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Archiv: 28. Juni 2022

BGH ändert Rechtsprechung zur Umsatzsteuer bei fiktiver Abrechnung

Der Bundesgerichtshof hat völlig überraschend eine ständige Regulierungspraxis gekippt:

„Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig (hier: Teilreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Unfallfahrzeugs).“ (BGH, Urteil vom 5. April 2022 – VI ZR 7/21)

Es geht um die sogenannte fiktive Abrechnung eines Unfallschadens. Vereinfacht ausgedrückt, kann ein Geschädigter im Reparaturfall eine Abrechnung des Schadens auf Basis eines Kostenvoranschlags oder Haftpflichtgutachtens vornehmen.

Er erhält dann die geschätzten Reparaturkosten netto, da § 249 II S. 2 BGB regelt, dass die Umsatzsteuer nur ersetzt wird, wenn und soweit sie tatsächlich anfällt.

Die Konstellation ist gerade bei älteren Fahrzeugen gang und gäbe. Der Geschädigte kann das Fahrzeug in einem solchen Fall unrepariert weiternutzen und den Nettobetrag behalten. Er kann aber auch eine billigere Teilreparatur vornehmen, beispielsweise um die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs wiederherzustellen. Nimmt er eine solche Teilreparatur vor, so war es bislang ständige Rechtsprechung, dass er zusätzlich zu den Nettoreparaturkosten auch Ersatz der tatsächlich angefallenen und nachgewiesenen Umsatzsteuer auf die zur Reparatur angeschafften Ersatzteile beanspruchen kann. Letztlich fußte diese Rechtsprechung auf der Gesetzesbegründung zu § 249 II S.2 BGB und somit auf dem Willen des Gesetzgebers:

„Entscheidet sich der Geschädigte dafür, die beschädigte Sache außerhalb einer Fachwerkstatt oder eines umsatzsteuerpflichtigen Unternehmens zu reparieren, sei es durch Eigenleistung, sei es unter Zuhilfenahme fremder Arbeitsleistung, erhält er die Umsatzsteuer genau in der Höhe ersetzt, in der sie zur Reparatur angefallen ist: Kauft er z. B. die zur Reparatur erforderlichen Ersatzteile und ist im Kaufpreis Umsatzsteuer enthalten, repariert die beschädigte Sache aber selbst, so kann er die Ersatzteilkosten in dem nachgewiesenen Umfang vollständig, also unter Einschluss der Umsatzsteuer, die Arbeitskosten indes nur in dem nach Satz 2 reduzierten Umfang ersetzt verlangen.“ (Bundestags-Drucksache 14 /7752, S. 23)

Repariert der Unfallgeschädigte sein Fahrzeug beispielsweise selbst, so war es bislang möglich, für angeschaffte Ersatzteile unter Vorlage der Rechnung die Umsatzsteuer ersetzt zu bekommen.

Dieser Abrechnung hat der BGH nun, wohl für alle beteiligten Kreise überraschend, ein Ende gesetzt.

Was war passiert?

Der Geschädigte hatte sich mit einer Revision gegen das Berufungsurteil des LG Osnabrück gewandt, mit welchem ihm der Ersatz der Umsatzsteuer versagt wurde. Er hatte den Unfall fiktiv abgerechnet und hierfür Reparaturkosten fiktiv in Höhe von 5.521,64 Euro netto erhalten.

Der Sachverständige hatte festgestellt, dass sein Fahrzeug nach dem Unfall verkehrssicher war. Der Geschädigte ließ sodann eine Teilreparatur des Fahrzeugs durchführen und legte die Reparaturkostenrechnung über 4.454,63 Euro netto + 846,38 Euro Umsatzsteuer beim Haftpflichtversicherer vor mit der Aufforderung, ihm die Umsatzsteuer auf die Teilreparatur zu erstatten.

Das LG Osnabrück wies die Klage in der Berufungsinstanz ab, wobei es darauf abstellte, dass das Fahrzeug nach dem Unfall verkehrssicher gewesen sei. Ein Ersatz der Umsatzsteuer für die tatsächliche durchgeführte Teilreparatur sei nicht möglich, wenn die Teilreparatur nicht zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit erforderlich gewesen sei. Offen ließ es dabei die Frage, ob etwas anderes gelte, wenn eine Notreparatur durchgeführt worden wäre, sprich eine Reparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit. Aus Sicht des LG Osnabrück war das Fahrzeug ohnehin nach dem Unfall verkehrssicher, so dass es auf diese Frage nicht ankam.

Der Bundesgerichtshof hat klargestellt:

„Der Klägerin stünde nämlich auch dann kein Anspruch auf Erstattung der auf die Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer in Höhe von 846,38 € zu, wenn die erfolgte Teilreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrs- und Betriebssicherheit des klägerischen Fahrzeugs erforderlich gewesen sein sollte. Da die Klägerin den Weg der fiktiven Schadensabrechnung gewählt hat und nicht zu einer konkreten Berechnung ihres Schadens auf der Grundlage der durchgeführten Reparatur übergegangen ist, kann sie nicht den Ersatz der im Rahmen der Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer verlangen. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig.“ (BGH aaO)

Es kommt nach dem BGH also nicht einmal darauf an, ob es sich um eine Notreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit handelt oder nicht. Rechnet der Geschädigte fiktiv ab, indem er die Reparaturkosten netto verlangt, kann er künftig keine Umsatzsteuer für eine Teilreparatur oder für die Ersatzteile mehr beanspruchen.

Zu dem ganzen Komplex (Vermischungsverbot von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung) ist noch anzumerken, dass die Vorlage einer Reparaturkostenrechnung – jedenfalls wenn sie an eine vollumfängliche Reparatur heranreicht – im Falle der fiktiven Abrechnung ohnehin nicht unproblematisch ist, da darin im Einzelfall auch der Wechsel zur konkreten Abrechnung gesehen werden kann. Des Weiteren heißt es bereits in der Gesetzesbegründung:

„Entscheidet sich der Geschädigte dafür, die beschädigte Sache außerhalb einer Fachwerkstatt oder eines umsatzsteuerpflichtigen Unternehmens zu reparieren, sei es durch Eigenleistung, …“

Der Geschädigte, über dessen Fall der BGH zu urteilen hatte, hatte sich aber für eine Reparatur in einem umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen entschieden. fraglich wäre dann noch, was der Gesetzgeber mnit Fachwerkstatt meinte. Insofern wäre zu vermuten gewesen, dass der Geschädigte, hätte er lediglich die Rechnungen für die Ersatzteile vorgelegt, wenigstens die darin enthaltene Umsatzsteuer zugesprochen bekommen hätte.

Gerade bei der Eigenreparatur konnte bisher ohne Weiteres die Umsatzsteuer für angeschaffte Ersatzteile erstattet werden.

Aber auch das ist nunmehr nach dem BGH nicht mehr möglich.

Die Versicherer dürften sich nicht nur wegen der eingesparten Schadensersatzforderungen, sondern vor allem auch wegen des ersparten Aufwandes bei der Regulierung, über diese Entscheidung freuen.

Nach meiner Auffassung widerspricht sie dem Willen des Gesetzgebers, jedenfalls soweit sie die Reparatur in Eigenregie betrifft.

Rotlichtverstoß – Verteidigungsmöglichkeiten

Rotlichtverstöße sind in der verkehrsrechtlichen Praxis von erheblicher Bedeutung. Insbesondere, weil bei einem sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß ein Fahrverbot droht, ist der Fachanwalt/die Fachanwältin für Verkehrsrecht regelmäßig mit Rotlichtverstößen befasst.

Ein solcher qualifizierter Verstoß liegt beispielsweise vor, wenn die vorgeworfene Rotlichtdauer länger als eine Sekunde beträgt.

Kaum eine andere Verkehrsordnungswidrigkeit ist mit so vielen Problematiken behaftet und bietet so viel Verteidigungspotential wie ein Rotlichtverstoß.

Die Feststellung von Rotlichtverstößen erfolgt im Wesentlichen auf zwei verschiedene Arten. Zum einen werden Rotlichtverstöße häufig mit fest installierten Blitzern erfasst. Zur anderen Fallgruppe zählt man die Beobachtung von Rotlichtverstößen durch Zeugen, häufig durch Polizeibeamte.

Fraglich ist oft schon, ob überhaupt ein Rotlichtverstoß (beweiskräftig) festgestellt werden kann.

Ein Rotlichtverstoß liegt nicht bereits dann vor, wenn der oder die Betroffene „die rote Ampel überfahren“ hat. Vielmehr ist es erforderlich, dass in den von der Ampel geschützten Bereich eingefahren wurde. Das kann beispielsweise eine Kreuzung oder eine Fußgängerfurt sein.

Aus diesem Grund wird zweimal geblitzt. Der erste Blitzer erfasst dabei das Überfahren der Haltelinie. Auf dem zweiten Foto wird das Einfahren in den von der Ampel geschützten Bereich dokumentiert.

Auch bei der Frage, ob die Ampel breits länger als eine Sekunde Rot zeigte, ist eine sorgfältige Einzelfallprüfung angeziegt.

Maßgeblich für die Dauer der Rotphase ist der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie.

Da die erste Messschleife nicht exakt unter der Haltelinie, sondern hinter der Haltelinie unter der Fahrbahn verlegt ist, kann es hier schon zu Fehlern bei der Berechnung der Rotlichtdauer kommen. Es sind bei verschiedenen Messsystemen Toleranzabzüge zu machen, die gelegentlich von den Behörden übersehen werden.

Bei der Beobachtung von Rotlichtverstößen, häufig durch Polizeibeamte, ebenfalls – meist im Rahmen einer Hauptverhandlung – kritisch zu hinterfragen, wie ist zu der gemessenen Rotlichtdauer kommt. Hierbei entstehen verschiedene Fallgruppen, beispielsweise durch Mitzählen der Beamten oder durch Verwendung einer (nicht-)geeichten Stoppuhr oder der Stoppuhrfunktion eines Mobiltelefons. In jedem dieser Fälle sind Toleranzabzüge zu machen, wobei teilweise von der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist, in welcher Höhe diese zu machen sind.

In jedem Fall muss der Verteidiger oder die Verteidigerin also prüfen, ob überhaupt ein Rotlichtverstoß vorliegt. Falls dies der Fall ist und zudem ein Sekundenverstoß vorgeworfen wird, ist zu prüfen, ob dieser auch zeitmäßig korrekt festgestellt wurde, gegebenenfalls durch Vernehmung der Polizeibeamten im Rahmen einer Hauptverhandlung. Erst wenn feststeht, dass ein ordnungsgemäß festgestellter, beweiskräftiger Sekundenverstoß vorliegt, kann sich die Verteidigung auf das Fahrverbot konzentrieren.

Denn selbst wenn der Rotlichtverstoß bereits länger als eine Sekunde gedauert hat, folgt daraus lediglich ein sog. Regelfahrverbot. Ein Regelfahrverbot bedeutet nicht, dass dieses in jedem Fall verhängt werden muss bzw. zwingend rechtmäßig ist.

Sowohl die Tatumstände als auch Umstände in der Person des Täters können ein Absehen vom Fahrverbot gebieten. Das kann insbesondere gelten, wenn an der konkreten Ampelanlage keine objektiv gefährliche Situation vorlag, beispielsweise weil es überhaupt keinen Querverkehr geben konnte. In jedem Fall sollte man bei einem Rotlichtverstoß die Hilfe eines Fachanwalts für Verkehrsrecht in Anspruch nehmen, da die Praxis zeigt, dass auch bei den Behörden und Gerichten Unklarheiten und Missverständnisse bestehen können. Zudem ändert sich die Rechtsprechung regelmäßig. Die Verteidigung von Rotlichtverstößen bedarf ständiger Fortbildung und der Recherche anhand der Akte im Einzelfall.

Zum Thema Rotlichtverstoß finden Sie auf meiner Homepage viele Beiträge, die ich fortlaufend noch um einzelne Problematiken, zum Beispiel Spurwechsel, Baustellenampel, Mitzieheffekt, Frühstarterfälle etc. ergänzen werde.