Noch in diesem Jahr soll die StVO reformiert werden. Der Gesetzesentwurf hat den Bundesrat bereits passiert. Es ist damit zu rechnen, dass die Neuerungen noch dieses Jahr in Kraft treten werden.
Bleibt es dabei, was aber eigentlich absehbar ist, soll es zu folgenden Änderungen kommen:
Inhaltlich geht es vor allem um eine härtere Sanktionierung von Tempoverstößen, um härtere Strafen für Rettungsgassenverstöße und um eine Erweiterung des Schutzes für Radfahrer, Fußgänger und E-Scooterfahrern.
Besonders hart trifft es die Temposünder:
Bislang wurde ein Fahrverbot innerorts bei 31 km/h Überschreitung fällig. Diese Grenze wird auf 21 km/h gesenkt. Noch gravierender ist die Änderung außerorts. Hier darf der Ersttäter aktuell bis zu 40 km/h zu schnell fahren. Erst ab 41 km/h ist ein Regelfahrverbot vorgesehen. Diese Grenze wird sich verschieben. Zukünftig ist außerorts ab 26 km/h ein Regelfahrverbot vorgesehen.
Für die Nichtbildung einer Rettungsgasse soll nach wie vor 200,00 Euro und zwei Punkte in Flensburg fällig werden. Zukünftig kommt aber erschwerend ein Fahrverbot von einem Monat hinzu.
Wer durch die Rettungsgasse fährt, zahlt 240,00 Euro, erhält zwei Punkte und ebenfalls einen Monat Fahrverbot.
Der Schutz von Radfahrern, E-Scooterfahrern und Fußgängern soll dadurch erweitert werden, dass die Sanktion für Parken auf Geh- oder Radwegen auf 55,00 Euro angehoben wird. Kommt es zu einer Behinderung, werden 70 Euro und ein Punkt fällig.
Des Weiteren wird eine Abstandsregelung kodifiziert und zwar dergestalt, dass Autofahrer in Zukunft innerorts einen Mindestabstand von 1,5 m beim Überholen einhalten müssen. Außerorts sind es sogar 2 m.
Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen wird nicht kommen.
Fazit: Sehr begrüßenswert ist der erweiterte Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer. Krass ist die erhebliche Senkung der Grenzen zum Fahrverbot. Hier bleibt abzuwarten, ob die Gerichte nicht mit einem Absehen vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße etwas großzügiger umgehen werden. Zumindest bei Ersttätern in den Anfangsmonaten, sollte man darauf hoffen dürfen.
Ich begrüße die neuen Temporegelungen und zwar nicht nur beruflich, weil bei mir die Kasse klingeln wird. Ich meine auch persönlich, dass diese Neuerungen dazu führen werden, dass sich das allgemeine Fahrverhalten ändern wird. Vor allem innerorts und gerade in 30 er-Zonen halte ich das für eine sehr sinnvolle Maßnahme. Wer öfter durch das benachbarte europäische Ausland fährt, der bemerkt schnell, dass man sich dort viel strikter an die Geschwindigkeiten hält. Und wer schon einmal eine Knolle aus Holland, der Schweiz oder Österreich kassiert hat, der weiß auch, warum das so ist.
Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat mit Urteil vom 5.7.2019 – Lv 7/17 – entschieden, dass die Nichtspeicherung von Rohmessdaten bzw. das Nichtzurverfügungstellen das Grundrecht des Betroffenen auf ein faires gerichtliches Verfahren (Art. 60 Abs. 1 der Saarländischen Verfassung i.V.m. Art 20 der Saarländischen Verfassung) verletzt. Gegenstand des Urteils ist das Messverfahren Traffistar S350 der Firma Jenoptik.
Diese Entscheidung hatte sich nach der mündlichen Verhandlung vom 9.5.2019 abgezeichnet::
Das Saarlandische Verfassungsgericht führt aus:
Fehlt es an ihnen (Anmerk. d. Unterzeichners: den Rohmessdaten) und vermag sich eine Verurteilung nur auf das dokumentierte Messergebnis und das Lichtbild des aufgenommenen Kraftfahrzeugs und seines Fahrers zu stützen, so fehlt es nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren, wenn sich ein Betroffener wie hier – selbst ohne nähere Begründung – gegen das Messergebnis wendet und ein Fehlen von Rohmessdaten rügt. Eine Verurteilung kann dann auf dieser Grundlage nicht erfolgen.
Saarl. VerfG a. a. O.
Der Saarl. VerfG hat die
Entscheidungen des Amtsgerichts Saarbrücken und des Saarländischen Oberlandesgerichts
aufgehoben, die gegen den Betroffenen ergangen waren.
Wenn zu den rechtlichen Rahmenbedingungen eines standardisierten Messverfahrens zählt, sich mit Einwänden gegen seine Ergebnisse wenden zu dürfen, so darf einem Betroffenen nicht von vornherein abgeschnitten werden, solche Einwände erst zu ermitteln.
Saarl. VerfG a. a. O.
Damit löst der
Verfassungsgerichtshof des Saarlandes den von einigen Verteidigern seit Jahren
angeprangerten „Teufelskreis“ bei standardisierten Messverfahren.
Ist ein Messverfahren von der Rechtsprechung als standardisiert anerkannt, muss der Betroffene nämlich konkrete Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung aufzeigen, um das Gericht zu veranlassen, die Messung in seinem Einzelfall auf ihre Ordnungsgemäßheit hin zu überprüfen.
Nach richtiger Ansicht des
Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes ist er hierfür aber gerade auf die
Zurverfügungstellung der Messdateien angewiesen.
Der Verfasssungsgerichtshof des Saarlandes zieht einen Vergleich zu DNA-Beweisen und Blutprobenanalysen:
Solange eine Messung aber nicht
durch die Bereitstellung der Datensätze – einschließlich auch der
Statistikdatei – einer Nachprüfung durch die Verteidigung des Betroffenen
zugänglich ist, würde der alleinige Verweis auf die Verlässlichkeit der
Konformitätsprüfung – die im Übrigen keiner öffentlichen Transparenz und keiner
Kontrolle der von der Verwendung der Messgeräte Betroffenen unterliegt –
schlicht bedeuten, dass Rechtsuchende auf Gedeih und Verderb der amtlichen
Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es
steuernden Algorithmen ausgeliefert wären. Das ist nach der Überzeugung des
Verfassungsgerichtshof weder bei Geschwindigkeitsmessungen noch in den Fällen
anderer standardisierter Messverfahren – wie beispielsweise der
Blutprobenanalyse und der DNAIdentitätsmusterfeststellung – rechtsstaatlich
hinnehmbar. Auch in den genannten Beispielsfällen käme niemand auf den
Gedanken, dass die untersuchten gesicherten Substanzen sofort nach ihrer
Analyse vernichtet werden könnten und nachträglichen Zweifeln eines
Beschuldigten an der Richtigkeit der Feststellungen nicht nachgegangen werden
müsste, weil das Ergebnis der standardisierten Untersuchungen in aller Regel
zutreffend sei.
…
Denn zu einer wirksamen
Verteidigung gehört nicht nur, ein Gericht auf solche ihm ohnehin ins Auge
fallenden Umstände aufmerksam zu machen, sondern nachforschen zu können, ob es
bislang gerade nicht bekannte Zweifel an der Tragfähigkeit eines Vorwurfs gibt.
Muss das Gericht die näheren technischen und physikalischen Umstände der
Geschwindigkeitsmessung im Rahmen des standardisierten Messverfahrens nicht
aufklären und bliebe die Aufklärung zugleich auch dem Betroffenen verwehrt,
würde die Tatsachengrundlage der Verurteilung letztlich jeder
gerichtlichen Überprüfung entzogen.
Saarl. VerfG a. a. O.
Damit sind Messungen, die mit dem Traffistar S350 der Firma Jenoptik im Saarland durchgeführt wurden und – wie allgemein üblich – auch im Saarland geahndet werden, derzeit nicht verwertbar, jedenfalls nicht, solange der Messgerätehersteller die Rohmessdaten nicht zur Verfügung stellt. Da die Software diese Daten nach wie vor löscht, jedenfalls ist das der aktuelle diesseitige Kenntnisstand, dürfte eine nachträgliche Zurverfügungstellung derzeit ausscheiden.
Die Rechtsfolge ist klar:
Sind die Ergebnisse des Messverfahrens mit dem Messgerät Traffistar 350S folglich wegen einer verfassungswidrigen Beschränkung des Rechts auf eine wirksame Verteidigung unverwertbar, sind die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben. (Hervorh. d. Unterz.)
Saarl. VerfG a. a. O.
Der Saarländische Verfassungsgerichtshof macht des Weiteren eine unmissverständliche Ansage an die Gerichte des Saarlandes, vor allem also an das Amtsgericht St. Ingbert, das nach der Strukturreform praktisch alleine zuständig für solche Verfahren im Saarland ist, und das Oberlandesgericht des Saarlandes:
Gerichte des Saarlandes sind – vorbehaltlich einer abweichenden späteren Entscheidung eines Bundesgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts – an die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes gebunden. Soweit dies lediglich einen konkreten Streitfall betrifft, ist allerdings aus gegebenem Anlass darauf hinzuweisen, dass in gleich gelagerten Streitfällen – vorbehaltlich der Zulassung eines Rechtsbehelfs zu einem Bundesgericht – der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes abweichende Entscheidungen saarländischer Instanzgerichte korrigieren wird. (Hervorh. d. Unterz.)
Saarl. VerfG a. a. O.
Sehr anschaulich hebt das Saarl. Verfassungsgericht die Bedeutung der Grundsätze des fairen Verfahrens und der Überprüfbarkeit staatlicher Sanktionen hervor, indem es ausführt:
Zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verurteilung einer Bürgerin oder eines Bürgers gehört, dass er die tatsächlichen Grundlagen seiner Verurteilung zur Kenntnis nehmen, sie in Zweifel ziehen und sie nachprüfen darf. Das gilt nicht nur in Fällen strafrechtlicher Sanktionen, sondern stets. Staatliches Handeln darf, so gering belastend es im Einzelfall sein mag, und so sehr ein Bedarf an routinisierten Entscheidungsprozessen besteht, in einem freiheitlichen Rechtsstaat für die Bürgerin und den Bürger nicht undurchschaubar sein; eine Verweisung darauf, dass alles schon seine Richtigkeit habe, würde ihn zum unmündigen Objekt staatlicher Verfügbarkeit machen. Daher gehören auch die grundsätzliche Nachvollziehbarkeit technischer Prozesse, die zu belastenden Erkenntnissen über eine Bürgerin oder einen Bürger führen, und ihre staatsferne Prüfbarkeit zu den Grundvoraussetzungen freiheitlich-rechtsstaatlichen Verfahrens.
Saarl. VerfG a. a. O.
Abschließend weise ich noch darauf hin, dass die Problematik der Nichtzurverfügungstellung von Rohmessdaten keine ist, die ausschließlich das Messsystem Traffistar S350 betrifft. Das Amtsgericht St. Ingbert hatte mit Urteil vom 26.4.2017 – 2 OWi 379/16 – die nachträgliche Löschung der Rohmessdaten bei dem Messgerät Leivtec XV3, das im Saarland sehr verbreitet ist, bemängelt und den Betroffenen freigesprochen.
Seit dem 19.10.2017 ist ein neuer Bußgeldkatalog in Kraft.
Der Gesetzgeber reagierte damit auf einige, seit längerer Zeit bekannte und besonders gefährliche Fehlverhaltensarten im Straßenverkehr. Im Wesentlichen enthält der Bußgeldkatalog folgende – meines Erachtens begrüßenswerte – Änderungen:
1. Blockierung von Rettungsgassen
Die Blockierung von Rettungsgassen, die in § 11 StVO geregelt ist, wird mit sehr viel höheren Sanktionen belegt.
Satt der früheren 20,00 € Bußgeld ist nunmehr das Zehnfache fällig und zwar auch ohne eine konkret entstandene Behinderung (200,00 € und 1 Punkt). Mit Behinderung erhöht sich die Geldbuße auf 240,00 €. Außerdem werden dann 2 Punkte eingetragen und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Kommt es durch die Behinderung zu einer Gefährdung, erhöht sich das Bußgeld auf 280,00 €. Bei zusätzlicher Sachbeschädigung sind 320,00 € fällig.
Wer absichtlich eine Rettungsgasse blockiert, macht sich nach wie vor gemäß § 323 c STGB strafbar.
2. Behinderung von Einsatzfahrzeugen
Für eine Behinderung von Einsatzfahrzeugen mit Blinklicht und Martinshorn werden zukünftig 240,00 €, zwei Punkte und ein Monat Fahrverbot verhängt. Bei Gefährdung erhöht sich das Bußgeld auf 280,00 €, bei einer Sachbeschädigung auf 320,00 €.
3. Nutzung von Mobiltelefonen und ähnlichen Geräten
Beim sogenannten Handyparagraphen hat sich der Gesetzgeber richtig ins Zeug gelegt.
Bislang galt § 23 StVO alte Fassung ausdrücklich nur für Mobiltelefone und Autotelefone. Das führte in der Praxis dazu, dass Betroffene sich häufig verteidigten, indem sie vortrugen, sie hätten einen IPod oder ähnliche technische Geräte benutzt. Der Gesetzgeber hat auf diesen Einwand und, wie sich aus einer Lektüre des aktuellen § 23 StVO ergibt, auch auf andere Einwände reagiert und zudem das Bußgeld deutlich erhöht (100,00 € statt 60,00 €):
(1a) Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn
1. hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und
2. entweder
a) nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder
b) zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist.
Geräte im Sinne des Satzes 1 sind auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder. Handelt es sich bei dem Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, um ein auf dem Kopf getragenes visuelles Ausgabegerät, insbesondere eine Videobrille, darf dieses nicht benutzt werden. Verfügt das Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, über eine Sichtfeldprojektion, darf diese für fahrzeugbezogene, verkehrszeichenbezogene, fahrtbezogene oder fahrtbegleitende Informationen benutzt werden. 5 Absatz 1c und § 1b des Straßenverkehrsgesetzes bleiben unberührt.
(1b) Absatz 1a Satz 1 bis 3 gilt nicht für
1. ein stehendes Fahrzeug, im Falle eines Kraftfahrzeuges vorbehaltlich der Nummer 3 nur, wenn der Motor vollständig ausgeschaltet ist,
2. den bestimmungsgemäßen Betrieb einer atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperre, soweit ein für den Betrieb bestimmtes Handteil aufgenommen und gehalten werden muss,
3. stehende Straßenbahnen oder Linienbusse an Haltestellen (Zeichen 224).
Das Amtsgericht Neunkirchen hat sowohl in meinem Verfahren als auch in einem Parallelverfahren die jeweiligen Betroffenen freigesprochen. Es hat hinsichtlich des Messfotos ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Da, wie üblich, keine weiteren Beweismittel zur Verfügung standen, konnte der Tatnachweis ohne das „Blitzerfoto“ nicht geführt werden.
Gegen die Freisprüche hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht des Saarlandes eingelegt.
Das Oberlandesgericht des Saarlandes hat die Ansicht des Amtsgerichts Neunkirchen bestätigt und die Freisprüche aufrechterhalten. Aus den Gründen:
… Nach Maßgabe dieser Grundsätze unterliegt das unter rechtswidriger Beteiligung der Jenoptik an der Auswertung der Rohmessdaten zustande gekommene Messbild im vorliegenden Fall hierbei einem Verwertungsverbot. Denn die Stadt Neunkirchen hat hierbei unter bewusster Missachtung der für sie geltenden Bestimmungen gehandelt.
Der Beschluss des OLG des Saarlandes ist sehr ausführlich und überzeugend begründet, weshalb ich ihn eingescannt habe und unter diesem Link zur Verfügung stelle:
Da Handyverstöße mit einem Punkt bewehrt sind, kommt es häufig zu gerichtlichen Entscheidungen über diese Verstöße. In Anbetracht der etwas vagen Formulierung des § 23 Abs. 1 a StVO kommt es häufig zu Streit, zum Beispiel darüber, wann ein „Benutzen“ im Sinne dieser Vorschrift oder wann ein „Mobiltelefon“ vorliegt. § 23 Abs. 1 a StVO lautet:
Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist.
Zum Thema „Benutzen“ eines Mobiltelefons hat das OLG Hamm mit Urteil vom 29.12.2016 – 1 RBs 170/16 – entschieden, dass unter die Benutzung eines Mobiltelefons auch die Kontrolle gehört, ob dieses ausgeschaltet ist. Der Betroffene hatte vorgetragen, er habe lediglich die Home-Taste seines Mobiltelefons gedrückt, um zu prüfen, ob das Gerät ausgeschaltet sei. Darin hatte die Verteidigung keine „Benutzung“ im Sinne des § 23 Abs.1 a StVO gesehen. Das sah das OLG Hamm leider anders und verurteilte den Betroffenen. Allgemein lässt sich sagen, dass die Gerichte ein „Benutzen“ eines Mobiltelefons praktisch bei jeder Nutzung irgendeiner Funktion desselben (z.B. auch Musik abspielen, E-Mails lesen etc.) annehmen.
Mit einer zweiten – allerdings wenig überraschenden – Entscheidung hat das OLG Hamm bestätigt, dass auch dann von einem „Mobiltelefon“ auszugehen ist, wenn in dieses keine SIM-Karte eingelegt ist, so dass die Telefonfunktion nicht genutzt werden kann. Der Betroffene hatte vorgetragen, er habe lediglich Musik gehört. In seinem Handy sei keine SIM-Karte eingelegt gewesen.
Allgemein lässt sich zum Handyverstoß konstatieren, dass die Verteidigungsmöglichkeiten eher im Tatsächlichen liegen. In der Regel sind diese Verstöße nur protokollhaft von der Polizei dokumentieren. In der Akte befindet sich häufig nur ein Protokollzettel, den die Beamten vor Ort handschriftlich ausgefüllt haben.
Wichtig ist es in jedem Fall, zeitig konkreten Sachvortrag zu liefern, da die Tendenz bei den Amtsgerichten besteht, zu späten Sachvortrag als Schutzbehauptung abzutun. In aller Regel wird die Rechtsbeschwerde bei einem Handyverstoß auch nicht zugelassen, es sei denn, es handelt sich um ungeklärte Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung. Sprich: Das Amtsgericht hat das letzte Wort.
Führen der Täter einer Ordnungswidrigkeit und eine mit ihm zusammenwirkende, an der Tat unbeteiligte Person die Bußgeldbehörde bewusst in die Irre, indem sich die weitere Person selbst zu Unrecht der Täterschaft bezichtigt, kann dies für den Täter zu einer Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft und für die weitere Person wegen Beihilfe hierzu führen.
(OLG Stuttgart, Urt. v. 23.7.2015 Az 2 Ss 94/15)
Dem lag folgende Fallgestaltung zugrunde:
Der Angeklagte und später Verurteilte (im Folgenden: Fahrer) wurde mit einem Firmenwagen geblitzt. Sein Arbeitgeber erhielt eine Halteranfrage, benannte daraufhin den Fahrer als solchen und leitete den Fragebogen an ihn weiter. In der Folge entschlossen sich der Fahrer und ein Arbeitskollege (im Folgenden: Kollege), dass sich der Kollege als Fahrer benennen solle. Daraufhin richtete sich das Verfahren zunächst gegen den Kollegen. Nach Eintritt der Verjährung für den Fahrer gab der Kollege dann bekannt, dass er nicht der Fahrzeugführer war.
In solchen Konstellationen ist bislang geklärt, dass sich der Fahrer, der einen Dritten selbst benennt, indem er ihn als Fahrer gegenüber der Behörde benennt, z. B. indem er die Personendaten des Kollegen auf dem Anhörbogen einträgt, wegen falscher Verdächtigung strafbar macht.
Lange Zeit war es dagegen Lehrmeinung und führte zur Straflosigkeit, wenn der Fahrer sich gar nicht äußerte und der Kollege sich selbst benannte, indem er – üblicher Weise – den Anhörbogen selbst ausfüllte und an die Bußgeldstelle schickte.
Dieser „Verteidigungsstrategie“ hat das OLG Stuttgart eine klare Absage erteilt, indem es den Fahrer wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft verurteilt hat. Es führt zur Begründung aus:
Die Tatherrschaft des Hintermanns (Anmerkung: Des Fahrers und Angeklagten) kann auch im Fall eines objektiv tatbestandslos handelnden Tatmittlers wie hier gegeben sein. Der Angeklagte Ka ist im vorliegenden Fall mittelbarer Täter, weil er im Wege einer wertenden Zuschreibung Tatherrschaft und Wille zur Tatherrschaft hatte und die Tat allein in seinem Interesse begangen wurde. Er nahm auf die Tatbegehung dadurch Einfluss, dass er dem Angeklagten Kr (Anmerkung: Arbeitskollege) die an ihn gelangten Schreiben der Bußgeldbehörde mit den Daten zur Ordnungswidrigkeit übergab, nachdem er den Tatplan mit ihm vereinbart hatte. Obwohl Kr die Schriftstücke alleine ausfüllte und an die Bußgeldbehörde übersandte, hielt der Angeklagte Ka die Herrschaft über den Geschehensablauf gleichwohl weiter auch selbst in der Hand, weil er sich zu jedem Zeitpunkt an die Bußgeldbehörde wenden und den wahren Sachverhalt offenbaren konnte.
Ich habe schon davon gehört, dass der ein oder andere Versicherer – bislang mehr oder weniger inoffiziell – Bußgelder der Versicherungsnehmer übernimmt, um zu verhindern, dass diese einen Verteidiger beauftragen.
Das lief bisher immer so ab, dass der Betroffene eben geblitzt wurde, zu seinem Versicherungsvertreter ging und bereits von diesem angeboten bekam, man werde das Bußgeld übernehmen, er solle den Bescheid einfach akzetieren.
Hintergrund ist natürlich die Vermeidung von Anwalts- und Verfahrenskosten, die der Versicherer bedingungsgemäß zu tragen hat.
Jetzt sind wir endlich auch offiziell so weit!
Heute hat mich der Rechtsschutzversicherer eines Betroffenen eines Bußgeldverfahrens auf meine Deckungsanfrage hin angeschrieben. Er macht meinem Mandanten ein Angebot, von dem er anscheinend meint, man könne es nicht ablehnen. Es enthält sinngemäß folgenden Vorschlag:
Angeboten wird die Übernahme des Bußgeldes und der Verfahrenskosten durch den Rechtsschutzversicherer. Außerdem bietet man dem Betroffenen an, auf einen eventuell vereinbarten Selbstbehalt zu verzichten, sofern das Angebot angenommen werden sollte. Im konkreten Fall beträgt der Selbstbehalt übrigens 0,00 €. Auch wird angeboten, die Grundgebühr und eine Verfahrensgebühr (jeweils Mittelgebühren) sowie die Auslagen des Anwaltes zu übernehmen, sofern bereits eine anwaltliche Vertretung vorliege.
Voraussetzung ist natürlich, dass der Mandant den Bußgeldbescheid akzeptiert.
Liebe Rechtsschutzversicherer, den Betroffenen, die sich wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit bei mir melden, geht es nicht um das Bußgeld. Es geht Ihnen um die Punkte, es geht Ihnen um das Fahrverbot, es geht Ihnen um Probezeitmaßnahmen, es geht Ihnen darum, dass sie ernsthafte Zweifel am Messergebnis haben. Es geht Ihnen um alles Mögliche nur nicht um das Bußgeld.
Liebe Betroffene, wenn Ihr eigentlich gar nicht zum Anwalt wollt, weil Ihr kein Problem mit Punkten, Fahrverbot, der Messung oder sonstigem habt, dann geht doch mal zu eurem Versicherungsvertreter und fragt freundlich an, ob euer Bußgeld übernommen wird.
Könnte funktionieren.
Zu dem Angebot:
Es wird angeboten, auch die Verfahrenskosten zu übernehmen. Diese müssen aber ohnehin bedingungsgemäß getragen werden.
Angeboten wird des Weiteren, die Rechtsanwaltsgebühren zu tragen. Diese Gebührentragung soll auch noch – als freundliches Angebot – zu Gunsten des Rechtsschutzversicherers beschränkt werden auf eine Grund- und eine Verfahrensgebühr sowie die Auslagen, ohne Rücksicht darauf, welche Gebühren tatsächlich bereits entstanden sind.
Ich habe abschließend einen Vorschlag, wie die unliebsamen Kosten eines Bußgeldverfahrens (möglicher Weise effektiv) vermieden werden können. Der Ansatz ist ja richtig. Man muss den Betroffenen dazu bringen, dass er den Bescheid akzeptiert statt zum Rechtsanwalt zu gehen.
Vielleicht sollte in Zukunft angeboten werden, dass der ein oder andere Mitarbeiter des Rechtsschutzversicherers sich verpflichtet, die Punkte des jeweiligen Versicherungsnehmers in Flensburg zu übernehmen und/oder ein etwaiges Fahrverbot anzutreten.
Das wäre mal ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.
Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass kein Handyverstoß vorliegt, wenn das Mobiltelefon zwar in der Hand gehalten und damit während der Fahrt telefoniert wird, die Telefonie aber über die Bluetooth-Freisprecheinrichtung des Fahrzeugs erfolgt.
Ein Handyverstoß liegt in einem solchen Fall nur vor, wenn weitere Funktionen des Mobiltelefons genutzt werden.
Handyverstöße sind in der Praxis sehr häufig und – wegen des damit verbundenen Punktes in Flensburg – auch oft sehr umkämpft. Was bei den zahlreichen Berichterstattungen über verschiedenste Varianten der Benutzung oder Nichtbenutzung von Mobiltelefonen oft außer Acht bleibt, ist eine praxisorientierte Sicht auf die Dinge.
In der Praxis laufen Handyverstöße auf eine Vernehmung der Polizeibeamten, die den Verstoß beobachtet haben, in der Hauptverhandlung hinaus. Handyverstöße werden in aller Regel sehr schlecht behördlich dokumentiert. Die Erinnerung der Beamten an diese wenig spektakuläre Verstoßart ist meist stark verblasst und lässt sich auch vor der Verhandlung, eben mangels nachvollziehbarer Einzelfalldokumentation, kaum auffrischen.
Bei einem Handyverstoß kann es häufig angezeigt sein, frühzeitig eine glaubhafte Stellungnahme abzugeben.
Wer monatelang schweigt und sich dann in der Hauptverhandlung darauf beruft, er habe sich während der Fahrt gar kein Handy sondern einen IPod, einen Rasierapparat, ein Diktiergerät, einen Rasenmäher, seine Schwiegermutter oder sonstige Gerätschaften an die Wange gehalten, der erleidet meist Schiffbruch, weil das Gericht dann von einer Schutzbehauptung ausgehen wird.
Hinzu kommt, dass gegen Verurteilungen wegen Handyverstößen aufgrund des geringen Bußgeldes keine Rechtsbeschwerde zulässig ist. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde muss erst beantragt werden und dem Zulassungsantrag wird nur in ganz besonderen Ausnahmefällen, wie etwa in der hier ziteierten Entscheidung des OLG Stuttgart, stattgegeben. Der Amtsrichter ist also sehr frei in seiner Beweiswürdigung.
Über die aktuelle Diskussion um die Verwertbarkeit von Messungen mit Poliscan Speed – Messsystemen der Herstellerfirma Vitronic hatte ich bereits berichtet:
Nun hat sich das Amtsgericht Bremen der Argumentation des Oberlandesgerichts Frankfurt entgegengestellt und einen Betroffenen wegen Unverwertbarkeit einer Poliscan-Messung freigesprochen.
Das Gericht hat einen Sachverständigen gehört, der ausführte, der sogenannte Auswerterahmen auf dem Messfoto sei von der Auswertesoftware Tuff Viewer und gerade nicht von der geeichten Messsoftware des Gerätes erzeugt worden.
Die Auswertesoftware selbst ist allerdings nach den Erkenntnissen des Gerichts nicht geeicht.
Der Sachverständige legte Messfotos aus anderen Verfahren vor, die je nach Verwendung der unterschiedlichen Softwareversionen eben dieser Auswertesoftware Tuff Viewer den Messrahmen in unterschiedlicher Position abbildeten.
Der Auswerterahmen ist aber nach der Herstellerfirma und der PTB das maßgebliche Element zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung. Das ominöse Viereck, das auf Poliscan-Messfotos abgebildet wird, muss sich in einer bestimmten Position auf dem Messfoto befinden, sonst ist die Messung nicht verwertbar. Dass ein solches Element, das letztlich (mit-)entscheidend dafür sein soll, ob eine Messung korrekt verlaufen sein soll oder nicht, je nach verwendeter Softwareversion in veränderter Position erscheint, kann meines Erachtens nach wie vor nicht angehen.
Am 1. Mai 2014 werden die „alten“ Punkte in Flensburg ins neue Punktesystem umgerechnet. Außerdem entfällt für Punkte, die nach dem 1. Mai 2014 neu eingetragen werden (nicht für die umgerechneten Altpunkte) der „Mitzieheffekt“. Die Bepunktung der Verstöße ändert sich grundlegend (nur noch 1 bis 3 Punkte pro Verstoß) und jeder Verstoß wird separat nach seiner eigenen Tilgungsfrist getilgt.
Und wie läuft das nun mit der Punkteumrechnung? Ganz einfach:
Das geschieht, indem zunächst anhand der vorhandenen Eintragungen geprüft wird, was nach dem neuen Punktekatalog nicht mehr einzutragen wäre. Punkte, die auf Eintragungen beruhen, die künftig nicht mehr erfolgen würden, werden vorweg gelöscht.
Nach dieser „Bereinigungsaktion“ erfolgt die eigentliche Umrechnung der verbliebenen Punkte nach folgender Tabelle:
Alt
Neu
1 – 3
1
4 – 5
2
6 – 7
3
8 – 10
4
11 – 13
5
14 – 15
6
16 – 17
7
18 und mehr
8
Stichtag ist der 1. Mai 2014! Wer laufende Verfahren hat, bei denen eine Punkteeintragung im Raum steht, tut sehr gut daran, sofort fachlichen Rat einzuholen. Es können kräftig „Punkte gut gemacht werden“!
Über die geplante Reform des Punktesystems habe ich bereits im Februar berichtet. Beitrag: Reform des Punktekatalogs.
In der Zwischenzeit hat sich Einiges getan. Das Verkehrsministerium hat auf der Internetseite Punktereform.de zu einem Online-Bürgerdialog eingeladen, an dem rund 30.000 Bürger teilgenommen haben.
Hauptkritikpunkt dürfte die ungerechte Bewertung anhand eines zwei Punktesystems gewesen sein. Das Ministerium hat die Kritik aufgenommen und das geplante Zwei-Punkte-System in ein Drei-Punkte-System geändert. Künftig wird es für Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr drei Punkte geben. Das Verwarnsystem („Punktetacho“) bleibt aber, wie angedacht, bestehen.
Wer also künftig wegen einer Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr bestraft wird, erreicht sofort die erste Maßnahmenstufe („Ermahnung“).
Den Punktetacho finden sie übrigens hier: Punktetacho.
Abgelehnt wurde der häufig geäußerte Wunsch der Bürgerinnen und Bürger nach einer Sonderregelung für Berufs- und Vielfahrer. Ebenso wurde der Wunsch nach der Beibehaltung des Punkteabbausystems durch Besuch von freiwilligen verkehrspsychologischen Seminaren abgelehnt. Die freiwilligen Seminare, mit denen bisher bis zu vier Punkte abgebaut werden konnten, fallen also in Zukunft weg. Mehrfachtätern ist daher anzuraten, anhand ihres Verkehrszentralregisterauszugs zu prüfen, ob die Teilnahme an einer solchen Maßnahme Sinn macht.