Der berührungslose Fahrradunfall
Das OLG Hamm hat sich in einer aktuellen Entscheidung zu einem berührungslosen Unfall zwischen einem Fahrrad und einem PK W geäußert. Der sogenannte berührungslose Unfall ist auch zwischen PKWs in der Vergangenheit Gegenstand zahlreicher Entscheidungen gewesen.
Grundsätzlich ist mit einem berührungslosen Unfall gemeint, dass sich die Unfallbeteiligten eben anlässlich des Unfalls nicht berühren und es dennoch zu einem Schaden kommt. Das kann ein Personenschaden oder ein Sachschaden sein. Regelmäßig tritt dieser durch ein Ausweich- oder Bremsverhalten eines Beteiligten ein.
Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung folgenden Grundsatz zum berührungslosen Unfall aufgestellt:
„Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat.“ (BGH VI ZR 533/15, BGH VI ZR 263/09)
Das OLG Hamm schließt sich dem an und konkretisiert in seinem Urteil diesen Grundsatz für die nachfolgende Konstellation:
Die geschädigte Klägerin fuhr mit ihrem Rennrad auf einem Fahrradweg, der grundsätzlich vorfahrtsberechtigt war. Der Beklagte fuhr auf einer untergeordneten Straße und näherte sich der Klägerin aus dieser Querstraße von links kommend. Die Klägerin stürzte, weil sie befürchtete, es käme zu einem Zusammenstoß mit dem Kfz des Beklagten. Konkret führte sie eine Vollbremsung aus. Sie verletzte sich dabei erheblich. Das OLG Hamm hat die Schadensersatzklage der Klägerin in zweiter Instanz vollumfänglich abgewiesen. In erster Instanz hatte die Klägerin noch teilweise Erfolg.
Die Klägerin hätte darlegen und beweisen müssen, dass der Beklagte entweder einen Verstoß gegen die Vorfahrtspflicht begangen hat oder aber, dass sich zumindest die Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeugs verwirklicht hat. Beides ist ihr nicht gelungen.
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Beklagtenfahrzeug unstreitig deutlich vor dem Einmündungsbereich angehalten wurde und zwar etwa einen halben Meter vor der gestrichelten Linie zum Einmündungsbereich. Der Beklagte war also mit seinem PKW nicht in den Einmündungsbereich hineingefahren.
Ein Vorfahrtsverstoß nach § 8 II StVO lag daher nicht vor. Nach § 8 StVO muss, wer die Vorfahrt zu beachten hat, durch mäßige Geschwindigkeit erkennen lassen, dass gewartet wird. Bei unübersichtlicher Straßenstelle muss sich vorsichtig in die Einmündung hineingetastet werden.
Nachdem der Einmündungsbereich nicht erreicht wurde und die Klägerin lediglich vortrug, Sie habe das Beklagtenfahrzeug als Schatten wahrgenommen und sich wegen des lauten Motorgeräuschs erschreckt, war ein solcher Vorfahrtsverstoß ersichtlich nicht gegeben.
Anmerkung: In Fällen, in denen der PKW in den jeweiligen geschützten Bereich bereits eingefahren ist, wird – nicht immer aber häufig – ein solcher Verstoß zu bejahen sein mit der Folge des dann gegebenen Anscheinsbeweises für ein Verschulden des Wartepflichtigen.
Zu prüfen war daher noch, ob sich die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs verwirklicht hat.
Allgemein gilt bei einem Unfall zwischen einem Kraftfahrzeug und einem sonstigen Fahrzeug (z.B. Fahrrad) Folgendes:
Im Gegensatz zu einem Fahrrad kommt einem Kraftfahrzeug (z.B. PKW) grundsätzlich eine Betriebsgefahr zu. Das bedeutet, dass wenn ein Zurechnungszusammenhang mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs besteht, eine verschuldensunabhängige Haftung des PKW-Fahrers und Halters greift. Es sei denn, zwischen dem Betrieb des PKWs und dem Unfall besteht kein Zurechnungszusammenhang. Dass der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Betrieb des Kraftfahrzeugs und dem Eintritt des Unfalls besteht, hat der/die Geschädigte zu beweisen.
Tritt der Betriebsgefahr des PKWs kein Verschulden oder Verursachungsbeitrag des Fahrradfahrers entgegen, haftet der PKW-Fahrer zu 100%. Hat der Fahrradfahrer den Unfall dagegen mit verursacht, dann tritt die Betriebsgefahr des PKWs entsprechend teilweise zurück, so dass es zu einer einzelfallabhängigen Haftungsquote kommt.
Im konkreten Fall konnte die Klägerin den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Betrieb des PKWs und dem Unfall nicht darlegen und beweisen. Denn hierzu ist nach dem oben genannten Grundsatz des BGH nicht ausreichend, dass sich der PKW am Unfallort befunden hat. Es muss hinzukommen, dass er durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zum Unfall beigetragen hat.
Der Vortrag der Klägerin, sie habe einen Schatten wahrgenommen und sich vor dem Motorgeräusch erschreckt, reichte hierfür nicht aus. Das OLG Hamm stellt hierzu klar, dass auch ein Unfall infolge einer objektiv nicht erforderlichen Abwehr- oder Ausweichreaktion im Einzelfall dem Betrieb des PKWs zugerechnet werden kann. Hierfür hätte der Beklagte aber einen Anlass setzen müssen, der es aus Sicht der Klägerin erwarten ließe, dass er vor der Einmündung nicht anhalten werde. Das wäre beispielsweise zu bejahen gewesen, wenn er in den Einmündungsbereich hineingefahren wäre oder seine Fahrweise objektiv hätte erwarten lassen, dass er nicht anhalten werde. Denkbar etwa bei einem „Heranrasen“ an den Einmündungsbereich.