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Schlagwort: Fahrverbot

BVerfG äußert sich zu Rohmessdaten

Der Zug ist abgefahren: Rohmessdaten müssen nicht gespeichert werden (BVerfG)

„Was lange währt, wird nichts …“, könnte man auch titeln.

Oder: „Klein Bonum ist gefallen.“

Dem Bundesverfassungsgericht lagen mehrerer Verfassungsbeschwerden vor, mit denen sich die jeweiligen Betroffenen gegen die Verwertung von Geschwindigkeitsmessungen gewendet hatten. In Fachkreisen wurde insbesondere die Entscheidung in der Sache 2 BvR 1167/20 zum Messgerät LeivtecXV3, die bereits für das Kalenderjahr 2021 angekündigt war, mit Spannung erwartet. Hintergrund der gesamten Diskussion um die Rohmessdaten ist die Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichts, Urt. v. 5.7.2019 – Lv 7/17, die zum Messgerät Traffistar S 350 erging.

Herausgekommen sind drei Nichtannahmebeschlüsse, aus denen aber nach meiner Ansicht folgt, dass sich das BVerfG der überwiegenden Rechtsprechung – Ausnahme Saarländisches VerfG – angeschlossen hat.

Zum Leivtec XV3: 2 BvR 1167/20

Zum Poliscan M1 HP: 2 BvR 1082/21

Zum Traffistar S 350: 2 BvR 1090/21

Im Ergebnis werden Betroffene nach meiner Einschätzung mit dem Argument, das Messergebnis dürfe nicht gegen Sie verwertet werden, weil die Rohmessdaten nicht mehr vorhanden seien, nun auch im Saarland (klein Bonum) von den Instanzgerichten nicht mehr gehört werden. Ob, wann und wie das Saarländische Verfassungsgericht noch einmal unter Berücksichtigung der Beschlüsse des BVerfG entscheiden wird, ist offen. Zum Verhältnis Bundesverfassungsgericht und Landesverfassungsgerichte ist insoweit anzumerken, dass Landesverfassungsgerichte eben die Vereinbarkeit mit der Landesverfassung prüfen, während das BVerfG über die „Bundesverfassung“ sprich das Grundgesetz wacht. Die Landesverfassung kann grundsätzlich verletzt sein, auch wenn das Grundgesetz nicht verletzt ist. Vorliegend geht es aber um das Recht auf ein faires Verfahren bzw. die sog. Waffengleichheit. Der Entscheidungsgegenstand ist daher identisch. Hätte das BVerfG über die Beschwerden entschieden statt sie nicht anzunehmen, ginge meines Erachtens dessen Entscheidung vor.

Hat es aber nicht.

Die Verfassungsbeschwerden wurden allesamt als unsubstantiiert bezeichnet und nicht zur Entscheidung angenommen. Die BeschwerdeführerInnen haben aus Sicht des BVerfG nicht hinreichend dargelegt, dass eine Grundrechtsverletzung vorliege.

Unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 12.11.2020 – BvR 1616/18 führt das BVerfG nämlich aus, dass der Betroffene grundsätzlich Anspruch auf Zugang auch zu solchen Informationen hat, die bei der Bußgeldbehörde vorhanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden.

Hierzu zählt es aber gerade nicht die nicht (mehr) vorhandenen Rohmessdaten.

„Der Beschwerdeführer schlussfolgert jedoch, der aus dem Grundsatz des Rechts auf ein faires Verfahren resultierende Gedanke der Waffengleichheit gebiete es darüber hinaus, dass die zuständigen Behörden nur Geräte einsetzen, die sogenannte „Rohmessdaten“ erheben. Damit verlangt er ein Mehr im Vergleich zur bloßen Herausgabe von vorhandenen Informationen, weil nach seinem Vorbringen auch die Bußgeldbehörde nicht im Besitz der von ihm bezeichneten „Rohmessdaten“ ist. Der Beschwerdeführer legt insofern nicht substantiiert dar, dass aus dem verfassungsrechtlich verankerten Recht auf ein faires Verfahren − aus Gründen der „Waffengleichheit“ oder in sonstiger Hinsicht − auch eine staatliche Pflicht folgt, potentielle Beweismittel zur Wahrung von Verteidigungsrechten vorzuhalten beziehungsweise zu schaffen.“ (BVerfG, Beschl. v. 20.6.2023 – 2 BvR 1167/20)

Das BVerfG wägt ab zwischen dem standardisierten Mesverfahren, bei dem wegen der „Massentauglichkeit“ eben geringere Anforderungen an die Beweisführung zu stellen seien und dem Recht des Betroffenen auf effektive Verteidigung. Es ist der Entscheidung eindeutig zu entnehmen, dass das BVerfG den Grundsätzen des standardisierten Messverfahrens den Vorrang einräumt. Einen Anspruch auf Speicherung sämtlicher Rohmessdaten sieht es nicht. Nach wie vor müssten Betroffene an der jeweiligen Einzelfallmessung konkrete Zweifel aufzeigen.

Hinzu kommt, dass das BVerfG die Ausführungen des Beschwerdeführers zur grundsätzlichen „offenkundigen tatsächlichen Unsicherheit im Hinblick auf die Relevanz von Rohmessdaten für die Verteidigungsmöglichkeiten“ anspricht und hierzu feststellt, dass nicht dargelegt ist, dass die Einsicht in die Rohmessdaten überhaupt geeignet ist, eine Messung anzugreifen. Gemeint ist damit, dass bei der Begutachtung der früher noch vorhandenen Rohmessdaten in der Regel auch „nichts rauskam“.

Fazit: Zwar ist rein theoretisch denkbar, dass es dem Betroffenen im Einzelfall gelingen könnte, konkrete Anhaltspunkte für Messfehler aufzuzeigen, die Anlass geben könnten, sich auf die fehlenden Rohmessdaten zu berufen. Ich halte das aber für eine rein theoretische Konstellation. Faktisch ist das Thema fehlende Rohmessdaten aus meiner Sicht erledigt.

VerfGH RLP zum Poliscan FM1: Speicherung von Rohmessdaten nicht erforderlich!

Der Verfassungsgerichtshof Rheinlandpfalz hat entschieden, dass die Verwertung eines Geschwindigkeitsmessergebnisses auch ohne Speicherung von Rohmessdaten zulässig ist. Nach Ansicht des Verfassungsgerichts RLP verstößt das nicht gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren.

Der Betroffene wurde mit einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb  geschlossener Ortschaften um 70 km/h geblitzt. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte dabei mittels eines Messgeräts des Typs Poliscan FM1. Es handelt sich hierbei um ein weit verbreitetes Lasermessgerät, welches beispielsweise in Trailern verwendet wird. Messgeräte vom Typ Poliscan des Herstellers Vitronic kommen auch mobil oder in Blitzersäulen zum Einsatz.

Umfangreiche Positions- und Zeitdaten könnten eigentlich gespeichert werden, werden aber, wie auch bei verschiedenen anderen Messgeräten, von der Gerätesoftware gelöscht. Eine dauerhafte Speicherung dieser Daten wäre technisch möglich.

Der Betroffene hatte sich durch die Instanzen gegen seine Verurteilung durch das Amtsgericht Wittlich gewehrt und war zuletzt auch vor dem Oberlandesgericht Koblenz gescheitert.

Mit der Verfassungsbeschwerde machte er unter anderem eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren geltend, da die Rohmessdaten vom Gerät gelöscht worden seien und für eine nachträgliche Überprüfung der Messung nicht mehr herangezogen werden könnten.

Das rheinland-pfälzische Verfassungsgericht stellt darauf ab, dass der Gedanke der Waffengleichheit, im Falle von nicht oder nicht mehr vorhandenen Rohmessdaten, nicht zum Tragen komme. Entscheidend sei, dass die Rohmessdaten weder den Betroffenen noch der Bußgeldstelle, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zur Verfügung stünden. Der Betroffene einer Geschwindigkeitsmessung hat nach Ansicht des Verfassungsgerichts Rheinlandpfalz keinen aus dem Recht auf ein faires Verfahren abzuleitenden Anspruch darauf, dass bei standardisierten Messverfahren, Rohmessdaten zwingend gespeichert werden müssten. Etwaige Messfehler würden ohnehin durch die erforderlichen Toleranzabzüge kompensiert.

Die Entscheidung finden Sie hier zum Download als PDF-Datei:

Beschluss vom 22. Juli 2022 Aktenzeichen VGH B 30/ 21

Hier geht es zur Presseerklärung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz:

Pressemitteilung Nr. 4/2022 – Verwertung eines Geschwindigkeitsmessergebnisses ohne Speicherung von Rohmessdaten verstößt nicht gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren

Die Entscheidung ist im Kontext mit der gegenläufigen Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs zu sehen, über die ich bereits berichtet habe, und die Gegenstand zahlreicher amts- und oberlandesgerichtlicher Entscheidungen war.

Messungen unverwertbar! Saarl. VerfG hebt Verurteilung auf!

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Frage der fehlenden Speicherung beziehungsweise Löschung von Rohmessdaten steht demnächst an. Das Verfahren läuft noch. Mit einem Termin zur Verhandlung könnte noch im Sommer 2022 zu rechnen sein.

Rotlichtverstoß – Verteidigungsmöglichkeiten

Rotlichtverstöße sind in der verkehrsrechtlichen Praxis von erheblicher Bedeutung. Insbesondere, weil bei einem sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß ein Fahrverbot droht, ist der Fachanwalt/die Fachanwältin für Verkehrsrecht regelmäßig mit Rotlichtverstößen befasst.

Ein solcher qualifizierter Verstoß liegt beispielsweise vor, wenn die vorgeworfene Rotlichtdauer länger als eine Sekunde beträgt.

Kaum eine andere Verkehrsordnungswidrigkeit ist mit so vielen Problematiken behaftet und bietet so viel Verteidigungspotential wie ein Rotlichtverstoß.

Die Feststellung von Rotlichtverstößen erfolgt im Wesentlichen auf zwei verschiedene Arten. Zum einen werden Rotlichtverstöße häufig mit fest installierten Blitzern erfasst. Zur anderen Fallgruppe zählt man die Beobachtung von Rotlichtverstößen durch Zeugen, häufig durch Polizeibeamte.

Fraglich ist oft schon, ob überhaupt ein Rotlichtverstoß (beweiskräftig) festgestellt werden kann.

Ein Rotlichtverstoß liegt nicht bereits dann vor, wenn der oder die Betroffene „die rote Ampel überfahren“ hat. Vielmehr ist es erforderlich, dass in den von der Ampel geschützten Bereich eingefahren wurde. Das kann beispielsweise eine Kreuzung oder eine Fußgängerfurt sein.

Aus diesem Grund wird zweimal geblitzt. Der erste Blitzer erfasst dabei das Überfahren der Haltelinie. Auf dem zweiten Foto wird das Einfahren in den von der Ampel geschützten Bereich dokumentiert.

Auch bei der Frage, ob die Ampel breits länger als eine Sekunde Rot zeigte, ist eine sorgfältige Einzelfallprüfung angeziegt.

Maßgeblich für die Dauer der Rotphase ist der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie.

Da die erste Messschleife nicht exakt unter der Haltelinie, sondern hinter der Haltelinie unter der Fahrbahn verlegt ist, kann es hier schon zu Fehlern bei der Berechnung der Rotlichtdauer kommen. Es sind bei verschiedenen Messsystemen Toleranzabzüge zu machen, die gelegentlich von den Behörden übersehen werden.

Bei der Beobachtung von Rotlichtverstößen, häufig durch Polizeibeamte, ebenfalls – meist im Rahmen einer Hauptverhandlung – kritisch zu hinterfragen, wie ist zu der gemessenen Rotlichtdauer kommt. Hierbei entstehen verschiedene Fallgruppen, beispielsweise durch Mitzählen der Beamten oder durch Verwendung einer (nicht-)geeichten Stoppuhr oder der Stoppuhrfunktion eines Mobiltelefons. In jedem dieser Fälle sind Toleranzabzüge zu machen, wobei teilweise von der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist, in welcher Höhe diese zu machen sind.

In jedem Fall muss der Verteidiger oder die Verteidigerin also prüfen, ob überhaupt ein Rotlichtverstoß vorliegt. Falls dies der Fall ist und zudem ein Sekundenverstoß vorgeworfen wird, ist zu prüfen, ob dieser auch zeitmäßig korrekt festgestellt wurde, gegebenenfalls durch Vernehmung der Polizeibeamten im Rahmen einer Hauptverhandlung. Erst wenn feststeht, dass ein ordnungsgemäß festgestellter, beweiskräftiger Sekundenverstoß vorliegt, kann sich die Verteidigung auf das Fahrverbot konzentrieren.

Denn selbst wenn der Rotlichtverstoß bereits länger als eine Sekunde gedauert hat, folgt daraus lediglich ein sog. Regelfahrverbot. Ein Regelfahrverbot bedeutet nicht, dass dieses in jedem Fall verhängt werden muss bzw. zwingend rechtmäßig ist.

Sowohl die Tatumstände als auch Umstände in der Person des Täters können ein Absehen vom Fahrverbot gebieten. Das kann insbesondere gelten, wenn an der konkreten Ampelanlage keine objektiv gefährliche Situation vorlag, beispielsweise weil es überhaupt keinen Querverkehr geben konnte. In jedem Fall sollte man bei einem Rotlichtverstoß die Hilfe eines Fachanwalts für Verkehrsrecht in Anspruch nehmen, da die Praxis zeigt, dass auch bei den Behörden und Gerichten Unklarheiten und Missverständnisse bestehen können. Zudem ändert sich die Rechtsprechung regelmäßig. Die Verteidigung von Rotlichtverstößen bedarf ständiger Fortbildung und der Recherche anhand der Akte im Einzelfall.

Zum Thema Rotlichtverstoß finden Sie auf meiner Homepage viele Beiträge, die ich fortlaufend noch um einzelne Problematiken, zum Beispiel Spurwechsel, Baustellenampel, Mitzieheffekt, Frühstarterfälle etc. ergänzen werde.

Geblitzt mit Leivtec XV3: Wiederaufnahme des Verfahrens möglich!

Das Amtsgericht Cloppenburg hat mit Beschluss vom 6.8.2021 – 18 OWi 775 Js 46945/21 einem Antrag auf Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Bußgeldverfahrens stattgegeben.

Wiederaufnahme des Verfahrens bedeutet, dass eine bereits rechtskräftige Entscheidung praktisch aufgehoben und der Betroffene/Beschuldigte behandelt wird, als hätte er rechtzeitig Rechtsmittel bzw. Rechtsbefehl eingelegt.

 

 

Gegen den Betroffenen war ein zwischenzeitlich rechtskräftiger Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung erlassen worden. Der Bescheid enthielt ein Fahrverbot. Rechtskraft war eingetreten, da der Betroffene die Einspruchsfrist hatte verstreichen lassen.

 

 

Nach § 85 OWiG i. V. m. § 359 StPO kann ein durch rechtskräftigen Bußgeldbescheid eigentlich abgeschlossenes Bußgeldverfahren unter bestimmten Voraussetzungen wiederaufgenommen werden. Im Wesentlichen sind diese Voraussetzungen in § 359 StPO geregelt.

 

Nach § 359 Absatz 5 StPO ist eine solche Wiederaufnahme zulässig,

 

„ … wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind, … „

 

Das Amtsgericht Cloppenburg hat entschieden:

 

„Dadurch dass bei dem Messgerät Leivtec XV3 die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens derzeit nicht mehr als gegeben angesehen werden, liegen neue Tatsachen im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO vor.“

 

Hintergrund dieser Entscheidung ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg, Beschl. v. 20.4.2021 – 2 Ss(OWi) 92/21. In dieser Entscheidung hat das OLG Oldenburg festgestellt, dass im Falle des Messgerätes Leivtec XV3 die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens derzeit als nicht gegeben anzusehen sind. Das Verfahren gegen den dortigen Betroffenen hat das OLG Oldenburg eingestellt.

 

Zu beachten ist, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens für den Betroffenen nicht automatisch bedeutet, dass er auch freigesprochen wird.  Im Saarland ist allerdings wegen der aktuellen Rechtsprechung des OLG Saarbrücken und des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs im Falle des Leivtec XV3 mit einer Einstellung zu rechnen.

 

Schließlich begrenzt § 85 II OWiG die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens. Voraussetzung ist, dass entweder eine Geldbuße von mindestens 250,00 Euro oder ein Fahrverbot verhängt wurde.

 

Ein solcher Wiederaufnahmeantrag macht vor allem dann Sinn, wenn ein eigentlich rechtskräftiger Bußgeldbescheid vorliegt, in dem ein Fahrverbot mit der sogenannten viermonatigen Schonfrist verhängt wurde und der Antrag noch so frühzeitig gestellt werden kann, dass mit einer Entscheidung innerhalb der Schonfrist zu rechnen ist.

 

Es dürfte sich hierbei um eine eher geringe Anzahl von Fällen handeln.

Neuer Bußgeldkatalog tritt heute in Kraft!

Mit Wirkung zum 9.11.2021 tritt die Änderungsverordnung zur Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV-Novelle) vom 19. Oktober 2021 in Kraft. Die ursprüngliche Änderungsverordnung zum 28.4.2020 hatte sich wegen eines Verstoßes gegen das sog. Zitiergebot als unwirksam herausgestellt. Für Interessierte hier der Link zu dem damaligen Beitrag:

Verschärfung der StVO unwirksam!

Nach einigem Hin und Her hat sich der Gesetzgeber entschieden, die Änderung zu entschärfen, indem er die Geschwindigkeitsgrenzen für die Verhängung von Fahrverboten nun doch nicht herabgesetzt hat.

Beim Ersttäter bleibt es also dabei, dass innerorts ab 31 km/h und außerorts ab 41 km/h Überschreitung ein Fahrverbot vorgesehen ist.

Die Novelle dient der Verbesserung der Verkehrssicherheit und soll insbesondere Fußgänger und Radfahrer schützen.

Aus diesem Grund wurden die Rechtsfolgen bei Park- und Halteverstößen erheblich verschärft.

Für das verbotswidrige Parken auf Geh- und Radwegen und das Halten auf Schutzstreifen sowie das Parken und Halten in zweiter Reihe werden Geldbußen bis zu 110 Euro fällig. Diese Verstöße ziehen in Zukunft auch einen Punkt nach sich, wenn durch sie eine Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer oder eine Sachbeschädigung entsteht. Auf einem Geh- und Radweg erhält man bereits dann einen Punkt, wenn man länger als eine Stunde auf diesem parkt, ohne dass es auf eine Gefährdung /Behinderung oder Sachbeschädigung ankäme.

Die vorschriftswidrige Benutzung von Gehwegen und linksseitigen Radwegen wird ab dem 9.11.2021 mit bis zu 100,00 Euro Geldbuße geahndet.

Die Geldbußen für die übrigen Park- und Halteverstöße wurden erhöht (z.B.: auf einem Schwerbehindertenparkplatz: 55,00 Euro).

Der Gesetzgeber hat ferner die Rechtsfolgen bei Nichtbildung und bei unerlaubter Nutzung von Rettungsgassen erheblich verschärft. Ab dem 9.11.2021 wird nicht nur die unerlaubte Nutzung einer Rettungsgasse mit einem Fahrverbot belegt sondern auch die Nichtbildung der Rettungsgasse.

Die Nichtbildung einer Rettungsgasse wird mit 200,00 Euro und einem Monat Fahrverbot, die Benutzung einer Rettungsgasse wird mit 240 Euro und einem Monat Fahrverbot geahndet. Bei Gefährdung, Behinderung oder Sachbeschädigung erhöht sich die Geldbuße auf bis zu 320,00 Euro.

Zudem wurden die Geldbußen für Geschwindigkeitsverstöße deutlich erhöht.

Den aktuellen Bußgeldkatalog finden Sie hier:

https://www.gesetze-im-internet.de/bkatv_2013/anlage.html

Leivtec XV 3 – Messungen – Abschlussbericht der PTB und aktuelle Entscheidungen

Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) hat den Abschlussbericht im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsmessgerät Leivtec XV3 vorgelegt.

Sie finden diesen als PDF-Datei hier:

Abschlussbericht der PTB zum Leivtec XV3

Zusammengefasst kommt die PTB zu folgenden Ergebnissen:

Abweichungen zuungunsten des Betroffenen gab es bei den mehr als Tausend durchgeführten Messungen nur selten.

Alle Fälle, in denen solche Messabweichungen festgestellt werden konnten, waren Rechtsmessungen. Das Messgerät war in diesen Fällen aus Sicht des Fahrers also am linken Fahrbahnrand aufgestellt.

Allen Fällen ist gemeinsam, dass im Messung-Start-Bild das Nummernschild des betroffenen Fahrzeugs nicht vollständig vom Messfeldrahmen umfasst war. Hierzu ist anzumerken, dass die Messfotos einen viereckigen Rahmen einblenden, der eine bestimmte Position haben muss.

Hierzu hatte der Messgerätehersteller bereits – nach Bekanntwerden der Messproblematik – eine Ergänzung der Bedienungsanleitung vorgenommen.

Bei allen Messungen, bei denen unzulässige Abweichungen vorgenommen wurden, war die Messstrecke kürzer als 12,2 m.

Inzwischen hat das OLG Celle einen Fall aufgehoben und an das zuständige Amtsgericht zurückverwiesen mit der Aufforderung, im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob sich die Problematik auf die gegenständliche Messung mit dem Leivtec XV3 ausgewirkt hat.

Im Saarland werden derzeit vom Amtsgericht St. Ingbert – insbesondere in Fällen, in denen ein Fahrverbot im Raum steht – Plausibilitätsgutachten angefordert.

In meiner aktuellen Podcast-Folge erfahren Sie mehr zu diesem Thema:

16 – Folge September 2021

Pflicht zur Vernehmung von Entlastungszeugen im Bußgeldverfahren

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit Beschluss vom 15.9.2020 – 1 Rb 37 Ss 473/20 – entschieden, dass die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen nicht ohne Weiteres zurückgewiesen werden darf.

Insbesondere genügt die Begründung nicht, durch die Aussagen des bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil zum Nachteil des Betroffenen bereits erwiesen.

In der Sache ging es um einen Verstoß gegen eine Personenbeförderungsvorschrift. Der Betroffene soll seinen siebenjährigen Sohn ohne Kindersitz oder Sitzerhöhung befördert haben. Im Fond des Autos befanden sich die beiden Söhne des Betroffenen. Der Betroffene hatte in der ersten Instanz seinen zweiten, älteren Sohn als Zeugen dafür benannt, dass der Siebenjährige auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

Das Amtsgericht Wertheim hat den Antrag auf Vernehmung des Sohnes als Zeugen mit der Begründung abgelehnt, der Polizeibeamte sei bereits vernommen worden und habe das Gegenteil bezeugt.

Das OLG Karlsruhe hat die Entscheidung des AG Wertheim aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das AG Wertheim zurückverwiesen.

Es hat klargestellt, dass die Ablehnung des Antrages auf Vernehmung des Zeugen das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzte. Es hätte sich dem AG Wertheim aufdrängen müssen, dass der als Zeuge benannte Sohn zu der Frage, ob eine Sitzerhöhung  genutzt wurde oder nicht, eigene Wahrnehmungen und somit potentiell auch eine eigene Aussage mit entsprechend überprüfbarem Wahrheitsgehalt hätte machen können.

Das OLG Karlsruhe weist ergänzend darauf hin, dass eine Ausnahme von der Aufklärungspflicht des Gerichts durch Vernehmung von Zeugen beispielsweise dann vorliegen kann, wenn die Möglichkeit der Wahrnehmung der behaupteten Tatsache durch den Zeugen bereits zweifelhaft erscheint. Hauptanwendungsfall dürfte hier das Angebot der Vernehmung eines Fahrzeuginsassen zur gefahrenen Geschwindigkeit sein. Einer solchen Vernehmung steht regelmäßig das Messergebnis bzw. die Aussage des Messbeamten zur Ordnungsgemäßheit des Messergebnisses entgegen.

Kurzum: Mit der Behauptung, ein Fahrzeuginsasse könne eine niedrigere als die gemessene gefahrene Geschwindigkeit im Tatzeitpunkt bestätigen, wird man nach wie vor regelmäßig (zu Recht) nicht vor Gericht gehört werden.

Die Entscheidung enthält auch Ausführungen zur Begründungspflicht des Gerichts bezüglich der Ablehnung solcher Beweisanträge. Das OLG Karlsruhe führt dazu aus, dass eine Kurzbegründung in der Hauptverhandlung ausreicht, allerdings im Urteil eine Begründung zu erfolgen hat, die einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zugänglich ist.

Geblitzt? OLG Saarbrücken stellt Leivtec-Verfahren ein!

Über die möglichen Fehlmessungen bei dem im Saarland weit verbreiteten Messverfahren Leivtec XV3 hatte ich bereits mehrmals berichtet.

Leivtec stellt Messungen ein

Geblitzt? Messabweichungen beim Leivtec XV3!

Nun liegt die erste Entscheidung des OLG Saarbrücken zu diesem Thema vor.

Das OLG hat ein Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 28.4.2021 – SsRs 4/21 (13/21 OWi) eingestellt. Die Kosten und Auslagen des Betroffenen hat es der Staatskasse auferlegt.

Das OLG folgte damit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken, die ihrerseits beantragt hatte, das Verfahren gegen den Betroffenen einzustellen. Unter Hinweis auf die aktuell aufgetretenen Messprobleme erschien die Verwertbarkeit der Messung als fraglich. Das OLG hielt es daher für geboten, die Sache nicht weiter zu verfolgen.

Sofern Sie mit dem Leivtec XV3 gemessen wurden, sollten Sie sich bei mir melden. Es erscheint derzeit als äußerst wahrscheinlich, dass Ihr Verfahren eingestellt werden wird.

Der Messgerätehersteller bemüht sich derzeit um eine Prüfung und Lösung mit der Physikalisch Technischen Bundesanstalt.

Regelmäßige Zwischenstandsnachrichten finden Sie hier:

Homepage der Firma Leivetec

Blitzer Leivtec XV3: Hersteller stellt Messungen ein!

Ich hatte bereits darüber berichtet, dass der Messgerätehersteller Leivtec seine Bedienungsanleitung ändern musste. Hintergrund war, dass eine Sachverständigenvereinigung mittels Testmessungen nachgewiesen hatte, dass es bei dem Gerät zu erheblichen Messabweichungen kommt. Den Artikel finden Sie hier:

Geblitzt? Messabweichungen beimLeivtec XV3!

In der Folge hat sich laut dieser Sachverständigen gezeigt, dass die Verschärfung der Auswerterichtlinien nicht ausgereicht hat. Auch Messungen, die nach den strengeren Maßstäben verwertbar sind, können laut den Sachverständigen zu hohe Messergebnisse anzeigen.

Der Hersteller Leivtec hat nun reagiert und die Betreiber des Mesgeräts per E-Mail gebeten, einstweilen von weiteren amtlichen Messungen Abstand zu nehmen.

In der E-Mail von Leivtec an die Messtellenbetreiber heißt es:

Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen
werden kann, dass es auch bei Beachtung der Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu
unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann, möchten wir sie bitten, von weiteren
amtlichen Messungen vorerst Abstand zu nehmen. Wir werden uns nach Veröffentlichung der
finalen Prüfergebnisse der PTB unverzüglich wieder bei Ihnen melden. Wir sind uns der
Tragweite unseres Schreibens bewusst, sehen jedoch in der Sache keine andere
Entscheidungsoption, da es uns als Ihr seit vielen Jahrzehnten zuverlässiger und seriöser
Partner darauf ankommt, den rechtssicheren Einsatz unserer Produkte im
Verkehrsüberwachungsbereich unter allen Umständen zu gewährleisten. Insoweit hoffen wir
auf Ihr Verständnis und verbleiben …“

Das Lasermessgerät Leivtec xV3 ist ein bundesweit eingesetztes Geschwindigkeitsmessgerät, das gerade im Saarland weit verbreitet eingesetzt wird.

Wenn Sie mit diesem Messgerät gemessen wurden, sollten Sie sich verteidigen!

Im Moment ist noch völlig unklar, wie die Gerichte, insbesondere das Amtsgericht St. Ingbert, das für das Saarland zentral für diese Verfahren zuständig ist, auf die Problematik reagieren werden.

Schließlich stellt sich gerade im Zusammenhang mit der Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichts zum Traffistar S350 die Frage, welche Auswirkungen die Erschwerung der nachträglichen Überprüfung der Messung durch die Löschung von Rohmessdaten nun vor dem Hintergrund der im Raum stehenden Fehlerhaftigkeit des Messverfahrens hat.

Zuletzt hatte das AG St. Ingbert Messungen mit dem Leivtec XV3 für verwertbar erklärt. Ausreichend sei die Möglichkeit einer nachträglichen Plausibilitätskontrolle.

AG St. Ingbert: Es werde geblitzt! Leivtec XV3-Messungen wieder verwertbar.

Wenn das Messgerät fehlerhafte Messergebnisse auswerfen sollte, was wohl der Fall zu sein scheint, dann kommt der Tatsache, dass die Rohmessdaten nicht vollständig zur Verfügung gestellt werden, eine ganz andere – auch praktische – Bedeutung zu.

Zu begrüßen ist jedenfalls die Aufforderung des Herstellers, die Messungen vorläufig, bis zur Klärung der Problematik, nicht mehr durchzuführen.

Geblitzt? Messabweichungen beim Leivtec XV3!

Beim Messsystem Leivtec XV3 handelt es sich um ein Lasermessverfahren, das gerade im Saarland häufig eingesetzt wird. Das OLG des Saarlandes hat bereits Verfahren eingestellt, weil das Messgerät die zur Überprüfung der Messung erforderlichen Rohmessdaten nicht speichert.

Im Sommer 2020 haben unabhängige technische Gutachter das Messgerät umfassend auf Messfehler überprüft. Hierbei konnten relevante Messfehler nachgewiesen werden.

Anlässlich der Messreihen wurden Vergleichsmessungen mit mehreren Messanlagen vom Typ Leivtec XV3, die nebeneinander platziert wurden, durchgeführt. Zudem wurden Messungen gleichzeitig mit einem Leivtec XV3-Messgerät und einem ESO 8.0-Messgerät durchgeführt.

Es kam zu Abweichungen beim Messergebnis, die außerhalb der Messfehlertoleranz des Messgerätes liegen. So hatte das ESO 8.0 bei einer Messung eine Geschwindigkeit von 95 km/h ermittelt, das Leivtec XV3 aber einen Wert von 103 km/h.

Des Weiteren wurden zwei Leivtec XV3 nebeneinander positioniert, jedoch unterschiedlich ausgerichtet. So sollte der Einfluss unterschiedlicher Geräteeinrichtungen untersucht werden. Bei einer Referenzgeschwindigkeit von 131 km/h kam es zu einer Abweichung von 16 km/h bei einer Verkehrsfehlergrenze von +/- 4 km/h. Ein Messgerät hatte 125 km/h gemessen, das andere 141 km/h.

Die Versuchsreihen sind auf der Homepage des Instituts für Qualitätssicherung in der Verkehrsmessechnik e.V. erläutert:

https://www.iqvmt.de/LeivtecXV3.html

Die Sachverständigen fassen das Ergebnis wie folgt zusammen:

„Nach hiesiger Bewertung ist es anhand unterschiedlicher Messanlagen des betroffenen Typs Leivtec XV3, sowie unterschiedlicher Referenzanlagen nach ca. 900 Versuchsfahrten erwiesen, dass es im aktuellen technischen Stand der Anlage zu zahlenmäßig relevanten unzulässigen Messabweichungen kommen kann, weshalb wir die Beteiligten bitten, aktuell ein besonderes Augenmerk und Umsicht bei der Bearbeitung von Verfahren und beim Einsatz der Messanlage XV3 walten zu lassen, da die Prüfung seitens der PTB und des Herstellers noch unbestimmt andauert.
Für den zukünftigen Einsatz der Messanlage XV3 sollte mit Bezug auf die forensische Prüfbarkeit auf die Qualität der Fertigung des Start- und Endebildes geachtet werden. Die Messanlage sollte zudem aus unserer Sicht ausschließlich derart eingesetzt werden, dass die Fahrzeuge im gesamten messrelevanten Bereich (50 m bis 30 m vor dem Gerät) vollständig in beiden Bildern abgelichtet sind.“

Inzwischen hat der Hersteller die Bedienungsanleitung des Messgerätes geändert:

Beurteilung des Messung-Start-Bildes

Zur Verwertbarkeit der Beweisbilder muss für alle in Kapitel 5.4 aufgeführten Kriterien zusätzlich folgende
Bedingung für das Messung-Start-Bild erfüllt sein:
Sofern sich im Messung-Start-Bild nicht das komplette Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens befindet,
muss die innerhalb des Messfeldrahmens abgebildete Breite des Kennzeichens mindestens der zweifachen
Höhe des Kennzeichens entsprechen.
Bei Messungen mit Einfahrt des Fahrzeugkennzeichens in den Messfeldrahmen von oben muss im MessungStart-Bild das gesamte Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens abgebildet sein.“

Dieser Bedingung werden aber nicht alle Messung-Start-Bilder gerecht. Ob im Einzelfall ein korrektes Messung-Start-Bild gefertigt wurde, lässt sich anhand der Bußgeldakte prüfen.

BVerfG: Betroffener hat Anspruch auf Einsicht in die Rohmessdaten!

Ein „Dauerbrenner des Ordnungswidrigkeitenrechts“ ist die Frage, in welchem Umfang der Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens Anspruch auf Akteneinsicht hat. Das betrifft vor allem die Frage, ob er auch Anspruch auf Einsicht in solche Dokumente hat, die sich gar nicht in der behördlichen Akte befinden.

Mit diesem Thema, konkret der Einsicht des Betroffenen in die Dateien (Rohmessdaten) der Verkehrsmessung, hat sich das Bundesverfassungsgericht jetzt befasst. Der vor allem in südlichen Bundesländern verbreiteten Ansicht dortiger Behörden und der dortigen Rechtsprechung nach dem Motto „Quod non est in actis non est in mundo – Was nicht in der Akte ist, ist nicht in der Welt“, hat das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage erteilt. Es hat  die angegriffene Entscheidung des OLG Bamberg für verfassungswidrig  erklärt und festgestellt:

„Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt hiernach, dass der Beschuldigte eines Strafverfahrens neben der Möglichkeit, prozessual im Wege von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen auf den Gang der Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, grundsätzlich auch das Recht hat, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden (vgl. BVerfGE 63, 45 <66>).“ BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18

Link zum Beschluss des BVerfG:

BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18

Damit ist der „Teufelskreis“ für den Betroffenen aufgelöst. Bislang hatten mehrere Obergerichte die Betroffenen darauf verwiesen, es handele sich bei den jeweiligen Messverfahren um standardisierte Verfahren. Um das Gericht dann dazu zu bewegen, eine Messung zu begutachten oder die Rohmessdateien beizuziehen, wurde vom Betroffenen gefordert, konkrete Zweifel an der Messung darzulegen. Das ist aber ohne die Messdateien kaum möglich.

Meine ehrliche Meinung:

Die Entscheidung ist für die Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz von untergeordneter Relevanz, da ich erfahrungsgemäß als Verteidiger von den zentralen Bußgeldstellen St. Ingbert und Speyer sowohl die Rohmessdaten als auch alle anderen wesentlichen Dokumente (z.B.: „Lebensakte“ des Messgeräts, Schulungsnachweise der Messbeamten) auf erste Anfrage erhalte, sofern ich im Einzelfall meine, dass mit der Messung etwas schiefgelaufen sein könnte oder es auf ein oder zwei km/h mehr oder weniger ankommt (z.B. bei Erreichen der Fahrverbotsgrenze).

Wichtig ist sie aber für andere Bundesländer, insbesondere Bayern. Dort wird man sich bei den Bugßeldstellen neu sortieren müssen, nachdem das für seine restriktive Rechtsprechung in Ordnungswidrigkeitensachen berüchtigte OLG Bamberg nun zum Umdenken gezwungen ist.

De facto wird man in den weit überwiegenden Fällen leider mit den Rohmessdaten nichts anfangen können. Sofern sie nicht vom Messgerät gelöscht werden, was in den betroffenen Verfahren übrigens immer noch zu Einstellungen durch das OLG des Saarlandes führt, lässt sich nach meiner Erfahrung mit einer sachverständigen Überprüfung der Rohmessdaten in der Regel wenig gewinnen. Denn die Messungen an sich sind fast immer korrekt. Durchschlagende Messfehler sind die absloute Ausnahme. Allenfalls kann in dem ein oder anderen Fall ein weiterer Toleranzabzug von einem oder zwei km/h durchgesetzt werden. Das ist aber auch die Ausnahme.

Aber: Jetzt kriegen wir sie endlich, die Dateien! Da freuen sich die Sachverständigen, die jetzt wahrwcheinlich noch mehr Umsatz machen. Wer sich nicht freut, das sind die Rechtsschutzversicherer, die das Ganze bezahlen dürfen und der Betroffene, für den bei der Begutachtung nichts rauskommt und der wegen der hohen Kosten von seinem Rechtsschutzversicherer die Quittung in Form der Kündigung kassiert.

Feststellungen zum Rotlichtverstoß und Ermittlung der Rotlichtzeit durch Zeugen – OLG Düsseldorf hebt Verurteilung auf!

Ganz, ganz üble Klatsche für das Amtsgericht Wuppertal!

Erinnert mich stark an meine damalige Lateinlehrerin: „Weiser, setzen! 6!“.

Das OLG Düsseldorf hat die Verurteilung eines Betroffenen durch das Amtsgericht Wuppertal aufgehoben, der wegen eines Rotlichtverstoßes von mehr als einer Sekunde verurteilt worden war. Beträgt die Rotlichtzeit mehr als eine Sekunde im Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie, so sieht der Bußgeldkatalog ein Fahrverbot vor (sog. Sekundenverstoß). Zudem erhält der Betroffene 2 Punkte, die 5 Jahre lang (plus 1 Jahr Überliegefrist) im Fahrerlaubnisregister gespeichert werden.

Das Amtsgericht Wuppertal hatte den Betroffenen aufgrund der gezielten Beobachtung der Ampelanlage durch einen Polizeibeamten und der Aussage eines weiteren Zeugen wegen eines Sekundenverstoßes verurteilt und einen Monat Fahrverbot angeordnet.

Der Polizeibeamte hatte den Verstoß gezielt beobachtet und zudem den Zeugen, der an der Fußgängerampel stand, vor Ort befragt. Der Fußgänger gab an, die Fußgängerampel sei bereits grün gewesen, er habe gerade die Straße überqueren wollen, als der Betroffene über die Ampel gefahren sei.

Der Betroffene berief sich vor Ort darauf, sein auf dem Beifahrersitz befindlicher Pitbull (!) könne als Zeuge bestätigen, dass die Ampel noch Gelb angezeigt hätte. Offenbar ein Tierfreund mit Humor.

 Das OLG Düsseldorf hob das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal auf. Man könnte in diesem Fall auch von einer „Abfuhr“ sprechen, wenn es in den Gründen heißt:

„Die Rechtsbeschwerde hat (vorläufig) Erfolg. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es den Mindestanforderungen an die Begründung einer Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes nicht genügt. … Für das neue Verfahren weist der Senat daraufhin, dass auch die Rechtsfolgenentscheidung im angefochtenen Urteil keinen Bestand hätte haben können, weil die Feststellungen der Tatrichterin zur Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde sowie die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung ebenfalls unzureichend sind und die Verhängung der im Bußgeldkatalog für einen sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß vorgesehenen Rechtsfolgen nicht tragen.“ (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2020 – IV-4 RBs 46/20)

Das Amtsgericht Wuppertal hat in diesem Fall mehrere Fehler gemacht, die allerdings nach meinen Erfahrungen geradezu typisch sind für Amtsgerichte, die – im Gegensatz zum Amtsgericht St. Ingbert – nicht „in Vollzeit“ mit Bußgeldverfahren befasst sind.

  1. Einfahren in den geschützten Bereich nicht festgestellt:

„Ein Rotlichtverstoß liegt vor, wenn gegen das Gebot des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO – „Halt vor der Kreuzung“ – verstoßen wird, ein Fahrzeugführer also bei Rotlicht in den durch die Lichtzeichenanlage gesicherten Bereich, im Regelfall den Kreuzungs- oder Einmündungsbereich, einfährt.“ (OLG Düsseldorf a. a. O.)

Entgegen landläufiger Meinung, ist ein Rotlichtverstoß nicht bereits dann vollendet, wenn das Fahrzeug „über die rote Ampel“ fährt.  Er ist erst dann vollendet, wenn das Fahrzeug in den Bereich einfährt, der von der Ampelanlage geschützt wird. Bei einer Fußgängerfurt ist das eben der – meist durch Markierungen – abgesetzte Bereich, in welchem der Fußgänger die Fahrbahn überquert. Bei einer Ampelkreuzung – ohne Fußgängerüberweg – ist dies beispielsweise die (ggflls. gedachte) Linie der querenden Fahrspur. Es ist also praktisch ein Einfahren in den Kreuzungsbereich erforderlich.

Gerade in diesem Punkt werden häufig Fehler gemacht, da sich diese Fragen bei dem Regelfall eines „geblitzten“ Rotlichtverstoßes nicht stellen. Denn bei der Rotlichtüberwachung durch Messanlagen wird zwei Mal geblitzt. Auf dem ersten Foto wird das Überfahren der Haltelinie dokumentiert, auf dem zweiten Foto das Einfahren in den geschützten Bereich.

Da das Amtsgericht keinerlei Feststellungen zu den Örtlichkeiten (geschützter Bereich und Einfahren in den geschützten Bereich) getroffen hat und lediglich festgestellt hat, der Betroffene sei „über Rot gefahren“, war das Urteil insgesamt aufzuheben.

  1. Lückenhafte Feststellungen/fehlerhafte Beweiswürdigung zur Rotlichtdauer:

Die Urteilsgründe genügten für sich bereits nicht, überhaupt einen Rotlichtverstoß zu begründen. Da der bedauenswerten Amtsrichterin aber auch in punkto Feststellung der Rotlichtdauer gravierende Fehler unterliefen und die Sache nun neu verhandelt werden muss, hat das OLG Düsseldorf dem Amtsgericht Wuppertal auch dies betreffend eine Lehrstunde erteilt:

„Auch beruht die der Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zugrunde liegende Feststellung, die Lichtzeichenanlage habe zum Zeitpunkt des Passierens durch den Betroffenen mehr als eine Sekunde Rotlicht gezeigt, auf einer lückenhaften Beweiswürdigung. Zwar kann die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes grundsätzlich auch — wie hier — auf die Schätzungen von Zeugen, insbesondere von Polizeibeamten gestützt werden. Jedoch müssen derartige Schätzungen wegen der ihnen innewohnenden möglichen Fehlerquellen durch das Hinzutreten weiterer, im tatrichterlichen Bußgeldurteil anzugebender Umstände erhärtet  und hinsichtlich ihrer Grundlagen sowie ihres Beweiswerts vom Tatrichter einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Solche Umstände, durch die die Richtigkeit einer Schätzung erhärtet wird, können sich — je nach den Umständen des Einzelfalls — etwa aus der angewandten Zählmethode (gedankliches Aussprechen der Zahlen „einundzwanzig, zweiundzwanzig“: …) oder einem während der Rotlichtdauer abgelaufenen, zeitlich eingrenzbaren Vorgang, an dem sich der Zeuge bei seiner Schätzung orientiert hat, ergeben. Freie Schätzungen aufgrund einer bloß gefühlsmäßigen Erfassung der verstrichenen Zeit sind jedenfalls zur Feststellung von Zeitintervallen im Sekundenbereich ungeeignet. …

Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil nicht. Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Schätzung des Zeugen auf tragfähiger Grundlage beruht, hätte es Angaben zur Methode seiner Schätzung (Mitzählen, Zeitmessung mittels (Stopp-)Uhr? sonstige Orientierung?), zum Ablauf des Rotlichtverstoßes, zur Entfernung des Fahrzeuges zur Lichtzeichenanlage und einer ggf. vorhandenen Haltelinie sowie zur genauen Beobachtungsposition des Zeugen (Standort? Gezielte oder zufällige Überwachung der Lichtzeichenanlage? Sichtverhältnisse auf Ampel, Vorbereich und Haltelinie?) bedurft.

Soweit der Schluss auf den qualifizierten Rotlichtverstoß aus Zeugenaussagen hergeleitet wird, die – wie hier offenbar der Zeuge pp – nur Angaben zum Grünlicht für den Querverkehr machen können, sind grundsätzlich Feststellungen zum automatisierten Programmablauf der Lichtzeichenanlage zu treffen.“ (OLG Düsseldorf a. a. O.)

Um dem Schlag ins Gesicht die Krone aufzusetzen, hat das OLG Düsseldorf abschließend noch einige formale Fehler des Urteils gerügt. Insbesondere hat es die Unterschrift der Tatrichterin als unzureichend betrachtet, weil diese keine hinlänglichen, charakteristischen Merkmale zur Identifizierung aufweise, sinngemäß: Die Unterschrift sieht ebenso schlampig aus wie das Urteil.

Fazit: Wer die Entscheidung liest, könnte meinen, es sei eine Einzelfallsache, dass ein Amtsgericht nicht befähigt ist, einen (qualifizierten) Rotlichtverstoß ordnungsgemäß in den Urteilsgründen festzustellen. Dem ist aber nicht so. Es ist für unerfahrene Amtsrichter keine Einfachheit einen Rotlichtverstoß, der durch Beobachtung festgestellt wurde, festzustellen und mit tragenden Entscheidungsgründen auszuurteilen.

Vor Feststellungen nach dem Motto: „Die Polizei hat mich beobachtet, was soll ich da schon gegen machen?“, sollte man sich ebenfalls hüten! Denn nach meiner Erfahrung sind auch die Polizeibeamten nicht oder nur unzureichend zu diesem Thema geschult und die Feststellungen in den Bußgeldakten dürftig und in der Regel für sich alleine betrachtet unzureichend.

Verschärfung der StVO unwirksam!

Mit Wirkung zum 28.4.2020 wurde die Straßenverkehrsordnung geändert. Ich hatte über die Änderungen hier berichtet: https://rechtsanwalt-weiser.de/achtung-fahrverbote-bald-ab-21-km-h-reform-der-stvo-kommt/

Insbesondere die Verschärfung der Fahrverbotsgrenzen von innerorts 31 km/h auf 21 km/h und außerorts 41 km/h auf 26 km/h ist auf heftige Kritik in der Bevölkerung gestoßen. Verkehrsminister Scheuer hat bereits angekündigt, die Änderungen zum Teil, vor allem betreffend die Fahrverbotsgrenzen, wieder rückgängig machen zu wollen.

Fraglich ist allerdings schon, ob die Änderungen wirksam sind, da dem Gesetzgeber ein formeller Fehler unterlaufen ist. Die Änderung der StVO erfolgte durch eine Verordnung des Verkehrsministeriums. Der Erlass einer solchen Verordnung durch eine Behörde macht es erforderlich, dass diese exakt angibt, auf welcher Ermächtigungsgrundlage sie diese Verordnung erlassen hat (sog. Zitiergebot). Im Fall der aktuellen Änderungsverordnung ist das § 26a I StVG:

(1) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen über

1.

die Erteilung einer Verwarnung (§ 56 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24,

2.

Regelsätze für Geldbußen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach den §§ 24, 24a und § 24c,

3.

die Anordnung des Fahrverbots nach § 25.

 

In der Verordnung wurden aber nur die Nr. 1 und 2 des § 26a I StVG angegeben. Nr. 3 ermächtigt das Verkehrsministerium eine Verordnung betreffend die Anordnung von Fahrverboten zu erlassen. Die Verschiebung der Fahrverbotsgrenzen beruht aber letztlich erkennbar auf § 26a I Nr. 3 StVG. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit bereits Verordnungen, die gegen das Zitiergebot verstoßen für insgesamt nichtig erklärt.

Das würde bedeuten, dass die gesamte Änderungsverordnung (nicht nur betreffend die Neuregelung der Fahrverbotsgrenzen) unwirksam ist.

Jedenfalls aber dürften die neuen Fahrverbotsgrenzen unwirksam sein.

Fahrrad/Pedelec/E-Scooter/Segway – Alkohol erlaubt?

Auch an Fasching gelten bekanntermaßen die Alkoholgrenzen. Ich erinnere daher heute aus Anlass des Rosenmontags, der auch im schönsten  Bundesland der Welt, also im Saarland, gebührend gefeiert wird, an die geltenden Alkoholgrenzen. Unten stehend finden Sie mein Video, in dem die Alkoholgrenzen übersichtlich erklärt werden. Außerdem habe ich einige Links zum Thema rausgesucht.

Die meisten, wenn auch leider nicht alle, Jecken sind schlau und verantwortungsvoll genug, die Umzüge zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu besuchen, wenn sie denn Alkohol trinken möchten.

Da einige sicher auch zu nicht motorisierten Fahrzeugen greifen werden, gegebenenfalls auch in der irrigen Annahme, das sei erlaubt, folgende Kurzinformation zum Thema Alkohol auf dem Fahrrad (E-Scooter, Segway, Pedelec etc.):

Hier noch einige ausgesuchte Links zu diesem Thema:

 

Verkehrsgerichtstag 2020 – Die Empfehlungen

Vom 29. bis 31. Januar fand der jährliche Verkehrsgerichtstag – eine Zusammenkunft von Verkehrsexperten – in Goslar statt. Er endet mit den Empfehlungen der Arbeitskreise.

Wer sich die Empfehlungen im Volltext durchlesen will, findet diese hier:

Meine Zusammenfassung:

Arbeitskreis I –  Grenzüberschreitende Unfallregulierung in der EU

Das materielle Schadensersatzrecht der verschiedenen EU-Länder muss für den (ausländischen) Anwalt einfacher zu verstehen sein. Die EU-Kommission soll entsprechende Hilfsmittel zur Verfügung stellen.

Des Weiteren soll für grenzüberschreitende Gerichtsprozesse ein System geschaffen werden, wie es bereits für Zivil- und Handelssachen besteht.

Einführung von Videokonferenzen für Vernehmungen im Ausland.

Kurze Verjährungsfristen in anderen EU-Staaten sollen auf mindestens drei oder vier Jahre verlängert werden.

Arbeitskreis II – Abschied vom fiktiven Schadensersatz

Empfehlung: Kein Abschied vom fiktiven Schadensersatz. Außerdem: Werkstattverweis bei fiktiver Abrechnung ist für alle Beteiligten an der Unfallregulierung nervig und zeitaufwendig. Der BGH wird gebeten, sich etwas einfallen zu lassen.

Arbeitskreis III – Aggressivität im Straßenverkehr

Schulungen und Anti-Aggressions-Maßnahmen sollen gefördert werden.

Die gesetzlichen Möglichkeiten, auf aggressives Verhalten zu reagieren, müssen konsequent ausgeschöpft werden.

Es sollte ein Bußgeld für „aggressives Posen im Straßenverkehr“ geben.

Fahrerlaubnisbehörden sollen Einsicht in das Bundeszentral- und Erziehungsregister erhalten.

Sofern sich bei einer Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahrteignung steht, Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotential ergeben, soll die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU anordnen.

Der „Alleinrasertatbestand“ (§ 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB)  sollte im Wortlaut nachgebessert werden.

Arbeitskreis IV – Praxistauglichkeit des Bußgeldverfahrens

Der Gesetzgeber soll per Gesetz regeln, unter welchen Voraussetzungen ein standardisiertes Messverfahren vorliegt. Außerdem soll er per Gesetz ein umfassendes Einsichtsrecht in die Messdateien vorschreiben.

Bußgeldverfahren sollen gegen Auflagen eingestellt werden können.

Nach einer verkehrstherapeutischen Schulung soll vom Fahrverbot abgesehen werden können.

Arbeitskreis V – Elektrokleinstfahrzeuge

Aktuell herrscht in der Bevölkerung weitgehende Unkenntnis, was man mit E-Scootern überhaupt darf und was nicht. Das erfordert mehr Öffentlichkeitsarbeit, vor allem durch die Verleihfirmen.

Öffentlichkeitsarbeit habe ich selbst ja bereits geleistet:

10 Fragen und Antworten zum E-Scooter

Außerdem:

– Mehr Infrastruktur für E-Scooter und Fahrräder

– Blinkerpflicht für E-Scooter

– Keine Zulassung von Fahrzeugen ohne Lenkstange

– Erfassung und Herausgabe der Nutzerdaten durch Verleihfirmen zum Zweck der Verfolgung von Straftaten und Orddnungswidrigkeiten

– verbindliche Astellplätze für Verleihscooter

– Prüfbescheinigungspflicht für E-Scooter

Arbeitskreis VI  – Fahranfänger – neue Wege zur Fahrkompetenz

Der Arbeitskreis begrüßt das Optionsmodell, das Folgendes vorsieht:

Drei statt zwei Jahre Probezeit, aber verkürzbar auf bis zu zwei Jahre durch Teilnahme an Schulungsmaßnahmen oder begleitetes Fahren.

Auswetung örtlicher Unfalldaten von Fahranfängern und darauf gestützte regionalisierte Fahranfängervorbereitung.

Arbeitskreis VII – Entschädigung von Opfern nach terroristischen Anschlägen

Neben Harmonisierungen der Opferentschädigung und Zentralisierungen von Strukturen, insbesondere Opferbeauftragte, empfiehlt der Arbeitskreis die Schaffung eines Fachanwaltes für Personenschadensrecht.

 

Blitzer verwertbar oder nicht? Ein kurzer Überblick über den aktuellen Sachstand.

Zwischenzeitlich schlug das Urteil des Saarländischen Verfassungsgerichts zur Unverwertbarkeit von Geschwindigkeitsmessungen – https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/messungen-unverwertbar-saarl-verfg-hebt-verurteilung-auf/ – bereits – bei mehreren Obergerichten auf.

Hier ein kleiner Überblick:

OLG Zweibrücken zum Poliscan FM1

Das OLG Zweibrücken hat sich aktuell mit dem Traffistar
sondern mit dem Poliscan FM1 befasst. Da seit längerem auf der BAB 6 im Umkreis
von Kaiserslautern regelmäßig Anhänger aufgestellt werden, die mit diesem
Messgerät ausgestattet sind (Trailer), ist diese Entscheidung für mich und
meine Mandanten von großem Interesse.

Das OLG Zweibrücken hat ausgesprochen, dass eine nachträgliche Überprüfung der Messung, wie vom Saarländischen Verfassungsgericht gefordert, bei diesem Messsystem grundsätzlich möglich sei. Von daher ist die Verwertung der Polscan Trailermessungen in Rheinland-Pfalz weiterhin zulässig.

AG St. Ingbert

Das für das Saarland für Geschwindigkeitsverstöße zuständige
Amtsgericht St. Ingbert hat in einer aktuellen Entscheidung seinen Unmut
darüber geäußert, dass es die Traffistarverfahren einstellen muss, folgt aber
der eindeutigen Ansage aus Saarbrücken.

Für das Saarland gilt im Übrigen, dass derzeit Verfahren bei
folgenden Messsystemen regelmäßig eingestellt werden: Poliscan, Traffistar und Leivtec.
Gemäß ministerialer Anordnung darf – bis zu einem zu erwartenden Softwareupdate
– mit diesen Geräten auch nicht mehr gemessen werden.

OLG Karlsruhe

Das OLG Karlsruhe hat darauf hingewiesen, dass es an seiner
bisherigen Rechtsprechung festhalten wird, wonach es nicht darauf ankommt, ob
eine nachträgliche Überprüfbarkeit der Messdateien ermöglicht wird oder nicht.
Nach Ansicht des OLG Karlsruhe liegt in jedem Falle ein standardisiertes
Messverfahren vor.

OLG Stuttgart

Das OLG Stuttgart hatte einen entspreche Rechtsbeschwerde zur
Entscheidung vorliegen. Allerdings hatte die dortige Betroffene sich während
des Verfahrens nicht um die Messdateien bemüht und demzufolge lag auch kein
Verstoß gegen ein faires Verfahren vor. Schließlich fehlte es auch an der
fristgerecht eingereichten Verfahrensrüge. Die eigentliche Frage der
Verwertbarkeit konnte das OLG Stuttgart daher offenlassen. Für
Baden-Württemberg lieg eine recht eindeutige Stellungnahme des Verkehrsministeriums
vor:

https://vm.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/kein-freibrief-fuer-temposuender-im-land/

Jenoptik selbst hat bereits angekündigt, ein Softwareupdate
für das Traffistar S350, das kurzfristig ohnehin angestanden hätte, vorerst zu
verschieben und eine umfassendere Option in den Markt zu bringen.

Die Tendenz:

Dem positiven Beispiel des schönen Bundeslandes Saarland („Kleinbonum“), in dem ich meine beiden Büros betreiben darf, folgen die übrigen Bundesländer wohl nicht. Das war leider absehbar.

Messungen unverwertbar! Saarl. VerfG hebt Verurteilung auf!

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat mit Urteil vom 5.7.2019 – Lv 7/17 – entschieden, dass die Nichtspeicherung von Rohmessdaten bzw. das Nichtzurverfügungstellen das Grundrecht des Betroffenen auf ein faires gerichtliches Verfahren (Art. 60 Abs. 1 der Saarländischen Verfassung i.V.m. Art 20 der Saarländischen Verfassung) verletzt. Gegenstand des Urteils ist das Messverfahren Traffistar S350 der Firma Jenoptik.

Das Urteil finden Sie im Volltext hier:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/wp-content/uploads/2019/07/2019-Lv-7-17-Anonym.pdf

Diese Entscheidung hatte sich nach der mündlichen Verhandlung vom 9.5.2019 abgezeichnet::

Das Saarlandische Verfassungsgericht führt aus:

Fehlt es an ihnen (Anmerk. d. Unterzeichners: den Rohmessdaten) und vermag sich eine Verurteilung nur auf das dokumentierte Messergebnis und das Lichtbild des aufgenommenen Kraftfahrzeugs und seines Fahrers zu stützen, so fehlt es nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren, wenn sich ein Betroffener wie hier – selbst ohne nähere Begründung – gegen das Messergebnis wendet und ein Fehlen von Rohmessdaten rügt. Eine Verurteilung kann dann auf dieser Grundlage nicht erfolgen.

Saarl. VerfG a. a. O.

Der Saarl. VerfG hat die Entscheidungen des Amtsgerichts Saarbrücken und des Saarländischen Oberlandesgerichts aufgehoben, die gegen den Betroffenen ergangen waren.

Wenn zu den rechtlichen Rahmenbedingungen eines standardisierten Messverfahrens zählt, sich mit Einwänden gegen seine Ergebnisse wenden zu dürfen, so darf einem Betroffenen nicht von vornherein abgeschnitten werden, solche Einwände erst zu ermitteln.

Saarl. VerfG a. a. O.

Damit löst der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes den von einigen Verteidigern seit Jahren angeprangerten „Teufelskreis“ bei standardisierten Messverfahren.

Ist ein Messverfahren von der Rechtsprechung als standardisiert anerkannt, muss der Betroffene nämlich konkrete Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung aufzeigen, um das Gericht zu veranlassen, die Messung in seinem Einzelfall auf ihre Ordnungsgemäßheit hin zu überprüfen.

Nach richtiger Ansicht des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes ist er hierfür aber gerade auf die Zurverfügungstellung der Messdateien angewiesen.

Der Verfasssungsgerichtshof des Saarlandes zieht einen Vergleich zu DNA-Beweisen und Blutprobenanalysen:

Solange eine Messung aber nicht durch die Bereitstellung der Datensätze – einschließlich auch der Statistikdatei – einer Nachprüfung durch die Verteidigung des Betroffenen zugänglich ist, würde der alleinige Verweis auf die Verlässlichkeit der Konformitätsprüfung – die im Übrigen keiner öffentlichen Transparenz und keiner Kontrolle der von der Verwendung der Messgeräte Betroffenen unterliegt – schlicht bedeuten, dass Rechtsuchende auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuernden Algorithmen ausgeliefert wären. Das ist nach der Überzeugung des Verfassungsgerichtshof weder bei Geschwindigkeitsmessungen noch in den Fällen anderer standardisierter Messverfahren – wie beispielsweise der Blutprobenanalyse und der DNAIdentitätsmusterfeststellung – rechtsstaatlich hinnehmbar. Auch in den genannten Beispielsfällen käme niemand auf den Gedanken, dass die untersuchten gesicherten Substanzen sofort nach ihrer Analyse vernichtet werden könnten und nachträglichen Zweifeln eines Beschuldigten an der Richtigkeit der Feststellungen nicht nachgegangen werden müsste, weil das Ergebnis der standardisierten Untersuchungen in aller Regel zutreffend sei.

Denn zu einer wirksamen Verteidigung gehört nicht nur, ein Gericht auf solche ihm ohnehin ins Auge fallenden Umstände aufmerksam zu machen, sondern nachforschen zu können, ob es bislang gerade nicht bekannte Zweifel an der Tragfähigkeit eines Vorwurfs gibt. Muss das Gericht die näheren technischen und physikalischen Umstände der Geschwindigkeitsmessung im Rahmen des standardisierten Messverfahrens nicht aufklären und bliebe die Aufklärung zugleich auch dem Betroffenen verwehrt, würde die Tatsachengrundlage der Verurteilung letztlich jeder gerichtlichen Überprüfung entzogen.

Saarl. VerfG a. a. O.

Damit sind Messungen, die mit dem Traffistar S350 der Firma Jenoptik im Saarland durchgeführt wurden und – wie allgemein üblich – auch im Saarland geahndet werden, derzeit nicht verwertbar, jedenfalls nicht, solange der Messgerätehersteller die Rohmessdaten nicht zur Verfügung stellt. Da die Software diese Daten nach wie vor löscht, jedenfalls ist das der aktuelle diesseitige Kenntnisstand, dürfte eine nachträgliche Zurverfügungstellung derzeit ausscheiden.

Die Rechtsfolge ist klar:

Sind die Ergebnisse des Messverfahrens mit dem Messgerät Traffistar 350S folglich wegen einer verfassungswidrigen Beschränkung des Rechts auf eine wirksame Verteidigung unverwertbar, sind die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben. (Hervorh. d. Unterz.)

Saarl. VerfG a. a. O.

Der Saarländische Verfassungsgerichtshof macht des Weiteren eine unmissverständliche Ansage an die Gerichte des Saarlandes, vor allem also an das Amtsgericht St. Ingbert, das nach der Strukturreform praktisch alleine zuständig für solche Verfahren im Saarland ist, und das Oberlandesgericht des Saarlandes:

Gerichte des Saarlandes sind – vorbehaltlich einer abweichenden späteren Entscheidung eines Bundesgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts – an die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes gebunden. Soweit dies lediglich einen konkreten Streitfall betrifft, ist allerdings aus gegebenem Anlass darauf hinzuweisen, dass in gleich gelagerten Streitfällen – vorbehaltlich der Zulassung eines Rechtsbehelfs zu einem Bundesgericht – der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes abweichende Entscheidungen saarländischer Instanzgerichte korrigieren wird. (Hervorh. d. Unterz.)

Saarl. VerfG a. a. O.

Sehr anschaulich hebt das Saarl. Verfassungsgericht die Bedeutung der Grundsätze des fairen Verfahrens und der Überprüfbarkeit staatlicher Sanktionen hervor, indem es ausführt:

Zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verurteilung einer Bürgerin oder eines Bürgers gehört, dass er die tatsächlichen Grundlagen seiner Verurteilung zur Kenntnis nehmen, sie in Zweifel ziehen und sie nachprüfen darf. Das gilt nicht nur in Fällen strafrechtlicher Sanktionen, sondern stets. Staatliches Handeln darf, so gering belastend es im Einzelfall sein mag, und so sehr ein Bedarf an routinisierten Entscheidungsprozessen besteht, in einem freiheitlichen Rechtsstaat für die Bürgerin und den Bürger nicht undurchschaubar sein; eine Verweisung darauf, dass alles schon seine Richtigkeit habe, würde ihn zum unmündigen Objekt staatlicher Verfügbarkeit machen. Daher gehören auch die grundsätzliche Nachvollziehbarkeit technischer Prozesse, die zu belastenden Erkenntnissen über eine Bürgerin oder einen Bürger führen, und ihre staatsferne Prüfbarkeit zu den Grundvoraussetzungen freiheitlich-rechtsstaatlichen Verfahrens.

Saarl. VerfG a. a. O.

Abschließend weise ich noch darauf hin, dass die Problematik der Nichtzurverfügungstellung von Rohmessdaten keine ist, die ausschließlich das Messsystem Traffistar S350 betrifft. Das Amtsgericht St. Ingbert hatte mit Urteil vom 26.4.2017 – 2 OWi 379/16 – die nachträgliche Löschung der Rohmessdaten bei dem Messgerät Leivtec XV3, das im Saarland sehr verbreitet ist, bemängelt und den Betroffenen freigesprochen.

Zum ESO ES 3.0:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/eso-es-3-0-freispruch/


Geblitzt? Sofort Einspruch einlegen! Messungen im Saarland sind vermutlich verfassungswidrig!

Der Saarländische Verfassungsgerichtshof hat am 9.5.2019 über die Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen verhandelt. Gegenstand der Verhandlung war die Frage, ob die sogenannten Rohmessdaten einer Geschwindigkeitsmessung vom Messgerät gespeichert werden müssen.

Prozessbeobachter vermuten nach dem Verlauf der Verhandlung, dass der Saarländische Verfassungsgerichtshof diese Frage bejahen wird. Das vermute ich ebenfalls.

Die Verhandlung hat bundesweit großes mediales Interesse geweckt:

Spiegel Online – Richter zweifeln an Fairness von Bußgeldverfahren

SR – Verfassungsbeschwerde wegen Blitzer

FOCUS – Beschwerde gegen Geldbuße: Verfassungsrichter zweifeln Zulässigkeit von Blitzern an

Bereits mit Beschluss vom 27.4.2018 – Lv 1/18 – hatte der Saarländische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass ein Betroffener Anspruch auf Einsicht in diese Rohmessdaten hat:

Das Gericht hat klargestellt, dass der Betroffene einer Verkehrsmessung darauf angewiesen ist, diese Daten zu erhalten, um überhaupt in der Lage zu sein, Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung nachzuweisen.

Jedenfalls für das Saarland steht seitdem fest, dass der Betroffene die Rohmessdaten auf Antrag seines Verteidigers erhält und überprüfen lassen kann.

Was war also das Problem des Falles, der am 9.5.2019 verhandelt wurde? Der Betroffene hätte doch die Daten erhalten können/müssen?

Das Problem war, dass der Messgerätehersteller Jenoptik im Rahmen eines Softwareupdates die Software des Messgerätes geändert hat und zwar dahingehend, dass fast sämtliche Rohmessdaten der Messung gelöscht werden. Mit den verbliebenen Daten lässt sich aber ein Messfehler kaum nachweisen.

Diese Problematik war bereits Gegenstand eines Freispruchs des Amtsgerichts St. Ingbert vom 26.4.2017 – 2 OWi 379/16. Das Amtsgericht St. Ingbert, inzwischen das „zentrale“ Bußgeldgericht des Saarlandes, hatte damals einen Betroffenen freigesprochen und ausdrücklich gerügt, dass der Hersteller Jenoptik die Rohmessdaten durch das Softwareupdate gelöscht hatte.

Auch was die Auswertung der Messungen angeht, erlitten Jenoptik und die Stadt Neunkirchen damals vorm Oberlandesgericht des Saarlandes eine derbe Schlappe. An das Verfahren kann ich mich noch gut erinnern, denn ich habe es als Verteidiger geführt. Zur Erinnerung:

Der Verfassungsgerichtshof hörte anlässlich der Verhandlung vom 9.5.2019 Sachverständige, unter anderem von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, an.

Die Entscheidung soll Ende Juni 2019 ergehen.

Sollte sich die Einschätzung bestätigen, dass der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes zu Gunsten des Betroffenen entscheiden wird, wird auch für alle anderen anhängigen Bußgeldverfahren die Forderung aufgestellt werden müssen, dass die Rohmessdaten einer Messung gespeichert werden müssen. Das ist allerdings nicht nur bei dem konkret verwendeten Messgerät nicht der Fall gewesen sondern bei den meisten „standardisierten Messverfahren“ – also fast allen Messsystemen – nicht üblich.

Dann kann nach meiner Bewertung der Rechtslage für alle Verfahren, in denen eine solche Speicherung nicht erfolgte, auf eine Verfahrenseinstellung bzw. einen Freispruch verteidigt werden.

Dies gilt jedenfalls für Verstöße, die im Saarland begangen wurden und hier anhängig sind. Ob die Entscheidung bundesweit „durchschlägt“, halte ich für fraglich.

Was müssen Sie jetzt tun, wenn Sie geblitzt wurden?

1. Einspruch einlegen! Es sollte keinesfalls zur Rechtskraft der Entscheidung kommen, da nach meiner Einschätzung ein Wiederaufnahmeverfahren nicht erfolgversprechend ist, denn

2. Sie sollten die Beiziehung und Zurfverfügungstellung der Rohmessdaten Ihres Falles bereits bei der Bußgeldstelle beantragen.

Bereits an dieser Stelle setzt für den Betroffenen das erste Problem ein. Denn als Betroffener haben Sie keinen Anspruch auf Übersendung Ihrer Fallakte an Sie persönlich. Abgesehen davon, dürfte die Antragstellung für den Laien problematisch sein. Sie sollten daher frühzeitig anwaltliche Hilfe suchen, so dass noch im Verfahren vor der Bußgeldbehörde agiert werden kann.

Die Kosten hierfür übernimmt Ihr Rechtsschutzversicherer. Sind Sie nicht rechtsschutzversichert, aber mit einem PKW gefahren, der auf eine rechtsschutzversicherte Person oder ein Unternehmen zugelassen ist (z.B. Firmenwagen) übernimmt der Rechtsschutzversicherer des Halters die Kosten.

Die Rechtsprechung verfährt in Fällen, in denen der Betroffene sich nicht bereits im Verfahren vor der Bußgeldstelle ernsthaft um den Erhalt der Messdateien bemüht hat, generell zurückweisend.

Sie können also nicht einfach Einspruch einlegen und abwarten in der Hoffnung, dass Ihr Verfahren vom Amtsgericht St. Ingbert oder der zuständigen Bußgeldstelle eingestellt wird, wenn die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ergangen sein wird.

Nach meiner Prognose wird es eine „generelle Einstellung“ dieser Verfahren nicht geben.

Zu erwarten ist, dass die Messgerätehersteller per Softwareupdate eine Speicherung der Rohmessdaten herbeiführen werden. Für die bereits laufenden verfahren und die derzeitigen Blitzer kann das aber nach meiner Einschätzung keine „Heilung“ mehr bewirken.

Rotlichtverstoß – Kein Fahrverbot bei „Mitzieheffekt“

Das Kammergericht Berlin hatte in seinem Beschluss vom 2.11.2018 – 3 Ws (B) 274/18, 3 Ws (B) 274/18 – 162 Ss 123/18 – Gelegenheit sich mit dem Thema „Mitzieheffekt“ beim Überfahren einer roten Ampel zu befassen.

Zu diesem Thema finden Sie mehrere Beiträge und Rechtsprechungsnachweise auf meiner Homepage.

Bei dem sogenannten Mitzieheffekt geht es um folgende Grundkonstellation:

Ein Betroffener ist bei Rot über eine Ampel gefahren. Die Ampel war bereits länger als eine Sekunde rot. Das nennt man einen qualifizierten Rotlichtverstoß oder auch „Sekundenverstoß“. Dieser Verstoß zieht ein Fahrverbot von einem Monat nach sich, weshalb er auch Gegenstand zahlreicher Prozesse ist.

Trägt der Betroffene glaubhaft einen Mitzieheffekt vor, entfällt die grobe Sorgfaltswidrigkeit, die einem qualifizierten Rotlichtverstoß eigentlich nach dem Willen des Gesetzgebers innewohnt. Vom Fahrverbot ist dann abzusehen und zwar eigentlich ohne Erhöhung der Geldbuße.

Wann aber liegt ein solcher Mitzieheffekt vor?

Das KG Berlin hat das- im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung – noch einmal klargestellt:

Ein Mitzieheffekt kann den Fahrlässigkeitsvorwurf beim Rotlichtverstoß allenfalls dann verringern, wenn der Betroffene zunächst rechtstreu an der Lichtzeichenanlage anhält, dann aber, z. B. veranlasst durch das Anfahren anderer Verkehrsteilnehmer, unter Nichtbeachtung des Rotlichts losfährt („Sog-Wirkung“).

KG Berlin, Beschluss vom 2.11.2018 – 3 Ws (B) 274/18, 3 Ws (B) 274/18 – 162 Ss 123/18


Eine typische Fallkonstellation des Mitzieheffektes ist diejenige, dass der ortsfremde Betroffene an einer unübersichtlichen Ampelanlage anhält und sich beim Losfahren von einem oder mehreren Fahrzeugen auf der falschen Spur „mitziehen“ lässt.

Im konkreten Fall, den das KG Berlin zu entscheiden hatte, hat der Betroffene vorgetragen, er sei ortsfremd und hinter einem Fahrzeug hergefahren. Er hat gerade nicht behauptet, an der Ampel angehalten und wieder losgefahren zu sein in der durch andere Fahrzeuge veranlassten irrigen Annahme, die Ampel habe auch für ihn auf Grün geschaltet.

Das KG Berlin hat seine Rechtsbeschwerde verworfen. Es blieb daher beim Fahrverbot.

Fazit: Auch wenn man meinen könnte, Rotlichtverstöße seien eigentlich immer gleichgelagerte Fälle, nach dem Motto: „Ampel rot = Rotlichtverstoß“, bedarf es einer sehr genauen Einzelfallbetrachtung, wie es zu dem Verstoß kam. Denn das ergibt sich in der Regel nicht aus der Akte, jedenfalls nicht, wenn der Betroffene geblitzt wurde.

Nochmal zum Fahrradfahrverbot (VG Gelsenkirchen)

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat in seiner Entscheidung vom 6. Juni 2018 festgestellt, dass das Untersagen des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen (zum Beispiel Fahrrädern) im Straßenverkehr durch die Fahrerlaubnisbehörde rechtmäßig sein kann.

Dem Antragsteller war wegen Führens eines Fahrzeugs unter Einfluss von Cannabis, Alkohol und Methadon von der Fahrerlaubnisbehörde untersagt worden, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen.

Der Antragsteller wendete sich in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die sofortige Wirksamkeit dieser Maßnahme an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.

Dieses stellte fest:

Die Untersagung zum Führen erlaubnisfreier Fahrzeuge findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV. Nach dieser Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde das Führen von Fahrzeugen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen, wenn sich jemand als hierzu ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet erweist. Die Ungeeignetheit zum Führen von Fahrzeugen bestimmt sich nach den Vorschriften, die auch für das Führen fahrerlaubnispflichtiger Kraftfahrzeuge gelten, nämlich nach den §§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 4 StVG und §§ 46 Abs. 1, 11 Abs. 1 FeV. Dies ist sachgerecht, weil es beim Führen erlaubnisfreier ebenso wie beim Führen erlaubnispflichtiger Fahrzeuge um die Teilnahme am Straßenverkehr und die dafür erforderliche Umsicht sowie Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit geht. Das Gefährdungspotential, welches hierbei ‑ etwa durch unerwartete Reaktionen oder unkontrolliertes Fahrverhalten ‑ von dem ungeeigneten Fahrer eines fahrerlaubnisfreien Fahrzeugs ausgehen kann, rechtfertigt es, an die Fahreignung diesen Maßstab anzulegen.

Vor diesem Hintergrund ist die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge auch verhältnismäßig. Es trifft zwar zu, dass die Verkehrsteilnahme mit einem motorisierten Fahrzeug wegen der möglichen höheren Geschwindigkeiten ein größeres Gefährdungsrisiko als mit einem Fahrrad in sich birgt. Jedoch geht auch von einem fahrungeeigneten Führer fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ‑ etwa durch der Verkehrssituation nicht angepasste Reaktionen sowie ein unkontrolliertes und die Verkehrsregeln missachtendes Fahrverhalten ‑ ein erhebliches Gefährdungspotential für diesen selbst sowie für andere Verkehrsteilnehmer aus. (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 6.6.2018 – 7 L 2934/17)

Über das Problem Fahrradfahrverbot habe ich schon einige Male berichtet:

Besser mal einen Zug nehmen – “Fahrradfahrverbot” wegen Trunkenheitsfahrt

Verfassungsgerichtshof des Saarlandes: Betroffener hat Anspruch auf Einsicht in die Messdateien!

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat – sozusagen als „letzte Instanz“ – entschieden, dass einem Betroffenen die Messdateien zur Auswertung und Überprüfung durch einen Sachverständigen zur Verfügung zu stellen sind. Im konkreten Fall hatte der Betroffene sich gegen den Vorwurf eines Rotlichtverstoßes zur Wehr gesetzt und mehrmals erfolglos versucht, die Bußgeldstelle dazu zu bewegen, ihm die Falldateien zu übersenden.

Letztlich wurde er ohne Einsicht in die Falldateien durch alle Instanzen (Amtsgericht Saarbrücken und Oberlandesgericht Saarbrücken) verurteilt. Nach Ausschöpfung des ordentlichen Rechtsweges verblieb ihm nur noch die Anrufung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes.
Dieser entschied, dass die vorangegangenen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts den Betroffenen in seinen Grundrechten auf ein faires gerichtliches Verfahren und auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzten.

In seiner Begründung setzt sich der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes eindrucksvoll und einleuchtend mit dem sogenannten Teufelskreis bei der Frage der Gewährung der Einsicht in die Falldateien auseinander. Er führt aus:

Die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei verletzen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs.

a) Nach der Rechtsprechung zum sog. standardisierten Verfahren, der vorliegend auch das Amtsgericht Saarbrücken und das Saarländische Oberlandesgericht gefolgt sind, genügt es, dass der Tatrichter in den Urteilsgründen das verwendete Messverfahren und ggf. den erfolgten Toleranzabzug angibt. Weitere Angaben und Nachforschungen hinsichtlich des Messgeräts, seiner genauen Funktionsweise und der Richtigkeit der Messdurchführung bzw. -auswertung sollen nicht erforderlich sein, da eine Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit aufgestellt wird (Fromm, NZV 2013, 16 [17]). Dies gilt für die Geschwindigkeits- wie auch für die Rotlichtüberwachung im Straßenverkehr. Daher werden die von einem automatisch arbeitenden Messgerät erfassten sog. Rohmessdaten, aus denen dieses die Geschwindigkeit oder die Tatsache eines Rotlichtverstoßes ableitet, üblicherweise auch nicht vom Tatrichter oder von der Bußgeldbehörde auf Messfehler oder Störungen hin überprüft; es genügt der in das Messfoto eingeblendete Geschwindigkeitswert (oder hier: Tatsache des Missachtens des Rotlichtes sowie Dauer des Rotlichtes beim Überfahren), den das Gerät bestimmt hat. Aus diesem Grund sind die Rohmessdaten auch nicht Teil der Gerichtsakte.

Die Richtigkeitsvermutung kann der Betroffene eines Bußgeldverfahrens nur angreifen, wenn er konkrete Anhaltspunkte für einen Fehler im Rahmen der Messung vorträgt. Es wird ihm also eine Beibringungs- bzw. Darlegungslast auferlegt (Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Diese Punkte vorzutragen, also die erfolgversprechende Verschaffung rechtlichen Gehörs, wird ihm jedoch unmöglich gemacht, wenn die Messdaten als die Grundlage der Messung nicht für eine sachverständige Untersuchung zur Verfügung gestellt werden (OLG Celle, Urteil vom 16.6.2016- 1 Ss OWi 96/16 -, NJOZ 2017, 559 Rn. 5; Deutscher, DAR 2017, 723; Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Letztlich wird er unter Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens als Objekt des Verfahrens behandelt, dem wesentliche Mitwirkungsrechte versagt werden bzw. welches diese nicht effektiv ausüben kann.

Für den Betroffenen bzw. seinen Verteidiger ist es möglich, der Darlegungslast nachzukommen und das Messergebnis in Zweifel zu ziehen, wenn er die vom jeweiligen Messgerät erzeugten Digitaldaten als Grundlage jeder Messung technisch auswerten lässt. Daraus, dass einerseits die Verwaltungsbehörden bzw. die Gerichte sich zu einer Überprüfung aller Einzelheiten der Geschwindigkeitsmessung nicht verpflichtet sehen, andererseits der Betroffene für eine solche in eigener Regie durch einen Sachverständigen durchgeführte Überprüfung die bei der Messung angefallenen digitalen Daten als Grundlage der Messung benötigt, hat das Saarländische Oberlandesgericht als Konsequenz des Rechts auf ein faires Verfahren gefolgert, dass ihm diese Daten – auch wenn sie sich nicht in der Akte befinden und damit von § 147 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG nicht erfasst werden – zur Verfügung zu stellen sind (Beschluss vom 24.2.2016 – Ss [Bs] 6/2016 [4/16 OWi] -, juris Rn. 7, unter Hinweis auf Cierniak, ZfS 2012, 664 [673]). Dem ist zuzustimmen, denn durch die sodann ermöglichte Transparenz des Messverfahrens ist die Waffengleichheit wieder hergestellt und dem Gebot eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs genügt: Ein Betroffener kann dann adäquat auf den Tatvorwurf reagieren und den Tatvorwurf der Behörde bei Anhaltspunkten für Messfehler qualifiziert durch das Ergebnis der von ihm veranlassten technischen Untersuchung widerlegen oder erschüttern.

Aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden Gebot der Waffengleichheit folgt, dass ebenso, wie dem „Ankläger“ Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, einen Tatvorwurf nachzuweisen – was in Fällen der hier diskutierten Art leicht möglich ist, da der vom Gerät angezeigte Wert dafür genügt -, einem im Bußgeldverfahren Betroffenen Zugang zu den Informationen gewährt werden muss, die er benötigt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen oder durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen („Parität des Wissens“, vgl. LG Trier, DAR 2017, 721 [722]; „Informationsparität“ gemäß Art. 6 EMRK, vgl. Krenberger, jurisPR-VerkR 17/2016).

(VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18)

OLG Bamberg: Absehen vom Fahrverbot wegen verkehrspsychologischer Schulung?

Nach Ansicht des OLG Bamberg genügt die alleinige Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung nicht, um von einem verwirkten Regelfahrverbot abzusehen:

Eine auf eigene Kosten erfolgende freiwillige Teilnahme des Betroffenen an einer verkehrspsychologischen Schulung rechtfertigt für sich allein grundsätzlich nicht das Absehen von einem verwirkten bußgeldrechtlichen Fahrverbot. Eine Ausnahme kann auch dann nur in Betracht kommen, wenn daneben eine Vielzahl weiterer zu Gunsten des Betroffenen sprechender Gesichtspunkte festgestellt werden können.

(OLG Bamberg, Beschluss vom 2.1.2018 – 3 Ss OWi 1704/17)

Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Absehen vom Fahrverbot nicht bei Hinzutreten weiterer, begünstigender Umstände für den Betroffenen möglich wäre. In dem Fall, den das OLG Bamberg zu entscheiden hatte, ging es um eine Betroffene, gegen die ein Fahrverbot wegen Beharrlichkeit verhängt worden war. Es waren drei Voreintragungen im Fahrerlaubnisregister vorhanden, wobei ein in zeitlicher Nähe zum gegenständlichen Verstoß rechtskräftig gewordener Verstoß bereits ein Fahrverbot nach sich gezogen hatte.

Das Amtsgericht hatte dennoch das Fahrverbot wegen der Schulungsteilnahme aufgehoben. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat das OLG Bamberg die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung ans Amtsgericht zurückverwiesen.

Es hat angedeutet, dass über die Frage einer unzumutbaren Härte durch die Verhängung des Fahrverbotes noch ergänzende Feststellungen getroffen werden müssen.

Die Entscheidung liest sich auf den ersten Blick natürlich nicht positiv für Betroffene. Sieht man sich den konkreten Sachverhalt, so wie er sich aus dem Beschluss des OLG Bamberg im Wesentlichen ergibt, an, so lässt sich aber sagen:

1. Die Tendenz, bei einem Mehrfachtäter, der in zeitlicher Nähe zum Verstoß bereits ein Fahrverbot angetreten und weitere einschlägige Voreintragungen vorzuweisen hat, wegen der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung vom Fahrverbot abzusehen, ist bei Gericht – vielleicht auch zu Recht – nicht besonders groß.

2. Des Weiteren zeigt das OLG Bamberg auf, dass die Frage der unzumutbaren Härte, die durch das Fahrverbot eintreten würde, nach seiner Ansicht vom Amtsgericht nicht ausreichend aufgeklärt wurde. Ob ein Absehen vom Fahrverbot durchgesetzt werden kann oder nicht, ist immer Einzelfallsache.

Die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulungsmaßnahme wird allerdings auch von anderen Oberlandesgerichten regelmäßig für nicht ausreichend für ein Absehen vom Fahrverbot erachtet – so beispielsweise auch vom OLG Saarbrücken, Beschl. v. 12.2.2013 – Ss (B) 14/13 (9/13 OWi). Es bedarf in jedem Falle weiteren Sachvortrages und gegebenenfalls auch Beweisantrittes zu den Umständen, die ein Absehen vom Fahrverbot begründen.

OLG Bamberg: Keine Benachteiligung wegen Einspruchseinlegung – Ausnahme vom Fahrverbot für Krankentransportfahrzeuge

Das OLG Bamberg hat mit Beschluss vom 9.11.2017 – 3 Ss OWi 1556/17 entschieden:

Der Umstand, dass ein Betroffener von ihm zustehenden Verteidigungsmöglichkeiten (hier: Einspruch gegen den Bußgeldbescheid) Gebrauch gemacht hat, darf bei der Frage, ob im Einzelfall ein Absehen vom Fahrverbot oder eine sonstige Fahrverbotsprivilegierung in Betracht kommt, nicht zum Nachteil des Betroffenen berücksichtigt werden.

2. Die Versagung einer Fahrverbotsprivilegierung mit der Begründung, der Betroffene habe mit Blick auf den Antritt eines Arbeitsverhältnisses einen Härtefall aufgrund einer durch das Fahrverbot konkret drohenden Kündigung durch Hinnahme des Bußgeldbescheids und die hierdurch mögliche Verbüßung des Fahrverbots noch vor Antritt der Tätigkeit verhindern können, stellt eine im Rahmen des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ermessensfehlerhafte Verwertung zulässigen Verteidigungsverhaltens zum Nachteil des Betroffenen dar.

3.“Krankenkraftwagen“ können aufgrund ihrer über den bloßen Verwendungszweck und ihre Ausrüstung hinausgehende bauartbedingten Abgrenzbarkeit von anderen Fahrzeugen derselben Fahrzeugart oder -klasse als Kraftfahrzeuge „einer bestimmten Art“ gemäß § 25 I 1 StVG vom bußgeldrechtlichen Fahrverbot ausgenommen werden.

Der Betroffene war vom Amtsgericht wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes (Rotlichtdauer länger als eine Sekunde) zu einer Geldbuße von 200,00 € und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt worden.

Er hatte sich auf die sogenannte Härteklausel berufen und vorgetragen, ihm drohe als Rettungssanitäter eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Im Falle des Betroffenen verhielt es sich so, dass er im Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides noch arbeitsuchend war. Erst im Laufe des Einspruchsverfahrens konnte er seine neue Arbeitsstelle als Rettungssanitäter antreten.

Das Amtsgericht vertrat die Auffassung, ein Absehen vom Fahrverbot komme ebenso wenig in Betracht wie eine Beschränkung. Der Betroffene habe von Anfang an die Tat eingeräumt und es sei ihm daher möglich gewesen, den Bußgeldbescheid zu akzeptieren und das Fahrverbot während seiner Arbeitslosigkeit anzutreten.

Das OLG Bamberg hat dieser Rechtsauffassung eine klare Absage erteilt und vom Fahrverbot „Krankenkraftwagen“ ausgenommen:

Erst recht durfte die Möglichkeit eines Absehens vom Fahrverbot oder der Beschränkung des Fahrverbots nicht von vornherein mit dem Argument abgelehnt werden, dass der Betr. nach seiner Einlassung vor Antritt seiner Tätigkeit als Rettungsdiensthelfer arbeitslos gewesen sei, weshalb er „das Fahrverbot […] eben vor Aufnahme der Beschäftigung am 01.05.2017“ hätte antreten können, nachdem ihm der Bußgeldbescheid bereits am 15.03.2017 zugestellt worden war. Dies sei – so das AG  – insbesondere deshalb anzunehmen, „da der Betr. ja von Anfang an den Vorwurf nicht bestritten“ habe. Denn diese die Hinnahme des Bußgeldbescheids ohne Einspruch bzw. einen Einspruchsverzicht oder wenigstens eine noch rechtzeitige Einspruchsrücknahme nahe legende Argumentation läuft auf eine unzulässige Verwertung zulässigen Verteidigungsverhaltens zum Nachteil des Betr. hinaus, mit der das AG die Grenzen des ihm gem. § 25 I 1 StVG übertragenen tatrichterlichen Bewertungsspielraums in ermessensfehlerhafter Weise überschritten hat.

Fahrverbote nicht mehr gleichzeitig vollstreckbar

Der Gesetzgeber hat eine „Regelungslücke“, die dazu führte, dass Betroffene in einer bestimmten Konstellation zwei Fahrverbote gleichzeitig antreten konnten, geschlossen.

Hatte ein Betroffener beispielsweise zwei Fahrverbote (ohne Schonfrist) von jeweils einem Monat anzutreten, konnte er sie gleichzeitig antreten. Letztlich „verkürzte“ sich dann die Dauer der Fahrverbote von insgesamt zwei Monaten auf einen Monat (sog. Parallelvollstreckung von Fahrverboten).

Hier noch einmal der Beitrag zum alten Recht:

Aus zwei mach eins – Fahrverbote gleichzeitig antreten

Dem hat der Gesetzgeber nun durch Einfügung eines weiteren Absatzes in die Vorschrift des § 25 StVG ein Ende gemacht:
§ 25 (2b) lautet:

(2b) Werden gegen den Betroffenen mehrere Fahrverbote rechtskräftig verhängt, so sind die Verbotsfristen nacheinander zu berechnen. Die Verbotsfrist auf Grund des früher wirksam gewordenen Fahrverbots läuft zuerst. Werden Fahrverbote gleichzeitig wirksam, so läuft die Verbotsfrist auf Grund des früher angeordneten Fahrverbots zuerst, bei gleichzeitiger Anordnung ist die frühere Tat maßgebend.

Man könnte also sagen: Aus dem guten alten „aus-zwei-mach-eins“ wurde ein „doppelt-vollstreckt-hält-besser“.

Falls Ihnen ein Fahrverbot droht, sollten Sie nicht den Sand in den Kopf stecken (Zitat: L. Matthäus). Abschließend ein paar Tipps in Videoform, wie Sie sich gegen ein drohendes Fahrverbot verteidigen können:

[wpdevart_youtube]Fg_0J-FboBI[/wpdevart_youtube]

Freispruch! OLG Saarbrücken verwirft Geschwindigkeitsmessungen der Stadt Neunkirchen

Das Thema ging im Saarland durch die Medien. Da es sich um laufende Verfahren handelte, habe ich mich inhaltlich bislang nicht dazu geäußert (zum damaligen Beitrag:https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/innenministerium-des-saarlandes-keine-privatisierung-der-verkehrsueberwachung/).

Es geht um die Einbeziehung von Privaten in die Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen.

Konkret hatte die Stadt Neunkirchen den Messgerätehersteller Jenoptik in die Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen einbezogen.

Das habe ich gerügt und zwar unter Hinweis auf den folgenden ministerialen Erlass:

Erlass über die Wahrnehmung der Verkehrsüberwachung durch Ortspolizeibehörden

Das Amtsgericht Neunkirchen hat sowohl in meinem Verfahren als auch in einem Parallelverfahren die jeweiligen Betroffenen freigesprochen. Es hat hinsichtlich des Messfotos ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Da, wie üblich, keine weiteren Beweismittel zur Verfügung standen, konnte der Tatnachweis ohne das „Blitzerfoto“ nicht geführt werden.

Gegen die Freisprüche hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht des Saarlandes eingelegt.

Das Oberlandesgericht des Saarlandes hat die Ansicht des Amtsgerichts Neunkirchen bestätigt und die Freisprüche aufrechterhalten. Aus den Gründen:

… Nach Maßgabe dieser Grundsätze unterliegt das unter rechtswidriger Beteiligung der Jenoptik an der Auswertung der Rohmessdaten zustande gekommene Messbild im vorliegenden Fall hierbei einem Verwertungsverbot. Denn die Stadt Neunkirchen hat hierbei unter bewusster Missachtung der für sie geltenden Bestimmungen gehandelt.

Der Beschluss des OLG des Saarlandes ist sehr ausführlich und überzeugend begründet, weshalb ich ihn eingescannt habe und unter diesem Link zur Verfügung stelle:

OLG des Saarlandes, Beschl. v. 31.5.2017 – Ss BS 34/2017 (31/17 OWi)

Falschbenennung des Fahrers ist strafbar

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden:

Führen der Täter einer Ordnungswidrigkeit und eine mit ihm zusammenwirkende, an der Tat unbeteiligte Person die Bußgeldbehörde bewusst in die Irre, indem sich die weitere Person selbst zu Unrecht der Täterschaft bezichtigt, kann dies für den Täter zu einer Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft und für die weitere Person wegen Beihilfe hierzu führen.

(OLG Stuttgart, Urt. v. 23.7.2015 Az 2 Ss 94/15)

Dem lag folgende Fallgestaltung zugrunde:

Der Angeklagte und später Verurteilte (im Folgenden: Fahrer) wurde mit einem Firmenwagen geblitzt. Sein Arbeitgeber erhielt eine Halteranfrage, benannte daraufhin den Fahrer als solchen und leitete den Fragebogen an ihn weiter. In der Folge entschlossen sich der Fahrer und ein Arbeitskollege (im Folgenden: Kollege), dass sich der Kollege als Fahrer benennen solle. Daraufhin richtete sich das Verfahren zunächst gegen den Kollegen. Nach Eintritt der Verjährung für den Fahrer gab der Kollege dann bekannt, dass er nicht der Fahrzeugführer war.

In solchen Konstellationen ist bislang geklärt, dass sich der Fahrer, der einen Dritten selbst benennt, indem er ihn als Fahrer gegenüber der Behörde benennt, z. B. indem er die Personendaten des Kollegen auf dem Anhörbogen einträgt, wegen falscher Verdächtigung strafbar macht.
Lange Zeit war es dagegen Lehrmeinung und führte zur Straflosigkeit, wenn der Fahrer sich gar nicht äußerte und der Kollege sich selbst benannte, indem er – üblicher Weise – den Anhörbogen selbst ausfüllte und an die Bußgeldstelle schickte.

Dieser „Verteidigungsstrategie“ hat das OLG Stuttgart eine klare Absage erteilt, indem es den Fahrer wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft verurteilt hat. Es führt zur Begründung aus:

Die Tatherrschaft des Hintermanns (Anmerkung: Des Fahrers und Angeklagten) kann auch im Fall eines objektiv tatbestandslos handelnden Tatmittlers wie hier gegeben sein. Der Angeklagte Ka ist im vorliegenden Fall mittelbarer Täter, weil er im Wege einer wertenden Zuschreibung Tatherrschaft und Wille zur Tatherrschaft hatte und die Tat allein in seinem Interesse begangen wurde. Er nahm auf die Tatbegehung dadurch Einfluss, dass er dem Angeklagten Kr (Anmerkung: Arbeitskollege) die an ihn gelangten Schreiben der Bußgeldbehörde mit den Daten zur Ordnungswidrigkeit übergab, nachdem er den Tatplan mit ihm vereinbart hatte. Obwohl Kr die Schriftstücke alleine ausfüllte und an die Bußgeldbehörde übersandte, hielt der Angeklagte Ka die Herrschaft über den Geschehensablauf gleichwohl weiter auch selbst in der Hand, weil er sich zu jedem Zeitpunkt an die Bußgeldbehörde wenden und den wahren Sachverhalt offenbaren konnte.

Ein Knaller zu Neujahr: Fahrverbot für alle Straftaten

Bislang sieht das Strafgesetzbuch das Fahrverbot als Nebenstrafe für solche Strataten vor, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen wurden. § 44 Absatz 1 Satz 1 StGB lautet:

Wird jemand wegen einer Straftat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, zu einer Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe verurteilt, so kann ihm das Gericht für die Dauer von einem Monat bis zu drei Monaten verbieten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen.

Seit Jahren wird diskutiert, ob der Gesetzgeber auch für solche Straftaten, die keinen Zusammenhang mit dem Straßenverkehr aufweisen, ein Fahrverbot vorsehen darf bzw. soll.

Da es sich gesetzessystematisch um eine sogenannte Nebenstrafe handelt, also um nichts anderes als eine Art von Strafe, der eben gerade keine Fahreignungsentscheidung zu Grunde liegt, ist eine solche Gesetzesänderung meines Erachtens ohne Weiteres zulässig.
Der Gesetzgeber sieht das offensichtlich auch so, denn nunmehr wurde der Gesetzesentwurf beschlossen. Die Umsetzung in geltendes Recht wird daher nicht lange auf sich warten lassen. In Kürze dürfen sich daher auch gemeine Ladendiebe und Kneipenschläger auf einen Fußmarsch von einem bis zu drei Monaten freuen.

Ich bin sehr gespannt, wie viele Angeklagte den Einspruch gegen den Strafbefehl zurücknehmen werden, wenn der obligatorische Hinweis des Gerichts, dass als Nebenstrafe ein Fahrverbot in Betracht gezogen wird, in der Hauptverhandlung erfolgt. Ich erwarte, dass die Strafgerichte von dieser Nebenstrafe ausgiebig Gebrauch machen werden.

Insgesamt wird dadurch eine Verlagerung eines bislang rein verkehrsrechtlichen Themas (Fahrverbot) ins allgemeine Strafrecht erfolgen. Es wird für jeden Strafverteidiger erforderlich werden, sich mit grundsätzlichen Fragen zum Thema Fahrverbot auseinanderzusetzen. Wer zukünftig in einer Hauptverhandlung, etwa wegen eines einfachen Ladendiebstahls, verteidigt, sollte in Erwägung ziehen, vorher mit seinem Mandanten zu besprechen, ob im Falle eines Fahrverbotes eine Existenzgefährdung im Raum steht, so dass in der Hauptverhandlung entsprechend vorgetragen werden kann.

Bei Interesse an dem Thema finden Sie hier einen weiterführenden Link zum Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz:

BMJV Pressemitteilung vom 21. Dezember 2016 – Kabinett beschließt: Fahrverbot bei allen Straftaten

Ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch und ein frohes, gesundes und erfolgreiches neues Jahr!

OLG Celle: Anspruch auf Einsicht in die Messdateien!

Bereits die Entscheidung, dem Betroffenen nicht die Möglichkeit einzuräumen, auf die Rohmessdaten zurückzugreifen, stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Auch wenn die Messdaten nicht Bestandteil der Verfahrensakte sind, müssen sie dem Betroffenen auf dessen Antrag zur Verfügung gestellt werden.

(OLG Celle, Beschluss vom 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16)

Diese Entscheidung des OLG Celle betrifft die sehr strittige Frage, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene einer Verkehrsmessung Anspruch auf Einsicht in die Rohmessdaten seiner Geschwindigkeitsmessung hat. Hierbei handelt es sich um eine entscheidende Fragestellung im Bußgeldverfahren. Hat der Betroffene Zweifel an der Ordnungsgemäßheit des Messergebnisses, muss es ihm frei stehen, die Messung überprüfen zu lassen. Hierfür werden die Messdateien benötigt.

Während die Gerichte in der Vergangenheit und in Bayern noch immer Gründe suchen, dieses Einsichtsrecht zu torpedieren, häufen sich die Entscheidungen, nach denen es eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt, dem Betroffenen die Einsichtnahme zu verweigern.

Besonders begrüßenswert sind folgende Ausführungen des OLG Celle:

Dass es sich bei der angewendeten Messmethode um ein standardisiertes Verfahren handelt, steht dem nicht entgegen. Gerade weil bei einer solchen Messmethode das erkennende Gericht nur zu einer weiteren Aufklärung und Darlegung verpflichtet ist, wenn sich Anzeichen für eine fehlerhafte Messung ergeben, muss dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet sein, solche Fehler substantiiert vortragen zu können. Hierfür ist er auf die Messdaten angewiesen. Werden diese zurückgehalten, liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.; Cierniak, ZfS 2012, 664).

Auswertung von Verkehrsmessungen durch Private – OLG Frankfurt

Das OLG Frankfurt hat mit Bschluss vom 3.3.2016 – 2 Ss OWi 1059/15 – zur sehr umstrittenen Frage der Verwertbarkeit einer Messung bei Auswertung durch Private Stellung genommen:

1. Verkehrsüberwachung ist Aufgabe der staatlichen Ordnungsbehörden (§ 47 OWiG, § 26 StVG).

2. Bei der Hinzuziehung von sog. privaten Dienstleistern muss die Ordnungsbehörde Herrin des Verfahrens bleiben.

3. Kern der Verkehrsmessung ist neben der Entscheidung wann, wo und wie gemessen wird, die Auswertung und Bewertung der vom Messgerät erzeugten Falldateien.

4. Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung ist nämlich die Falldatei in ihrer lesbaren Auswertung in der Gerichtsakte (i.d.R. in Form eines Lichtbildes mit den Messdaten). Die Ordnungsbehörde muss deswegen im Besitz der Falldateien sein und sie muss über die Bewertung der Falldatei hinaus die Authentizität der Umwandlung der Falldateien in ihrer lesbaren Form sicherstellen und garantieren.

5. Überlässt die Ordnungsbehörde gesetz- und erlasswidrig ihre Kernaufgabe sog. privaten Dienstleistern, führt dies nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot, da die Auswertung der Falldatei durch die Ordnungsbehörde nachgeholt werden kann.

OLG Naumburg – Kein Fahrverbot bei Übersehen eines Tempo 30 – Schildes

Das Oberlandesgericht Naumburg hat entschieden, dass ein Fahrverbot nicht in Betracht kommt, wenn der Betroffene ein Tempo 30 – Schild innerhalb der geschlossenen Ortschaft aufgrund einer momentanen Unaufmerksamkeit schlicht übersehen hat. Es hat das mit der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft angegriffene Urteil des Amtsgerichts Haldensleben, das ebenfalls von einem Augenblicksversagen ausging, gehalten.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Wertung des Amtsgerichts ist nicht zu beanstanden. Ein im nahen örtlichen Zusammenhang mit dem Ortsschild aufgestelltes Verkehrsschild, durch welches die zulässige Geschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt wird, kann leicht übersehen werden.

Es bedurfte hier entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft auch nicht, wie im Regelfall beim Absehen von einem Fahrverbot wegen Übersehens einer Geschwindigkeitsbegrenzung, keiner Ausführungen dahingehend, ob sich aufgrund der örtlichen Gegebenheiten für den Betroffenen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h aufdrängen musste.

Aus dem Urteil ergibt sich nämlich, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht wegen der örtlichen Gegebenheiten des Straßenabschnitts angeordnet worden war, sondern allein aufgrund der Tatsache, dass der Straßenabschnitt von Ortskundigen wegen einer Teilsperrung der aus dem Ort F. heraus führenden L … anstelle einer ausgeschilderten weiträumigen Umleitung genutzt wurde, also vorübergehend das Verkehrsaufkommen erhöht war. Deswegen bestand die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h auch nur vom 6. Oktober bis zum 7. November 2014, also gut einen Monat. Deshalb gab es offensichtlich keine für den Betroffenen wahrnehmbare Umstände, aufgrund derer sich die Begrenzung auf 30 km/h aufdrängte.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war hier trotz des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots auch keine Erhöhung der Regelgeldbuße angezeigt, weil eine solche bei Augenblicksversagen nicht in Betracht kommt.

OLG Oldenburg: Akteneinsicht in die vollständigen Messdateien!

Immer mehr Entscheidungen ranken sich um das Thema Akteneinsicht im Bußgeldverfahren. Während früher – und bei manchen Bußgeldstellen auch noch heute – um die Frage der Einsicht in die Lebensakte (Reparatur- und Wartungsberichte) des Messgeräts, den Eichschein und den Schulungsnachweis des Messbeamten gestritten wird, mehren sich die Entscheidungen zum Thema Akteneinsicht in die Rohmessdaten.

Bei einigen Messgeräten kann die Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung nach Ansicht mehrerer namhafter Sachverständiger nur anhand der sogenannten Rohmessdaten, also der originalen, bei der Messung erhobenen Daten, überprüft werden. Hört sich für mich zumindest logisch an …

Zur Verfügung gestellt werden in der Regel aber nur die von der Bußgeldstelle oder sogar dem Messgerätehersteller der sonstigen Dritten bearbeiteten Ausdrucke der Messung. Die Rohmessdateien sind nie von Anfang an Gegenstand der Akte. Es scheint so, als wehrten sich die Messgerätehersteller und teilweise auch die Bußgeldstellen mit Händen und Füßen, diese Dateien herauszugeben. Einige haben sie auch meistens gar nicht (mehr alle).

Mehrere Amtsgerichte haben bereits entschieden, dass der Verteidigung sämtliche Messdateien, auch solche, die die am Tattag egefertigten Messdateien anderer Verkehrsteilnehmer enthalten zur Verfügung zu stellen sind (bspw. Amtsgericht Wuppertal, Amtsgericht Trier, Amtsgericht Weißenfels). Das sieht auch das OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.05.2015 – 2 Ss (OWi) 65/15, so:

Dabei war bereits rechtsfehlerhaft, dass dem Betroffenen nicht die Messdatei übersandt wurde. Da sie Grundlage und originäres, unveränderliches Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung ist, ist sie – rechtzeitig vor dem Prozess – einem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen.

AG Bad Kissingen: ESO ES 3.0 – Freispruch! Ohne Rohmessdaten keine Verwertung einer ESO-Messung!

Das AG Bad Kissingen hat mit Urteil vom 30.11.2015 – 3 OWi 16 Js 3704/14 – einen Betroffenen von dem Vorwurf einer Geschwindigkeitsmessung freigesprochen. Die Anhörung eines Sachverständigen, der die Messung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ES 3.0 überprüft hat, ergab Folgendes:

Bei der Softwareversion 1.007.1 werden lediglich noch die vom Messgerät vorläufig berechneten Geschwindigkeitswerte gespeichert. Bei der konkreten Messung lagen diese zwischen 165 km/h und 173 km/h. Wegen dieser erheblichen Schwankung konnte der Sachvertsändige – ohne Zugriff auf die sogenannten Rohmessdaten – nicht verifizieren, dass das Messergebnis von 171 km/h tatsächlich zutreffend ermittelt war.

Der Messgerätehersteller bietet inzwischen ein kostenpflichtiges (!!!) Onlineprogramm an, das die Rohmessdaten auswerten soll. Hierzu führte der Sachverständige aus, dass durch das Programm lediglich grafisch aufbereitete Daten nicht aber die erforderlichen Rohmessdaten zur Verfügung gestellt werden würden. Es könne anhand dieser Software nicht sichergestellt werden, dass es sich hierbei um die echten Daten, die bei der Messung erhoben wurden, handele. Ebenfalls könnten Manipulationen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.

Das AG Bad Kissingen ist diesen Ausführungen gefolgt, hat die Messung verworfen und den Betroffenen freigesprochen.

OLG Rostock zur Auswertung von Verkehrsmessungen durch Private

Das OLG Rostock hat mit Beschluss vom 17.11.2015 – 21 Ss OWi 158/15 – ein Urteil des AG Parchim aufgehoben. Der Betroffene wurde vorm Amtsgericht Parchim vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung freigesprochen, weil nach Ansicht des Amtsrichters die Auswertung der Messdaten durch ein Privatunternehmen rechtlich unzulässig sei und daraus ein Beweisverwertungsverbot folge.

Gegen das freisprechende Urteil legte die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde zum OLG Rostock ein. Die Staatsanwaltschaft erhob die Aufklärungsrüge mit der Begründung, wenn das Amtsgericht davon ausgehe, dass die Auswertung der Messung durch Private unzulässig sei, müsse es zumindest im Wege der Amtsaufklärung die noch vorhandenen Rohmessdaten selbst auswerten lassen.

Der Senat stimmte dieser Auffassung zu, hob das Urteil auf und verwies an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung der Sache zurück.

Obiter dictum weist der Senat daraufhin, dass nach seiner Auffassung die Auswertung von Messungen durch Private keinen rechtlichen Bedenken begegne.

Diese Auffassung des OLG Rostock steht in Widerspruch zu den bereits vorliegenden Entscheidungen des OLG Naumburg, des OLG Frankfurt und des Amtsgerichts Kassel (AG Kassel zur Unverwertbarkeit einer von Privaten ausgewerteten Messung).

Nach meiner Meinung überzeugt der Beschluss allerdings im Tenor. Wenn das Gericht ein Beweisverwertungsverbot annimmt, weil die Messung durch Private ausgewertet wurde, dann hat es selbst aufzuklären, ob der Tatvorwurf noch auf anderem Wege geklärt werden kann. So weit die Rechtslage. Allerdings ist oft praktisch gar nicht mehr nachzuvollziehen, ob die Rohmessdaten unverändert vorliegen. Häufig werden diese nämlich zunächst auf dem Server des Privaten gelagert und dort bearbeitet, ohne dass die Behörde sie überhaupt prüfen kann. In diesen Fällen dürfte sich auch eine nachträgliche Auswertung durch einen vom Gericht beauftragten Sachverständigen verbieten.

OLG Zweibrücken zum Wegfall des Fahverbots wegen Zeitablaufs

Das OLG Zweibrücken hat bereits im Jahr 2011 (Link zum damaligen Artikel) klargestellt, dass die Denkzettelfunktion eines Fahrverbots entfällt, wenn zwischen Tat und deren Ahndung mehr als 1 Jahr und 9 Monate liegen.

In einer aktuellen Entscheidung (OLG Zweibrücken, Urt. 22.10.2015 Az: 1 OWi Ss Bs 47/15) stellt das OLG klar, dass weniger als 1 Jahr und 7 Monate noch nicht ausreichen, um einen Wegfall der Denkzettelfunktion und damit des Fahrverbots anzunehmen. Näheres im Video:

 

 

AG Saarbrücken: Fahrverbote nacheinander antreten!

Dass es grundsätzlich möglich ist, zwei Fahrverbote gleichzeitig anzutreten, ist bekannt. Darüber habe ich schon vor einiger Zeit berichtet:

(Link: https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/aus-zwei-mach-eins-fahrverbote-gleichzeitig-antreten/)

Dabei ist allerdings zu unterscheiden:

Handelt es sich bei den Fahrverboten um solche, für die eine Schonfrist bewilligt wurde, dann ist der gleichzeitige Antritt, mit der Folge der Verkürzung der Fahrverbotsdauer auf die Dauer eines (des längeren) Fahrverbotes, immer möglich.

Wie die Rechtslage bei zwei Fahrverboten ist, bei denen nur eines oder keines der Fahrverbote mit Schonfrist verhängt wurde, ist umstritten.

Das Amtsgericht Saarbrücken hatte nun über einen Fall zu entscheiden, in dem der Betroffene zwei Fahrverbote erhalten hatte, von denen nur eines mit Schonfrist verhängt worden war.

Es hat – zu Ungunsten des Betroffenen – entschieden, dass in einem solchen Fall kein gleichzeitiger Antritt möglich ist. Die Fahrverbote müssen also nacheinander angetreten werden. Dumm gelaufen … (Wortspiel beabsichtigt)

OLG Naumburg – Betroffener muss nicht in der Hauptverhandlung erscheinen

Nach meinem persönlichen Eindruck glauben viele Betroffene, dass sie, wenn sie gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch einlegen auch „automatisch“ vor Gericht erscheinen müssen. Diese Meinung wird teilweise unbewusst, vielleicht auch bewusst, durch diverse Hinweise im Laufe des Verfahrens noch gefördert. Dabei ist den Betroffenen schon nicht bewusst, dass sie im Ordnungswidrigkeitenverfahren jederzeit den Einspruch zurücknehmen können. Auch kommt eine Verfahrenseinstellung oder eine Beschlussentscheidung durch das Gericht (ohne mündliche Verhandlung) in Betracht.

Auch im Rahmen der Ladung zum Hauptverhandlungstermin wird der Betroffene ausführlich darüber belehrt, dass er persönlich zu erscheinen hat.

Nach den Formulierungen dieser Belehrungsmuster drängt sich dem Betroffenen häufig der Eindruck auf, um das persönliche Erscheinen in der Hauptverhandlung käme man quasi nicht herum.

Das Gegenteil ist der Fall.

Auch wenn es im Einzelfall zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht kommen sollte, stellt die Entbindung von der Pflicht dort zu erscheinen in der Regel, wenn die Fahrereigenschaft eingeräumt wird, kein Problem dar.

In § 73 OWiG sind die Voraussetzungen einer Entbindung von der grundsätzlich Bestehenden Pflicht zum Hauptverhandlungstermin zu erschienen geregelt. Man mag mir eine eventuelle juristische Ungenauigkeit verzeihen, aber pragmatisch und für den Laien verständlich ausgedrückt, ergibt sich aus der Norm Folgendes:

Wenn der Betroffene einräumt, dass er der Fahrer war und zudem entweder klarstellt, dass er zur Sache gar nichts mehr oder eben nur das bereits zur Akte gereichte, nichts aber darüber hinausgehendes, sagen wird, dann MUSS das Gericht ihn entbinden. Das heißt, er muss dann nicht erscheinen.
Das ist ständige Rechtsprechung und eindeutige Rechtslage. Das OLG Naumburg hat es noch einmal deutlich klargestellt:

„Die Entscheidung über den Entbindungsantrag eines Betroffenen steht nicht im Ermessen des Gerichtes. Vielmehr ist es verpflichtet, dem Antrag nachzukommen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.“

Amtsgericht Bremen: Messung mit Poliscan Speed nicht verwertbar!

Über die aktuelle Diskussion um die Verwertbarkeit von Messungen mit Poliscan Speed – Messsystemen der Herstellerfirma Vitronic hatte ich bereits berichtet:

OLG Frankfurt zum Poliscan: „Passt schon!“

Nun hat sich das Amtsgericht Bremen der Argumentation des Oberlandesgerichts Frankfurt entgegengestellt und einen Betroffenen wegen Unverwertbarkeit einer Poliscan-Messung freigesprochen.

Das Gericht hat einen Sachverständigen gehört, der ausführte, der sogenannte Auswerterahmen auf dem Messfoto sei von der Auswertesoftware Tuff Viewer und gerade nicht von der geeichten Messsoftware des Gerätes erzeugt worden.

Die Auswertesoftware selbst ist allerdings nach den Erkenntnissen des Gerichts nicht geeicht.
Der Sachverständige legte Messfotos aus anderen Verfahren vor, die je nach Verwendung der unterschiedlichen Softwareversionen eben dieser Auswertesoftware Tuff Viewer den Messrahmen in unterschiedlicher Position abbildeten.

Der Auswerterahmen ist aber nach der Herstellerfirma und der PTB das maßgebliche Element zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung. Das ominöse Viereck, das auf Poliscan-Messfotos abgebildet wird, muss sich in einer bestimmten Position auf dem Messfoto befinden, sonst ist die Messung nicht verwertbar. Dass ein solches Element, das letztlich (mit-)entscheidend dafür sein soll, ob eine Messung korrekt verlaufen sein soll oder nicht,  je nach verwendeter Softwareversion in veränderter Position erscheint, kann meines Erachtens nach wie vor nicht angehen.

AG Kassel: Allein von Privatfirmen ausgewertete Messungen sind nicht verwertbar

Das Amtsgericht Kassel hat mit Urteil vom 14.4.15, 385 OWi – 9863 Js 1377/15, eine Geschwindigkeitsmessung verworfen, die durch ein Privatunternehmen ausgewertet worden war.

Der Betroffene wurde freigesprochen.

Hintergrund war eine gar nicht so seltene Fallgestaltung, nämlich die Abgabe der Rohmessdateien an ein rein privates Unternehmen zum Zwecke der Auswertung der jeweiligen Falldateien. Solche Konstellationen sind meist im Rahmen des Leasings der Blitzeranlagen optional möglich. Dies obgleich in den meisten Bundesländern Vorschriften bestehen, wonach die Auswertung einer Messung hoheitlich zu erfolgen hat, z. B. in der Amtsstube.

Bereits an dieser Stelle setzt bei mir völliges Unverständnis ein. Wie kann eine Behörde eine hoheitliche Aufgabe denn ganz oder auch nur teilweise an Privatfirmen abgeben.

Das Gericht führt aus, dass es sich bei einer Messung, deren Auswertung von der Verwaltungsbehörde vollständig in die Hände privater Unternehmen gegeben worden sei, schon keine Überzeugung davon bilden könne, ob die Messung überhaupt stattgefunden habe.

Das Amtsgericht kritisiert vor allem das eigene finanzielle Interesse des Privatunternehmens, welches nach der Darstellung in den Urteilsgründen nur dann Gewinn erziele, wenn die Messung auch verwertbar sei.

Aus den Urteilsgründen:

„Völlig unverständlich wird diese Situation spätestens dann, wenn man berücksichtigt, dass das hier faktisch auswertende Privatunternehmen, welches als GmbH satzungsgemäß einem Gewinnstreben unterliegt, lediglich dann einen monetären Ertrag für seine Arbeit erhält, wenn die Messung als verwertbar eingestuft wird. Die Entscheidung, ob die Messung verwertbar ist oder nicht, oblag vorliegend jedoch faktisch dem Unternehmen selbst. Das hierdurch entstehende Eigeninteresse an dem Ergebnis der Auswertung der Messung stellt ein Interessenkonflikt dar, der im Rahmen einer hoheitlichen Messung nicht zu akzeptieren ist.“

Die aktuelle Entscheidung des Amtsgerichts Kassel ist wahrlich keine Ausreißerentscheidung sondern liegt „voll im Trend“ der aktuellen Rechtsprechung (ebenso haben auch das OLG Naumburg, das OLG Frankfurt und mehrere Amtsgerichte bereits entschieden).

Abgesehen von der überzeugenden Argumentation des finanziellen Eigeninteresses und dem grundsätzlichen Problem der Verwertbarkeit im Rahmen eines Bußgeldverfahrens, muss man sich doch Folgendes fragen:

Wenn sich Messgerätehersteller vor Gericht unter Berufung auf urheberrechtliche und datenschutzrechtliche Gründe standhaft weigern, nähere Auskunft über die Funktionsweise ihrer Messgeräte zu erteilen oder die Rohmessdateien herauszugeben, so dass diese von einem Sachverständigen überprüft werden können, wie ist es dann möglich, dass gerade diejenigen Verfechter der Schutzrechte, sei es selbst oder durch Drittfirmen, auf die Datenschutzrechte der Betroffenen vollständig pfeifen! Und „pfeifen“ ist da noch höflich ausgedrückt!

Es ist also ein datenschutzrechtlich und urheberrechtlich besonders relevantes Problem, der Verteidigung die Überprüfung der Messung durch einen Sachverständigen zu ermöglichen, aber die massenweise erhobenen Daten (auch unschuldiger) Betroffener, abzugreifen und auszuwerten, geht natürlich voll in Ordnung?!

Honi soit qui mal y pense!

OLG Hamm: Keine Verjährung bei Zustellungsvereitelung

Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Beschluss vom 27.1.2015 – 3 RBs 5/15 – die Rechtsbeschwerde einer Betroffenen in einem Bußgeldverfahren zurückgewiesen. Die Betroffene hat nach Ansicht des OLG Hamm die Zustellung des Bußgeldbescheides absichtlich vereitelt und wollte so die Verfolgungsverjährung herbeiführen.

Das OLG Hamm wertete dieses Verhalten als rechtsmissbräuchlich.
Hintergrund war, dass sowohl die Versendung des Anhörbogens als auch die Zustellung des Bußgeldbescheides an das Elternhaus der Betroffenen erfolgte, die bereits ausgezogen war, sich aber nicht umgemeldet hatte.

Die (wirksame) Zustellung des Bußgeldbescheids unterbricht die kurze dreimonatige Verjährungsfrist und führt zu einem Neubeginn der Verjährung, wobei dann eine Frist von sechs Monaten gilt.

Die Verteidigung hatte sich auf die in der Tat unwirksame Zustellung berufen. Ist die Zustellung des Bußgeldbescheides unwirksam, so tritt die Verjährungsunterbrechung nicht ein.

Das OLG Hamm sieht das anders und lastet der Betroffenen Rechtsmissbrauch an. Die Betroffene habe schließlich gegen Meldegesetze verstoßen und absichtlich die Zustellung vereitelt.

Eine meines Erachtens überraschende und rechtlich äußerst fragwürdige Entscheidung zum Nachteil der Betroffenen, die leider wohl Schule machen wird.

Das Thema Verjährung und Verjährungsvereitelung spielt in der Praxis des Verteidigers in Bußgeldsachen eine ganz erhebliche Rolle, insbesondere was die Zustellungsproblematik betrifft. Da weht eindeutig ein neuer Wind … und zwar mitten ins Gesicht der Betroffenen.

Sekunde, Sekunde! „Rotlichtüberwachung“ durch Polizeibeamte – geschätzt ist nicht gemessen

Zeit ist Geld … aber nicht nur das. Bekanntermaßen wird ein Rotlichtverstoß nicht nur teurer, Erhöhung der Geldbuße von 90 € auf 200 €, sondern zieht auch noch einen Punkt mehr (dann zwei Punkte statt einem Punkt) und vor allem ein Fahrverbot nach sich, wenn die Ampel länger als eine Sekunde rot war.

Dementsprechend existieren zahlreiche Entscheidungen, die sich um Sekunden – und teilweise sogar deren Bruchteile – drehen.
Besonders problematisch in Bezug auf die Frage der tatsächlichen Rotlichtdauer sind Bußgeldbescheide, die auf Beobachtungen durch Polizeibeamte beruhen. Hierbei wiederum existieren die unterschiedlichsten Fallgestaltungen. Insbesondere bei der gezielten Rotlichtüberwachung sind der Kreativität der Beamten keine Grenzen gesetzt. Da findet sich die nicht geeichte Stoppuhr/Armbanduhr, die Sekundenzählung, die Beschreibung des Abstandes des Fahrzeugs zur Ampel im Zeitpunkt des Umschaltens auf Rotlicht mit anschließender Berechnung der Rotlichtdauer nach dem Weg-Zeit-Prinzip (eigentlich schwierig, wenn man die Geschwindigkeit des Fahrzeugs nicht gemessen hat …) und so einiges mehr.

Besonders erfolgversprechend für Betroffene ist aber die Verteidigung gegen die zufällige Beobachtung des Rotlichtverstoßes durch die „Privatbeamten“. Letzteres ist übrigens eine Wortschöpfung meiner Person, die sich aber nach meinem Bauchgefühl durchsetzen und spätestens 2032 in den Duden aufgenommen werden wird (geschätzt nicht gezählt). Damit sind diejenigen Polizeibeamten gemeint, die irgendwie immer im Dienst sind, auch wenn sie gerade in ihrer Freizeit nur auf dem Weg zum Einkaufsmarkt sind.
Selbige Spezies erfreut sich – nebenbei bemerkt – ungefähr der gleichen Beliebtheit wie der Typus Anwalt, der beim abendlichen Kneipenbesuch auf die Frage:

„Du bist doch Anwalt! (Anmerkung: Meine Lieblingseinleitung) Sag doch mal! Wieso kann sich der Edathy eigentlich für 5.000,00 € freikaufen?“,

mit langatmigen Ausführungen zur Einstellungspraxis bei Gericht und Staatsanwaltschaft und einem in freier Rede gehaltenen Vortrag über Aufbau, sowie Sinn und Zweck eines Strafverfahrens antwortet, anstatt die – jedenfalls menschlich – korrekte Antwort zu geben:

„Keine Ahnung! Ich hätte ihn weggesperrt!“ (höflich ausgedrückt).

Nun ja, ich schweife ab …

Das Amtsgericht Lüdinghausen hatte nun einen Fall zu entscheiden, bei dem so ein Privatbeamter – übrigens auf dem Weg zum Rewe-Einkaufsmarkt – an der Ampel stehend einen Rotlichtverstoß beobachtet hatte. Er schritt natürlich gleich zur Tat und leitete Privatverfolgungsmaßnahmen gegen den Betroffenen ein. Der Privatbeamte hatte aber, zur vermutlich großen Freude des Betroffenen, keinerlei Zeitmessung vorgenommen.

Das AG Lüdinghausen führt aus:

„Der Zeuge X war sich sicher, dass die Rotlichtzeit zu dieser Zeit bereits deutlich mehr als eine Sekunde betragen habe. Der Zeuge X räumte aber auch ein, dass er keinerlei Zeitmessung durchgeführt habe. Insbesondere habe er weder eine Zählung vorgenommen, noch auf seine Uhr geschaut. Weitere Umstände, die den Schluss auf die Rotlichtdauer zugelassen hätten, konnte er nicht benennen – solche Umstände waren auch sonst nicht erkennbar.“

Glück gehabt! Das hat dem Amtsgericht nicht gereicht, um von einem Sekundenverstoß auszugehen. Kein Fahrverbot für den Betroffenen!

Kein Fahrverbot bei Augenblicksversagen innerorts

Auch bei Regelfahrverboten, wie etwa Überschreitung der Geschwindigkeit um mehr als 30 km/h innerhlab geschlossener Ortschaften, kann es an einem groben Verstoß gegen Verkehrspflichten fehlen, so dass die Verhängung eines Fahrverbotes unrechtmäßig ist.

Das gilt insbesondere bei Fällen des sogenannten Augenblicksversagens.
Ein Augenblicksversagen liegt vor, wenn der Betroffene aufgrund einer besonderen Ablenkungssituation einen Moment unaufmerksam ist und daher eine verkehrsrechtliche Anordnung bzw. ein Verkehrszeichen übersieht.

In den letzten Jahren sind zahlreiche obergerichtliche Entscheidungen rund um das Thema Augenblicksversagen gefällt worden. Es soll vorab nicht unerwähnt bleiben, dass jeder einzelne Fall eben ein Einzelfall ist und der Besprechung bedarf.

Nachfolgend möchte ich zur ersten Orientierung einen Überblick über einige obergerichtlich Urteile zum Thema Augenblicksversagen bei Geschwindigkeitsverstößen innerorts geben:

Beim Überfahren eines Ortseingangsschildes liegt ein Augenblicksversagen nur dann vor, wenn der Fahrer das Schild nicht nur übersehen hat sondern darüber hinaus auch nicht erkennen konnte, dass er sich bereits in einer geschlossenen Ortschaft befand. Letzteres schließen die Gerichte bei Ortskenntnis des Betroffenen allerdings regelmäßig aus.

An einem groben Pflichtverstoß kann es im Einzelfall auch dann fehlen, wenn die Aufstellung des Ortseingangsschildes nicht den Verwaltungsvorschriften entsprach.

Auch wenn ein Tempo 30 – Schild direkt hinter einem Ortsschild aufgestellt ist oder wenn der Grund für die Beschränkung (beispielsweise vor einer Schule in der Ferienzeit) weggefallen ist, kann es zu einem Wegfall des Fahrverbots kommen.

Häufig kommen auch Geschwindigkeitsverstöße innerorts zur Nachtzeit vor, weil der Betroffene ortsunkundig ist, das Ortseingangsschild übersieht, wenige oder keine Bebauung vorhanden ist und die Beleuchtung unzureichend ist.

Auch in solchen Fällen kann die Voraussetzung für ein Fahrverbot entfallen.

Absehen vom Fahrverbot – Verkehrspsychologische Schulung

Das Amtsgericht Landstuhl hat mit Urteil vom 11.9.2014 entschieden, dass von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, wenn der Betroffene an einer verkehrspsychologischen Schulung teilgenommen hat. Im Gegenzug wurde die Geldbuße erhöht.

Das Amtsgericht war in diesem Fall außergewöhnlich großzügig, da der Betroffene bereits mehrere Voreintragungen hatte.

Verkehrspsychologische Schulungen gewinnen seit Jahren an Bedeutung bei der Frage der Erforderlichkeit eines Fahrverbotes im Bußgeldverfahren. Gleiches gilt für die Fahrerlaubnisentziehung und das Fahrverbot im Strafverfahren. Solche Schulungen werden von verschiedenen Stellen angeboten, z.B. dem TÜV.

Es sei allerdings davor gewarnt, vorschnell und auf eigene Faust irgendwelche Schulungsmaßnahmen zu absolvieren und dann zu erwarten, das Gericht werde auf jeden Fall vom Fahrverbot absehen. Es ist natürlich eine substantiierte Begründung der Einzelfalles erforderlich. Auch verfahren die Gerichte durchaus unterschiedlich großzügig. Das gilt ebenfalls für das vorgeschaltete Verwaltungsverfahren. Auch die Bußgeldstellen sind regional unterschiedlich streng bei der Verhängung von Fahrverboten.

Einführung der Halterhaftung in Deutschland?

Derzeit prüft die Bundesanstalt für Straßenwesen, ob eine Halterhaftung auch in Deutschland eingeführt werden kann.

Nach aktueller Rechtslage existiert eine solche Halterhaftung nur im ruhenden Verkehr (Park- und Halteverstöße). Kann der derjenige, der das Fahrzeug ordnungswidrig geparkt hat, nicht ermittelt werden, muss der Halter die Kosten des Verfahrens tragen.

Die sogenannte Halterhaftung existiert in den meisten europäischen Ländern auch im fließenden Verkehr. Diese ist meist so ausgestaltet, dass das Bußgeld letztlich für die Nichtbenennung des Fahrers verhängt wird. Bestraft wird der Halter also nicht für den eigentlichen Verstoß (z.B. Geschwindigkeitsverstoß) sondern weil er den Fahrer nicht preisgibt.

Eine ebensolche Haftung des Halters für Verstöße im fließenden Verkehr ist nun auch in Deutschland im Gespräch. Hintergrund ist, dass die Ermittlung des Fahrers immer dann, wenn der Fahrer nicht gleichzeitig Halter des Fahrzeugs ist, mit erheblichem Aufwand verbunden sein kann. Häufig verläuft sie auch erfolglos, wenn der Halter nicht „petzt“. Bislang besteht lediglich die Möglichkeit, dem Halter, der nicht an der Fahrerermittlung mitwirkt, eine Fahrtenbuchauflage aufzuerlegen.

 

 

Amtsgericht Lüdinghausen: Stuhldrang schützt nicht vor Fahrverbot

„Schöne Sch …“, wird sich der Betroffene des Ordnungswidrigkeitenverfahrens 19 OWi-89 Js 155/14 vor dem Amtsgericht Lüdinghausen gedacht haben.

Er hatte sich vor dem Amtsgericht dahingehend eingelassen, wegen starken Stuhldrangs unaufmerksam gewesen zu sein. Mit dieser Begründung hat das Amtsgericht Lüdinghausen das Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation abgelehnt. Kein Absehen vom Fahrverbot! Die Argumentation des Betroffenen hinkte nämlich. Unaufmerksamkeit wegen akuten Durchfalls führt nicht zu einem Augenblickversagen und auch nicht zu einer notstandsähnlichen Situation.

Anders wäre die Sache wohl ausgegangen, wenn der Betroffene nicht mit Unaufmerksamkeit sonern tatsächlich mit absichtlicher Geschwindigkeitsüberschreitung, um die Notdurft nicht im Fahrzeug verrichten zu müssen, argumentiert hätte. Dazu der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 6.12.2007 – IV-5 Ss (OWi) 218/07 – (OWi) 150/07 I, 5 Ss (OWi) 218/07 – (OWi) 150/07 I:
„Dass ein Verkehrsverstoß im Einzelfall durch einen Notstand, § 16 OWiG, gerechtfertigt sein kann, wenn der oder die Betroffene ihn begangen hat, um einem plötzlich aufgetretenen und „unabweisbaren“ Stuhldrang (Durchfall) nachzukommen, ist allgemein anerkannt.“

Promillegrenzen

Im folgenden Video erläutere ich, welche Promillegrenzen im Straßenverkehr gelten:

Im Straßenverkehr gelten für Autofahrer folgende Promillegrenzen:

1. Für Fahranfänger gilt eine Grenze von 0,2 Promille. Das absolute Alkoholverbot für Fahranfänger ist in § 24 c des Straßenverkehrsgesetzes geregelt. Darin heißt es, dass es für Fahranfänger verboten ist, unter der Wirkung von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln zu fahren. Es steht also nicht in der Vorschrift, dass Fahranfänger nur mit 0,0 Promille fahren dürfen. Es kommt vielmehr darauf an, ob eine Wirkung des konsumierten Alkohols anzunehmen ist. Da nach derzeitiger Ansicht in der Rechtsprechung eine Wirkung von Alkohol erst ab 0,2 Promille eintritt, gilt die 0,2 Promillegrenze für Fahranfänger.

2. Ab 0,3 Promille kann der Straftatbestand der Trunkenheit im Straßenverkehr (§ 316 Strafgesetzbuch) erfüllt sein. Das ist aber nur der Fall, wenn alkoholbedingte Ausfallerscheinungen (z.B. Fahrfehler wie etwa Schlangenlinien) festgestellt werden können. Man spricht dann von relativer Fahruntauglichkeit.

3. Ab 0,5 Promille ist auch für Nicht – Fahranfänger die Grenze zur Ordnungswidrigkeit überschritten. Wer mit 0,5 Promille ein Kraftfahrzeug führt, begeht eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a des Straßenverkehrsgesetzes. Es ist nicht erforderlich, dass auch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen vorgelegen haben. Liegen Anhaltspunkte für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen vor, wird zunächst ein Strafverfahren eingeleitet werden.

4. Die Grenze zur sogenannten absoluten Fahruntauglichkeit liegt bei 1,1 Promille. Ab diesem Blutalkoholwert ist eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Straßenverkehr (§ 316 StGB) gegeben, ohne dass es auf Ausfallerscheinungen ankommt.

5. Eine weitere wichtige Grenze ist die 1,6 Promillegrenze. Bei diesem Blutalkoholwert liegt die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit eines Fahrradfahrers. Auch für den Autofahrer ist diese Grenze von Bedeutung. Wird die 1,6 Promillegrenze erreicht, muss die Fahrerlaubnisbehörde eine medizinisch – psychologische Untersuchung (MPU) anordnen. Sie hat kein eigenes Ermessen, ob sie die MPU anordnet oder nicht.

 

Absehen vom Fahrverbot bei Nachweis einer verkehrspsychologischen Schulung

Knöllchen(2)Das Amtsgericht Bad Hersfeld hat durch Beschluss von der Verhängung eines Regelfahrverbotes gegen einen Betroffenen abgesehen, weil dieser an einer verkehrspsychologischen Intensivschulung (“avanti – Fahrverbot”) teilgenommen hat (AG Bad Hersfeld Beschl. v. 14.02.2013, 70 OWi – 31 Js 8265/12). Der Betroffene war außerhalb geschlossener Ortschaften 42 km/h zu schnell gefahren, was zu einem Regelfahrverbot führt (Link zum Bußgeldrechner).

Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist zudem, dass der Betroffene bereits eine Voreintragung im Verkehrszentralregister hatte, die nur drei Monate vor der erneuten Tatbegehung rechtskräftig geworden war. Es handelte sich also nicht um einen Ersttäter. Des Weiteren hat das Amtsgericht die Geldbuße unter Verweis auf die Kosten der Schulungsmaßnahme auch nicht verdoppelt.

Da wird sich der TÜV als Anbieter der avanti-Fahrverbot-Schulungen aber gefreut haben.

Fazit: Eine erfreuliche Entscheidung. Betroffenen muss allerdings geraten werden, nicht vorschnell und auf eigene Faust an Schulungsmaßnahmen teilzunehmen. Erfahrungsgemäß beruhen solche Beschlüsse auf Absprachen zwischen Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Gericht. Außerdem ist natürlich vorrangig zu prüfen, ob der Tatnachweis geführt werden kann.

OLG Hamm zum Absehen vom Fahrverbot: Wer fahren will, muss vortragen!

Das Oberlandesgericht Hamm hat eine amtsgerichtliche Entscheidung aufgehoben, die ein Absehen vom Fahrverbot bei einem berenteten, aber noch in seinem Beruf tätigen Architekten ausgeurteilt hatte.

Das OLG führt aus, dass ein Absehen vom Regelfahrverbot wegen beruflicher oder wirtschaftlicher Schwierigkeiten eine eingehende Begründung erfordere und eine unkritische Übernahme der Angaben des Betroffenen nicht ausreiche (OLG Hamm 28.3.12, III-3 RBs 19/12).

Fazit: Wer ein Absehen vom Fahrverbot erreichen möchte, muss umfassend darlegen, aus welchen Gründen eine unzumutbare Härte vorliegt.

Missverständliche Beschilderung kann zum Absehen vom Fahrverbot führen

Das Oberlandesgericht Bamberg hat mit Beschluss vom 6. Juni 2012, Aktenzeichen 2 SS OWi 163/12 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ein Urteil des Amtsgerichts Bayreuth aufgehoben.

Das Amtsgericht Bayreuth hatte den Betroffenen am 16.02.2012 wegen einer am 24.10.2011 auf der BAB A 9 begangenen fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 55 km/h zu einer Geldbuße von 240,00 € verurteilt. Zugleich verhängte es ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war zwar letztlich erfolgreich und führte zu einer Zurückverweisung der Sache ans Amtsgericht, weil dem Urteil nicht zweifelsfrei zu entnehmen war, wie sich die Beschilderung am Tatort darstellte bzw. welches überhaupt die erlaubte Höchstgeschwindigkeit war. Das Oberlandesgericht Bamberg hat aber für die neue Entscheidung des Amtsgerichts unter Bezugnahme auf weitere einschlägige Urteile auf Folgendes hingewiesen:

„Zum einen erscheinen Ausführungen zur vollständigen Beschilderungssituation vor der Verkehrskontrollstelle bei Prüfung der Möglichkeit des Absehens von der Verhängung eines Fahrverbots wegen Augenblicksversagens oder auch bei Prüfung, ob trotz einer Existenzgefährdung das Gewicht des Verkehrsverstoßes die Verhängung eines Fahrverbots zur Einwirkung auf den Betroffenen zwingend erforderlich macht, zumindest sinnvoll.

Zum anderen ist in der neuen tatrichterlichen Entscheidung weiter auszuführen, wie und wodurch jeweils das Zeichen 274 von dem offenbar am selben Pfosten befindlichen Zeichen 276 (Überholverbot) „deutlich … abgesetzt“ (UA S. 4) war (vgl. BayObLG VM 1978, 29/30; vgl. auch OLG Bamber NZV 2007, 633). Zwar bezieht sich – entgegen der Ansicht der Verteidigung – ein, wie im vorliegenden Fall, unter mehreren Verkehrszeichen angebrachtes Zusatzzeichen (hier nach Angaben der Verteidigung in der Rechtsbeschwerde das Zusatzzeichen 1049-13) nur auf das unmittelbar darüber befindliche Verkehrszeichen, wie aus § 39 Abs. 3 Satz StVO folgt (Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 41. Auflage 39 StVO Rn. 31a a.E.). Dennoch kann u.U. ein Irrtum über die beschränkte Wirkung von Zusatzschildern dazu führen, dass trotz Vorliegens der Regelvoraussetzungen die Anordnung eines Fahrverbots entfällt; dies etwa dann, wenn eine deutliche Trennung des durch das Zusatzschild eingeschränkten Überholverbots von dem Zeichen 274 nicht vorgenommen ist (vgl. OLG Bamberg NZV 2007, 633; BayObL NJW 2003, 2253).“

OLG Bamberg -Kein Fahrverbot wegen Beharrlichkeit trotz fünf Voreintragungen

Nach § 25 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes wird gegen den Betroffenen ein Fahrverbot verhängt, wenn er eine Ordnungswidrigkeit unter grober oder beharrlicher Verletzung einer Verkehrspflicht begangen hat. Die Pflichtverletzung muss also grob und /oder beharrlich gewesen sein.

Die groben Pflichtverletzungen sind im Wesentlichen schon im Bußgeldkatalog mit einem Fahrverbot bewehrt. Der Gesetzgeber geht z.B. davon aus, dass in einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 30 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften im Regelfall eine grobe Pflichtverletzung zu sehen ist. Wer also mit über 80 km/h durch den Ort fährt, muss mit einem Fahrverbot rechnen.

Das heißt aber nicht im Umkehrschluss, dass, wer mit 80 km/h oder weniger durch den Ort fährt, damit rechnen darf, dass gegen ihn kein Fahrverbot verhängt wird. Liegt keine grobe Pflichtverletzung vor, kommt ein Fahrverbot dennoch in Betracht und zwar wegen Beharrlichkeit.

Beharrlichkeit setzt – einfach ausgedrückt – voraus, dass der Betroffene Voreintragungen, also Punkte in Flensburg – hat. Ab wie vielen Punkten bzw. Verstößen Beharrlichkeit angenommen werden darf, es also zu einem Fahrverbot kommt, und von welcher Art und Qualität die Verstöße sein müssen, ist Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen. Dies aus gutem Grund, denn es gibt keine „Regelsätze“, wann Beharrlichkeit anzunehmen ist.

Ab dem dritten Verstoß nicht unerheblicher Natur lässt sich sagen, dass es für den Betroffenen kritisch wird. Im letzten Jahr stach eine Entscheidung des OLG Bamberg (VA 11, 120) zu Gunsten des Betroffenen hervor. Nach Ansicht des OLG Bamberg lag trotz fünf Eintragungen im Verkehrszentralregister keine Beharrlichkeit vor, da sämtliche Unterschreitungen unterhalb von 26km/h lagen.

Die Entscheidung zeigt, dass es sich in jedem Fall lohnt, auch bei Voreintragungen in Flensburg um ein Absehen vom Fahrverbot zu kämpfen, auch wenn sich die Tilgung der Voreintragungen nicht mehr rechtzeitig erreichen lässt.

Fahrverbote abwenden oder verschieben

Fahrverbote sind für den Betroffenen das meist empfindlichste Übel in einem Bußgeldverfahren. Fahrverbote lassen sich aber vermeiden oder zumindest verzögern. In diesem Video zeige ich auf, wie ich als Verteidiger in Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren vorgehe, um meinen Mandanten die Verhängung eines Fahrverbotes zu ersparen oder dieses zumindest in einen für ihn günstigen Zeitraum zu verschieben.

1. Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheids

Es sollte vor einer Einlassung zur Sache zunächst Akteneinsicht genommen werden. Anhand der Bußgeldakte ist dann zunächst die Rechtmäßigkeit des (zu erwartenden) Bußgeldbescheides prüfen und zwar insbesondere dahingehend, ob Verfahrensfehler und Messfehler vorliegen, Verfolgungsverjährung (kurze Verjährungsfrist: 3 Monate) eingetreten ist, ein eindeutiges Identifizierungsbild vorliegt, u.v.m.. Gegebenenfalls kann der Tatvorwurf insgesamt beseitigt werden, dann entfallen sowohl Fahrverbot als auch Geldbuße.

2. Voraussetzungen eines Fahrverbotes (grobe oder beharrliche Pflichtverletzung)

Sodann ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 25 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vorliegen. Es muss sich um eine grobe oder beharrliche Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers handeln. Es existieren sogenannte Regelfahrverbote. Der Gesetzgeber geht bei bestimmten Verstößen davon aus, dass diese eine grobe Verletzung von Verkehrspflichten darstellen. Das ist zum Beispiel bei folgenden (nicht abschließend aufgezählten) Verstößen der Fall:

– Ab einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 41 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften.

– Ab einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 31 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften.

– Bei zweimaliger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 25 km/h innerhalb eines Jahres.

– Bei einem Rotlichtverstoß, wenn die Ampel bereits länger als eine Sekunde Rot angezeigt hatte.

– Bei der Teilnahme an illegalen Kraftfahrzeugrennen.

Daneben kommt ein Fahrverbot vor allem bei wiederholten Verstößen wegen Beharrlichkeit – also Voreintragungen im Verkehrszentralregister – in Betracht.

Wird ein Fahrverbot wegen Beharrlichkeit – also wiederholten Verstößen gegen die Verkehrsordnung – verhängt, geht es nicht zuletzt darum, das Verfahren zu verzögern, so dass im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sache die Voreintragungen – im besten Fall alle Voreintragungen – bereits getilgt oder in die Überliegefrist gewandert sind. Es gibt keine feste Grenze, ab welcher Anzahl von Verstößen welcher Art bereits Beharrlichkeit im Sinne des § 25 StVG vorliegt. Die Rechtsprechung verfährt in diesen Fällen uneinheitlich, wobei die Tendenz dahin geht, etwa ab dem dritten wesensgleichen Verstoß Beharrlichkeit anzunehmen. Eine Kenntnis der einschlägigen Urteile ist unverzichtbar.

3. Atypische Verstöße

Liegt ein solches Regelfahrverbot vor, ist zu prüfen, ob nicht ein atypischer Verstoß gegeben ist, der im konkreten Einzelfall gegen eine grobe Pflichtverletzung spricht. Das ist zum Beispiel beim sogenannten Augenblicksversagen der Fall.

Beispiel: Der Gesetzgeber geht bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 41 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften davon aus, dass eine grobe Pflichtverletzung gegeben ist, die mit einem Fahrverbot von einem Monat zu ahnden ist. Bei einem ortsunkundigen Betroffenen, der ein einmal aufgestelltes Schild aufgrund einer besonderen Ablenkungssituation übersehen hat, kann wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles dennoch eine grobe Pflichtverletzung entfallen. Hierzu ist vom Betroffenen selbstverständlich entsprechend vorzutragen. Im Falle eines Augenblicksversagens darf die Geldbuße nicht gegen Wegfall des Fahrverbotes erhöht werden, da es bereits am Tatbestand, nämlich einer groben Pflichtverletzung, für die Verhängung eines Fahrverbotes fehlt.

4. Absehen vom Fahrverbot (Härteklausel)

Schließlich muss auch geprüft werden, ob das Fahrverbot im Einzelfall nicht zu einer Existenzgefährdung (z.B. : Verlust des Arbeitsplatzes) führen kann (sog. Härteklausel). Liegt für den Betroffenen eine unzumutbare Härte vor, kann die Behörde ausnahmsweise von der Verhängung des Fahrverbotes gegen Erhöhung der Geldbuße absehen. Hierzu und zum Augenblicksversagen muss umfassend vorgetragen werden. Entsprechende Belege sind beizufügen.

Wichtig ist in jedem Fall, dass erschöpfender und nachweisbarer Vortrag erfolgt, warum die Verhängung des Fahrverbotes eine unzumutbare Härte darstellt. Dabei ist natürlich Kenntnis von der einschlägigen Rechtsprechung von Vorteil. Es existieren hierzu zahlreiche Urteile.

Meine Erfahrung zeigt, dass es häufig möglich ist, wenn man entsprechend mit der Bußgeldstelle kommuniziert, bereits vor Erlass des Bußgeldbescheids zu erreichen, dass von einem Fahrverbot – gegebenenfalls gegen Erhöhung der Geldbuße – abgesehen wird.

5. Beschränkung des Fahrverbots auf bestimmte Arten von Fahrzeugen

Fahrverbote lassen sich auf bestimmte Fahrzeugarten und -typen beschränken. Maßgeblich hierfür ist das Fahrerlaubnisrecht, also die Fahrerlaubnisklassen. Diese Beschränkung ist vor allem für Berufskraftfahrer von Bedeutung. Eine Beschränkung auf bestimmte Fahrzeugmarken (z.B. : BMW 316 i) ist natürlich nicht möglich. Leider ist auch keine zeitliche Beschränkung (z.B. von 18:00 Uhr bis 6:00 Uhr) möglich. Auch eine zeitliche „Splittung“ des Fahrverbotes (z.B. : zwei Wochen im Februar, weitere zwei Wochen im Mai, .. .) ist nicht möglich.

6. Verschieben des Fahrverbotes

Es liegt auf der Hand, dass es auch Fälle gibt, in denen am Fahrverbot kein Weg vorbeiführt. Dann sollte mit dem Mandanten besprochen werden, wann der Antritt des Fahrverbotes für ihn am günstigsten ist (in der Regel in der Urlaubszeit).

Ein Fahrverbot zu verschieben, z.B. in die Urlaubszeit, ist meist unproblematisch möglich. Handelt es sich bei dem Betroffenen um einen Ersttäter, so kommt er ohnehin in den Genuss der viermonatigen Schonfrist. Im Übrigen lässt sich durch zulässiges Verteidigerhandeln die Rechtskraft des Bußgeldbescheides ohne Weiteres um mehrere Monate verschieben.

Wichtig ist natürlich, dass innerhalb der Zwei – Wochen – Frist Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt wird.

Wenn also ausnahmsweise „gar nichts geht“, geht immer noch eine Verschiebung des Fahrverbotes.