescheid vorliegt, in dem ein Fahrverbot mit der sogenannten viermonatigen Schonfrist verhängt wurde und der Antrag noch so frühzeitig gestellt werden kann, dass mit einer Entscheidung innerhalb der Schonfrist zu rechnen ist.

 

Es dürfte sich hierbei um eine eher geringe Anzahl von Fällen handeln.

Neuer Bußgeldkatalog tritt heute in Kraft!

Mit Wirkung zum 9.11.2021 tritt die Änderungsverordnung zur Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV-Novelle) vom 19. Oktober 2021 in Kraft. Die ursprüngliche Änderungsverordnung zum 28.4.2020 hatte sich wegen eines Verstoßes gegen das sog. Zitiergebot als unwirksam herausgestellt. Für Interessierte hier der Link zu dem damaligen Beitrag:

Verschärfung der StVO unwirksam!

Nach einigem Hin und Her hat sich der Gesetzgeber entschieden, die Änderung zu entschärfen, indem er die Geschwindigkeitsgrenzen für die Verhängung von Fahrverboten nun doch nicht herabgesetzt hat.

Beim Ersttäter bleibt es also dabei, dass innerorts ab 31 km/h und außerorts ab 41 km/h Überschreitung ein Fahrverbot vorgesehen ist.

Die Novelle dient der Verbesserung der Verkehrssicherheit und soll insbesondere Fußgänger und Radfahrer schützen.

Aus diesem Grund wurden die Rechtsfolgen bei Park- und Halteverstößen erheblich verschärft.

Für das verbotswidrige Parken auf Geh- und Radwegen und das Halten auf Schutzstreifen sowie das Parken und Halten in zweiter Reihe werden Geldbußen bis zu 110 Euro fällig. Diese Verstöße ziehen in Zukunft auch einen Punkt nach sich, wenn durch sie eine Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer oder eine Sachbeschädigung entsteht. Auf einem Geh- und Radweg erhält man bereits dann einen Punkt, wenn man länger als eine Stunde auf diesem parkt, ohne dass es auf eine Gefährdung /Behinderung oder Sachbeschädigung ankäme.

Die vorschriftswidrige Benutzung von Gehwegen und linksseitigen Radwegen wird ab dem 9.11.2021 mit bis zu 100,00 Euro Geldbuße geahndet.

Die Geldbußen für die übrigen Park- und Halteverstöße wurden erhöht (z.B.: auf einem Schwerbehindertenparkplatz: 55,00 Euro).

Der Gesetzgeber hat ferner die Rechtsfolgen bei Nichtbildung und bei unerlaubter Nutzung von Rettungsgassen erheblich verschärft. Ab dem 9.11.2021 wird nicht nur die unerlaubte Nutzung einer Rettungsgasse mit einem Fahrverbot belegt sondern auch die Nichtbildung der Rettungsgasse.

Die Nichtbildung einer Rettungsgasse wird mit 200,00 Euro und einem Monat Fahrverbot, die Benutzung einer Rettungsgasse wird mit 240 Euro und einem Monat Fahrverbot geahndet. Bei Gefährdung, Behinderung oder Sachbeschädigung erhöht sich die Geldbuße auf bis zu 320,00 Euro.

Zudem wurden die Geldbußen für Geschwindigkeitsverstöße deutlich erhöht.

Den aktuellen Bußgeldkatalog finden Sie hier:

https://www.gesetze-im-internet.de/bkatv_2013/anlage.html

AG Landstuhl: Keine Sonderrechte = keine Sonderbehandlung

In der Zeitschrift Verkehrsrecht aktuell ist eine aktuelle Entscheidung des Amtsgerichts Landstuhl vom 11.5.2021 – 2 OWi 4211 Js 4647/21 – veröffentlicht, in welcher sich das Amtsgericht mit dem Thema Sonderbehandlung von Polizeibeamten auseinandersetzt.

Der anwaltlich vertretene Betroffene hatte einen Geschwindigkeitsverstoß begangen. Statt der erlaubten 80 km/h fuhr er mit 119 km/h. Er verteidigte sich – unter anderem – mit der Einlassung, er sei zwar mit seinem zivilen Dienstfahrzeug ohne Sonderrechte nach § 35 StVO unterwegs gewesen. Allerdings habe er sich auf dem Weg zu einem dienstlichen Pflichtleistungsnachweis befunden. Wegen eines Staus sei er zeitlich in Verzug geraten. Zudem sei er wegen eines wichtigen Telefonats abgelenkt gewesen.

Schließlich berief er sich über seine Verteidigerin in der Hauptverhandlung auf ein Augenblicksversagen.

Diese Einlassung hat ihm vorm AG Landstuhl letztlich eher geschadet als genutzt. Denn er wurde daraufhin wegen Vorsatzes verurteilt, was eine Verdopplung der Geldbuße nach sich zog.

Aus den Gründen:

„Im Gegenteil hat der Betroffene anhand seiner eigenen Einlassungen gerade dargelegt, dass er hier mit wenigstens bedingtem Vorsatz die Geschwindigkeit überschritten hat. Er hat mitgeteilt, dass er unter Zeitdruck mit konkreter Geschwindigkeit gefahren sei und trotz des Zeitdrucks und der für ihn wenig bekannten Gegend während der Fahrt ein Telefonat angenommen und geführt habe. Dass er also in einer Situation, die von ihm gerade höhere Aufmerksamkeit erfordern würde (Eile, fremde Gegend) auch noch sein Aufmerksamkeitsniveau vorsätzlich absenkt – denn ein Telefonat kann man nicht fahrlässig führen -, zeigt, dass es ihm nicht nur gleichgültig war, ob er dadurch Verkehrsregeln verletzen würde, sondern dass er billigend in Kauf genommen hat die Verkehrszeichen zu übersehen, ohne seine Geschwindigkeit vorher aktiv anzupassen.“ (AG Landstuhl a. a. O.)

Fazit: Nun weiß es auch der Polizist, Extrawürste gibt es nicht.

Leivtec XV 3 – Messungen – Abschlussbericht der PTB und aktuelle Entscheidungen

Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) hat den Abschlussbericht im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsmessgerät Leivtec XV3 vorgelegt.

Sie finden diesen als PDF-Datei hier:

Abschlussbericht der PTB zum Leivtec XV3

Zusammengefasst kommt die PTB zu folgenden Ergebnissen:

Abweichungen zuungunsten des Betroffenen gab es bei den mehr als Tausend durchgeführten Messungen nur selten.

Alle Fälle, in denen solche Messabweichungen festgestellt werden konnten, waren Rechtsmessungen. Das Messgerät war in diesen Fällen aus Sicht des Fahrers also am linken Fahrbahnrand aufgestellt.

Allen Fällen ist gemeinsam, dass im Messung-Start-Bild das Nummernschild des betroffenen Fahrzeugs nicht vollständig vom Messfeldrahmen umfasst war. Hierzu ist anzumerken, dass die Messfotos einen viereckigen Rahmen einblenden, der eine bestimmte Position haben muss.

Hierzu hatte der Messgerätehersteller bereits – nach Bekanntwerden der Messproblematik – eine Ergänzung der Bedienungsanleitung vorgenommen.

Bei allen Messungen, bei denen unzulässige Abweichungen vorgenommen wurden, war die Messstrecke kürzer als 12,2 m.

Inzwischen hat das OLG Celle einen Fall aufgehoben und an das zuständige Amtsgericht zurückverwiesen mit der Aufforderung, im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob sich die Problematik auf die gegenständliche Messung mit dem Leivtec XV3 ausgewirkt hat.

Im Saarland werden derzeit vom Amtsgericht St. Ingbert – insbesondere in Fällen, in denen ein Fahrverbot im Raum steht – Plausibilitätsgutachten angefordert.

In meiner aktuellen Podcast-Folge erfahren Sie mehr zu diesem Thema:

#16 Leivtec, Trunkenheitsfahrt und Angriff auf Beamte, Fahrverbot wg. Trunkenheitsowi mit E-Scooter

Pflicht zur Vernehmung von Entlastungszeugen im Bußgeldverfahren

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit Beschluss vom 15.9.2020 – 1 Rb 37 Ss 473/20 – entschieden, dass die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen nicht ohne Weiteres zurückgewiesen werden darf.

Insbesondere genügt die Begründung nicht, durch die Aussagen des bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil zum Nachteil des Betroffenen bereits erwiesen.

In der Sache ging es um einen Verstoß gegen eine Personenbeförderungsvorschrift. Der Betroffene soll seinen siebenjährigen Sohn ohne Kindersitz oder Sitzerhöhung befördert haben. Im Fond des Autos befanden sich die beiden Söhne des Betroffenen. Der Betroffene hatte in der ersten Instanz seinen zweiten, älteren Sohn als Zeugen dafür benannt, dass der Siebenjährige auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

Das Amtsgericht Wertheim hat den Antrag auf Vernehmung des Sohnes als Zeugen mit der Begründung abgelehnt, der Polizeibeamte sei bereits vernommen worden und habe das Gegenteil bezeugt.

Das OLG Karlsruhe hat die Entscheidung des AG Wertheim aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das AG Wertheim zurückverwiesen.

Es hat klargestellt, dass die Ablehnung des Antrages auf Vernehmung des Zeugen das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzte. Es hätte sich dem AG Wertheim aufdrängen müssen, dass der als Zeuge benannte Sohn zu der Frage, ob eine Sitzerhöhung  genutzt wurde oder nicht, eigene Wahrnehmungen und somit potentiell auch eine eigene Aussage mit entsprechend überprüfbarem Wahrheitsgehalt hätte machen können.

Das OLG Karlsruhe weist ergänzend darauf hin, dass eine Ausnahme von der Aufklärungspflicht des Gerichts durch Vernehmung von Zeugen beispielsweise dann vorliegen kann, wenn die Möglichkeit der Wahrnehmung der behaupteten Tatsache durch den Zeugen bereits zweifelhaft erscheint. Hauptanwendungsfall dürfte hier das Angebot der Vernehmung eines Fahrzeuginsassen zur gefahrenen Geschwindigkeit sein. Einer solchen Vernehmung steht regelmäßig das Messergebnis bzw. die Aussage des Messbeamten zur Ordnungsgemäßheit des Messergebnisses entgegen.

Kurzum: Mit der Behauptung, ein Fahrzeuginsasse könne eine niedrigere als die gemessene gefahrene Geschwindigkeit im Tatzeitpunkt bestätigen, wird man nach wie vor regelmäßig (zu Recht) nicht vor Gericht gehört werden.

Die Entscheidung enthält auch Ausführungen zur Begründungspflicht des Gerichts bezüglich der Ablehnung solcher Beweisanträge. Das OLG Karlsruhe führt dazu aus, dass eine Kurzbegründung in der Hauptverhandlung ausreicht, allerdings im Urteil eine Begründung zu erfolgen hat, die einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zugänglich ist.

Geblitzt? OLG Saarbrücken stellt Leivtec-Verfahren ein!

Über die möglichen Fehlmessungen bei dem im Saarland weit verbreiteten Messverfahren Leivtec XV3 hatte ich bereits mehrmals berichtet.

Leivtec stellt Messungen ein

Geblitzt? Messabweichungen beim Leivtec XV3!

Nun liegt die erste Entscheidung des OLG Saarbrücken zu diesem Thema vor.

Das OLG hat ein Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 28.4.2021 – SsRs 4/21 (13/21 OWi) eingestellt. Die Kosten und Auslagen des Betroffenen hat es der Staatskasse auferlegt.

Das OLG folgte damit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken, die ihrerseits beantragt hatte, das Verfahren gegen den Betroffenen einzustellen. Unter Hinweis auf die aktuell aufgetretenen Messprobleme erschien die Verwertbarkeit der Messung als fraglich. Das OLG hielt es daher für geboten, die Sache nicht weiter zu verfolgen.

Sofern Sie mit dem Leivtec XV3 gemessen wurden, sollten Sie sich bei mir melden. Es erscheint derzeit als äußerst wahrscheinlich, dass Ihr Verfahren eingestellt werden wird.

Der Messgerätehersteller bemüht sich derzeit um eine Prüfung und Lösung mit der Physikalisch Technischen Bundesanstalt.

Regelmäßige Zwischenstandsnachrichten finden Sie hier:

Homepage der Firma Leivetec

Blitzer Leivtec XV3: Hersteller stellt Messungen ein!

Ich hatte bereits darüber berichtet, dass der Messgerätehersteller Leivtec seine Bedienungsanleitung ändern musste. Hintergrund war, dass eine Sachverständigenvereinigung mittels Testmessungen nachgewiesen hatte, dass es bei dem Gerät zu erheblichen Messabweichungen kommt. Den Artikel finden Sie hier:

Geblitzt? Messabweichungen beimLeivtec XV3!

In der Folge hat sich laut dieser Sachverständigen gezeigt, dass die Verschärfung der Auswerterichtlinien nicht ausgereicht hat. Auch Messungen, die nach den strengeren Maßstäben verwertbar sind, können laut den Sachverständigen zu hohe Messergebnisse anzeigen.

Der Hersteller Leivtec hat nun reagiert und die Betreiber des Mesgeräts per E-Mail gebeten, einstweilen von weiteren amtlichen Messungen Abstand zu nehmen.

In der E-Mail von Leivtec an die Messtellenbetreiber heißt es:

Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen
werden kann, dass es auch bei Beachtung der Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu
unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann, möchten wir sie bitten, von weiteren
amtlichen Messungen vorerst Abstand zu nehmen. Wir werden uns nach Veröffentlichung der
finalen Prüfergebnisse der PTB unverzüglich wieder bei Ihnen melden. Wir sind uns der
Tragweite unseres Schreibens bewusst, sehen jedoch in der Sache keine andere
Entscheidungsoption, da es uns als Ihr seit vielen Jahrzehnten zuverlässiger und seriöser
Partner darauf ankommt, den rechtssicheren Einsatz unserer Produkte im
Verkehrsüberwachungsbereich unter allen Umständen zu gewährleisten. Insoweit hoffen wir
auf Ihr Verständnis und verbleiben …“

Das Lasermessgerät Leivtec xV3 ist ein bundesweit eingesetztes Geschwindigkeitsmessgerät, das gerade im Saarland weit verbreitet eingesetzt wird.

Wenn Sie mit diesem Messgerät gemessen wurden, sollten Sie sich verteidigen!

Im Moment ist noch völlig unklar, wie die Gerichte, insbesondere das Amtsgericht St. Ingbert, das für das Saarland zentral für diese Verfahren zuständig ist, auf die Problematik reagieren werden.

Schließlich stellt sich gerade im Zusammenhang mit der Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichts zum Traffistar S350 die Frage, welche Auswirkungen die Erschwerung der nachträglichen Überprüfung der Messung durch die Löschung von Rohmessdaten nun vor dem Hintergrund der im Raum stehenden Fehlerhaftigkeit des Messverfahrens hat.

Zuletzt hatte das AG St. Ingbert Messungen mit dem Leivtec XV3 für verwertbar erklärt. Ausreichend sei die Möglichkeit einer nachträglichen Plausibilitätskontrolle.

AG St. Ingbert: Es werde geblitzt! Leivtec XV3-Messungen wieder verwertbar.

Wenn das Messgerät fehlerhafte Messergebnisse auswerfen sollte, was wohl der Fall zu sein scheint, dann kommt der Tatsache, dass die Rohmessdaten nicht vollständig zur Verfügung gestellt werden, eine ganz andere – auch praktische – Bedeutung zu.

Zu begrüßen ist jedenfalls die Aufforderung des Herstellers, die Messungen vorläufig, bis zur Klärung der Problematik, nicht mehr durchzuführen.

Geblitzt? Messabweichungen beim Leivtec XV3!

Beim Messsystem Leivtec XV3 handelt es sich um ein Lasermessverfahren, das gerade im Saarland häufig eingesetzt wird. Das OLG des Saarlandes hat bereits Verfahren eingestellt, weil das Messgerät die zur Überprüfung der Messung erforderlichen Rohmessdaten nicht speichert.

Im Sommer 2020 haben unabhängige technische Gutachter das Messgerät umfassend auf Messfehler überprüft. Hierbei konnten relevante Messfehler nachgewiesen werden.

Anlässlich der Messreihen wurden Vergleichsmessungen mit mehreren Messanlagen vom Typ Leivtec XV3, die nebeneinander platziert wurden, durchgeführt. Zudem wurden Messungen gleichzeitig mit einem Leivtec XV3-Messgerät und einem ESO 8.0-Messgerät durchgeführt.

Es kam zu Abweichungen beim Messergebnis, die außerhalb der Messfehlertoleranz des Messgerätes liegen. So hatte das ESO 8.0 bei einer Messung eine Geschwindigkeit von 95 km/h ermittelt, das Leivtec XV3 aber einen Wert von 103 km/h.

Des Weiteren wurden zwei Leivtec XV3 nebeneinander positioniert, jedoch unterschiedlich ausgerichtet. So sollte der Einfluss unterschiedlicher Geräteeinrichtungen untersucht werden. Bei einer Referenzgeschwindigkeit von 131 km/h kam es zu einer Abweichung von 16 km/h bei einer Verkehrsfehlergrenze von +/- 4 km/h. Ein Messgerät hatte 125 km/h gemessen, das andere 141 km/h.

Die Versuchsreihen sind auf der Homepage des Instituts für Qualitätssicherung in der Verkehrsmessechnik e.V. erläutert:

https://www.iqvmt.de/LeivtecXV3.html

Die Sachverständigen fassen das Ergebnis wie folgt zusammen:

„Nach hiesiger Bewertung ist es anhand unterschiedlicher Messanlagen des betroffenen Typs Leivtec XV3, sowie unterschiedlicher Referenzanlagen nach ca. 900 Versuchsfahrten erwiesen, dass es im aktuellen technischen Stand der Anlage zu zahlenmäßig relevanten unzulässigen Messabweichungen kommen kann, weshalb wir die Beteiligten bitten, aktuell ein besonderes Augenmerk und Umsicht bei der Bearbeitung von Verfahren und beim Einsatz der Messanlage XV3 walten zu lassen, da die Prüfung seitens der PTB und des Herstellers noch unbestimmt andauert.
Für den zukünftigen Einsatz der Messanlage XV3 sollte mit Bezug auf die forensische Prüfbarkeit auf die Qualität der Fertigung des Start- und Endebildes geachtet werden. Die Messanlage sollte zudem aus unserer Sicht ausschließlich derart eingesetzt werden, dass die Fahrzeuge im gesamten messrelevanten Bereich (50 m bis 30 m vor dem Gerät) vollständig in beiden Bildern abgelichtet sind.“

Inzwischen hat der Hersteller die Bedienungsanleitung des Messgerätes geändert:

Beurteilung des Messung-Start-Bildes

Zur Verwertbarkeit der Beweisbilder muss für alle in Kapitel 5.4 aufgeführten Kriterien zusätzlich folgende
Bedingung für das Messung-Start-Bild erfüllt sein:
Sofern sich im Messung-Start-Bild nicht das komplette Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens befindet,
muss die innerhalb des Messfeldrahmens abgebildete Breite des Kennzeichens mindestens der zweifachen
Höhe des Kennzeichens entsprechen.
Bei Messungen mit Einfahrt des Fahrzeugkennzeichens in den Messfeldrahmen von oben muss im MessungStart-Bild das gesamte Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens abgebildet sein.“

Dieser Bedingung werden aber nicht alle Messung-Start-Bilder gerecht. Ob im Einzelfall ein korrektes Messung-Start-Bild gefertigt wurde, lässt sich anhand der Bußgeldakte prüfen.

BVerfG: Betroffener hat Anspruch auf Einsicht in die Rohmessdaten!

Ein „Dauerbrenner des Ordnungswidrigkeitenrechts“ ist die Frage, in welchem Umfang der Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens Anspruch auf Akteneinsicht hat. Das betrifft vor allem die Frage, ob er auch Anspruch auf Einsicht in solche Dokumente hat, die sich gar nicht in der behördlichen Akte befinden.

Mit diesem Thema, konkret der Einsicht des Betroffenen in die Dateien (Rohmessdaten) der Verkehrsmessung, hat sich das Bundesverfassungsgericht jetzt befasst. Der vor allem in südlichen Bundesländern verbreiteten Ansicht dortiger Behörden und der dortigen Rechtsprechung nach dem Motto „Quod non est in actis non est in mundo – Was nicht in der Akte ist, ist nicht in der Welt“, hat das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage erteilt. Es hat  die angegriffene Entscheidung des OLG Bamberg für verfassungswidrig  erklärt und festgestellt:

„Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt hiernach, dass der Beschuldigte eines Strafverfahrens neben der Möglichkeit, prozessual im Wege von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen auf den Gang der Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, grundsätzlich auch das Recht hat, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden (vgl. BVerfGE 63, 45 <66>).“ BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18

Link zum Beschluss des BVerfG:

BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18

Damit ist der „Teufelskreis“ für den Betroffenen aufgelöst. Bislang hatten mehrere Obergerichte die Betroffenen darauf verwiesen, es handele sich bei den jeweiligen Messverfahren um standardisierte Verfahren. Um das Gericht dann dazu zu bewegen, eine Messung zu begutachten oder die Rohmessdateien beizuziehen, wurde vom Betroffenen gefordert, konkrete Zweifel an der Messung darzulegen. Das ist aber ohne die Messdateien kaum möglich.

Meine ehrliche Meinung:

Die Entscheidung ist für die Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz von untergeordneter Relevanz, da ich erfahrungsgemäß als Verteidiger von den zentralen Bußgeldstellen St. Ingbert und Speyer sowohl die Rohmessdaten als auch alle anderen wesentlichen Dokumente (z.B.: „Lebensakte“ des Messgeräts, Schulungsnachweise der Messbeamten) auf erste Anfrage erhalte, sofern ich im Einzelfall meine, dass mit der Messung etwas schiefgelaufen sein könnte oder es auf ein oder zwei km/h mehr oder weniger ankommt (z.B. bei Erreichen der Fahrverbotsgrenze).

Wichtig ist sie aber für andere Bundesländer, insbesondere Bayern. Dort wird man sich bei den Bugßeldstellen neu sortieren müssen, nachdem das für seine restriktive Rechtsprechung in Ordnungswidrigkeitensachen berüchtigte OLG Bamberg nun zum Umdenken gezwungen ist.

De facto wird man in den weit überwiegenden Fällen leider mit den Rohmessdaten nichts anfangen können. Sofern sie nicht vom Messgerät gelöscht werden, was in den betroffenen Verfahren übrigens immer noch zu Einstellungen durch das OLG des Saarlandes führt, lässt sich nach meiner Erfahrung mit einer sachverständigen Überprüfung der Rohmessdaten in der Regel wenig gewinnen. Denn die Messungen an sich sind fast immer korrekt. Durchschlagende Messfehler sind die absloute Ausnahme. Allenfalls kann in dem ein oder anderen Fall ein weiterer Toleranzabzug von einem oder zwei km/h durchgesetzt werden. Das ist aber auch die Ausnahme.

Aber: Jetzt kriegen wir sie endlich, die Dateien! Da freuen sich die Sachverständigen, die jetzt wahrwcheinlich noch mehr Umsatz machen. Wer sich nicht freut, das sind die Rechtsschutzversicherer, die das Ganze bezahlen dürfen und der Betroffene, für den bei der Begutachtung nichts rauskommt und der wegen der hohen Kosten von seinem Rechtsschutzversicherer die Quittung in Form der Kündigung kassiert.

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BayObLG zu den Promillegrenzen für E-Scooter

Das bayerische Oberlandesgericht hat bestätigt, dass die für Autofahrer geltende Grenze von 1,1 Promille zur absoluten Fahruntauglichkeit auch für E-Scooter gilt. Es hat die Fahrerlaubnisentziehung eines Scooterfahrers, der auf dem Münchener Oktoberfest mit 1,35 Promille angehalten worden war, bestätigt. Er hatte eine Strecke von 300 m auf einem Bürgersteig zurückgelegt.

Der Angeklagte hatte einwendet, bei einem E-Scooter handele es sich nicht um Kraftfahrzeug im Sinne des § 316 StGB. Ferner seien die Promillegrenzen nicht auf den EScooter übertragbar, allenfalls sei eine Vergleichbarkeit mit einem Fahrrad gegeben. Bei einem solchen tritt absolute Fahruntauglichkeit erst ab 1,6 Promille ein.  Zudem liege bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad kein Regelfall für eine Fahrerlaubnisentziehung vor. Das AG München hat sämtliche Einwendungen des Angeklagten verworfen.  

Die Entscheidung des BayObLG ist wenig überraschend, denn sie orientiert sich an der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Das BayObLG führt aus:

„Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 28. Juni 1990 den Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers unter Berücksichtigung medizinischnaturwissenschaftlicher Erfahrungswerte mit 1,1 Promille festgelegt und dabei zugleich ausdrücklich ausgesprochen, dass dieser Wert für alle Führer von Kraftfahrzeugen gilt (BGH NJW 1990, 2393, 2395).

Auch wenn der Entscheidung des Bundesgerichtshofs eine Trunkenheitsfahrt eines Autofahrers zugrunde lag, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich klargestellt, dass dieser Grenzwert generell für (alle) Führer von Kraftfahrzeugen gilt, und dies zusätzlich durch Bezugnahme auf vorausgegangene Entscheidungen zu Kraftradfahrern (BGHSt 22, 352) sowie Fahrrädern mit Hilfsmotor, sog. Mofa 25 (BGHSt 30, 251) und auch Führen eines abgeschleppten betriebsunfähigen PKW (BGHR StGB § 316 Fahruntüchtigkeit alkoholbedingte 2, = BGHSt 36, 341) zum Ausdruck gebracht.

Von dem Grundsatz, dass die Promillegrenze von 1, 1 Promille für alle Kraftfahrzeugarten gilt, im Falle der E-Scooter abzuweichen, besteht kein Anlass.“ (BayObLG, Beschluss v. 24.07.2020 – 205 StRR 216/20)

In einer sehr ausführlichen Begründung bestätigt das BayObLG sodann die Wertung des Amtsgerichts München, wonach auch bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter ein Regelfall für eine Fahrerlaubnisentziehung vorliegt.

Zu der Einwendung der kurzen Fahrtstrecke führt es aus:

„Das Amtsgericht hat an tatbezogenen Umständen über den Aspekt hinaus, dass die Fahrt mit einem im Vergleich zu einem Personenkraftwagen leichteren E-Scooter stattfand, berücksichtigt, dass die vom Angeklagten bis zu seiner polizeilichen Kontrolle gefahrene Strecke von ca. 300 m nicht allzu lang war. Wenn das Amtsgericht darin keinen Fall einer Bagatellfahrt mehr gesehen hat, so liegt dies im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.“ (BayObLG a. a. O.)

Meine Meinung: Daran, dass die Promillegrenzen für Autofahrer auch für E-Scooterfahrer gelten, hatte ich auch vor dieser Entscheidung wenig Zweifel. Eine Fahrerlaubnisentziehung bei einer Fahrtstrecke von 300 m auf dem Gehweg auszusprechen, mag im Beurteilungsspielraum des entscheidenden Gerichts liegen. Vielleicht hat es hier aber in erster Instanz auch an entsprechendem Vortrag  zu den Tatumständen und dem Nachtatverhalten des Angeklagten gefehlt, die eine anderweitige Bewertung erlaubt hätten.

Das Urteil finden Sie im Volltext hier: BayObLG, Beschluss v. 24.07.2020 – 205 StRR 216/20

Feststellungen zum Rotlichtverstoß und Ermittlung der Rotlichtzeit durch Zeugen – OLG Düsseldorf hebt Verurteilung auf!

Ganz, ganz üble Klatsche für das Amtsgericht Wuppertal!

Erinnert mich stark an meine damalige Lateinlehrerin: „Weiser, setzen! 6!“.

Das OLG Düsseldorf hat die Verurteilung eines Betroffenen durch das Amtsgericht Wuppertal aufgehoben, der wegen eines Rotlichtverstoßes von mehr als einer Sekunde verurteilt worden war. Beträgt die Rotlichtzeit mehr als eine Sekunde im Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie, so sieht der Bußgeldkatalog ein Fahrverbot vor (sog. Sekundenverstoß). Zudem erhält der Betroffene 2 Punkte, die 5 Jahre lang (plus 1 Jahr Überliegefrist) im Fahrerlaubnisregister gespeichert werden.

Das Amtsgericht Wuppertal hatte den Betroffenen aufgrund der gezielten Beobachtung der Ampelanlage durch einen Polizeibeamten und der Aussage eines weiteren Zeugen wegen eines Sekundenverstoßes verurteilt und einen Monat Fahrverbot angeordnet.

Der Polizeibeamte hatte den Verstoß gezielt beobachtet und zudem den Zeugen, der an der Fußgängerampel stand, vor Ort befragt. Der Fußgänger gab an, die Fußgängerampel sei bereits grün gewesen, er habe gerade die Straße überqueren wollen, als der Betroffene über die Ampel gefahren sei.

Der Betroffene berief sich vor Ort darauf, sein auf dem Beifahrersitz befindlicher Pitbull (!) könne als Zeuge bestätigen, dass die Ampel noch Gelb angezeigt hätte. Offenbar ein Tierfreund mit Humor.

 Das OLG Düsseldorf hob das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal auf. Man könnte in diesem Fall auch von einer „Abfuhr“ sprechen, wenn es in den Gründen heißt:

„Die Rechtsbeschwerde hat (vorläufig) Erfolg. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es den Mindestanforderungen an die Begründung einer Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes nicht genügt. … Für das neue Verfahren weist der Senat daraufhin, dass auch die Rechtsfolgenentscheidung im angefochtenen Urteil keinen Bestand hätte haben können, weil die Feststellungen der Tatrichterin zur Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde sowie die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung ebenfalls unzureichend sind und die Verhängung der im Bußgeldkatalog für einen sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß vorgesehenen Rechtsfolgen nicht tragen.“ (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2020 – IV-4 RBs 46/20)

Das Amtsgericht Wuppertal hat in diesem Fall mehrere Fehler gemacht, die allerdings nach meinen Erfahrungen geradezu typisch sind für Amtsgerichte, die – im Gegensatz zum Amtsgericht St. Ingbert – nicht „in Vollzeit“ mit Bußgeldverfahren befasst sind.

  1. Einfahren in den geschützten Bereich nicht festgestellt:

„Ein Rotlichtverstoß liegt vor, wenn gegen das Gebot des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO – „Halt vor der Kreuzung“ – verstoßen wird, ein Fahrzeugführer also bei Rotlicht in den durch die Lichtzeichenanlage gesicherten Bereich, im Regelfall den Kreuzungs- oder Einmündungsbereich, einfährt.“ (OLG Düsseldorf a. a. O.)

Entgegen landläufiger Meinung, ist ein Rotlichtverstoß nicht bereits dann vollendet, wenn das Fahrzeug „über die rote Ampel“ fährt.  Er ist erst dann vollendet, wenn das Fahrzeug in den Bereich einfährt, der von der Ampelanlage geschützt wird. Bei einer Fußgängerfurt ist das eben der – meist durch Markierungen – abgesetzte Bereich, in welchem der Fußgänger die Fahrbahn überquert. Bei einer Ampelkreuzung – ohne Fußgängerüberweg – ist dies beispielsweise die (ggflls. gedachte) Linie der querenden Fahrspur. Es ist also praktisch ein Einfahren in den Kreuzungsbereich erforderlich.

Gerade in diesem Punkt werden häufig Fehler gemacht, da sich diese Fragen bei dem Regelfall eines „geblitzten“ Rotlichtverstoßes nicht stellen. Denn bei der Rotlichtüberwachung durch Messanlagen wird zwei Mal geblitzt. Auf dem ersten Foto wird das Überfahren der Haltelinie dokumentiert, auf dem zweiten Foto das Einfahren in den geschützten Bereich.

Da das Amtsgericht keinerlei Feststellungen zu den Örtlichkeiten (geschützter Bereich und Einfahren in den geschützten Bereich) getroffen hat und lediglich festgestellt hat, der Betroffene sei „über Rot gefahren“, war das Urteil insgesamt aufzuheben.

  1. Lückenhafte Feststellungen/fehlerhafte Beweiswürdigung zur Rotlichtdauer:

Die Urteilsgründe genügten für sich bereits nicht, überhaupt einen Rotlichtverstoß zu begründen. Da der bedauenswerten Amtsrichterin aber auch in punkto Feststellung der Rotlichtdauer gravierende Fehler unterliefen und die Sache nun neu verhandelt werden muss, hat das OLG Düsseldorf dem Amtsgericht Wuppertal auch dies betreffend eine Lehrstunde erteilt:

„Auch beruht die der Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zugrunde liegende Feststellung, die Lichtzeichenanlage habe zum Zeitpunkt des Passierens durch den Betroffenen mehr als eine Sekunde Rotlicht gezeigt, auf einer lückenhaften Beweiswürdigung. Zwar kann die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes grundsätzlich auch — wie hier — auf die Schätzungen von Zeugen, insbesondere von Polizeibeamten gestützt werden. Jedoch müssen derartige Schätzungen wegen der ihnen innewohnenden möglichen Fehlerquellen durch das Hinzutreten weiterer, im tatrichterlichen Bußgeldurteil anzugebender Umstände erhärtet  und hinsichtlich ihrer Grundlagen sowie ihres Beweiswerts vom Tatrichter einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Solche Umstände, durch die die Richtigkeit einer Schätzung erhärtet wird, können sich — je nach den Umständen des Einzelfalls — etwa aus der angewandten Zählmethode (gedankliches Aussprechen der Zahlen „einundzwanzig, zweiundzwanzig“: …) oder einem während der Rotlichtdauer abgelaufenen, zeitlich eingrenzbaren Vorgang, an dem sich der Zeuge bei seiner Schätzung orientiert hat, ergeben. Freie Schätzungen aufgrund einer bloß gefühlsmäßigen Erfassung der verstrichenen Zeit sind jedenfalls zur Feststellung von Zeitintervallen im Sekundenbereich ungeeignet. …

Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil nicht. Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Schätzung des Zeugen auf tragfähiger Grundlage beruht, hätte es Angaben zur Methode seiner Schätzung (Mitzählen, Zeitmessung mittels (Stopp-)Uhr? sonstige Orientierung?), zum Ablauf des Rotlichtverstoßes, zur Entfernung des Fahrzeuges zur Lichtzeichenanlage und einer ggf. vorhandenen Haltelinie sowie zur genauen Beobachtungsposition des Zeugen (Standort? Gezielte oder zufällige Überwachung der Lichtzeichenanlage? Sichtverhältnisse auf Ampel, Vorbereich und Haltelinie?) bedurft.

Soweit der Schluss auf den qualifizierten Rotlichtverstoß aus Zeugenaussagen hergeleitet wird, die – wie hier offenbar der Zeuge pp – nur Angaben zum Grünlicht für den Querverkehr machen können, sind grundsätzlich Feststellungen zum automatisierten Programmablauf der Lichtzeichenanlage zu treffen.“ (OLG Düsseldorf a. a. O.)

Um dem Schlag ins Gesicht die Krone aufzusetzen, hat das OLG Düsseldorf abschließend noch einige formale Fehler des Urteils gerügt. Insbesondere hat es die Unterschrift der Tatrichterin als unzureichend betrachtet, weil diese keine hinlänglichen, charakteristischen Merkmale zur Identifizierung aufweise, sinngemäß: Die Unterschrift sieht ebenso schlampig aus wie das Urteil.

Fazit: Wer die Entscheidung liest, könnte meinen, es sei eine Einzelfallsache, dass ein Amtsgericht nicht befähigt ist, einen (qualifizierten) Rotlichtverstoß ordnungsgemäß in den Urteilsgründen festzustellen. Dem ist aber nicht so. Es ist für unerfahrene Amtsrichter keine Einfachheit einen Rotlichtverstoß, der durch Beobachtung festgestellt wurde, festzustellen und mit tragenden Entscheidungsgründen auszuurteilen.

Vor Feststellungen nach dem Motto: „Die Polizei hat mich beobachtet, was soll ich da schon gegen machen?“, sollte man sich ebenfalls hüten! Denn nach meiner Erfahrung sind auch die Polizeibeamten nicht oder nur unzureichend zu diesem Thema geschult und die Feststellungen in den Bußgeldakten dürftig und in der Regel für sich alleine betrachtet unzureichend.

Touchscreenbenutzung während der Fahrt nicht grundsätzlich verboten – OLG Karlsruhe

Das Urteil des OLG Karlsruhe ging bereits nach dem Motto „Touchscreen verboten“ durch die Medien.

Das ist nicht zutreffend. Warum die Touchscreenbenutzung während der Fahrt eben nicht verboten, gleichwohl aber problematisch ist, zeige ich nachfolgend auf.

Zunächst der Fall:

Über 200 Euro Geldbuße und einen Monat Fahrverbot durfte sich der betroffene Tesla-Fahrer freuen. Er hatte bei starkem Regen den Touchscreen seines Fahrzeuges benutzt, um das Intervall des Scheibenwischers zu ändern.

Bei seinem Fahrzeug lässt sich zwar mittels eines Hebels am Lenkrad der Scheibenwischer an- und ausstellen, die Einstellung der Intervalle erfolgt aber in einem Untermenü mit merhren Auswahlmöglichkeiten über den Touchscreen des Fahrzeuges. Da er bei dieser Aktion auch noch von der Fahrbahn abkam und eine Sachbeschädigung verursachte, war nach 246.3 des Bußgeldkataloges ein Fahrverbot fällig.

Der Betroffene war der Auffassung, bei einem im Fahrzeug fest verbauten Touchscreen handele es sich nicht um ein elektronisches Gerät im Sinne des § 23 Abs. 1 a StVO.

Die Vorschrift lautet:

(1a) Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn

 

1.

hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und

 

2.

entweder

  

a)

nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder

  

b)

zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist.

Geräte im Sinne des Satzes 1 sind auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder.

Das OLG Karlsruhe hat zunächst festgestellt, dass unter Satz eigentlich nur solche Geräte fallen, die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen. Das ist aber bei einem Touchscreen jedenfalls dann äußerst fraglich, wenn damit im Sinne eines Interfaces grundsätzliche Fahrzeugfunktionen, wie hier der Scheibenwischer, gesteuert werden sollen.

Allerdings hat der Gesetzgeber in Satz 2 ausdrücklich „Berührungsbildschirme“, also Touchscreens, aufgeführt. Fraglich ist also, ob bei einem Touchscreen die Voraussetzungen des Satzes 1 ebenfalls erfüllt sein müssen, also nur solche Touchscreens, die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen, erfasst sein sollen.

Aus den Gründen:

Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 a StVO spricht für die Einbeziehung sämtlicher Berührungsbildschirme, entsprechend dem weit gefassten Wortlaut ohne Einschränkung. § 23 Abs. 1 a StVO dient der Unfallverhütung und soll Ablenkungen des Fahrzeugführers vom Verkehrsgeschehen, die durch die Blickzuwendung bei der Bedienung elektronsicher Geräte entstehen, verhindern. Es macht dabei für die Ablenkung des Fahrzeugführers keinen Unterschied, welcher Zweck mit der Bedeutung des elektronischen Gerätes konkret von ihm verfolgt wird. Die Blickzuwendung auf einen Berührungsbildschirm während der Fahrt lenkt die Aufmerksamkeit des Fahrers unabhängig davon ab, ob er einen Kurs in das Navigationsgerät eingibt oder den Scheibenwischer einstellt. § 23 Abs. 1 a StVO a.F. wurde deshalb im Vergleich zur alten Fassung, die nur Mobil- und Autotelefone umfasste, bzgl. der Tatbestandsmäßigkeit elektronischer Geräte erheblich erweitert. Der Kraftfahrzeugführer wird durch die Aufnahme von Berührungsbildschirmen in § 23 Abs. 1 a StVO a.F. auch nicht unverhältnismäßig bei der Bedienung seines Fahrzeugs eingeschränkt. § 23 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVO verbietet die Bedienung originärer Funktionen eines Kraftfahrzeugs durch Berührungsbildschirme nicht an sich, sondern gestattet sie unter den Voraussetzungen von Satz 1 Nr. 2 anders als in der Hand zu haltende Geräte, die gemäß Satz 1 Nr. 1 grundsätzlich verboten sind. Sofern zur Bedienung und Nutzung des fest im PKW installierten Berührungsbildschirms nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnisse angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist, darf das Gerät auch weiterhin vom Fahrzeugführer verwendet werden. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.03.2020 – 1 Rb 36 Ss 832/19

Ein im Fahrzeug verbauter Touchscreen darf zwar während der Fahrt benutzt werden, aber nur unter der Voraussetzung einer kurzen und angepassten Blickzuwendung. Problematisch werden also die Fälle, in denen, wie im vorliegenden Fall, ein Unfall oder eine Gefährdung passieren und feststeht, dass der Betroffene den Touchscreen bedient hat. Dann dürfte es je nach Lage des Einzelfalles schwierig werden, auf eine kurze Blickzuwendung zu plädieren. Denn es lässt sich ja objektiv anhand der Bedienungsanleitung des Fahrzeugs nachvollziehen, ob man für bestimmte Funktionen in die Untermenüs schauen muss.

Der Fahrer im vorliegenden Fall musste zunächst ein Scheibenwischersymbol auswählen und sich dann zwischen 5 Einstellungsmöglichkeiten entscheiden. Das ist nach der Auffassung des OLG Karlsruhe keine kurze und angepasste Blickzuwendung mehr.

Fazit: Den Touchscreen während der Fahrt zu bedienen,  ist also nicht grundsätzlich verboten.

Verschärfung der StVO unwirksam!

Mit Wirkung zum 28.4.2020 wurde die Straßenverkehrsordnung geändert. Ich hatte über die Änderungen hier berichtet: https://rechtsanwalt-weiser.de/achtung-fahrverbote-bald-ab-21-km-h-reform-der-stvo-kommt/

Insbesondere die Verschärfung der Fahrverbotsgrenzen von innerorts 31 km/h auf 21 km/h und außerorts 41 km/h auf 26 km/h ist auf heftige Kritik in der Bevölkerung gestoßen. Verkehrsminister Scheuer hat bereits angekündigt, die Änderungen zum Teil, vor allem betreffend die Fahrverbotsgrenzen, wieder rückgängig machen zu wollen.

Fraglich ist allerdings schon, ob die Änderungen wirksam sind, da dem Gesetzgeber ein formeller Fehler unterlaufen ist. Die Änderung der StVO erfolgte durch eine Verordnung des Verkehrsministeriums. Der Erlass einer solchen Verordnung durch eine Behörde macht es erforderlich, dass diese exakt angibt, auf welcher Ermächtigungsgrundlage sie diese Verordnung erlassen hat (sog. Zitiergebot). Im Fall der aktuellen Änderungsverordnung ist das § 26a I StVG:

(1) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen über

1.

die Erteilung einer Verwarnung (§ 56 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24,

2.

Regelsätze für Geldbußen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach den §§ 24, 24a und § 24c,

3.

die Anordnung des Fahrverbots nach § 25.

 

In der Verordnung wurden aber nur die Nr. 1 und 2 des § 26a I StVG angegeben. Nr. 3 ermächtigt das Verkehrsministerium eine Verordnung betreffend die Anordnung von Fahrverboten zu erlassen. Die Verschiebung der Fahrverbotsgrenzen beruht aber letztlich erkennbar auf § 26a I Nr. 3 StVG. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit bereits Verordnungen, die gegen das Zitiergebot verstoßen für insgesamt nichtig erklärt.

Das würde bedeuten, dass die gesamte Änderungsverordnung (nicht nur betreffend die Neuregelung der Fahrverbotsgrenzen) unwirksam ist.

Jedenfalls aber dürften die neuen Fahrverbotsgrenzen unwirksam sein.

Achtung! Fahrverbote bald ab 21 km/h! Reform der StVO kommt!

Noch in diesem Jahr soll die StVO reformiert werden. Der Gesetzesentwurf hat den Bundesrat bereits passiert. Es ist damit zu rechnen, dass die Neuerungen noch dieses Jahr in Kraft treten werden.

Bleibt es dabei, was aber eigentlich absehbar ist, soll es zu folgenden Änderungen kommen:

Inhaltlich geht es vor allem um eine härtere Sanktionierung von Tempoverstößen, um härtere Strafen für Rettungsgassenverstöße und um eine Erweiterung des Schutzes für Radfahrer, Fußgänger und E-Scooterfahrern.

Besonders hart trifft es die Temposünder:

Bislang wurde ein Fahrverbot innerorts bei 31 km/h Überschreitung fällig. Diese Grenze wird auf 21 km/h gesenkt. Noch gravierender ist die Änderung außerorts. Hier darf der Ersttäter aktuell bis zu 40 km/h zu schnell fahren. Erst ab 41 km/h ist ein Regelfahrverbot vorgesehen. Diese Grenze wird sich verschieben. Zukünftig ist außerorts ab 26 km/h ein Regelfahrverbot vorgesehen.

Für die Nichtbildung einer Rettungsgasse soll nach wie vor 200,00 Euro und zwei Punkte in Flensburg fällig werden. Zukünftig kommt aber erschwerend ein Fahrverbot von einem Monat hinzu.

Wer durch die Rettungsgasse fährt, zahlt 240,00 Euro, erhält zwei Punkte und ebenfalls einen Monat Fahrverbot.

Der Schutz von Radfahrern, E-Scooterfahrern und Fußgängern soll dadurch erweitert werden, dass die Sanktion für Parken auf Geh- oder Radwegen auf 55,00 Euro angehoben wird. Kommt es zu einer Behinderung, werden 70 Euro und ein Punkt fällig.

Des Weiteren wird eine Abstandsregelung kodifiziert und zwar dergestalt, dass Autofahrer in Zukunft innerorts einen Mindestabstand von 1,5 m beim Überholen einhalten müssen. Außerorts sind es sogar 2 m.

Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen wird nicht kommen.

Fazit: Sehr begrüßenswert ist der erweiterte Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer. Krass ist die erhebliche Senkung der Grenzen zum Fahrverbot. Hier bleibt abzuwarten, ob die Gerichte nicht mit einem Absehen vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße etwas großzügiger umgehen werden.  Zumindest bei Ersttätern in den Anfangsmonaten, sollte man darauf hoffen dürfen.

Ich begrüße die neuen Temporegelungen und zwar nicht nur beruflich, weil bei mir die Kasse klingeln wird. Ich meine auch persönlich, dass diese Neuerungen dazu führen werden, dass sich das allgemeine Fahrverhalten ändern wird. Vor allem innerorts und gerade in 30 er-Zonen halte ich das für eine sehr sinnvolle Maßnahme. Wer öfter durch das benachbarte europäische Ausland fährt, der bemerkt schnell, dass man sich dort viel strikter an die Geschwindigkeiten hält. Und wer schon einmal eine Knolle aus Holland, der Schweiz oder Österreich kassiert hat, der weiß auch, warum das so ist.

Fahrrad/Pedelec/E-Scooter/Segway – Alkohol erlaubt?

Auch an Fasching gelten bekanntermaßen die Alkoholgrenzen. Ich erinnere daher heute aus Anlass des Rosenmontags, der auch im schönsten  Bundesland der Welt, also im Saarland, gebührend gefeiert wird, an die geltenden Alkoholgrenzen. Unten stehend finden Sie mein Video, in dem die Alkoholgrenzen übersichtlich erklärt werden. Außerdem habe ich einige Links zum Thema rausgesucht.

Die meisten, wenn auch leider nicht alle, Jecken sind schlau und verantwortungsvoll genug, die Umzüge zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu besuchen, wenn sie denn Alkohol trinken möchten.

Da einige sicher auch zu nicht motorisierten Fahrzeugen greifen werden, gegebenenfalls auch in der irrigen Annahme, das sei erlaubt, folgende Kurzinformation zum Thema Alkohol auf dem Fahrrad (E-Scooter, Segway, Pedelec etc.):

Hier noch einige ausgesuchte Links zu diesem Thema:

 

Verkehrsgerichtstag 2020 – Die Empfehlungen

Vom 29. bis 31. Januar fand der jährliche Verkehrsgerichtstag – eine Zusammenkunft von Verkehrsexperten – in Goslar statt. Er endet mit den Empfehlungen der Arbeitskreise.

Wer sich die Empfehlungen im Volltext durchlesen will, findet diese hier:

Meine Zusammenfassung:

Arbeitskreis I –  Grenzüberschreitende Unfallregulierung in der EU

Das materielle Schadensersatzrecht der verschiedenen EU-Länder muss für den (ausländischen) Anwalt einfacher zu verstehen sein. Die EU-Kommission soll entsprechende Hilfsmittel zur Verfügung stellen.

Des Weiteren soll für grenzüberschreitende Gerichtsprozesse ein System geschaffen werden, wie es bereits für Zivil- und Handelssachen besteht.

Einführung von Videokonferenzen für Vernehmungen im Ausland.

Kurze Verjährungsfristen in anderen EU-Staaten sollen auf mindestens drei oder vier Jahre verlängert werden.

Arbeitskreis II – Abschied vom fiktiven Schadensersatz

Empfehlung: Kein Abschied vom fiktiven Schadensersatz. Außerdem: Werkstattverweis bei fiktiver Abrechnung ist für alle Beteiligten an der Unfallregulierung nervig und zeitaufwendig. Der BGH wird gebeten, sich etwas einfallen zu lassen.

Arbeitskreis III – Aggressivität im Straßenverkehr

Schulungen und Anti-Aggressions-Maßnahmen sollen gefördert werden.

Die gesetzlichen Möglichkeiten, auf aggressives Verhalten zu reagieren, müssen konsequent ausgeschöpft werden.

Es sollte ein Bußgeld für „aggressives Posen im Straßenverkehr“ geben.

Fahrerlaubnisbehörden sollen Einsicht in das Bundeszentral- und Erziehungsregister erhalten.

Sofern sich bei einer Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahrteignung steht, Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotential ergeben, soll die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU anordnen.

Der „Alleinrasertatbestand“ (§ 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB)  sollte im Wortlaut nachgebessert werden.

Arbeitskreis IV – Praxistauglichkeit des Bußgeldverfahrens

Der Gesetzgeber soll per Gesetz regeln, unter welchen Voraussetzungen ein standardisiertes Messverfahren vorliegt. Außerdem soll er per Gesetz ein umfassendes Einsichtsrecht in die Messdateien vorschreiben.

Bußgeldverfahren sollen gegen Auflagen eingestellt werden können.

Nach einer verkehrstherapeutischen Schulung soll vom Fahrverbot abgesehen werden können.

Arbeitskreis V – Elektrokleinstfahrzeuge

Aktuell herrscht in der Bevölkerung weitgehende Unkenntnis, was man mit E-Scootern überhaupt darf und was nicht. Das erfordert mehr Öffentlichkeitsarbeit, vor allem durch die Verleihfirmen.

Öffentlichkeitsarbeit habe ich selbst ja bereits geleistet:

10 Fragen und Antworten zum E-Scooter

Außerdem:

– Mehr Infrastruktur für E-Scooter und Fahrräder

– Blinkerpflicht für E-Scooter

– Keine Zulassung von Fahrzeugen ohne Lenkstange

– Erfassung und Herausgabe der Nutzerdaten durch Verleihfirmen zum Zweck der Verfolgung von Straftaten und Orddnungswidrigkeiten

– verbindliche Astellplätze für Verleihscooter

– Prüfbescheinigungspflicht für E-Scooter

Arbeitskreis VI  – Fahranfänger – neue Wege zur Fahrkompetenz

Der Arbeitskreis begrüßt das Optionsmodell, das Folgendes vorsieht:

Drei statt zwei Jahre Probezeit, aber verkürzbar auf bis zu zwei Jahre durch Teilnahme an Schulungsmaßnahmen oder begleitetes Fahren.

Auswetung örtlicher Unfalldaten von Fahranfängern und darauf gestützte regionalisierte Fahranfängervorbereitung.

Arbeitskreis VII – Entschädigung von Opfern nach terroristischen Anschlägen

Neben Harmonisierungen der Opferentschädigung und Zentralisierungen von Strukturen, insbesondere Opferbeauftragte, empfiehlt der Arbeitskreis die Schaffung eines Fachanwaltes für Personenschadensrecht.

 

E-Roller: 10 Fragen und Antworten

1. Wo und wie ist geregelt, welche E-Roller am Straßenverkehr teilnehmen dürfen?

Die Elektrokleinstfahrzeuge-VO (https://www.gesetze-im-internet.de/ekfv/BJNR075610019.html)  enthält die Regelungen zu den sogenannten Elektrokleinstfahrzeugen, insbesondere ist darin geregelt, unter welchen Voraussetzungen diese am Straßenverkehr teilnehmen dürfen.

Unter solche Elektrokleinstfahrzeuge fallen nur Fahrzeuge, die

– eine Lenk- oder Haltestange besitzen und

– eine Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h bis 20 km/h besitzen und

– eine Leistungsbegrenzung auf 500 W bzw. 1400 Watt bei selbstbalancierenden Fahrzeugen aufweisen und

– die allgemeinen verkehrssicherheitsrechtlichen Mindestanforderungen (Bremsen, Licht, etc.) einhalten. Näheres hierzu regeln die §§ 4 – 7 der Elektrokleinstfahrzeuge-VO.

Typischer Weise handelt es sich also um Elektroroller und Segways mit Lenkstange. Im nachfolgenden ist vereinfachend von E-Rollern die Rede.

Daraus folgt auch, dass Hoverboards (selbstbalancierte Fahrzeuge ohne Lenkstange) im Straßenverkehr nach wie vor unzulässig sind.

2. Was ist der Unterschied zwischen E-Rollern und Pedelecs?

Pedelecs werden grundsätzlich durch Muskelkraft betrieben, die von einem Elektromotor unterstützt wird. Ein Pedelec arbeitet mit einem unterstützenden Motor, dessen Leistung mit zunehmender Geschwindigkeit abnimmt und bei 25 km/h vollständig endet.

Ein sogenanntes S-Pedelec (Speed-Pedelec) erreicht eine Geschwindigkeit von 45 km/h (motorunterstützt) und ist als Kleinkraftrad eingestuft (Versicherungspflicht, Führerscheinpflicht, Helmpflicht, Straßenbenutzungspflicht). Ein S-Pedelec gilt nicht mehr als Fahrrad und hat daher auf einem Radweg nichts verloren.

Demgegenüber bewegt sich ein Elektrokleinstfahrzeug ausschließlich durch den elektrischen Motor. Für dieses gelten die oben genannten Anforderungen (6 km/h bis 20 km/h max, Lenkstange, Leistungsbegrenzung auf 500 W bzw. 1400 W, verkehrssicherheitsrelevante Ausstattung, wie Bremsen, Licht etc.).

3. Wer darf E-Roller fahren?

Wer das 14. Lebensjahr vollendet hat, darf E-Roller fahren.

4. Benötigt man eine Fahrerlaubnis (Führerschein, Mofaprüfbescheinigung o. ä.)?

Nein.

5. Darf man zu Zweit auf einem E-Roller fahren?

Nein. Die Personenbeförderung ist ausdrücklich verboten (§ 8 der Elektrokleinstfahrzeuge-VO).

6. Muss ich einen E-Roller versichern?

Ja, E-Roller sind versicherungspflichtig und erhalten eine kleine Versicherungsplakette zum Aufkleben. Wenn Sie am Straßenverkehr teilnehmen möchten, muss das Fahrzeug versichert werden.

7. Wo darf ich mit einem E-Roller fahren?

Wenn es einen Radweg oder auf der Fahrbahn abgegrenzten Radfahrstreifen gibt, muss dieser benutzt werden. Gibt es keinen Radweg, darf die Fahrbahn benutzt werden. Außerhalb geschlossener Ortschaften darf auch der Seitenstreifen genutzt werden. Andere Verkehrsflächen (z.B. öffentliche Plätze) dürfen nur dann befahren werden, wenn dort das Schild „Elektrokleinstfahrzeuge frei“ angebracht ist.

Lesen Sie hierzu meinen Artikel vom 24. Mai 2019:

E-Scooter zukünftig nicht nur auf Radwegen zulässig!

8. Wie muss ich mit dem E-Roller fahren?

Mit einem E-Roller müssen Sie ähnlich wie mit einem Fahrrad fahren.

E-Roller müssen einzeln hintereinander fahren. Man darf weder freihändig fahren noch sich an einen E-Roller anhängen. Auf Fahrbahnen mit mehreren Fahrstreifen ist möglichst weit rechts zu fahren.

Hat der E-Roller keinen Blinker, muss der Fahrer vorm Abbiegen rechtzeitig Handzeichen geben.

Es gilt die allgemeine Rücksichtspflicht. Schnellere Fahrräder sind durchzulassen. Fußgänger haben auf gemeinsamen Geh- und Radwegen Vorrang.

9. Darf ich beim Fahren mit dem Handy telefonieren?

Nein. Das Handyverbot gilt auch für E-Roller. Das bedeutet, dass aktuell (Stand Januar 2020) 100 Euro und ein Punkt in Flensburg fällig werden. Es handelt sich außerdem um einen sogenannten B-Verstoß für Fahranfänger.

10. Darf ich unter Drogen oder Alkohol mit einem E-Roller fahren?

Ja, aber nur zuhause in Ihrem Wohnzimmer. Ein E-Roller ist ein Kraftfahrzeug. Es gelten die gleichen gesetzlichen Bußgeld- und Strafvorschriften, die auch für Automobile gelten (§§ 316 StGB, 24 a II StVG, …). Zu den Promillegrenzen im Straßenverkehr:

Trunkenheitsfahrt

OLG Frankfurt schlägt eine Fliege mit drei Klappen: Keine Privatisierung von Verkehrsmessungen!

Heute stelle ich drei aktuelle Entscheidungen des OLG Frankfurt vor, von denen besonders die dritte Entscheidung  die Gemüter erregen wird und das zu Recht.

Im Einzelnen:

  1. Keine Geschwindigkeitsmessung durch Private (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 6.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19)
  2. Kein Knöllchen durch Private (OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19)
  3. Verurteilung wegen Fälschung eines Messprotokolls zur Verschleierung von „privaten Messungen“ (OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19)

Zu den einzelnen Entscheidungen:

  1. Keine Geschwindigkeitsmessung durch Private – OLG Frankfurt

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass eine Verkehrsüberwachung – im konkreten Fall eine Geschwindigkeitsmessung – durch private Dienstleister unzulässig ist (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 6.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19).

Rechtsfolge: Unverwertbarkeit des Messergebnisses, also Freispruch des Betroffenen.

Der Betroffenen hatte einen Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften erhalten.

Dem Bescheid lag eine Geschwindigkeitsmessung durch einen Angestellten einer privaten GmbH zugrunde.

Die Gemeinde hatte mit dieser GmbH einen Vertrag  zum Zweck der „Unterstützung bei der Durchführung von Geschwindigkeitsprotokollen, allgemeine Datenverarbeitung und Erstellung von Messberichten“ geschlossen. Der „private Messbeamte“ war also im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung für die Gemeinde tätig.

Das Amtsgericht Gelnhausen sprach den Betroffenen frei wegen verbotener Tätigkeit eines Privaten bei der hoheitlichen Aufgabe der Geschwindigkeitsüberwachung.

Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft Hanau eingelegte Rechtsbeschwerde hat das OLG Frankfurt a. M. zurückgewiesen.

Aus den Urteilsgründen:

„Die vorliegend durchgeführte Verkehrsüberwachung durch den gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirk der Gemeinden Freigericht und Hasselroth ist gesetzeswidrig. Die im hoheitlichen Auftrag von einer privaten Person durchgeführte Geschwindigkeitsmessung hat keine Rechtsgrundlage. In der Folge hätte das Regierungspräsidium Kassel keinen Bußgeldbescheid erlassen dürfen. … In der Folge dieses gesetzwidrigen Handelns sind sämtliche Verkehrsüberwachungen des gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirks der Gemeinden Freigericht und Hasselroth mindestens seit dem 23.03.2017 unzulässig … Darüber hinaus dürfte dies auch für die Gemeinden Brachttal und Nidderau gelten, da der Zeuge dort…ebenfalls unter den genannten Bedingungen tätig war“. (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 6.11.2019, Az. 2 Ss-OWi 942/19)

  1. Kein Knöllchen durch Private – OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19

Die Frage, ob auch Verstöße im ruhenden Verkehr, also Parkverstöße, umgangssprachlich: Knöllchen, einem Verwertungsverbot unterliegen, wenn die Knöllchen von einem Privatunternehmen verteilt wurden, hat das OLG Frankfurt am Main ebenfalls bejaht (OLG Frankfurt, a. a. O.).

Ebenso wie die Auswertung von Messungen, ist die Erhebung der Messdaten, also die Durchführung der Messung hoheitliche Aufgabe. Werden diese Aufgaben durch Private durchgeführt, sollte man sich verteidigen.

Zur Erinnerung: Das OLG des Saarlandes hat zum Thema „Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen durch Private“ bereits im Jahr 2017 entschieden, dass das Vorgehen der Kreisstadt Neunkirchen rechtswidrig war und meinen Mandanten freigesprochen:

Freispruch! OLG Saarbrücken verwirft Geschwindigkeitsmessungen der Stadt Neunkirchen

Wie aber finde ich als Betroffener heraus, ob die Messung von einem privaten Unternehmen durchgeführt wurde oder nicht?

Hierzu ist zunächst durch einen Verteidiger Akteneinsicht zu nehmen.

Bislang konnte man mit dem nötigen Glauben an den Gutwill der Behörde, anhand des Messprotokolls und der Schulungsnachweise feststellen, ob ein Bediensteter der Stadt bzw. ein Beamter die Messung durchgeführt hat. Zudem kann man eine Vernehmung der Messbeamten beantragen. Eine solche Vernehmung findet auch regelmäßig statt.

Dass man nie auslernt, zeigt die letzte in diesem Themenkomplex zu erwähnende Entscheidung des OLG Frankfurt:

  1. Verurteilung wegen Fälschung eines Messprotokolls zur Verschleierung von „privaten Messungen“

Was man da liest, schlägt dem Fass den Boden aus.

 

Das OLG Frankfurt hat in einer Strafsache wegen Urkundenfälschung als Revisionsinstanz entschieden:

 

„Die von einem „privaten Dienstleister“ vorgenommene gesetzeswidrige Verkehrsmessung und das dabei von ihm erstellte Messprotokoll, das vorher von dem zuständigen Ordnungspolizeibeamten blanko unterschrieben worden war, damit verschleiert wird, dass die Verkehrsmessung nicht – wie gesetzlich vorgesehen – von der Polizei durchgeführt worden ist, stellt nicht nur eine schriftliche Lüge dar, sondern eine strafbare Falschbeurkundung im Amt durch den Ordnungspolizeibeamten, zu dem der private Dienstleister Beihilfe geleistet hat“.  (OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19)

Folgendes war passiert:

 

„Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte A als „privater Dienstleister“ gesetzeswidrig Verkehrsmessungen vorgenommen, (vor-)ausgewertet und Messprotokolle erstellt, die in einer Vielzahl von Bußgeld- und Verwarngeldverfahren als Beweismittel Verwendung gefunden haben. Dies erfolgte im bewusstem, kollusiven Zusammenwirken mit dem Angeklagten B als zuständigem Ordnungspolizeibeamten, der zur Verschleierung dem Angeklagten A eine von ihm unterzeichnete Kopie eines Blankomessprotokolls zur Verfügung gestellt hat. Da in den vom Angeklagten A erstellten und digitalisierte Messprotokollen der Angeklagte B als Messbeamter aufgeführt war, sollte auf diese Weise suggeriert werden, dass die Messungen von dem Hoheitsträger durchgeführt wurden. Auf diese Weise wurde im Rahmen der gesamten elektronischen Aktenführung – was beide Angeklagte wussten – unter Täuschen der Zentralen Bußgeld- und Verwarnstelle in eine Vielzahl von Fällen Buß- und Verwarngelder erlassen, die so nicht hätten ergehen dürfen.“ (OLG Frankfurt a. a. O.)

Die Verurteilten haben sich übrigens damit verteidigt, es liege keine Urkundenfälschung vor, da ein Messprotokoll keine Urkunde nach § 348 StGB darstelle.  Dieser Rechtsansicht hat das OLG Frankfurt eine klare Absage erteilt.

 

Fazit: Es soll keiner Behörde oder Gemeinde unterstellt werden, dass dort ebenfalls ein solches Vorgehen stattfindet. Nach dieser Entscheidung ist das allerdings auch nicht mehr auszuschließen. Wer in Verkehrsordnungswidrigkeiten verteidigt, sollte sich zukünftig nicht mehr mit dem Messprotokoll und den Schulungsnachweisen des Messbeamten zufrieden geben. Private Unternehmen, die meist als Kapitalgesellschaften organisiert sind und damit den Zweck der Gewinnerzielung verfolgen, dürfen nicht Herren eines Bußgeldverfahrens werden, schon gar nicht heimlich und verdeckt.

 

Verschleierungen von Beteiligungen privater Unternehmen müssen aufgedeckt und angegriffen werden.

 

Verkehrsüberwachung ist eine hoheitliche Aufgabe. Sie soll der Verkehrssicherheit und nicht dem Gewinnstreben Privater dienen!

 

AG St. Ingbert: Es werde geblitzt! Leivtec XV3-Messungen wieder verwertbar.

Im Saarland werden nach einer aktuellen Entscheidung des Amtsgerichts St. Ingbert Messungen mit dem Leivtec XV 3 wieder gegen die Betroffenen verwertet.

Das Amtsgericht St. Ingbert hat mit Urteil vom 29.10.2019 – 25 OWi 66 Js 1919/19 – (2968/19) entschieden, dass es genügt, wenn ein Messverfahren eine nachträgliche „falsifizierende Plausibilitätseinschätzung“ ermöglicht. Im konkret entschiedenen Fall ging es um eine Messung mit dem Gerät Leivtec XV 3. Das Amtsgericht hat aber zu weiteren Messgeräten, namentlich Multanova und Poliscan – klargestellt, dass auch mit diesen gemessen werden darf.

Das AG St. Ingbert führt aus, dass eine nachträgliche Plausibilitätskontrolle beim Leivtec XV3, beim Multanova und bei Poliscan Messgeräten grundsätzlich möglich ist. Aus den Gründen:

„Der VerfGH hat jedoch nicht entschieden, ob – sofern mehr Daten als bei dem Messgerät TraffiStar S 350 gespeichert sind – die geforderte Plausibilisierungsmöglichkeit ausschließlich aufgrund vollständig gespeicherter Messdaten oder in anderer Art und Weise möglich sein muss.

Bei dem hier verwendeten Messgerät Leivtec XV 3 sind zwei Arten der Plausibilisierung ohne Rückgriff auf sämtliche in die Messwertbildung eingehenden Daten möglich, nämlich durch Weg-Zeit-Berechnung (vgl. Leivtec XV 3, Geschwindigkeitsüberwachungsgerät, Beschreibung des Messverfahren, Stand 3.3.2015, 13 ff) sowie durch Photogrammetrie (vgl. Leivtec XV 3, a.a.O., 19 ff):

–  Plausibilitätsprüfung durch Weg-Zeitberechnung
(Ziff. 4.1, Seite 13): In der aktuellen Version 2.0 des
Referenzauswertprogramms wird neben dem abgerundeten XV3 Gerätemesswert
zusätzlich der Wert XV3 Geschwindigkeit vor Abrundung angezeigt. Für eine
Plausibilitätsprüfung kann jetzt der Wert XV3 Geschwindigkeit vor Abrundung mit
der durch die Plausibilitätsberechnung ermittelten Geschwindigkeit
Auswertstrecke verglichen werden. Eine Verfälschung durch Abrundungseinflüsse
wird somit vermieden. Die Berechnung der Abweichung beider Geschwindigkeiten
wird vom Referenz-Auswertprogramm Speed Check bereits durchgeführt als
Geschwindigkeitsdifferenz im Fenster zur Anzeige von Zusatzdaten angezeigt. Die
Geschwindigkeitsdifferenz kann aber natürlich zur Kontrolle anhand zusätzlich
dargestellter Hilfsgrößen nochmals überprüft werden.

– Plausibilitätsprüfung durch Photogrammetrie (Ziff. 4.3,
Seite 19): Unter Zuhilfenahme der Parameter von Kamera und Objektiv kann
mittels photogrammetrischer Auswertung der Abstand der Fahrzeuge zur
Messeinheit im Messung- Start- und Messung-Ende-Bild ermittelt werden. Die so
ermittelte Abstandsdifferenz des gemessenen Fahrzeugs zusammen mit der in Speed
Check angezeigten „Zeitdifferenz zwischen Messung-Start-Bild und
Messung-Ende-Bild“ ermöglicht die Berechnung eines „Photogrammetrie-Geschwindigkeitswertes“.

Beide Plausibilisierungsverfahren können – wie die
Gerichtspraxis zeigt – durch Sachverständige ohne weiteren Aufwand und ohne
Rückgriff auf nicht zur Verfügung stehende Algorithmen durchgeführt werden und
bedürfen keiner Erstellung eines Modells, welches wohl auch nur besonders
befähigte bzw. ausgebildete Sachverständige erstellen könnten.

Eine unter Berücksichtigung von Toleranzen erfolgte
Plausibilitätsbetrachtung kann den Gerätemesswert zwar nicht ersetzen, sondern
lediglich bestätigen oder anzweifeln. Verbleiben Zweifel, hat das Gericht
individuell den vorwerfbaren Geschwindigkeitsmesswert zu ermitteln, also das zu
tun, was es bei nicht-standardisierten Messverfahren ohnehin zu tun hätte,
nämlich die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 261 stopp auszuüben
(hierzu Dr. Peukert, a.a.O.).

Das auf den Gerätetyp S 350 bezogene nicht näher
begründete landesverfassungsrechtliche Verwertungsverbot stünde nur dann in
offenkundigem Widerspruch zur bundesverfassungsrechtlich bestätigten
Strafrechtsprechung, die für Verwertungsverbote eine ausdrückliche gesetzliche
Vorschrift verlangt oder aber einen wichtigen Grund im Einzelfall, wenn der
Begriff „Plausibilisierung“ durch „Verifizierung“ ersetzt würde, was der VerfGH
gerade nicht getan hat. Deshalb ist für jeden Gerätetyp gesondert zu prüfen, ob
eine nachträgliche Plausibilitätskontrolle möglich ist oder nicht. Ist diese
möglich, ist nicht von einem Verwertungsverbot betreffend erlangte Messdaten
auszugehen.

Das vom VerfGH angenommene Verfahrensgrundrecht kann
somit im Ergebnis nicht verletzt sein, wenn ohne weiteres zugängliche und
leicht zu handhabende Plausibilisierungsmöglichkeiten – wie hier bei Leivtec XV
3 – bestehen.

Dies gilt, wenn auch für vorliegende Entscheidung
nicht von Bedeutung, wohl ebenfalls für Messungen mit anderen Messgeräten, bei
denen Messdaten gelöscht/nicht gespeichert werden: Bei Messungen mit dem Gerät
PoliScan der Fa. Vitronic werden neben den Orts- und Zeitkoordinaten von erstem
und letztem Messpunkt 3 weitere Punkte gespeichert, was eine photogrammetrische
Auswertung ermöglicht. Bei dem Messgerät Multanova der Fa. Jenoptik handelt es
sich – anders als bei S 350 – um ein halb-analoges Messsystem, welches einen
aufmerksamen Messbetrieb erfordert und als halb-analoges Messsystem die
Messdaten nicht speichert. Die Überprüfung der richtigen Positionierung des
Messgerätes – auch hier besteht ein Unterschied zu S350, denn diese wird nicht
digital erfasst, verwertet oder gespeichert – kann durch photogrammetrische
Auswertung erfolgen. Der Geschwindigkeitsmesswert kann ferner bei diesen beiden
Messgeräten – soweit ein geeignetes Messfoto zur Verfügung steht, was bei allen
verwertbaren Fällen ohnehin der Fall sein sollte – mit Hilfe des Smear-Effektes
überprüft werden.

Messung und Messergebnis waren daher vorliegend uneingeschränkt verwertbar.“ ( AG St. Ingbert, Urteil vom 29.10.2019 – 25 OWi 66 Js 1919/19 (2968/19))

Blitzer verwertbar oder nicht? Ein kurzer Überblick über den aktuellen Sachstand.

Zwischenzeitlich schlug das Urteil des Saarländischen Verfassungsgerichts zur Unverwertbarkeit von Geschwindigkeitsmessungen – https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/messungen-unverwertbar-saarl-verfg-hebt-verurteilung-auf/ – bereits – bei mehreren Obergerichten auf.

Hier ein kleiner Überblick:

OLG Zweibrücken zum Poliscan FM1

Das OLG Zweibrücken hat sich aktuell mit dem Traffistar sondern mit dem Poliscan FM1 befasst. Da seit längerem auf der BAB 6 im Umkreis von Kaiserslautern regelmäßig Anhänger aufgestellt werden, die mit diesem Messgerät ausgestattet sind (Trailer), ist diese Entscheidung für mich und meine Mandanten von großem Interesse.

Das OLG Zweibrücken hat ausgesprochen, dass eine nachträgliche Überprüfung der Messung, wie vom Saarländischen Verfassungsgericht gefordert, bei diesem Messsystem grundsätzlich möglich sei. Von daher ist die Verwertung der Polscan Trailermessungen in Rheinland-Pfalz weiterhin zulässig.

AG St. Ingbert

Das für das Saarland für Geschwindigkeitsverstöße zuständige Amtsgericht St. Ingbert hat in einer aktuellen Entscheidung seinen Unmut darüber geäußert, dass es die Traffistarverfahren einstellen muss, folgt aber der eindeutigen Ansage aus Saarbrücken.

Für das Saarland gilt im Übrigen, dass derzeit Verfahren bei folgenden Messsystemen regelmäßig eingestellt werden: Poliscan, Traffistar und Leivtec. Gemäß ministerialer Anordnung darf – bis zu einem zu erwartenden Softwareupdate – mit diesen Geräten auch nicht mehr gemessen werden.

OLG Karlsruhe

Das OLG Karlsruhe hat darauf hingewiesen, dass es an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten wird, wonach es nicht darauf ankommt, ob eine nachträgliche Überprüfbarkeit der Messdateien ermöglicht wird oder nicht. Nach Ansicht des OLG Karlsruhe liegt in jedem Falle ein standardisiertes Messverfahren vor.

OLG Stuttgart

Das OLG Stuttgart hatte einen entspreche Rechtsbeschwerde zur Entscheidung vorliegen. Allerdings hatte die dortige Betroffene sich während des Verfahrens nicht um die Messdateien bemüht und demzufolge lag auch kein Verstoß gegen ein faires Verfahren vor. Schließlich fehlte es auch an der fristgerecht eingereichten Verfahrensrüge. Die eigentliche Frage der Verwertbarkeit konnte das OLG Stuttgart daher offenlassen. Für Baden-Württemberg lieg eine recht eindeutige Stellungnahme des Verkehrsministeriums vor:

https://vm.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/kein-freibrief-fuer-temposuender-im-land/

Jenoptik selbst hat bereits angekündigt, ein Softwareupdate für das Traffistar S350, das kurzfristig ohnehin angestanden hätte, vorerst zu verschieben und eine umfassendere Option in den Markt zu bringen.

Die Tendenz:

Dem positiven Beispiel des schönen Bundeslandes Saarland („Kleinbonum“), in dem ich meine beiden Büros betreiben darf, folgen die übrigen Bundesländer wohl nicht. Das war leider absehbar.

Messungen unverwertbar! Saarl. VerfG hebt Verurteilung auf!

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat mit Urteil vom 5.7.2019 – Lv 7/17 – entschieden, dass die Nichtspeicherung von Rohmessdaten bzw. das Nichtzurverfügungstellen das Grundrecht des Betroffenen auf ein faires gerichtliches Verfahren (Art. 60 Abs. 1 der Saarländischen Verfassung i.V.m. Art 20 der Saarländischen Verfassung) verletzt. Gegenstand des Urteils ist das Messverfahren Traffistar S350 der Firma Jenoptik.

Das Urteil finden Sie im Volltext hier:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/wp-content/uploads/2019/07/2019-Lv-7-17-Anonym.pdf

Diese Entscheidung hatte sich nach der mündlichen Verhandlung vom 9.5.2019 abgezeichnet::

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/geblitzt-sofort-einspruch-einlegen-messungen-im-saarland-sind-vermutlich-verfassungswidrig/

Das Saarlandische Verfassungsgericht führt aus:

Fehlt es an ihnen (Anmerk. d. Unterzeichners: den Rohmessdaten) und vermag sich eine Verurteilung nur auf das dokumentierte Messergebnis und das Lichtbild des aufgenommenen Kraftfahrzeugs und seines Fahrers zu stützen, so fehlt es nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren, wenn sich ein Betroffener wie hier – selbst ohne nähere Begründung – gegen das Messergebnis wendet und ein Fehlen von Rohmessdaten rügt. Eine Verurteilung kann dann auf dieser Grundlage nicht erfolgen.

Saarl. VerfG a. a. O.

Der Saarl. VerfG hat die Entscheidungen des Amtsgerichts Saarbrücken und des Saarländischen Oberlandesgerichts aufgehoben, die gegen den Betroffenen ergangen waren.

Wenn zu den rechtlichen Rahmenbedingungen eines standardisierten Messverfahrens zählt, sich mit Einwänden gegen seine Ergebnisse wenden zu dürfen, so darf einem Betroffenen nicht von vornherein abgeschnitten werden, solche Einwände erst zu ermitteln.

Saarl. VerfG a. a. O.

Damit löst der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes den von einigen Verteidigern seit Jahren angeprangerten „Teufelskreis“ bei standardisierten Messverfahren.

Ist ein Messverfahren von der Rechtsprechung als standardisiert anerkannt, muss der Betroffene nämlich konkrete Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung aufzeigen, um das Gericht zu veranlassen, die Messung in seinem Einzelfall auf ihre Ordnungsgemäßheit hin zu überprüfen.

Nach richtiger Ansicht des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes ist er hierfür aber gerade auf die Zurverfügungstellung der Messdateien angewiesen.

Der Verfasssungsgerichtshof des Saarlandes zieht einen Vergleich zu DNA-Beweisen und Blutprobenanalysen:

Solange eine Messung aber nicht durch die Bereitstellung der Datensätze – einschließlich auch der Statistikdatei – einer Nachprüfung durch die Verteidigung des Betroffenen zugänglich ist, würde der alleinige Verweis auf die Verlässlichkeit der Konformitätsprüfung – die im Übrigen keiner öffentlichen Transparenz und keiner Kontrolle der von der Verwendung der Messgeräte Betroffenen unterliegt – schlicht bedeuten, dass Rechtsuchende auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuernden Algorithmen ausgeliefert wären. Das ist nach der Überzeugung des Verfassungsgerichtshof weder bei Geschwindigkeitsmessungen noch in den Fällen anderer standardisierter Messverfahren – wie beispielsweise der Blutprobenanalyse und der DNAIdentitätsmusterfeststellung – rechtsstaatlich hinnehmbar. Auch in den genannten Beispielsfällen käme niemand auf den Gedanken, dass die untersuchten gesicherten Substanzen sofort nach ihrer Analyse vernichtet werden könnten und nachträglichen Zweifeln eines Beschuldigten an der Richtigkeit der Feststellungen nicht nachgegangen werden müsste, weil das Ergebnis der standardisierten Untersuchungen in aller Regel zutreffend sei.

Denn zu einer wirksamen Verteidigung gehört nicht nur, ein Gericht auf solche ihm ohnehin ins Auge fallenden Umstände aufmerksam zu machen, sondern nachforschen zu können, ob es bislang gerade nicht bekannte Zweifel an der Tragfähigkeit eines Vorwurfs gibt. Muss das Gericht die näheren technischen und physikalischen Umstände der Geschwindigkeitsmessung im Rahmen des standardisierten Messverfahrens nicht aufklären und bliebe die Aufklärung zugleich auch dem Betroffenen verwehrt, würde die Tatsachengrundlage der Verurteilung letztlich jeder gerichtlichen Überprüfung entzogen.

Saarl. VerfG a. a. O.

Damit sind Messungen, die mit dem Traffistar S350 der Firma Jenoptik im Saarland durchgeführt wurden und – wie allgemein üblich – auch im Saarland geahndet werden, derzeit nicht verwertbar, jedenfalls nicht, solange der Messgerätehersteller die Rohmessdaten nicht zur Verfügung stellt. Da die Software diese Daten nach wie vor löscht, jedenfalls ist das der aktuelle diesseitige Kenntnisstand, dürfte eine nachträgliche Zurverfügungstellung derzeit ausscheiden.

Die Rechtsfolge ist klar:

Sind die Ergebnisse des Messverfahrens mit dem Messgerät Traffistar 350S folglich wegen einer verfassungswidrigen Beschränkung des Rechts auf eine wirksame Verteidigung unverwertbar, sind die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben. (Hervorh. d. Unterz.)

Saarl. VerfG a. a. O.

Der Saarländische Verfassungsgerichtshof macht des Weiteren eine unmissverständliche Ansage an die Gerichte des Saarlandes, vor allem also an das Amtsgericht St. Ingbert, das nach der Strukturreform praktisch alleine zuständig für solche Verfahren im Saarland ist, und das Oberlandesgericht des Saarlandes:

Gerichte des Saarlandes sind – vorbehaltlich einer abweichenden späteren Entscheidung eines Bundesgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts – an die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes gebunden. Soweit dies lediglich einen konkreten Streitfall betrifft, ist allerdings aus gegebenem Anlass darauf hinzuweisen, dass in gleich gelagerten Streitfällen – vorbehaltlich der Zulassung eines Rechtsbehelfs zu einem Bundesgericht – der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes abweichende Entscheidungen saarländischer Instanzgerichte korrigieren wird. (Hervorh. d. Unterz.)

Saarl. VerfG a. a. O.

Sehr anschaulich hebt das Saarl. Verfassungsgericht die Bedeutung der Grundsätze des fairen Verfahrens und der Überprüfbarkeit staatlicher Sanktionen hervor, indem es ausführt:

Zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verurteilung einer Bürgerin oder eines Bürgers gehört, dass er die tatsächlichen Grundlagen seiner Verurteilung zur Kenntnis nehmen, sie in Zweifel ziehen und sie nachprüfen darf. Das gilt nicht nur in Fällen strafrechtlicher Sanktionen, sondern stets. Staatliches Handeln darf, so gering belastend es im Einzelfall sein mag, und so sehr ein Bedarf an routinisierten Entscheidungsprozessen besteht, in einem freiheitlichen Rechtsstaat für die Bürgerin und den Bürger nicht undurchschaubar sein; eine Verweisung darauf, dass alles schon seine Richtigkeit habe, würde ihn zum unmündigen Objekt staatlicher Verfügbarkeit machen. Daher gehören auch die grundsätzliche Nachvollziehbarkeit technischer Prozesse, die zu belastenden Erkenntnissen über eine Bürgerin oder einen Bürger führen, und ihre staatsferne Prüfbarkeit zu den Grundvoraussetzungen freiheitlich-rechtsstaatlichen Verfahrens.

Saarl. VerfG a. a. O.

Abschließend weise ich noch darauf hin, dass die Problematik der Nichtzurverfügungstellung von Rohmessdaten keine ist, die ausschließlich das Messsystem Traffistar S350 betrifft. Das Amtsgericht St. Ingbert hatte mit Urteil vom 26.4.2017 – 2 OWi 379/16 – die nachträgliche Löschung der Rohmessdaten bei dem Messgerät Leivtec XV3, das im Saarland sehr verbreitet ist, bemängelt und den Betroffenen freigesprochen.

Zum ESO ES 3.0:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/eso-es-3-0-freispruch/


Geblitzt? Sofort Einspruch einlegen! Messungen im Saarland sind vermutlich verfassungswidrig!

Der Saarländische Verfassungsgerichtshof hat am 9.5.2019 über die Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen verhandelt. Gegenstand der Verhandlung war die Frage, ob die sogenannten Rohmessdaten einer Geschwindigkeitsmessung vom Messgerät gespeichert werden müssen.

Prozessbeobachter vermuten nach dem Verlauf der Verhandlung, dass der Saarländische Verfassungsgerichtshof diese Frage bejahen wird. Das vermute ich ebenfalls.

Die Verhandlung hat bundesweit großes mediales Interesse geweckt:

Spiegel Online – Richter zweifeln an Fairness von Bußgeldverfahren

SR – Verfassungsbeschwerde wegen Blitzer

FOCUS – Beschwerde gegen Geldbuße: Verfassungsrichter zweifeln Zulässigkeit von Blitzern an

Bereits mit Beschluss vom 27.4.2018 – Lv 1/18 – hatte der Saarländische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass ein Betroffener Anspruch auf Einsicht in diese Rohmessdaten hat:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/verfassungsgerichtshof-des-saarlandes-betroffener-hat-anspruch-auf-einsicht-in-die-messdateien/

Das Gericht hat klargestellt, dass der Betroffene einer Verkehrsmessung darauf angewiesen ist, diese Daten zu erhalten, um überhaupt in der Lage zu sein, Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung nachzuweisen.

Jedenfalls für das Saarland steht seitdem fest, dass der Betroffene die Rohmessdaten auf Antrag seines Verteidigers erhält und überprüfen lassen kann.

Was war also das Problem des Falles, der am 9.5.2019 verhandelt wurde? Der Betroffene hätte doch die Daten erhalten können/müssen?

Das Problem war, dass der Messgerätehersteller Jenoptik im Rahmen eines Softwareupdates die Software des Messgerätes geändert hat und zwar dahingehend, dass fast sämtliche Rohmessdaten der Messung gelöscht werden. Mit den verbliebenen Daten lässt sich aber ein Messfehler kaum nachweisen.

Diese Problematik war bereits Gegenstand eines Freispruchs des Amtsgerichts St. Ingbert vom 26.4.2017 – 2 OWi 379/16. Das Amtsgericht St. Ingbert, inzwischen das „zentrale“ Bußgeldgericht des Saarlandes, hatte damals einen Betroffenen freigesprochen und ausdrücklich gerügt, dass der Hersteller Jenoptik die Rohmessdaten durch das Softwareupdate gelöscht hatte.

Auch was die Auswertung der Messungen angeht, erlitten Jenoptik und die Stadt Neunkirchen damals vorm Oberlandesgericht des Saarlandes eine derbe Schlappe. An das Verfahren kann ich mich noch gut erinnern, denn ich habe es als Verteidiger geführt. Zur Erinnerung:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/freispruch-olg-saarbruecken-verwirft-geschwindigkeitsmessungen-der-stadt-neunkirchen/

Der Verfassungsgerichtshof hörte anlässlich der Verhandlung vom 9.5.2019 Sachverständige, unter anderem von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, an.

Die Entscheidung soll Ende Juni 2019 ergehen.

Sollte sich die Einschätzung bestätigen, dass der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes zu Gunsten des Betroffenen entscheiden wird, wird auch für alle anderen anhängigen Bußgeldverfahren die Forderung aufgestellt werden müssen, dass die Rohmessdaten einer Messung gespeichert werden müssen. Das ist allerdings nicht nur bei dem konkret verwendeten Messgerät nicht der Fall gewesen sondern bei den meisten „standardisierten Messverfahren“ – also fast allen Messsystemen – nicht üblich.

Dann kann nach meiner Bewertung der Rechtslage für alle Verfahren, in denen eine solche Speicherung nicht erfolgte, auf eine Verfahrenseinstellung bzw. einen Freispruch verteidigt werden.

Dies gilt jedenfalls für Verstöße, die im Saarland begangen wurden und hier anhängig sind. Ob die Entscheidung bundesweit „durchschlägt“, halte ich für fraglich.

Was müssen Sie jetzt tun, wenn Sie geblitzt wurden?

1. Einspruch einlegen! Es sollte keinesfalls zur Rechtskraft der Entscheidung kommen, da nach meiner Einschätzung ein Wiederaufnahmeverfahren nicht erfolgversprechend ist, denn

2. Sie sollten die Beiziehung und Zurfverfügungstellung der Rohmessdaten Ihres Falles bereits bei der Bußgeldstelle beantragen.

Bereits an dieser Stelle setzt für den Betroffenen das erste Problem ein. Denn als Betroffener haben Sie keinen Anspruch auf Übersendung Ihrer Fallakte an Sie persönlich. Abgesehen davon, dürfte die Antragstellung für den Laien problematisch sein. Sie sollten daher frühzeitig anwaltliche Hilfe suchen, so dass noch im Verfahren vor der Bußgeldbehörde agiert werden kann.

Die Kosten hierfür übernimmt Ihr Rechtsschutzversicherer. Sind Sie nicht rechtsschutzversichert, aber mit einem PKW gefahren, der auf eine rechtsschutzversicherte Person oder ein Unternehmen zugelassen ist (z.B. Firmenwagen) übernimmt der Rechtsschutzversicherer des Halters die Kosten.

Die Rechtsprechung verfährt in Fällen, in denen der Betroffene sich nicht bereits im Verfahren vor der Bußgeldstelle ernsthaft um den Erhalt der Messdateien bemüht hat, generell zurückweisend.

Sie können also nicht einfach Einspruch einlegen und abwarten in der Hoffnung, dass Ihr Verfahren vom Amtsgericht St. Ingbert oder der zuständigen Bußgeldstelle eingestellt wird, wenn die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ergangen sein wird.

Nach meiner Prognose wird es eine „generelle Einstellung“ dieser Verfahren nicht geben.

Zu erwarten ist, dass die Messgerätehersteller per Softwareupdate eine Speicherung der Rohmessdaten herbeiführen werden. Für die bereits laufenden verfahren und die derzeitigen Blitzer kann das aber nach meiner Einschätzung keine „Heilung“ mehr bewirken.

Zur Identifizierung des Fahrers durch Sachverständigengutachten – „Höchstwahrscheinlich“ reicht nicht (OLG Oldenburg)

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in einer aktuellen Entscheidung noch einmal klargestellt, welche Anforderungen in einem Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren an die Identifizierung des Fahrers zu stellen sind. Die konkrete Entscheidung behandelt das Thema Identifizierung durch Einholung eines Gutachtens.

Dem Betroffenen wurde ein Geschwindigkeitsverstoß vorgeworfen. Er bestritt, der auf dem Messfoto abgebildete Fahrer zu sein. Das Amtsgericht holte daraufhin ein Gutachten ein. Hierzu ist anzumerken, dass es durchaus üblich ist, dass das Gericht ein anthropologisch-morphologisches Gutachten (Identitätsgutachten) einholt, wenn es sich anhand des Messfotos alleine nicht von der Fahrereigenschaft überzeugen kann.

Es ist also nicht ungewöhnlich, dass bei schlechter Qualität des Messfotos ein solches Gutachten eingeholt wird.

Der Gutachter kam im Verfahren vor dem Amtsgericht zu der Überzeugung, dass der Betroffene „höchstwahrscheinlich“ der auf dem Messfoto abgebildete Fahrer sei, allerdings mit der Einschränkung, dass kein Blutsverwandter in Betracht komme.

Allein auf diese Einschätzung stützte das Amtsgericht die Verurteilung des Betroffenen.

Das OLG Oldenburg führt zu diesem Vorgehen zutreffend aus:

„Dass jemand „höchstwahrscheinlich“ eine Straftat oder wie hier eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, rechtfertigt eine Verurteilung nicht.“ (OLG Oldenburg, Beschluss vom 22.6.2018 – 2 Ss (OWi) 176/18)

Das OLG Oldenburg hat die Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes.

Es hat darauf hingewiesen, dass eine Feststellung der Fahrereigenschaft in einem solchen Fall zusätzlich weitere Feststellungen erfordere, etwa dass der Betroffene im Tatzeitpunkt Halter des Fahrzeugs war oder dem Halter so nahe stehe, dass er auch Zugriff auf das Fahrzeug hatte.

Die Feststellung der Fahrereigenschaft spielt im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht eine große Rolle, da einzige Beweismittel häufig das Messfoto bzw. die Messfotos oder das Messvideo sind.

Insofern als es dem Betroffenen frei steht, zu bestreiten, dass er der auf dem Messfoto abgebildete Fahrer ist, Messfotos aber nicht selten von zweifelhafter Qualität sind und zudem Gesichtspartien verdeckt sein können, ranken sich viele Entscheidungen um das Thema „Fahreridentifizierung“.

Dass der vorliegende Wahrscheinlichkeitsgrad, den der Gutachter mit „höchstwahrscheinlich unter Ausnahme eines Blutsverwandten“ angenommen hat, für sich  alleine betrachtet nicht ausreicht, hätte sich dem Amtsgericht aufgrund der ständigen Rechtsprechung aufdrängen müssen.

Wie die Sache nach der Zurückverweisung und erneuten Verhandlung für den Betroffenen ausging, ist nicht veröffentlicht. Jedenfalls sollte jedem Betroffenen klar sein, dass er nicht verpflichtet ist, sich als Fahrer zu erkennen zu geben. Des Weiteren ist es sein gutes Recht, die Fahrereigenschaft zu bestreiten.

Vorschnelle Reaktionen auf Anhörbögen sollten daher dringend vermieden werden!

Die Nichtbeantwortung eines Anhörbogens ist im Übrigen keine Ordnungswidrigkeit. In dem Moment, in dem Ihre Daten der Behörde bekannt sind, entfällt der in Anhörbögen regelmäßig zitierte Tatbestand des § 111 OWiG. Falls Sie Post von der Bußgeldstelle erhalten haben, rufen Sie mich an, bevor Sie irgendwelche Angaben machen.

Der auf dem Beitragsfoto abgebildete Fahrer bin übrigens nicht ich … oder doch?

Rotlichtverstoß – Kein Fahrverbot bei „Mitzieheffekt“

Das Kammergericht Berlin hatte in seinem Beschluss vom 2.11.2018 – 3 Ws (B) 274/18, 3 Ws (B) 274/18 – 162 Ss 123/18 – Gelegenheit sich mit dem Thema „Mitzieheffekt“ beim Überfahren einer roten Ampel zu befassen.

Zu diesem Thema finden Sie mehrere Beiträge und Rechtsprechungsnachweise auf meiner Homepage.

Bei dem sogenannten Mitzieheffekt geht es um folgende Grundkonstellation:

Ein Betroffener ist bei Rot über eine Ampel gefahren. Die Ampel war bereits länger als eine Sekunde rot. Das nennt man einen qualifizierten Rotlichtverstoß oder auch „Sekundenverstoß“. Dieser Verstoß zieht ein Fahrverbot von einem Monat nach sich, weshalb er auch Gegenstand zahlreicher Prozesse ist.

Trägt der Betroffene glaubhaft einen Mitzieheffekt vor, entfällt die grobe Sorgfaltswidrigkeit, die einem qualifizierten Rotlichtverstoß eigentlich nach dem Willen des Gesetzgebers innewohnt. Vom Fahrverbot ist dann abzusehen und zwar eigentlich ohne Erhöhung der Geldbuße.

Wann aber liegt ein solcher Mitzieheffekt vor?

Das KG Berlin hat das- im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung – noch einmal klargestellt:

Ein Mitzieheffekt kann den Fahrlässigkeitsvorwurf beim Rotlichtverstoß allenfalls dann verringern, wenn der Betroffene zunächst rechtstreu an der Lichtzeichenanlage anhält, dann aber, z. B. veranlasst durch das Anfahren anderer Verkehrsteilnehmer, unter Nichtbeachtung des Rotlichts losfährt („Sog-Wirkung“).

KG Berlin, Beschluss vom 2.11.2018 – 3 Ws (B) 274/18, 3 Ws (B) 274/18 – 162 Ss 123/18


Eine typische Fallkonstellation des Mitzieheffektes ist diejenige, dass der ortsfremde Betroffene an einer unübersichtlichen Ampelanlage anhält und sich beim Losfahren von einem oder mehreren Fahrzeugen auf der falschen Spur „mitziehen“ lässt.

Im konkreten Fall, den das KG Berlin zu entscheiden hatte, hat der Betroffene vorgetragen, er sei ortsfremd und hinter einem Fahrzeug hergefahren. Er hat gerade nicht behauptet, an der Ampel angehalten und wieder losgefahren zu sein in der durch andere Fahrzeuge veranlassten irrigen Annahme, die Ampel habe auch für ihn auf Grün geschaltet.

Das KG Berlin hat seine Rechtsbeschwerde verworfen. Es blieb daher beim Fahrverbot.

Fazit: Auch wenn man meinen könnte, Rotlichtverstöße seien eigentlich immer gleichgelagerte Fälle, nach dem Motto: „Ampel rot = Rotlichtverstoß“, bedarf es einer sehr genauen Einzelfallbetrachtung, wie es zu dem Verstoß kam. Denn das ergibt sich in der Regel nicht aus der Akte, jedenfalls nicht, wenn der Betroffene geblitzt wurde.

Geschwindigkeitsüberschreitung: Vorsatz allein wegen der Höhe der Überschreitung?

Das Amtsgericht Erlangen hat entschieden, dass allein die Höhe einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht ausreicht, um daraus auf eine vorsätzliche Begehungsweise zu schließen.

Die Frage ist entscheidend für die Höhe der Geldbuße. Das Gesetz geht bei einem Geschwindigkeitsverstoß grundsätzlich von fahrlässiger Begehungsweise aus. Allerdings gehen die Bußgeldstellen nach und nach vermehrt dazu über, bei hohen Überschreitungen Vorsatz anzunehmen. Das führt zu einer Verdopplung der Regelgeldbuße. Die Erhöhung erfolgt im Saarland und in Rheinland-Pfalz meist unter Zitierung der Beschlüsse des OLG Koblenz vom 17.10.2012 – 2 SsBs 76/12 und vom 7.5.2014 – SsBs 22/14.

Bei den Betroffenen könnte durch diese Zitierung obergerichtlicher Rechtsprechung der Eindruck entstehen, dass diese gegen die Annahme von Vorsatz chacenlos sind. Das ist nicht der Fall. Ob der Vorsatzvorwurf aufrechterhalten bleiben kann, ist immer eine Frage der Umstände des jeweiligen Einzelfalles.

Das Amtsgericht Erlangen hat im konkreten Fall entschieden:

„Das Gericht ist insoweit zugunsten des Betroffenen von einer rein fahrlässigen Begehung der Tat ausgegangen. Es hat dabei berücksichtigt, dass es sich grundsätzlich am Tatort um eine breit ausgebaute Autobahn handelte und aus den baulichen Gegebenheiten keine Geschwindigkeitsbegrenzung oder ähnliches ersichtlich war. Die Geschwindigkeitsbegrenzung diente lediglich der Sicherheit der eingerichteten polizeilichen Kontrollstelle. Wenn man zugunsten des Betroffenen unterstellt, dass er die Beschilderung übersehen hat, dann gab es für ihn keinen Anlass, seine Geschwindigkeit zu reduzieren. Allein aus dem verhältnismäßig hohen Geschwindigkeitswert, den der Betroffene erreicht hat, kann daher nicht ohne weiteres auf einen möglichen Vorsatz rückgeschlossen werden.“ (AG Erlangen Urt. v. 15.10.2018 – 6 OWi 911 Js 143459/18)

Verfassungsgerichtshof des Saarlandes: Betroffener hat Anspruch auf Einsicht in die Messdateien!

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat – sozusagen als „letzte Instanz“ – entschieden, dass einem Betroffenen die Messdateien zur Auswertung und Überprüfung durch einen Sachverständigen zur Verfügung zu stellen sind. Im konkreten Fall hatte der Betroffene sich gegen den Vorwurf eines Rotlichtverstoßes zur Wehr gesetzt und mehrmals erfolglos versucht, die Bußgeldstelle dazu zu bewegen, ihm die Falldateien zu übersenden.

Letztlich wurde er ohne Einsicht in die Falldateien durch alle Instanzen (Amtsgericht Saarbrücken und Oberlandesgericht Saarbrücken) verurteilt. Nach Ausschöpfung des ordentlichen Rechtsweges verblieb ihm nur noch die Anrufung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes.
Dieser entschied, dass die vorangegangenen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts den Betroffenen in seinen Grundrechten auf ein faires gerichtliches Verfahren und auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzten.

In seiner Begründung setzt sich der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes eindrucksvoll und einleuchtend mit dem sogenannten Teufelskreis bei der Frage der Gewährung der Einsicht in die Falldateien auseinander. Er führt aus:

Die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei verletzen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs.

a) Nach der Rechtsprechung zum sog. standardisierten Verfahren, der vorliegend auch das Amtsgericht Saarbrücken und das Saarländische Oberlandesgericht gefolgt sind, genügt es, dass der Tatrichter in den Urteilsgründen das verwendete Messverfahren und ggf. den erfolgten Toleranzabzug angibt. Weitere Angaben und Nachforschungen hinsichtlich des Messgeräts, seiner genauen Funktionsweise und der Richtigkeit der Messdurchführung bzw. -auswertung sollen nicht erforderlich sein, da eine Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit aufgestellt wird (Fromm, NZV 2013, 16 [17]). Dies gilt für die Geschwindigkeits- wie auch für die Rotlichtüberwachung im Straßenverkehr. Daher werden die von einem automatisch arbeitenden Messgerät erfassten sog. Rohmessdaten, aus denen dieses die Geschwindigkeit oder die Tatsache eines Rotlichtverstoßes ableitet, üblicherweise auch nicht vom Tatrichter oder von der Bußgeldbehörde auf Messfehler oder Störungen hin überprüft; es genügt der in das Messfoto eingeblendete Geschwindigkeitswert (oder hier: Tatsache des Missachtens des Rotlichtes sowie Dauer des Rotlichtes beim Überfahren), den das Gerät bestimmt hat. Aus diesem Grund sind die Rohmessdaten auch nicht Teil der Gerichtsakte.

Die Richtigkeitsvermutung kann der Betroffene eines Bußgeldverfahrens nur angreifen, wenn er konkrete Anhaltspunkte für einen Fehler im Rahmen der Messung vorträgt. Es wird ihm also eine Beibringungs- bzw. Darlegungslast auferlegt (Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Diese Punkte vorzutragen, also die erfolgversprechende Verschaffung rechtlichen Gehörs, wird ihm jedoch unmöglich gemacht, wenn die Messdaten als die Grundlage der Messung nicht für eine sachverständige Untersuchung zur Verfügung gestellt werden (OLG Celle, Urteil vom 16.6.2016- 1 Ss OWi 96/16 -, NJOZ 2017, 559 Rn. 5; Deutscher, DAR 2017, 723; Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Letztlich wird er unter Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens als Objekt des Verfahrens behandelt, dem wesentliche Mitwirkungsrechte versagt werden bzw. welches diese nicht effektiv ausüben kann.

Für den Betroffenen bzw. seinen Verteidiger ist es möglich, der Darlegungslast nachzukommen und das Messergebnis in Zweifel zu ziehen, wenn er die vom jeweiligen Messgerät erzeugten Digitaldaten als Grundlage jeder Messung technisch auswerten lässt. Daraus, dass einerseits die Verwaltungsbehörden bzw. die Gerichte sich zu einer Überprüfung aller Einzelheiten der Geschwindigkeitsmessung nicht verpflichtet sehen, andererseits der Betroffene für eine solche in eigener Regie durch einen Sachverständigen durchgeführte Überprüfung die bei der Messung angefallenen digitalen Daten als Grundlage der Messung benötigt, hat das Saarländische Oberlandesgericht als Konsequenz des Rechts auf ein faires Verfahren gefolgert, dass ihm diese Daten – auch wenn sie sich nicht in der Akte befinden und damit von § 147 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG nicht erfasst werden – zur Verfügung zu stellen sind (Beschluss vom 24.2.2016 – Ss [Bs] 6/2016 [4/16 OWi] -, juris Rn. 7, unter Hinweis auf Cierniak, ZfS 2012, 664 [673]). Dem ist zuzustimmen, denn durch die sodann ermöglichte Transparenz des Messverfahrens ist die Waffengleichheit wieder hergestellt und dem Gebot eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs genügt: Ein Betroffener kann dann adäquat auf den Tatvorwurf reagieren und den Tatvorwurf der Behörde bei Anhaltspunkten für Messfehler qualifiziert durch das Ergebnis der von ihm veranlassten technischen Untersuchung widerlegen oder erschüttern.

Aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden Gebot der Waffengleichheit folgt, dass ebenso, wie dem „Ankläger“ Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, einen Tatvorwurf nachzuweisen – was in Fällen der hier diskutierten Art leicht möglich ist, da der vom Gerät angezeigte Wert dafür genügt -, einem im Bußgeldverfahren Betroffenen Zugang zu den Informationen gewährt werden muss, die er benötigt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen oder durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen („Parität des Wissens“, vgl. LG Trier, DAR 2017, 721 [722]; „Informationsparität“ gemäß Art. 6 EMRK, vgl. Krenberger, jurisPR-VerkR 17/2016).

(VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18)

OLG Bamberg: Absehen vom Fahrverbot wegen verkehrspsychologischer Schulung?

Nach Ansicht des OLG Bamberg genügt die alleinige Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung nicht, um von einem verwirkten Regelfahrverbot abzusehen:

Eine auf eigene Kosten erfolgende freiwillige Teilnahme des Betroffenen an einer verkehrspsychologischen Schulung rechtfertigt für sich allein grundsätzlich nicht das Absehen von einem verwirkten bußgeldrechtlichen Fahrverbot. Eine Ausnahme kann auch dann nur in Betracht kommen, wenn daneben eine Vielzahl weiterer zu Gunsten des Betroffenen sprechender Gesichtspunkte festgestellt werden können.

(OLG Bamberg, Beschluss vom 2.1.2018 – 3 Ss OWi 1704/17)

Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Absehen vom Fahrverbot nicht bei Hinzutreten weiterer, begünstigender Umstände für den Betroffenen möglich wäre. In dem Fall, den das OLG Bamberg zu entscheiden hatte, ging es um eine Betroffene, gegen die ein Fahrverbot wegen Beharrlichkeit verhängt worden war. Es waren drei Voreintragungen im Fahrerlaubnisregister vorhanden, wobei ein in zeitlicher Nähe zum gegenständlichen Verstoß rechtskräftig gewordener Verstoß bereits ein Fahrverbot nach sich gezogen hatte.

Das Amtsgericht hatte dennoch das Fahrverbot wegen der Schulungsteilnahme aufgehoben. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat das OLG Bamberg die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung ans Amtsgericht zurückverwiesen.

Es hat angedeutet, dass über die Frage einer unzumutbaren Härte durch die Verhängung des Fahrverbotes noch ergänzende Feststellungen getroffen werden müssen.

Die Entscheidung liest sich auf den ersten Blick natürlich nicht positiv für Betroffene. Sieht man sich den konkreten Sachverhalt, so wie er sich aus dem Beschluss des OLG Bamberg im Wesentlichen ergibt, an, so lässt sich aber sagen:

1. Die Tendenz, bei einem Mehrfachtäter, der in zeitlicher Nähe zum Verstoß bereits ein Fahrverbot angetreten und weitere einschlägige Voreintragungen vorzuweisen hat, wegen der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung vom Fahrverbot abzusehen, ist bei Gericht – vielleicht auch zu Recht – nicht besonders groß.

2. Des Weiteren zeigt das OLG Bamberg auf, dass die Frage der unzumutbaren Härte, die durch das Fahrverbot eintreten würde, nach seiner Ansicht vom Amtsgericht nicht ausreichend aufgeklärt wurde. Ob ein Absehen vom Fahrverbot durchgesetzt werden kann oder nicht, ist immer Einzelfallsache.

Die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulungsmaßnahme wird allerdings auch von anderen Oberlandesgerichten regelmäßig für nicht ausreichend für ein Absehen vom Fahrverbot erachtet – so beispielsweise auch vom OLG Saarbrücken, Beschl. v. 12.2.2013 – Ss (B) 14/13 (9/13 OWi). Es bedarf in jedem Falle weiteren Sachvortrages und gegebenenfalls auch Beweisantrittes zu den Umständen, die ein Absehen vom Fahrverbot begründen.

OLG Bamberg: Keine Benachteiligung wegen Einspruchseinlegung – Ausnahme vom Fahrverbot für Krankentransportfahrzeuge

Das OLG Bamberg hat mit Beschluss vom 9.11.2017 – 3 Ss OWi 1556/17 entschieden:

Der Umstand, dass ein Betroffener von ihm zustehenden Verteidigungsmöglichkeiten (hier: Einspruch gegen den Bußgeldbescheid) Gebrauch gemacht hat, darf bei der Frage, ob im Einzelfall ein Absehen vom Fahrverbot oder eine sonstige Fahrverbotsprivilegierung in Betracht kommt, nicht zum Nachteil des Betroffenen berücksichtigt werden.

2. Die Versagung einer Fahrverbotsprivilegierung mit der Begründung, der Betroffene habe mit Blick auf den Antritt eines Arbeitsverhältnisses einen Härtefall aufgrund einer durch das Fahrverbot konkret drohenden Kündigung durch Hinnahme des Bußgeldbescheids und die hierdurch mögliche Verbüßung des Fahrverbots noch vor Antritt der Tätigkeit verhindern können, stellt eine im Rahmen des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ermessensfehlerhafte Verwertung zulässigen Verteidigungsverhaltens zum Nachteil des Betroffenen dar.

3.“Krankenkraftwagen“ können aufgrund ihrer über den bloßen Verwendungszweck und ihre Ausrüstung hinausgehende bauartbedingten Abgrenzbarkeit von anderen Fahrzeugen derselben Fahrzeugart oder -klasse als Kraftfahrzeuge „einer bestimmten Art“ gemäß § 25 I 1 StVG vom bußgeldrechtlichen Fahrverbot ausgenommen werden.

Der Betroffene war vom Amtsgericht wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes (Rotlichtdauer länger als eine Sekunde) zu einer Geldbuße von 200,00 € und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt worden.

Er hatte sich auf die sogenannte Härteklausel berufen und vorgetragen, ihm drohe als Rettungssanitäter eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Im Falle des Betroffenen verhielt es sich so, dass er im Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides noch arbeitsuchend war. Erst im Laufe des Einspruchsverfahrens konnte er seine neue Arbeitsstelle als Rettungssanitäter antreten.

Das Amtsgericht vertrat die Auffassung, ein Absehen vom Fahrverbot komme ebenso wenig in Betracht wie eine Beschränkung. Der Betroffene habe von Anfang an die Tat eingeräumt und es sei ihm daher möglich gewesen, den Bußgeldbescheid zu akzeptieren und das Fahrverbot während seiner Arbeitslosigkeit anzutreten.

Das OLG Bamberg hat dieser Rechtsauffassung eine klare Absage erteilt und vom Fahrverbot „Krankenkraftwagen“ ausgenommen:

Erst recht durfte die Möglichkeit eines Absehens vom Fahrverbot oder der Beschränkung des Fahrverbots nicht von vornherein mit dem Argument abgelehnt werden, dass der Betr. nach seiner Einlassung vor Antritt seiner Tätigkeit als Rettungsdiensthelfer arbeitslos gewesen sei, weshalb er „das Fahrverbot […] eben vor Aufnahme der Beschäftigung am 01.05.2017“ hätte antreten können, nachdem ihm der Bußgeldbescheid bereits am 15.03.2017 zugestellt worden war. Dies sei – so das AG  – insbesondere deshalb anzunehmen, „da der Betr. ja von Anfang an den Vorwurf nicht bestritten“ habe. Denn diese die Hinnahme des Bußgeldbescheids ohne Einspruch bzw. einen Einspruchsverzicht oder wenigstens eine noch rechtzeitige Einspruchsrücknahme nahe legende Argumentation läuft auf eine unzulässige Verwertung zulässigen Verteidigungsverhaltens zum Nachteil des Betr. hinaus, mit der das AG die Grenzen des ihm gem. § 25 I 1 StVG übertragenen tatrichterlichen Bewertungsspielraums in ermessensfehlerhafter Weise überschritten hat.

AG Jülich verwirft Geschwindigkeitsmessung mit dem Leivtec XV3

Das  Messgerät Leivtec XV3 – ein besonders im Saarland weit verbreitetes Infrarotmessgerät zur Geschwindigkeitsüberwachung – ist nach den Erkenntnissen des Amtsgerichts Jülich nicht ordnungsgemäß von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen. Das AG Jülich hat daher eine Messung mit diesem Gerät als nicht standardisiert betrachtet. Der Betroffenen wurde freigesprochen.
Bereits im Jahr 2015 stellte sich bei diesem Messgerät heraus, dass es mit zu langen Kabeln betrieben wurde, weshalb damals zahlreiche Verfahren mit Einstellungen und Freisprüchen endeten.
Nunmehr hat sich herausgestellt, dass es bei dem Gerät zu einem Fehler bei der Zulassung gekommen ist. Wie der Sachverständige Blath festgestellt hat, ist das Gerät nicht ausreichend auf Magnetfeldresistenz überprüft worden. Mithin wurden nach den Ausführungen des Sachverständigen die Vorgaben für die Zulassung des Messgerätes nicht eingehalten.
Das Amtsgericht Jülich zog daraus den folgenden Schluss:

Im Hinblick darauf, dass vorliegend keine ordnungsgemäße Zulassung durch die PTB vorliegt, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass im Sinne eines standardisierten Messverfahrens unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse erzielt werden.
Da aus diesen Gründen kein standardisiertes Messverfahren vorliegt, musste die Messung als solche auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

(AG Jülich Urt. v. 8.12.2017 – 12 OWi 122/16)

Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung der Messdateien stellte der Sachverständige fest, dass seit einer neueren Softwareversion die zur Überprüfung der Korrektheit der Geschwindigkeitsmessung erforderlichen Daten systematisch von der Gerätesoftware gelöscht werden. Eine Überprüfung der Messung des Betroffenen anhand der Falldateien der konkreten Messung war daher nicht möglich.

Das AG Jülich hat den Betroffenen daraufhin vom Tatvorwurf freigesprochen.

Aktuelle Urteile zum Absehen vom Fahrverbot aus beruflichen Gründen

Von der Verhängung eines Fahrverbotes ist dann abzusehen, wenn diese Rechtsfolge für den Betroffenen eine unzumutbare Härte darstellen würde. Im Gegenzug wird dann in der Regel das Bußgeld erhöht.

Die in der Praxis wichtigste Fallgruppe der Unzumutbarkeit eines Fahrverbotsantritts stellt die Existenzgefährdung durch einen drohenden Arbeitsplatzverlust dar.

Zu den Voraussetzungen eines solchen Absehens vom Fahrverbot hat der Betroffene umfassend und gegebenenfalls unter Beweisantritt vorzutragen. Hierfür genügt es nicht, lediglich darzustellen, dass man auf den Führerschein beruflich angewiesen ist.
Es ist zur Überzeugung des Gerichts darzulegen, dass ein konkreter Arbeitsplatzverlust in Aussicht steht, der auch durch anderweitige Kompensierungen (Urlaub, Einstellung eines Fahrers, etc.) abgefangen werden kann. Die Rechtsprechung verfährt hier in den letzten Jahren immer repressiver. Ein Absehen vom Fahrverbot kann im Saarland in geeigneten Fällen aber durchaus noch erreicht werden. Hierbei ist festzuhalten, dass jeder Fall eben ein Einzelfall und als solcher zu behandeln ist.

Die Fachzeitschrift „Verkehrsrecht aktuell“ veröffentlicht jährlich eine Übersicht über aktuelle Urteile. Nachfolgend stelle ich einige Fallgestaltungen, die in der Praxis häufig vorkommen vor:

Das Kammergericht hat entschieden, dass von einem Fahrverbot bei einem Taxifahrer bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h innerorts nicht aus beruflichen Gründen abzusehen ist. Begründung: Wer leichtfertig ein Fahrverbot riskiert, kann sich nicht einfach auf berufliche Konsequenzen berufen, um ein Regelfahrverbot zu vermeiden.

Ebenso streng ist es bei einer alleinerziehenden Mutter, die bundesweit im Außendienst tätig ist, verfahren.

Das AG Lüdinghausen hat das gegen einen Busfahrer ergangene Fahrverbot auf die Fahrerlaubnisklassen D1, D, D 1 E und DE beschränkt, so dass er weiterhin seinem Beruf nachgehen konnte. Des Weiteren hat es bei einem Betroffenen, der sich in der arbeitsvertraglich vereinbarten Probezeit befand, vom Fahrverbot abgesehen, da die Geschäftsführerin der Abreitgeber GmbH als Zeugin vor Gericht bestätigt hat, dass im Falle des Fahrverbots das Arbeitsverhältnis beendet werden wird.

Etwas strenger geht man beim OLG Zweibrücken vor, das ja bekanntermaßen praktisch vor meiner Haustür liegt. Bei mehreren einschlägigen Voreintragungen im Fahrerlaubnisregister kommt ein Absehen vom Fahrverbot auch dann nicht in Betracht, wenn der Betroffene wegen des Fahrverbots seine selbstständige Tätigkeit aufgeben muss. Hierzu lässt sich aber generell festhalten, dass ein Absehen vom Fahrverbot immer dann, wenn Voreintragungen bestehen, schwierig wird. In geeigneten Fällen wird der Verteidiger das Verfahren verzögern, bis die Eintragungen getilgt sind.

Das OLG Bamberg hat bei einem Selbstständigen ebenfalls nicht vom Fahrverbot abgesehen, der Gewinneinbußen geltend gemacht hatte. Begründung: Zu erwartende Gewinneinbußen müssen zu einer nachgewiesenen Existenzbedrohung führen.

Fazit: Die Voraussetzungen des ausreichenden Vortrages für eine Existenzgefährdung sind hoch. Es ist Sache des Betroffenen, hierzu umfassend vorzutragen und Beweis anzubieten. Steht ein Fahrverbot in Aussicht, ist anwaltliche Hilfe immer angezeigt.

Neuer Bußgeldkatalog 2017 – Die wichtigsten Änderungen

Seit dem 19.10.2017 ist ein neuer Bußgeldkatalog in Kraft.

Der Gesetzgeber reagierte damit auf einige, seit längerer Zeit bekannte und besonders gefährliche Fehlverhaltensarten im Straßenverkehr. Im Wesentlichen enthält der Bußgeldkatalog folgende – meines Erachtens begrüßenswerte – Änderungen:

1. Blockierung von Rettungsgassen

Die Blockierung von Rettungsgassen, die in § 11 StVO geregelt ist, wird mit sehr viel höheren Sanktionen belegt.

Satt der früheren 20,00 € Bußgeld ist nunmehr das Zehnfache fällig und zwar auch ohne eine konkret entstandene Behinderung (200,00 € und 1 Punkt). Mit Behinderung erhöht sich die Geldbuße auf 240,00 €. Außerdem werden dann 2 Punkte eingetragen und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Kommt es durch die Behinderung zu einer Gefährdung, erhöht sich das Bußgeld auf 280,00 €. Bei zusätzlicher Sachbeschädigung sind 320,00 € fällig.

Wer absichtlich eine Rettungsgasse blockiert, macht sich nach wie vor gemäß § 323 c STGB strafbar.

2. Behinderung von Einsatzfahrzeugen

Für eine Behinderung von Einsatzfahrzeugen mit Blinklicht und Martinshorn werden zukünftig 240,00 €, zwei Punkte und ein Monat Fahrverbot verhängt. Bei Gefährdung erhöht sich das Bußgeld auf 280,00 €, bei einer Sachbeschädigung auf 320,00 €.

3. Nutzung von Mobiltelefonen und ähnlichen Geräten
Beim sogenannten Handyparagraphen hat sich der Gesetzgeber richtig ins Zeug gelegt.

Bislang galt § 23 StVO alte Fassung ausdrücklich nur für Mobiltelefone und Autotelefone. Das führte in der Praxis dazu, dass Betroffene sich häufig verteidigten, indem sie vortrugen, sie hätten einen IPod oder ähnliche technische Geräte benutzt. Der Gesetzgeber hat auf diesen Einwand und, wie sich aus einer Lektüre des aktuellen § 23 StVO ergibt, auch auf andere Einwände reagiert und zudem das Bußgeld deutlich erhöht (100,00 € statt 60,00 €):

(1a) Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn

1. hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und
2. entweder
a) nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder
b) zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist.

Geräte im Sinne des Satzes 1 sind auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder. Handelt es sich bei dem Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, um ein auf dem Kopf getragenes visuelles Ausgabegerät, insbesondere eine Videobrille, darf dieses nicht benutzt werden. Verfügt das Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, über eine Sichtfeldprojektion, darf diese für fahrzeugbezogene, verkehrszeichenbezogene, fahrtbezogene oder fahrtbegleitende Informationen benutzt werden. 5 Absatz 1c und § 1b des Straßenverkehrsgesetzes bleiben unberührt.

(1b) Absatz 1a Satz 1 bis 3 gilt nicht für
1. ein stehendes Fahrzeug, im Falle eines Kraftfahrzeuges vorbehaltlich der Nummer 3 nur, wenn der Motor vollständig ausgeschaltet ist,
2. den bestimmungsgemäßen Betrieb einer atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperre, soweit ein für den Betrieb bestimmtes Handteil aufgenommen und gehalten werden muss,
3. stehende Straßenbahnen oder Linienbusse an Haltestellen (Zeichen 224).

Fahrverbote nicht mehr gleichzeitig vollstreckbar

Der Gesetzgeber hat eine „Regelungslücke“, die dazu führte, dass Betroffene in einer bestimmten Konstellation zwei Fahrverbote gleichzeitig antreten konnten, geschlossen.

Hatte ein Betroffener beispielsweise zwei Fahrverbote (ohne Schonfrist) von jeweils einem Monat anzutreten, konnte er sie gleichzeitig antreten. Letztlich „verkürzte“ sich dann die Dauer der Fahrverbote von insgesamt zwei Monaten auf einen Monat (sog. Parallelvollstreckung von Fahrverboten).

Hier noch einmal der Beitrag zum alten Recht:

Aus zwei mach eins – Fahrverbote gleichzeitig antreten

Dem hat der Gesetzgeber nun durch Einfügung eines weiteren Absatzes in die Vorschrift des § 25 StVG ein Ende gemacht:
§ 25 (2b) lautet:

(2b) Werden gegen den Betroffenen mehrere Fahrverbote rechtskräftig verhängt, so sind die Verbotsfristen nacheinander zu berechnen. Die Verbotsfrist auf Grund des früher wirksam gewordenen Fahrverbots läuft zuerst. Werden Fahrverbote gleichzeitig wirksam, so läuft die Verbotsfrist auf Grund des früher angeordneten Fahrverbots zuerst, bei gleichzeitiger Anordnung ist die frühere Tat maßgebend.

Man könnte also sagen: Aus dem guten alten „aus-zwei-mach-eins“ wurde ein „doppelt-vollstreckt-hält-besser“.

Falls Ihnen ein Fahrverbot droht, sollten Sie nicht den Sand in den Kopf stecken (Zitat: L. Matthäus). Abschließend ein paar Tipps in Videoform, wie Sie sich gegen ein drohendes Fahrverbot verteidigen können:

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Zwei aktuelle Entscheidungen des OLG Hamm zum Handyverstoß

Da Handyverstöße mit einem Punkt bewehrt sind, kommt es häufig zu gerichtlichen Entscheidungen über diese Verstöße. In Anbetracht der etwas vagen Formulierung des § 23 Abs. 1 a StVO kommt es häufig zu Streit, zum Beispiel darüber, wann ein „Benutzen“ im Sinne dieser Vorschrift oder wann ein „Mobiltelefon“ vorliegt. § 23 Abs. 1 a StVO lautet:

Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist.

Zum Thema „Benutzen“ eines Mobiltelefons hat das OLG Hamm mit Urteil vom 29.12.2016 – 1 RBs 170/16 – entschieden, dass unter die Benutzung eines Mobiltelefons auch die Kontrolle gehört, ob dieses ausgeschaltet ist. Der Betroffene hatte vorgetragen, er habe lediglich die Home-Taste seines Mobiltelefons gedrückt, um zu prüfen, ob das Gerät ausgeschaltet sei. Darin hatte die Verteidigung keine „Benutzung“ im Sinne des § 23 Abs.1 a StVO gesehen. Das sah das OLG Hamm leider anders und verurteilte den Betroffenen. Allgemein lässt sich sagen, dass die Gerichte ein „Benutzen“ eines Mobiltelefons praktisch bei jeder Nutzung irgendeiner Funktion desselben (z.B. auch Musik abspielen, E-Mails lesen etc.) annehmen.

Mit einer zweiten – allerdings wenig überraschenden – Entscheidung hat das OLG Hamm bestätigt, dass auch dann von einem „Mobiltelefon“ auszugehen ist, wenn in dieses keine SIM-Karte eingelegt ist, so dass die Telefonfunktion nicht genutzt werden kann. Der Betroffene hatte vorgetragen, er habe lediglich Musik gehört. In seinem Handy sei keine SIM-Karte eingelegt gewesen.

Allgemein lässt sich zum Handyverstoß konstatieren, dass die Verteidigungsmöglichkeiten eher im Tatsächlichen liegen. In der Regel sind diese Verstöße nur protokollhaft von der Polizei dokumentieren. In der Akte befindet sich häufig nur ein Protokollzettel, den die Beamten vor Ort handschriftlich ausgefüllt haben.

Wichtig ist es in jedem Fall, zeitig konkreten Sachvortrag zu liefern, da die Tendenz bei den Amtsgerichten besteht, zu späten Sachvortrag als Schutzbehauptung abzutun. In aller Regel wird die Rechtsbeschwerde bei einem Handyverstoß auch nicht zugelassen, es sei denn, es handelt sich um ungeklärte Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung. Sprich: Das Amtsgericht hat das letzte Wort.

Falschbenennung des Fahrers ist strafbar

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden:

Führen der Täter einer Ordnungswidrigkeit und eine mit ihm zusammenwirkende, an der Tat unbeteiligte Person die Bußgeldbehörde bewusst in die Irre, indem sich die weitere Person selbst zu Unrecht der Täterschaft bezichtigt, kann dies für den Täter zu einer Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft und für die weitere Person wegen Beihilfe hierzu führen.

(OLG Stuttgart, Urt. v. 23.7.2015 Az 2 Ss 94/15)

Dem lag folgende Fallgestaltung zugrunde:

Der Angeklagte und später Verurteilte (im Folgenden: Fahrer) wurde mit einem Firmenwagen geblitzt. Sein Arbeitgeber erhielt eine Halteranfrage, benannte daraufhin den Fahrer als solchen und leitete den Fragebogen an ihn weiter. In der Folge entschlossen sich der Fahrer und ein Arbeitskollege (im Folgenden: Kollege), dass sich der Kollege als Fahrer benennen solle. Daraufhin richtete sich das Verfahren zunächst gegen den Kollegen. Nach Eintritt der Verjährung für den Fahrer gab der Kollege dann bekannt, dass er nicht der Fahrzeugführer war.

In solchen Konstellationen ist bislang geklärt, dass sich der Fahrer, der einen Dritten selbst benennt, indem er ihn als Fahrer gegenüber der Behörde benennt, z. B. indem er die Personendaten des Kollegen auf dem Anhörbogen einträgt, wegen falscher Verdächtigung strafbar macht.
Lange Zeit war es dagegen Lehrmeinung und führte zur Straflosigkeit, wenn der Fahrer sich gar nicht äußerte und der Kollege sich selbst benannte, indem er – üblicher Weise – den Anhörbogen selbst ausfüllte und an die Bußgeldstelle schickte.

Dieser „Verteidigungsstrategie“ hat das OLG Stuttgart eine klare Absage erteilt, indem es den Fahrer wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft verurteilt hat. Es führt zur Begründung aus:

Die Tatherrschaft des Hintermanns (Anmerkung: Des Fahrers und Angeklagten) kann auch im Fall eines objektiv tatbestandslos handelnden Tatmittlers wie hier gegeben sein. Der Angeklagte Ka ist im vorliegenden Fall mittelbarer Täter, weil er im Wege einer wertenden Zuschreibung Tatherrschaft und Wille zur Tatherrschaft hatte und die Tat allein in seinem Interesse begangen wurde. Er nahm auf die Tatbegehung dadurch Einfluss, dass er dem Angeklagten Kr (Anmerkung: Arbeitskollege) die an ihn gelangten Schreiben der Bußgeldbehörde mit den Daten zur Ordnungswidrigkeit übergab, nachdem er den Tatplan mit ihm vereinbart hatte. Obwohl Kr die Schriftstücke alleine ausfüllte und an die Bußgeldbehörde übersandte, hielt der Angeklagte Ka die Herrschaft über den Geschehensablauf gleichwohl weiter auch selbst in der Hand, weil er sich zu jedem Zeitpunkt an die Bußgeldbehörde wenden und den wahren Sachverhalt offenbaren konnte.

Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.

Ich habe schon davon gehört, dass der ein oder andere Versicherer – bislang mehr oder weniger inoffiziell – Bußgelder der Versicherungsnehmer übernimmt, um zu verhindern, dass diese einen Verteidiger beauftragen.

Das lief bisher immer so ab, dass der Betroffene eben geblitzt wurde, zu seinem Versicherungsvertreter ging und bereits von diesem angeboten bekam, man werde das Bußgeld übernehmen, er solle den Bescheid einfach akzetieren.

Hintergrund ist natürlich die Vermeidung von Anwalts- und Verfahrenskosten, die der Versicherer bedingungsgemäß zu tragen hat.

Jetzt sind wir endlich auch offiziell so weit!

Heute hat mich der Rechtsschutzversicherer eines Betroffenen eines Bußgeldverfahrens auf meine Deckungsanfrage hin angeschrieben. Er macht meinem Mandanten ein Angebot, von dem er anscheinend meint, man könne es nicht ablehnen. Es enthält sinngemäß folgenden Vorschlag:

Angeboten wird die Übernahme des Bußgeldes und der Verfahrenskosten durch den Rechtsschutzversicherer. Außerdem bietet man dem Betroffenen an, auf einen eventuell vereinbarten Selbstbehalt zu verzichten, sofern das Angebot angenommen werden sollte. Im konkreten Fall beträgt der Selbstbehalt übrigens 0,00 €. Auch wird angeboten, die Grundgebühr und eine Verfahrensgebühr (jeweils Mittelgebühren) sowie die Auslagen des Anwaltes zu übernehmen, sofern bereits eine anwaltliche Vertretung vorliege.

Voraussetzung ist natürlich, dass der Mandant den Bußgeldbescheid akzeptiert.

Liebe Rechtsschutzversicherer, den Betroffenen, die sich wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit bei mir melden, geht es nicht um das Bußgeld. Es geht Ihnen um die Punkte, es geht Ihnen um das Fahrverbot, es geht Ihnen um Probezeitmaßnahmen, es geht Ihnen darum, dass sie ernsthafte Zweifel am Messergebnis haben. Es geht Ihnen um alles Mögliche nur nicht um das Bußgeld.

Liebe Betroffene, wenn Ihr eigentlich gar nicht zum Anwalt wollt, weil Ihr kein Problem mit Punkten, Fahrverbot, der Messung oder sonstigem habt, dann geht doch mal zu eurem Versicherungsvertreter und fragt freundlich an, ob euer Bußgeld übernommen wird.

Könnte funktionieren.

Zu dem Angebot:

Es wird angeboten, auch die Verfahrenskosten zu übernehmen. Diese müssen aber ohnehin bedingungsgemäß getragen werden.

Angeboten wird des Weiteren, die Rechtsanwaltsgebühren zu tragen. Diese Gebührentragung soll auch noch – als freundliches Angebot – zu Gunsten des Rechtsschutzversicherers beschränkt werden auf eine Grund- und eine Verfahrensgebühr sowie die Auslagen, ohne Rücksicht darauf, welche Gebühren tatsächlich bereits entstanden sind.

Ich habe abschließend einen Vorschlag, wie die unliebsamen Kosten eines Bußgeldverfahrens (möglicher Weise effektiv) vermieden werden können. Der Ansatz ist ja richtig. Man muss den Betroffenen dazu bringen, dass er den Bescheid akzeptiert statt zum Rechtsanwalt zu gehen.

Vielleicht sollte in Zukunft angeboten werden, dass der ein oder andere Mitarbeiter des Rechtsschutzversicherers sich verpflichtet, die Punkte des jeweiligen Versicherungsnehmers in Flensburg zu übernehmen und/oder ein etwaiges Fahrverbot anzutreten.

Das wäre mal ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.

OLG Celle: Anspruch auf Einsicht in die Messdateien!

Bereits die Entscheidung, dem Betroffenen nicht die Möglichkeit einzuräumen, auf die Rohmessdaten zurückzugreifen, stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Auch wenn die Messdaten nicht Bestandteil der Verfahrensakte sind, müssen sie dem Betroffenen auf dessen Antrag zur Verfügung gestellt werden.

(OLG Celle, Beschluss vom 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16)

Diese Entscheidung des OLG Celle betrifft die sehr strittige Frage, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene einer Verkehrsmessung Anspruch auf Einsicht in die Rohmessdaten seiner Geschwindigkeitsmessung hat. Hierbei handelt es sich um eine entscheidende Fragestellung im Bußgeldverfahren. Hat der Betroffene Zweifel an der Ordnungsgemäßheit des Messergebnisses, muss es ihm frei stehen, die Messung überprüfen zu lassen. Hierfür werden die Messdateien benötigt.

Während die Gerichte in der Vergangenheit und in Bayern noch immer Gründe suchen, dieses Einsichtsrecht zu torpedieren, häufen sich die Entscheidungen, nach denen es eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt, dem Betroffenen die Einsichtnahme zu verweigern.

Besonders begrüßenswert sind folgende Ausführungen des OLG Celle:

Dass es sich bei der angewendeten Messmethode um ein standardisiertes Verfahren handelt, steht dem nicht entgegen. Gerade weil bei einer solchen Messmethode das erkennende Gericht nur zu einer weiteren Aufklärung und Darlegung verpflichtet ist, wenn sich Anzeichen für eine fehlerhafte Messung ergeben, muss dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet sein, solche Fehler substantiiert vortragen zu können. Hierfür ist er auf die Messdaten angewiesen. Werden diese zurückgehalten, liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.; Cierniak, ZfS 2012, 664).

Tempo 30 mit Zusatzschild „Schule“ gilt nicht an Feiertagen

Passend zum Schulbeginn:

Das Amtsgericht Wuppertal hat einen Betroffenen freigesprochen, der an einem gestzlichen Feiertag die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h „Montag – Samstag 7-18 Uhr“ mit dem Zusatzschild „Schule“ missachtet hatte.

Nach Ansicht des Amtsgerichts ergibt sich aus der Kombination der Schilder, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung dem Zweck dient, einen ungehinderten Schulbetrieb zu ermöglichen und die Schulkinder zu schützen.

Da ein solcher Schulbetrieb an gesetzlichen Feiertagen gerade nicht stattfindet, soll die Geschwindigkeitsbeschränkung an solchen Tagen nicht gelten.

Nach meiner Meinung eine nur auf den ersten Blick richtige Entscheidung. Konsequent weitergedacht heißt das nämlich, dass in den Schulferien die Geschwindigkeitsbeschränkung ebenfalls nicht gelten soll, da kein Schulbetrieb stattfindet. Was ist nun aber mit freiwilligen Ganztagsschulen, die zwar während der Ferien keinen Schulunterricht, oft aber Ferienbetreuung anbieten?

Des Weiteren stellen Schulhöfe wegen der dort häufig befindlichen Sportplätze und Spielmöglichkeiten auch in den Schulferien und an Feiertagen Treffpunkte für Kinder da.

Sofern man der Entscheidung des Amtsgerichts Wuppertal folgen möchte, muss man zu dem Schluss kommen, dass das Zusatzschild „Schule“ überhaupt keine Geltung beanspruchen kann, da es nicht hinreichend transparent ist. Es kann nicht sein, dass der Verkehrsteilnehmer den Ferienkalender des jeweiligen Bundeslandes auswendig kennen muss, um zu beurteilen, ob das Schild gerate Geltung hat oder nicht.

Ähnliche Probleme mit dem Transparenzgebot hatten wir bereits mit der Winterreifenpflicht.

Zutreffender wäre es gewesen, das Verfahren gegen den Betroffenen wegen eines Tatbestandsirrtums oder wegen geringer Schuld einzustellen, nicht aber dem Zusatzschild die Geltung abzusprechen.

Nach meinem Dafürhalten muss das Zusatzschild „Schule“ sowohl an gesetzlichen Feiertagen als auch in den Schulferien gelten. Es sollte daran angeknüpft werden, dass sich objektiv eine Schule in der näheren Umgebung des Schildes befindet, die zumindest potenziell an allen Tagen des Jahres von Kindern genutzt wird.

Handyverstoß mit Freisprecheinrichtung?

Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass kein Handyverstoß vorliegt, wenn das Mobiltelefon zwar in der Hand gehalten und damit während der Fahrt telefoniert wird, die Telefonie aber über die Bluetooth-Freisprecheinrichtung des Fahrzeugs erfolgt.

Ein Handyverstoß liegt in einem solchen Fall nur vor, wenn weitere Funktionen des Mobiltelefons genutzt werden.

Handyverstöße sind in der Praxis sehr häufig und – wegen des damit verbundenen Punktes in Flensburg – auch oft sehr umkämpft. Was bei den zahlreichen Berichterstattungen über verschiedenste Varianten der Benutzung oder Nichtbenutzung von Mobiltelefonen oft außer Acht bleibt, ist eine praxisorientierte Sicht auf die Dinge.

In der Praxis laufen Handyverstöße auf eine Vernehmung der Polizeibeamten, die den Verstoß beobachtet haben, in der Hauptverhandlung hinaus. Handyverstöße werden in aller Regel sehr schlecht behördlich dokumentiert. Die Erinnerung der Beamten an diese wenig spektakuläre Verstoßart ist meist stark verblasst und lässt sich auch vor der Verhandlung, eben mangels nachvollziehbarer Einzelfalldokumentation, kaum auffrischen.

Bei einem Handyverstoß kann es häufig angezeigt sein, frühzeitig eine glaubhafte Stellungnahme abzugeben.

Wer monatelang schweigt und sich dann in der Hauptverhandlung darauf beruft, er habe sich während der Fahrt gar kein Handy sondern einen IPod, einen Rasierapparat, ein Diktiergerät, einen Rasenmäher, seine Schwiegermutter oder sonstige Gerätschaften an die Wange gehalten, der erleidet meist Schiffbruch, weil das Gericht dann von einer Schutzbehauptung ausgehen wird.

Hinzu kommt, dass gegen Verurteilungen wegen Handyverstößen aufgrund des geringen Bußgeldes keine Rechtsbeschwerde zulässig ist. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde muss erst beantragt werden und dem Zulassungsantrag wird nur in ganz besonderen Ausnahmefällen, wie etwa in der hier ziteierten Entscheidung des OLG Stuttgart, stattgegeben. Der Amtsrichter ist also sehr frei in seiner Beweiswürdigung.

Auswertung von Verkehrsmessungen durch Private – OLG Frankfurt

Das OLG Frankfurt hat mit Bschluss vom 3.3.2016 – 2 Ss OWi 1059/15 – zur sehr umstrittenen Frage der Verwertbarkeit einer Messung bei Auswertung durch Private Stellung genommen:

1. Verkehrsüberwachung ist Aufgabe der staatlichen Ordnungsbehörden (§ 47 OWiG, § 26 StVG).

2. Bei der Hinzuziehung von sog. privaten Dienstleistern muss die Ordnungsbehörde Herrin des Verfahrens bleiben.

3. Kern der Verkehrsmessung ist neben der Entscheidung wann, wo und wie gemessen wird, die Auswertung und Bewertung der vom Messgerät erzeugten Falldateien.

4. Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung ist nämlich die Falldatei in ihrer lesbaren Auswertung in der Gerichtsakte (i.d.R. in Form eines Lichtbildes mit den Messdaten). Die Ordnungsbehörde muss deswegen im Besitz der Falldateien sein und sie muss über die Bewertung der Falldatei hinaus die Authentizität der Umwandlung der Falldateien in ihrer lesbaren Form sicherstellen und garantieren.

5. Überlässt die Ordnungsbehörde gesetz- und erlasswidrig ihre Kernaufgabe sog. privaten Dienstleistern, führt dies nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot, da die Auswertung der Falldatei durch die Ordnungsbehörde nachgeholt werden kann.

Innenministerium des Saarlandes: Keine Privatisierung der Verkehrsüberwachung

Die jüngsten Entscheidungen des Amtsgerichts Neunkirchen, mit denen das Amtsgericht Messungen wegen der Auswertung durch Privatfirmen verworfen hat,  haben für großes Aufsehen im Saarland gesorgt. Derzeit steht die Urteilsbegründung durch das Amtsgericht Neunkirchen an. Die Generalstaatsanwaltschaft hat bereits Rechtsbeschwerde eingelegt, somit wird das Oberlandesgericht des Saarlandes Gelegenheit bekommen, sich mit dem Thema „Privatisierung der Verkehrsüberwachung“ zu befassen.

Zu den konkreten Verfahren in Neunkirchen werde ich mich nicht äußern, da es sich bei mir um mehrere laufende Verfahren mit dieser Problematik handelt. Über die Entscheidung des Oberlandesgerichts werde ich dann natürlich nach Vorliegen berichten, diese wird aber voraussichtlich erst in mehreren Monaten gefällt werden.

Mit diesem Beitrag möchte ich die Allgemeinheit und Betroffene noch einmal für das Thema sensibilisieren. Und ich möchte Kollegen, die im Bereich Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht so häufig tätig und mit der Problematik nicht befasst sind, auf die Problematik aufmerksam machen.

Deshalb stelle ich hier den Erlass des saarländischen Innenministeriums zur kommunalen Verkehrsünberwachung im Volltext als PDF-Datei zur Verfügung und fasse im Anschluss kurz zusammen, was das Innenministerium des Saarlandes damit meines Erachtens zum Ausdruck bringt:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/wp-content/uploads/2016/06/ErlasskommunaleVÜ.pdf

Das Ministerium stellt eindeutig klar, dass die Verkehrsüberwachung eine hoheitliche Aufgabe ist, die nur im Ausnahmefall an Private übertragen werden darf. Dabei sind die Erhebung der Daten (der Messvorgang an sich) und die Auswertung der Daten als eine Einheit zu betrachten.

Es muss also zunächst ein Ausnahmefall vorliegen, der die Behörde berechtigt, überhaupt Private bei der Verkehrsüberwachung einzuschalten, sei es beim Messvorgang oder – was das hier angesprochene Problem ist – bei der Auswertung der Messdaten.

Für mich ist ein solcher Ausnahmefall schon nicht ersichtlich, insbesondere ist die Auswertung durch Dritte vertraglich geregelt und zwar in den mir bekannten Fällen dergestalt, dass eben alle Messungen des jeweiligen oder der jeweiligen Geräte durch die Drittfirmen ausgewertet werden. Was das mit einem „Ausnahmefall“ zu tun haben soll, leuchtet mir nicht ein. Geht man mal davon aus, dass ein solcher Ausnahmefall vorläge, dann dürfen Private dennoch nur unter sehr engen Voraussetzungen, die im Einzelnen genannt werden, involviert werden. Unter anderem steht im Erlass:

Es muss sich um Leiharbeiter oder ähnliche Mitarbeiter handeln, die örtlich und zeitlich in die Gemeindeverwaltung eingebunden sind und von einem für den Messbetrieb qualifizierten Beamten überwacht werden. Diese Privaten müssen darüber hinaus selbst qualifiziert sein.

Bei sämtlichen mir vorliegenden Akten, in denen Dritte eingebunden worden sind, war nicht einmal klargestellt, wer die Messung ausgewertet hat und dass Drittfirmen beteiligt waren. Der einzige Hinweis, dass überhaupt eine Datenweitergabe an Drittfirmen erfolgt sein könnte, ergab sich aus dem Eichschein, da in diesem nicht die Behörde, sondern eben die Privatfirma als Antragsteller der Eichung angegeben war. Häufig bestehen in einem solchen Fall auch entsprechende Verträge zur Auswertung der Messung durch die Privatfirma. Das nur als Hinweis für Kollegen, die sich sicherlich nach Kenntniserlangung von der bis dato doch eher wenig bekannten Problematik, nunmehr fragen werden, woran sie erkennen, dass da überhaupt Privatfirmen im Spiel sind.

Das grenzt meines Erachtens an eine Irreführung durch die Behörden, zumal die Messpersonen – nämlich die jeweiligen Beamten – in der Akte regelmäßig als Zeugen genannt werden und häufig auch Schulungsnachweise beigefügt sind. So wird nach meinem Dafürhalten bei dem mit der Sache befassten Verteidiger der Eindruck erweckt, dass die Messung und Auswertung vollständig durch den oder die jeweiligen Beamten erfolgt sind. Es dürfte auch aus datenschutzrechtlichen Gründen heraus das Mindeste sein, dass dem Betroffenen im Rahmen der Akteneinsicht mitgeteilt wird, dass seine Daten an eine Drittfirma herausgegeben und dort ausgewertet wurden.

Abschließend – und das ist meine ganz persönliche Meinung – kann ich nur hoffen, dass das OLG Saarbrücken die Rechtsbeschwerde der Generalstaatsanwaltschaft verwirft und diese Vorgehensweise für unzulässig erklärt. Sicher ist der oben genannte Erlass auf den ersten Blick verwaltungsinternes Recht, das im Regelfall keine unmittelbare Wirkung für die Betroffenen entfaltet, dergestalt, dass diese sich unmittelbar darauf berufen könnten. Er ist quasi als Anweisung des Ministeriums an die Gemeinden, die in eigener Regie Messungen durchführen, zu verstehen.

In Zeiten, in denen wir beispielsweise darüber diskutieren, ob Dashcamaufnahmen von Verkehrsunfällen überhaupt vor Gericht verwertbar sind oder einer Verwertung die Persönlichkeitsrechte der Fahrzeugfahrer, deren Fahrzeuge (nicht einmal die Personen selbst!!!) gefilmt wurden, entgegenstehen, ist die planmäßige Zurverfügungstellung von massenhaft erhobenen Daten und Fotografien – auch Unschuldiger – Betroffener an Dritte doch wohl eindeutig ein schlechter Scherz.

Aber, wie gesagt, das ist nur meine Meinung.

OLG Oldenburg: Akteneinsicht in die vollständigen Messdateien!

Immer mehr Entscheidungen ranken sich um das Thema Akteneinsicht im Bußgeldverfahren. Während früher – und bei manchen Bußgeldstellen auch noch heute – um die Frage der Einsicht in die Lebensakte (Reparatur- und Wartungsberichte) des Messgeräts, den Eichschein und den Schulungsnachweis des Messbeamten gestritten wird, mehren sich die Entscheidungen zum Thema Akteneinsicht in die Rohmessdaten.

Bei einigen Messgeräten kann die Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung nach Ansicht mehrerer namhafter Sachverständiger nur anhand der sogenannten Rohmessdaten, also der originalen, bei der Messung erhobenen Daten, überprüft werden. Hört sich für mich zumindest logisch an …

Zur Verfügung gestellt werden in der Regel aber nur die von der Bußgeldstelle oder sogar dem Messgerätehersteller der sonstigen Dritten bearbeiteten Ausdrucke der Messung. Die Rohmessdateien sind nie von Anfang an Gegenstand der Akte. Es scheint so, als wehrten sich die Messgerätehersteller und teilweise auch die Bußgeldstellen mit Händen und Füßen, diese Dateien herauszugeben. Einige haben sie auch meistens gar nicht (mehr alle).

Mehrere Amtsgerichte haben bereits entschieden, dass der Verteidigung sämtliche Messdateien, auch solche, die die am Tattag egefertigten Messdateien anderer Verkehrsteilnehmer enthalten zur Verfügung zu stellen sind (bspw. Amtsgericht Wuppertal, Amtsgericht Trier, Amtsgericht Weißenfels). Das sieht auch das OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.05.2015 – 2 Ss (OWi) 65/15, so:

Dabei war bereits rechtsfehlerhaft, dass dem Betroffenen nicht die Messdatei übersandt wurde. Da sie Grundlage und originäres, unveränderliches Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung ist, ist sie – rechtzeitig vor dem Prozess – einem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen.