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Archiv: 24. Mai 2019

E-Scooter zukünftig nicht nur auf Radwegen zulässig!


Bekanntermaßen hat der Bundesrat unter bestimmten Änderungsbedingungen dem Entwurf der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) zugestimmt. Die E-Scooter kommen also und sind derzeit Gegenstand medialer Berichterstattung. Auffallend ist dabei, dass fast unisono berichtet wird, man werde in Zukunft mit den E-Scootern nur auf Radwegen fahren dürften.

Das ist falsch.

Für juristisch interessierte Personenkreise findet sich der Entwurf eKFV hier:

Entwurf eKFV

Der Beschluss des Bundesrates findet sich hier:

Stellungnahme Bundesrat

Umgesetzt ist die Verordnung noch nicht. Die Verordnung wird aber wohl noch diesen Sommer in Kraft treten. Meines Erachtens werden die elektrischen Tretroller als Fortbewegungsmittel in Großstädten ein Thema werden.

Falsch ist, wie gesagt, dass man nur auf Radwegen fahren dürfen wird.

Richtig ist, dass das Verkehrsministerium ursprünglich angedacht hatte, innerörtlich ein Fahren in verkehrsberuhigten Bereichen generell zuzulassen.

§ 10 I S.2 des Entwurfs lautet:

„Innerhalb geschlossener Ortschaften dürfen Elektrokleinstfahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 1 2 km/h nur auf baulich angelegten Radwegen, Radfahrstreifen (Zeichen 237 in Verbindung mit Zeichen 295 der Anlage 2 zur Straßenverkehrs-Ordnung) und Fahrradstraßen (Zeichen 244.1 der Anlage 2 zur Straßenverkehrs-Ordnung) gefahren werden. Wenn solche nicht vorhanden sind, darf auf Fahrbahnen oder in verkehrsberuhigten Bereichen (Zeichen 325.1 der Anlage 3 zur StraßenverkehrsOrdnung) gefahren werden.“

Also grundsätzlich auf den Radweg. Im verkehrsberuhigten Bereich (sprich: Innenstadt etc.) darf man dann auch auf Gehwegen fahren.

Das war der Entwurf.

In dem Punkt hat der Bundesrat aber nicht zugestimmt sondern verlangt, dass der Halbsatz mit den verkehrsberuhigten Bereichen gestrichen wird, sprich: Es soll nur auf Radwegen gefahren werden dürfen. Eine generelle Ausnahme für verkehrsberuhigte Bereiche soll es nicht geben.  Anscheinend folgert nun die Presse daraus, dass es verboten sei, auf anderen Verkehrsflächen – also beispielsweise im verkehrsberuhigten Bereich, auf Gehwegen, öffentlichen Plätzen etc. –  zu fahren.

Das ist aber nur im Grundsatz richtig.

Dabei wird nämlich übersehen, dass der Bundesrat den Entwurf insoweit gebilligt hat, als er die Straßenverkehrsbehörden ermächtigt, Ausnahmen zuzulassen:

„Für das Befahren von anderen Verkehrsflächen können die Straßenverkehrsbehörden abweichend von Absatz 1 und 2 Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle oder allgemein für bestimmte Antragsteller zulassen. Eine allgemeine Zulassung von Elektrokleinstfahrzeugen auf solchen Verkehrsflächen kann durch Anordnung des Zusatzzeichens

„Elektrokleinstfahrzeuge frei“ bekanntgegeben werden.“

Es wird also kommen, dass man nicht nur auf Radwegen fahren dürfen wird sondern auch überall dort, wo das Schild „Elektrokleinstfahrzeuge frei“ aufgestellt sein wird.

Das ganze Thema ist natürlich äußerst interessant für professionelle Scooter-Vermieter. Je mehr Verkehrsflächen innerstädtisch eröffnet werden, desto sinnvoller ist es auch für den Nutzer von Mietrollern, diese einzusetzen. Ich nehme mal an, dass der ein oder andere Lobbyist das Geldköfferchen schon gepackt haben wird. Wie sich das Städtebild in punkto E-Scooter entwickeln wird, dürfte im Wesentlichen davon abhängen, wie weitgehend von der Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht werden wird und die Schilder aufgestellt werden.

Geblitzt? Sofort Einspruch einlegen! Messungen im Saarland sind vermutlich verfassungswidrig!

Der Saarländische Verfassungsgerichtshof hat am 9.5.2019 über die Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen verhandelt. Gegenstand der Verhandlung war die Frage, ob die sogenannten Rohmessdaten einer Geschwindigkeitsmessung vom Messgerät gespeichert werden müssen.

Prozessbeobachter vermuten nach dem Verlauf der Verhandlung, dass der Saarländische Verfassungsgerichtshof diese Frage bejahen wird. Das vermute ich ebenfalls.

Die Verhandlung hat bundesweit großes mediales Interesse geweckt:

Spiegel Online – Richter zweifeln an Fairness von Bußgeldverfahren

SR – Verfassungsbeschwerde wegen Blitzer

FOCUS – Beschwerde gegen Geldbuße: Verfassungsrichter zweifeln Zulässigkeit von Blitzern an

Bereits mit Beschluss vom 27.4.2018 – Lv 1/18 – hatte der Saarländische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass ein Betroffener Anspruch auf Einsicht in diese Rohmessdaten hat:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/verfassungsgerichtshof-des-saarlandes-betroffener-hat-anspruch-auf-einsicht-in-die-messdateien/

Das Gericht hat klargestellt, dass der Betroffene einer Verkehrsmessung darauf angewiesen ist, diese Daten zu erhalten, um überhaupt in der Lage zu sein, Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung nachzuweisen.

Jedenfalls für das Saarland steht seitdem fest, dass der Betroffene die Rohmessdaten auf Antrag seines Verteidigers erhält und überprüfen lassen kann.

Was war also das Problem des Falles, der am 9.5.2019 verhandelt wurde? Der Betroffene hätte doch die Daten erhalten können/müssen?

Das Problem war, dass der Messgerätehersteller Jenoptik im Rahmen eines Softwareupdates die Software des Messgerätes geändert hat und zwar dahingehend, dass fast sämtliche Rohmessdaten der Messung gelöscht werden. Mit den verbliebenen Daten lässt sich aber ein Messfehler kaum nachweisen.

Diese Problematik war bereits Gegenstand eines Freispruchs des Amtsgerichts St. Ingbert vom 26.4.2017 – 2 OWi 379/16. Das Amtsgericht St. Ingbert, inzwischen das „zentrale“ Bußgeldgericht des Saarlandes, hatte damals einen Betroffenen freigesprochen und ausdrücklich gerügt, dass der Hersteller Jenoptik die Rohmessdaten durch das Softwareupdate gelöscht hatte.

Auch was die Auswertung der Messungen angeht, erlitten Jenoptik und die Stadt Neunkirchen damals vorm Oberlandesgericht des Saarlandes eine derbe Schlappe. An das Verfahren kann ich mich noch gut erinnern, denn ich habe es als Verteidiger geführt. Zur Erinnerung:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/freispruch-olg-saarbruecken-verwirft-geschwindigkeitsmessungen-der-stadt-neunkirchen/

Der Verfassungsgerichtshof hörte anlässlich der Verhandlung vom 9.5.2019 Sachverständige, unter anderem von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, an.

Die Entscheidung soll Ende Juni 2019 ergehen.

Sollte sich die Einschätzung bestätigen, dass der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes zu Gunsten des Betroffenen entscheiden wird, wird auch für alle anderen anhängigen Bußgeldverfahren die Forderung aufgestellt werden müssen, dass die Rohmessdaten einer Messung gespeichert werden müssen. Das ist allerdings nicht nur bei dem konkret verwendeten Messgerät nicht der Fall gewesen sondern bei den meisten „standardisierten Messverfahren“ – also fast allen Messsystemen – nicht üblich.

Dann kann nach meiner Bewertung der Rechtslage für alle Verfahren, in denen eine solche Speicherung nicht erfolgte, auf eine Verfahrenseinstellung bzw. einen Freispruch verteidigt werden.

Dies gilt jedenfalls für Verstöße, die im Saarland begangen wurden und hier anhängig sind. Ob die Entscheidung bundesweit „durchschlägt“, halte ich für fraglich.

Was müssen Sie jetzt tun, wenn Sie geblitzt wurden?

1. Einspruch einlegen! Es sollte keinesfalls zur Rechtskraft der Entscheidung kommen, da nach meiner Einschätzung ein Wiederaufnahmeverfahren nicht erfolgversprechend ist, denn

2. Sie sollten die Beiziehung und Zurfverfügungstellung der Rohmessdaten Ihres Falles bereits bei der Bußgeldstelle beantragen.

Bereits an dieser Stelle setzt für den Betroffenen das erste Problem ein. Denn als Betroffener haben Sie keinen Anspruch auf Übersendung Ihrer Fallakte an Sie persönlich. Abgesehen davon, dürfte die Antragstellung für den Laien problematisch sein. Sie sollten daher frühzeitig anwaltliche Hilfe suchen, so dass noch im Verfahren vor der Bußgeldbehörde agiert werden kann.

Die Kosten hierfür übernimmt Ihr Rechtsschutzversicherer. Sind Sie nicht rechtsschutzversichert, aber mit einem PKW gefahren, der auf eine rechtsschutzversicherte Person oder ein Unternehmen zugelassen ist (z.B. Firmenwagen) übernimmt der Rechtsschutzversicherer des Halters die Kosten.

Die Rechtsprechung verfährt in Fällen, in denen der Betroffene sich nicht bereits im Verfahren vor der Bußgeldstelle ernsthaft um den Erhalt der Messdateien bemüht hat, generell zurückweisend.

Sie können also nicht einfach Einspruch einlegen und abwarten in der Hoffnung, dass Ihr Verfahren vom Amtsgericht St. Ingbert oder der zuständigen Bußgeldstelle eingestellt wird, wenn die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ergangen sein wird.

Nach meiner Prognose wird es eine „generelle Einstellung“ dieser Verfahren nicht geben.

Zu erwarten ist, dass die Messgerätehersteller per Softwareupdate eine Speicherung der Rohmessdaten herbeiführen werden. Für die bereits laufenden verfahren und die derzeitigen Blitzer kann das aber nach meiner Einschätzung keine „Heilung“ mehr bewirken.

Ein Mal bekifft gefahren? Reicht nicht für Fahrerlaubnisentzug! BVerwG ändert seine Rechtsprechung

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 11.4.2019 seine lang erwartete Entscheidung zum Thema Fahrerlaubnisentzug  und Cannabiskonsum gefällt. Es hat sich überraschender Weise für die Mindermeinung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes und damit gegen die überwiegende Meinung – hier vertreten durch das des OVG Nordrhein-Westfalen – und seine eigene bisherige Rechtsprechung entschieden.

Die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts titelt:

Erstmaliger Verstoß eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten gegen das Gebot des Trennens von Konsum und Fahren führt regelmäßig nicht unmittelbar zur Entziehung der Fahrerlaubnis

Über das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes hatte ich hier berichtet:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/cannabis-am-steuer-mpu-statt-sofortiger-entzug-der-fahrerlaubnis/

Stellvertretend für die bis dato geltende herrschende Meinung:
https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/ovg-schleswig-holstein-es-bleibt-dabei-ein-mal-cannabis-am-steuer-fuehrerschein-weg/

Aus der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts:

An seiner gegenteiligen Annahme im Urteil vom 23. Oktober 2014 hält das Bundesverwaltungsgericht nicht fest. Auch ein einmaliger Verstoß begründet aber Bedenken gegen die Fahreignung, denen die Fahrerlaubnisbehörde nachgehen muss. Erforderlich ist eine Prognose, ob der Betroffene auch künftig nicht zwischen einem möglicherweise die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Fahren trennen wird. Um hierfür eine ausreichend abgesicherte Beurteilungsgrundlage zu haben, bedarf es in der Regel der Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Die Fahrerlaubnisbehörde hat gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Anordnung der Beibringung eines solchen Gutachtens und die hierbei einzuhaltende Frist zu entscheiden.

Die Pressemitteilung ist hier veröffentlicht:

https://www.bverwg.de/pm/2019/29

Damit ist der ständigen Praxis fast aller Bundesländer, bei einer erstmaligen Cannabisfahrt ohne weitere Prüfung die Fahrerlaubnis zu entziehen, ein Riegel vorgeschoben worden. In Zukunft müssen die Fahrerlaubnisbehörden dazu übergehen, zu prüfen, ob eine medizinisch-psychologische Begutachtung der Fahreignung angezeigt ist. Dies wiederum wird auch beim erstmaligen Fahren unter Cannabiseinfluss der Regelfall sein. Es heißt nun also doch: MPU statt Sofortentzug der Fahrerlaubnis.

Für den Betroffenen bringt das den ganz entscheidenden Vorteil mit sich, dass er zukünftig bis zur MPU seinen Führerschein behalten werden darf. Bislang wurde die Fahrerlaubnis nach der Praxis fast aller Bundesländer sofort entzogen. Sodann musste der Betroffene entweder im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom Verwaltungsgericht seiner Fahrerlaubnis hinterherlaufen (im wahrsten Sinne des Wortes) oder eben einen Neuantrag stellen und das Antragsverfahren durchlaufen (wiederum im wahrsten Sinne des Wortes).

Fazit: Die Entscheidung ist ein echter „Knaller“ und eine ausdrückliche Abkehr von der bisherigen Marschroute. Zu beachten ist Folgendes: Die Entscheidung bezieht sich auf gelegentliche Konsumenten von Cannabis. Nach ständiger Rechtsprechung liegt gelegentlicher Konsum allerdings bereits beim zweiten Konsumvorgang vor. Der gelegentliche Konsum ist daher der Regelfall und wird bereits durch die Carbonsäurewerte hinreichend zu belegen sein. Des Weiteren ist die Entscheidung nur auf Ersttäter anwendbar.