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Schlagwort: Unfallregulierung

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Der berührungslose Fahrradunfall

Das OLG Hamm hat sich in einer aktuellen Entscheidung zu einem berührungslosen Unfall zwischen einem Fahrrad und einem PK W geäußert. Der sogenannte berührungslose Unfall ist auch zwischen PKWs in der Vergangenheit Gegenstand zahlreicher Entscheidungen gewesen.

Grundsätzlich ist mit einem berührungslosen Unfall gemeint, dass sich die Unfallbeteiligten eben anlässlich des Unfalls nicht berühren und es dennoch zu einem Schaden kommt. Das kann ein Personenschaden oder ein Sachschaden sein. Regelmäßig tritt dieser durch ein Ausweich- oder Bremsverhalten eines Beteiligten ein.

Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung folgenden Grundsatz zum berührungslosen Unfall aufgestellt:

„Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat.“ (BGH VI ZR 533/15, BGH VI ZR 263/09)

Das OLG Hamm schließt sich dem an und konkretisiert in seinem Urteil diesen Grundsatz für die nachfolgende Konstellation:

Die geschädigte Klägerin fuhr mit ihrem Rennrad auf einem Fahrradweg, der grundsätzlich vorfahrtsberechtigt war. Der Beklagte fuhr auf einer untergeordneten Straße und näherte sich der Klägerin aus dieser Querstraße von links kommend. Die Klägerin stürzte, weil sie befürchtete, es käme zu einem Zusammenstoß mit dem Kfz des Beklagten. Konkret führte sie eine Vollbremsung aus. Sie verletzte sich dabei erheblich. Das OLG Hamm hat die Schadensersatzklage der Klägerin in zweiter Instanz vollumfänglich abgewiesen. In erster Instanz hatte die Klägerin noch teilweise Erfolg.

Die Klägerin hätte darlegen und beweisen müssen, dass der Beklagte entweder einen Verstoß gegen die Vorfahrtspflicht begangen hat oder aber, dass sich zumindest die Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeugs verwirklicht hat. Beides ist ihr nicht gelungen.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Beklagtenfahrzeug unstreitig deutlich vor dem Einmündungsbereich angehalten wurde und zwar etwa einen halben Meter vor der gestrichelten Linie zum Einmündungsbereich. Der Beklagte war also mit seinem PKW nicht in den Einmündungsbereich hineingefahren.

Ein Vorfahrtsverstoß nach § 8 II StVO lag daher nicht vor. Nach § 8 StVO muss, wer die Vorfahrt zu beachten hat, durch mäßige Geschwindigkeit erkennen lassen, dass gewartet wird. Bei unübersichtlicher Straßenstelle muss sich vorsichtig in die Einmündung hineingetastet werden.

Nachdem der Einmündungsbereich nicht erreicht wurde und die Klägerin lediglich vortrug, Sie habe das Beklagtenfahrzeug als Schatten wahrgenommen und sich wegen des lauten Motorgeräuschs erschreckt, war ein solcher Vorfahrtsverstoß ersichtlich nicht gegeben.

Anmerkung: In Fällen, in denen der PKW in den jeweiligen geschützten Bereich bereits eingefahren ist, wird – nicht immer aber häufig – ein solcher Verstoß zu bejahen sein mit der Folge des dann gegebenen Anscheinsbeweises für ein Verschulden des Wartepflichtigen.

Zu prüfen war daher noch, ob sich die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs verwirklicht hat.

Allgemein gilt bei einem Unfall zwischen einem Kraftfahrzeug und einem sonstigen Fahrzeug (z.B. Fahrrad) Folgendes:

Im Gegensatz zu einem Fahrrad kommt einem Kraftfahrzeug (z.B. PKW) grundsätzlich eine Betriebsgefahr zu. Das bedeutet, dass wenn ein Zurechnungszusammenhang mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs besteht, eine verschuldensunabhängige Haftung des PKW-Fahrers und Halters greift. Es sei denn, zwischen dem Betrieb des PKWs und dem Unfall besteht kein Zurechnungszusammenhang. Dass der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Betrieb des Kraftfahrzeugs und dem Eintritt des Unfalls besteht, hat der/die Geschädigte zu beweisen.

Tritt der Betriebsgefahr des PKWs kein Verschulden oder Verursachungsbeitrag des Fahrradfahrers entgegen, haftet der PKW-Fahrer zu 100%. Hat der Fahrradfahrer den Unfall dagegen mit verursacht, dann tritt die Betriebsgefahr des PKWs entsprechend teilweise zurück, so dass es zu einer einzelfallabhängigen Haftungsquote kommt.

Im konkreten Fall konnte die Klägerin den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Betrieb des PKWs und dem Unfall nicht darlegen und beweisen. Denn hierzu ist nach dem oben genannten Grundsatz des BGH nicht ausreichend, dass sich der PKW am Unfallort befunden hat. Es muss hinzukommen, dass er durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zum Unfall beigetragen hat.

Der Vortrag der Klägerin, sie habe einen Schatten wahrgenommen und sich vor dem Motorgeräusch erschreckt, reichte hierfür nicht aus. Das OLG Hamm stellt hierzu klar, dass auch ein Unfall infolge einer objektiv nicht erforderlichen Abwehr- oder Ausweichreaktion im Einzelfall dem Betrieb des PKWs zugerechnet werden kann. Hierfür hätte der Beklagte aber einen Anlass setzen müssen, der es aus Sicht der Klägerin erwarten ließe, dass er vor der Einmündung nicht anhalten werde. Das wäre beispielsweise zu bejahen gewesen, wenn er in den Einmündungsbereich hineingefahren wäre oder seine Fahrweise objektiv hätte erwarten lassen, dass er nicht anhalten werde. Denkbar etwa bei einem „Heranrasen“ an den Einmündungsbereich.

BGH Parkplatzunfall: rechts vor links?

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 22.11.2022, VI ZR 344/21, entschieden:

„Die Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO („rechts vor links“) findet auf öffentlichen Parkplätzen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO Anwendung, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukommt.“

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger befuhr mit seinem Pkw eine zwischen Parkflächen befindliche Fahrgasse auf dem Parkplatz eines Baumarktes.

Der Beklagte befuhr von links kommend eine diese Gasse kreuzende Fahrspur. Wegen eines parkenden Sattelzuges hatten beide Parteien ein eingeschränktes Sichtfeld in den Kreuzungsbereich. Im Kreuzungsbereich kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge.

Der Kläger erhielt vorgerichtlich 50 % seines Schadens ersetzt. Seine Klage auf restlichen Schadensersatz wies das LG Lübeck zurück. Der BGH hat in seiner Revisionsentscheidung das Urteil des LG Lübeck bestätigt. Der Kläger blieb auf 50 % seines Schadens sitzen.

Der BGH stellt in seiner Grundsatzentscheidung zunächst noch einmal klar, was ständige und einhellige Rechtsprechung ist.

Ein Parkplatz ist dagegen – als Ganzes betrachtet – keine Straße, sondern eine Verkehrsfläche, die – vorbehaltlich spezifischer Regelungen durch den Eigentümer oder Betreiber – grundsätzlich in jeder Richtung befahren werden darf. Parkflächenmarkierungen, die den Platz in Parkplätze und Fahrspuren aufteilen, ändern für sich genommen daran nichts, so dass durch solche Markierungen entstehenden Fahrbahnen – wie allein durch die tatsächliche Anordnung der geparkten Fahrzeuge gebildeten Gassen – kein Straßencharakter zukommt.

Rechtsfolge ist, dass die Regelungen der StVO nicht unmittelbar auf einem Parkplatz zur Anwendung kommen, es sei denn, die jeweiligen Fahrbahnen haben besagten „Straßencharakter“. Das war in dem zu entscheidenden Fall aber nicht gegeben. Es handelte sich vielmehr um Fahrspuren im Sinne von Gassen. Hierzu ist anzumerken, dass solche Fahrspuren, denen Straßencharakter zukommt, auf Parkplätzen oder Parkhäusern durch die Inhaber häufig durch Vorfahrtsstraßenschilder gekennzeichnet sind.

Dann gilt „rechts vor links“ ohnehin nicht analog. Solche Fahrspuren sind beispielsweise die breiteren, oft mehrspurigen Fahrspuren, die um den Parkplatz herumführen (Ein- und Ausfahrtspuren).

Grundsätzlich ist die Regelung des § 8 Absatz 1 Satz 1 StVO (rechts vor links) unstreitig nicht direkt anwendbar, vielmehr gilt nach ständiger Rechtsprechung auf Parkplätzen grundsätzlich die in § 1 Absatz 2 StVO normierte sog. Allgemeine Sorgfaltspflicht im Straßenverkehr:

„Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“

Bis hierhin enthält die Entscheidung des BGH nichts Neues.

Weiterhin entspricht es der gefestigten Rechtsprechung, dass zumindest einige Vorschriften der StVO im Rahmen der Haftungsabwägung mittelbar über die allgemeine Sorgfaltspflicht nach § 1 StVO Anwendung finden. Hauptanwendungsfall dürfte hier das Rückwärtsfahren nach § 9 Absatz 5 StVO sein. Dieses kann zu einer vollständigen Haftung führen.

Der BGH stellt klar, dass die Regelung „rechts vor links“ nur auf solche Fahrspuren unmittelbar oder mittelbar anwendbar sein soll, die Straßencharakter haben. § 8 Absatz 1 StVO schütze das ungestörte Vorwärtskommen im fließenden Verkehr. Auf einem Parkplatz könne aber grundsätzlich in alle Richtungen gefahren werden. Das Tempo werde dabei durch den typischen Betrieb auf einem Parkplatz bestimmt und entsprechende, jedenfalls bei Fahrspuren ohne Straßencharakter (Suchverkehr) eben nicht demjenigen im gleichgerichteten fließenden Straßenverkehr. Die Fahrspuren auf einem Parkplatz dienten damit nicht dem Verkehrsfluss sondern eben der Nutzung der Parkflächen, auch durch entsprechende Rangiervorgänge. Anderes gelte nur für solche Fahrspuren, die erkennbar aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht der Nutzung der Parkflächen sondern der Zu- und Abfahrt dienten (Straßencharakter). Solche örtlichen Gegebenheiten können beispielsweise Fahrbahnmarkierungen, vor allem aber die Verkehrsführung an sich sein.

Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass sich Verkehrsteilnehmer im Zweifelsfall auf Parkplätzen häufig entsprechend der Regelung rechts vor links absprechen würden.

Fazit: Bei einer Kollision im Kreuzungsbereich von „Suchverkehrfahrspuren“ auf einem Parkplatz gilt eine hälftige Haftungsverteilung. Bei Zu- und Abfahrten gilt rechts vor links mittelbar über § 1 Absatz 2 StVO.

Eine hälftige Haftungsverteilung findet aber auch dann nicht statt, wenn einem Unfallbeteiligten weitergehende Verstöße gegen die StVO nachzuweisen sind (beispielsweise Rückwärtsfahren, überhöhte Geschwindigkeit u. ä.).

BGH ändert Rechtsprechung zur Umsatzsteuer bei fiktiver Abrechnung

Der Bundesgerichtshof hat völlig überraschend eine ständige Regulierungspraxis gekippt:

„Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig (hier: Teilreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Unfallfahrzeugs).“ (BGH, Urteil vom 5. April 2022 – VI ZR 7/21)

Es geht um die sogenannte fiktive Abrechnung eines Unfallschadens. Vereinfacht ausgedrückt, kann ein Geschädigter im Reparaturfall eine Abrechnung des Schadens auf Basis eines Kostenvoranschlags oder Haftpflichtgutachtens vornehmen.

Er erhält dann die geschätzten Reparaturkosten netto, da § 249 II S. 2 BGB regelt, dass die Umsatzsteuer nur ersetzt wird, wenn und soweit sie tatsächlich anfällt.

Die Konstellation ist gerade bei älteren Fahrzeugen gang und gäbe. Der Geschädigte kann das Fahrzeug in einem solchen Fall unrepariert weiternutzen und den Nettobetrag behalten. Er kann aber auch eine billigere Teilreparatur vornehmen, beispielsweise um die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs wiederherzustellen. Nimmt er eine solche Teilreparatur vor, so war es bislang ständige Rechtsprechung, dass er zusätzlich zu den Nettoreparaturkosten auch Ersatz der tatsächlich angefallenen und nachgewiesenen Umsatzsteuer auf die zur Reparatur angeschafften Ersatzteile beanspruchen kann. Letztlich fußte diese Rechtsprechung auf der Gesetzesbegründung zu § 249 II S.2 BGB und somit auf dem Willen des Gesetzgebers:

„Entscheidet sich der Geschädigte dafür, die beschädigte Sache außerhalb einer Fachwerkstatt oder eines umsatzsteuerpflichtigen Unternehmens zu reparieren, sei es durch Eigenleistung, sei es unter Zuhilfenahme fremder Arbeitsleistung, erhält er die Umsatzsteuer genau in der Höhe ersetzt, in der sie zur Reparatur angefallen ist: Kauft er z. B. die zur Reparatur erforderlichen Ersatzteile und ist im Kaufpreis Umsatzsteuer enthalten, repariert die beschädigte Sache aber selbst, so kann er die Ersatzteilkosten in dem nachgewiesenen Umfang vollständig, also unter Einschluss der Umsatzsteuer, die Arbeitskosten indes nur in dem nach Satz 2 reduzierten Umfang ersetzt verlangen.“ (Bundestags-Drucksache 14 /7752, S. 23)

Repariert der Unfallgeschädigte sein Fahrzeug beispielsweise selbst, so war es bislang möglich, für angeschaffte Ersatzteile unter Vorlage der Rechnung die Umsatzsteuer ersetzt zu bekommen.

Dieser Abrechnung hat der BGH nun, wohl für alle beteiligten Kreise überraschend, ein Ende gesetzt.

Was war passiert?

Der Geschädigte hatte sich mit einer Revision gegen das Berufungsurteil des LG Osnabrück gewandt, mit welchem ihm der Ersatz der Umsatzsteuer versagt wurde. Er hatte den Unfall fiktiv abgerechnet und hierfür Reparaturkosten fiktiv in Höhe von 5.521,64 Euro netto erhalten.

Der Sachverständige hatte festgestellt, dass sein Fahrzeug nach dem Unfall verkehrssicher war. Der Geschädigte ließ sodann eine Teilreparatur des Fahrzeugs durchführen und legte die Reparaturkostenrechnung über 4.454,63 Euro netto + 846,38 Euro Umsatzsteuer beim Haftpflichtversicherer vor mit der Aufforderung, ihm die Umsatzsteuer auf die Teilreparatur zu erstatten.

Das LG Osnabrück wies die Klage in der Berufungsinstanz ab, wobei es darauf abstellte, dass das Fahrzeug nach dem Unfall verkehrssicher gewesen sei. Ein Ersatz der Umsatzsteuer für die tatsächliche durchgeführte Teilreparatur sei nicht möglich, wenn die Teilreparatur nicht zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit erforderlich gewesen sei. Offen ließ es dabei die Frage, ob etwas anderes gelte, wenn eine Notreparatur durchgeführt worden wäre, sprich eine Reparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit. Aus Sicht des LG Osnabrück war das Fahrzeug ohnehin nach dem Unfall verkehrssicher, so dass es auf diese Frage nicht ankam.

Der Bundesgerichtshof hat klargestellt:

„Der Klägerin stünde nämlich auch dann kein Anspruch auf Erstattung der auf die Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer in Höhe von 846,38 € zu, wenn die erfolgte Teilreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrs- und Betriebssicherheit des klägerischen Fahrzeugs erforderlich gewesen sein sollte. Da die Klägerin den Weg der fiktiven Schadensabrechnung gewählt hat und nicht zu einer konkreten Berechnung ihres Schadens auf der Grundlage der durchgeführten Reparatur übergegangen ist, kann sie nicht den Ersatz der im Rahmen der Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer verlangen. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig.“ (BGH aaO)

Es kommt nach dem BGH also nicht einmal darauf an, ob es sich um eine Notreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit handelt oder nicht. Rechnet der Geschädigte fiktiv ab, indem er die Reparaturkosten netto verlangt, kann er künftig keine Umsatzsteuer für eine Teilreparatur oder für die Ersatzteile mehr beanspruchen.

Zu dem ganzen Komplex (Vermischungsverbot von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung) ist noch anzumerken, dass die Vorlage einer Reparaturkostenrechnung – jedenfalls wenn sie an eine vollumfängliche Reparatur heranreicht – im Falle der fiktiven Abrechnung ohnehin nicht unproblematisch ist, da darin im Einzelfall auch der Wechsel zur konkreten Abrechnung gesehen werden kann. Des Weiteren heißt es bereits in der Gesetzesbegründung:

„Entscheidet sich der Geschädigte dafür, die beschädigte Sache außerhalb einer Fachwerkstatt oder eines umsatzsteuerpflichtigen Unternehmens zu reparieren, sei es durch Eigenleistung, …“

Der Geschädigte, über dessen Fall der BGH zu urteilen hatte, hatte sich aber für eine Reparatur in einem umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen entschieden. fraglich wäre dann noch, was der Gesetzgeber mnit Fachwerkstatt meinte. Insofern wäre zu vermuten gewesen, dass der Geschädigte, hätte er lediglich die Rechnungen für die Ersatzteile vorgelegt, wenigstens die darin enthaltene Umsatzsteuer zugesprochen bekommen hätte.

Gerade bei der Eigenreparatur konnte bisher ohne Weiteres die Umsatzsteuer für angeschaffte Ersatzteile erstattet werden.

Aber auch das ist nunmehr nach dem BGH nicht mehr möglich.

Die Versicherer dürften sich nicht nur wegen der eingesparten Schadensersatzforderungen, sondern vor allem auch wegen des ersparten Aufwandes bei der Regulierung, über diese Entscheidung freuen.

Nach meiner Auffassung widerspricht sie dem Willen des Gesetzgebers, jedenfalls soweit sie die Reparatur in Eigenregie betrifft.

LG Köln: 10.095,00 Euro Nutzungsausfall

Nicht zuletzt in Folge von Lieferschwierigkeiten aufgrund der Corona-Pandemie kommt es in den letzten Monaten häufig zu Verzögerungen bei der Ersatzbeschaffung oder Reparatur des Unfallfahrzeugs.

Sei es, dass Teile für die Reparatur nicht lieferbar sind oder sich eben die Lieferung des bestellten Neuwagens verzögert.

Wird bei einem Unfall ein Fahrzeug derart beschädigt, dass es nicht mehr fahrbereit und/ oder nicht mehr verkehrssicher ist, dann kann der Geschädigte Ersatz der Mietwagenkosten verlangen, für den Zeitraum für den er sich einen Mietwagen nimmt. Für den Zeitraum, indem er keinen Mietwagen in Anspruch nimmt, weil er sich beispielsweise mit einem Fahrzeug aus der Familie behilft, erhält er eine sogenannte Nutzungsausfallentschädigung.

Das bedeutet, dass er eine Tagespauschale erhält, für diejenigen Tage, an denen er das Fahrzeug nicht nutzen kann. Über welche Zeiträume diese Entschädigung beansprucht werden kann, ist Frage des Einzelfalles. Bei längeren Ausfallzeiträumen wenden die Kfz-Haftpflichtversicherer regelmäßig einen Verstoß des Geschädigten gegen die sogenannte Schadensgeringhaltungspflicht ein.

Das LG Köln hat mit Urteil vom 2.6.2021 – 4 O 388/120 – einem Geschädigten eine Nutzungsausfallentschädigung von weiteren 8.955,00 Euro zugesprochen. Vorgerichtlich hatte der Kläger bereits 1.140,00 Euro vom beklagten Haftpflichtversicherer erhalten.

Im konkreten Fall handelte es sich um eine Sonderkonstellation. Der Geschädigte hatte das verunfallte Fahrzeug erst wenige Tage vor dem Unfall erworben. Ihm stand daher gegen den gegnerischen Haftpflichtversicherer eine sogenannte Neupreisentschädigung zu. Der Unfall fand im Oktober 2019 statt. Es handelte sich um einen Totalschaden an einem Neufahrzeug. Der Kläger hatte die Beklagte  darauf hingewiesen, dass er die Finanzierung des Ersatzfahrzeuges nicht vorleisten könne.

Am 22.11.2019 sagte der beklagte Versicherer die Neupreisentschädigung zu. Am 19.2.2020  wurde die Haftung vom Versicherer zu 100 % anerkannt. Am 18.3.2020 bestellte der Kläger das Neufahrzeug, das am 31.7.2020 zugelassen wurde.

Das LG Köln hat von der gesamten Dauer des Nutzungsausfalls lediglich den Zeitraum vom 19.2.2020 bis 18.3.2020 ausgenommen, da es hier einen Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht sah. Der Kläger hätte, nachdem die Beklagte am 19.2.2020 eine Haftungserklärung abgegeben hat, unmittelbar ein Fahrzeug bestellen können. Dass er damit rund vier Wochen lang gewartet hat, ging nicht zu Lasten des beklagten Versicherers.

Im Übrigen wurde der Klage stattgegeben.

Das LG Köln weist zudem noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, eine bestehende Vollkaskoversicherung zur Vorfinanzierung des Ersatzfahrzeugs in Anspruch zu nehmen:

„Der Kläger war überdies nicht verpflichtet zur Schadensminderung seine eigene Kaskoversicherung in Anspruch zu nehmen. Ein Geschädigter eines Verkehrsunfalls ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den eigenen Kaskoversicherer auf Behebung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen, um die Zeit des Nutzungsausfalls und damit die Höhe der diesbezüglichen Ersatzverpflichtung des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers möglichst gering zu halten …“

(LG Köln, Urteil vom 2.6.2021 – 4 O 388/120)

OLG Zweibrücken zum Autounfall mit Pedelec

Das OLG Zweibrücken hat entschieden, dass ein Pedelec nur unter besonderen Voraussetzungen ein Kraftfahrzeug ist. Im Regelfall handelt es sich nicht um ein Kraftfahrzeug. Es hat einer Pedelec-Fahrerin vollen Schadensersatz zugesprochen.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Pedelec-Fahrerin (Klägerin) war auf die vom Beklagten befahrene Straße aufgefahren. Durch einen vorausfahrenden PKW, der den Seitenabstand nicht einhielt, geriet sie ins Straucheln und wurde vom PKW des Beklagten erfasst. Der Beklagte hielt seinerseits – vermutlich – den gebotenen Seitenabstand nicht ein.

Der Fall gab dem OLG Zweibrücken noch einmal Anlass zunächst klarzustellen, dass ein Pedelec kein Kraftfahrzeug ist.  Im Gegensatz zu einem zulassungspflichtigen E-Bike gibt es bei einem Pedelec keine Betriebsgefahr, also einfach ausgedrückt: Keine verschuldensunabhängige Haftung.

Das ergibt sich allerdings bereits aus dem Gesetz. § 1 III StVG lautet:

„Keine Kraftfahrzeuge im Sinne dieses Gesetzes sind Landfahrzeuge, die durch Muskelkraft fortbewegt werden und mit einem elektromotorischen Hilfsantrieb mit einer Nenndauerleistung von höchstens 0,25 kW ausgestattet sind, dessen Unterstützung sich mit zunehmender Fahrzeuggeschwindigkeit progressiv verringert und

  1. beim Erreichen einer Geschwindigkeit von 25 km/h oder früher,

2. wenn der Fahrer im Treten einhält,

unterbrochen wird.“

Daraus folgt, dass eine Mithaftung des Pedelec-Fahrers nur bei nachgewiesenem oder unstreitigem Verschulden des Pedelec-Fahrers in Betracht kommt.

Im Gegensatz dazu haftet ein PKW-Halter verschuldensunabhängig aus § 7 I StVG. Gleiches gilt für den PKW-Fahrer nach § 18 StVG.

Im konkreten Fall stand zwar fest, dass die Klägerin mit ihrem Pedelec ins Schlingern geraten war. Einen Fahrfehler vermochte das OLG Zweibrücken allerdings nicht feststellen. Des Weiteren war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Klägerin trotz des Schlingerns noch äußerst rechts gefahren war.

Ob der PKW-Fahrer den Seitenabstand zur Klägerin eingehalten hatte oder nicht, ließ das OLG Zweibrücken offen, da er ohnehin zu 100 % haftete.

Im Ergebnis verblieb es daher beim vollen Schadensersatz für die Klägerin.

mercedes benz parked in a row

Unfallabwicklung bei Leasingfahrzeugen

Bei der Verkehrsunfallabwicklung entstehen Besonderheiten, wenn das beschädigte Fahrzeug geleast ist. Die nachfolgenden Ausführungen gelten analog für finanzierte Fahrzeuge, wenn diese, wie üblich, sicherungsübereignet sind.

Diese Besonderheiten resultieren daraus, dass bei einem Leasingfahrzeug nicht der Leasingnehmer Eigentümer ist sondern der Leasinggeber. Der Einfachheit halber bezeichne ich den Leasinggeber nachfolgend als die Bank.

Ein Fahrzeugleasingvertrag zeichnet sich dadurch aus, dass die Bank dem Leasingnehmer das Fahrzeug zur Nutzung zur Verfügung stellt. Der Leasingnehmer trägt alle Kosten des Fahrzeugs (Steuer, Versicherung, etc.) und ist alleiniger Nutzer.

Wer die wirtschaftliche Last über das Fahrzeug trägt und dieses in seiner Gewalt hat, wird vom Gesetzgeber als sogenannter Halter des Fahrzeugs betrachtet. Im Falle des Leasings weichen also der Eigentümer (Bank) und der Halter (Leasingnehmer) bestimmungsgemäß voneinander ab. Gegen die Bank greift daher bei einem Umfang die weitgehende und verschuldensunabhängige Haftung des Fahrzeughalters nach § 7, 17 StVG nicht. Die sich daraus ergebenden Besonderheiten sollen im Rahmen dieses Beitrags nicht beleuchtet werden.

Was passiert jetzt aber, wenn ein Leasingnehmer in einen Unfall mit dem geleasten Fahrzeug gerät?

  1. Vertragsverhältnis zwischen der Bank und dem Leasingnehmer

Ist an dem Fahrzeug ein wirtschaftlicher Totalschaden eingetreten, besteht ein Sonderkündigungsrecht für beide Seiten des Leasingvertrages. In den meisten Vertragsbedingungen ist vorgesehen, dass das Sonderkündigungsrecht schon dann besteht, wenn sich die Reparaturkosten auf mehr als 60 % des Wiederbeschaffungswertes belaufen.

Der Leasingnehmer muss in einem solchen Fall die noch offenen Darlehensraten (ohne Zinsanteil) an den Darlehensgeber zahlen. Er muss das Darlehen also „ablösen“.

Das Problem dabei ist, dass gerade in den ersten Leasingmonaten das Fahrzeug stark an Wert verliert. Sowohl die Vollkaskoversicherung als auch der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners müssen aber bei einem Totalschaden regelmäßig nur den sogenannten Wiederbeschaffungsaufwand erstatten. Das heißt, es wird der Wert des Fahrzeugs unmittelbar vor dem Unfall berechnet und hiervon wird der Restwert, der durch den Verkauf des verunfallten PKWs erzielt wird, abgezogen.

In der Regel sind aber die noch offenen Darlehensraten, gerade in den Anfangsmonaten beim Leasing, wesentlich höher als der Wiederbeschaffungsaufwand. Es verbleibt regelmäßig eine Lücke, auf der der Leasingnehmer sitzen bleibt. Das ist eine typische Gefahr bei der Eingehung eines Leasingvertrages. Um diese Gefahr zu kompensieren, kann bei vielen Versicherern, teilweise auch bei den Banken, eine sogenannte GAP-Klausel vereinbart werden. Mittels dieser Klausel wird die finanzielle Differenz zwischen dem restlichen Finanzierungsaufwand und der Schadensersatzleistung/Vollkaskoleistung aus dem Unfall (je nach Klausel zumindest teilweise) ersetzt.

Der Abschluss einer GAP-Versicherung ist ebenso dringend anzuraten, wie die inhaltliche Prüfung der GAP-Klausel.

  1. Sachschaden am Fahrzeug/Wertminderung

Bezüglich des Sachschadens am Fahrzeug ist eigentlich nur der Eigentümer Geschädigter. Grundsätzlich kann nur er als Anspruchsberechtigter den Ersatz des Fahrzeugschadens geltend machen. Eigentümer ist aber, wie gesagt, die Bank.

In der Praxis wird dieses Problem dahingehend gelöst, dass die Bank den Leasingnehmer in den Leasingbedingungen dazu ermächtigt, Schadensersatzansprüche aus einem Unfall im eigenen Namen geltend zu machen.

Um die Regulierung zu beschleunigen, sollte von der Bank eine sogenannte Freigabeerklärung eingeholt werden zur Vorlage beim gegnerischen Haftpflichtversicherer. Zu beachten ist auch, dass der Leasingnehmer nach den üblichen Vertragsbedingungen verpflichtet ist, das Fahrzeug wieder instandzusetzen, weshalb eine „Nettoabrechnung“ nur in Absprache mit der Bank erfolgen kann.

Des Weiteren fehlt es dem Leasingnehmer für eine Klage auf Ersatz des Fahrzeugschadens grundsätzlich an der Aktivlegitimation. Er ist nicht der richtige Kläger. Um als Leasingnehmer dennoch im eigenen Namen Klage auf Schadensersatz erheben zu können, wird eine Freigabeerklärung der Bank benötigt, mit welcher die Bank den Kläger auch für das Prozessverfahren ermächtigt, im eigenen Namen Klage einzureichen.

Eine im Reparaturfall entstandene merkantile Wertminderung des Fahrzeugs steht nach den meisten Leasingbedingungen ebenfalls alleine der Bank zu, ist aber bei einer späteren Rückgabe des Fahrzeugs zu Gunsten des Leasingnehmers im Regelfall auf die Raten anzurechnen.

  1. Sonstige Schäden

Gutachterkosten, Nutzungsausfall, Mietwagenkosten, Unkostenpauschale stehen dem Leasingnehmer zu. Er benötigt zur Geltendmachung keine Ermächtigung der Bank, da es sich um Ansprüche handelt, die ihm aus der Verletzung seines Besitzrechts am Fahrzeug entstehen.

Autounfall mit angeleintem Hund – Volle Haftung des Autofahrers

Das LG München I hat einen Autofahrer und seinen Kfz-Haftpflichtversicherer zu vollumfänglichem Schadensersatz für die Verletzung eines Hundes verurteilt. Es hat die Beklagten verpflichtet, die Heilbehandlungskosten – auch für eine physiotherapeutische Behandlung des Hundes –  zu erstatten.

Der Autofahrer war auf einem Werksgelände mit überhöhter Geschwindigkeit, mit mindestens 20 km/h statt der dort erlaubten 10 km/h, gefahren. Ein Mitarbeiter des Firmeninhabers führte den angeleinten Wachhund über das Werksgelände. Der Mitarbeiter konnte den Hund vor der Kollision noch ein Stück zurückziehen, der Hund wurde aber an der Pfote erfasst.

Das Gericht stellt klar, dass sich im konkreten Fall keine Tiergefahr verwirklicht hat. Zu berücksichtigen war nur die Betriebsgefahr des PKWs und das Verschulden des beklagten Autofahrers, der die erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten hatte.

Zwischen den Parteien war hilfsweise streitig, welche Heilbehandlungskosten für das verletzte Tier zu erstatten sind. Das LG München I hat hierüber Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben. Es führt aus:

„Aufgrund des überzeugenden und nachvollziehbaren Gutachtens des Professors  … von der Universität … steht auch fest, dass die Verletzungen des Hundes mit dem Autounfall kompatibel snd und die Behandlungskosten angemessen, und dass richtig abgerechnet wurde und ebenfalls, dass eine Physiotherapie bei solchen Verletzungen notwendig ist.“ (LG München I, Urt. v. 15.9.2020 – 20 O 5615/18)

Schleudertrauma

Es geht auch ohne Gutachten – BGH entscheidet zum Nachweis eines Schleudertraumas

Es geht auch ohne teure Gutachten!

So könnte man das Urteil des BGH vom 23.6.2020 – VI ZR 435/19 zusammenfassen.

HWS-Distorsionen (umgangssprachlich: Schleudertraumata) sind typische Verletzungsfolgen eines Verkehrsunfalles. In der Rechtsprechung und Literatur sind sie äußerst umstritten. Nicht selten muss das Schmerzensgeld wegen einer HWS-Distorsion eingeklagt werden.

In aller Regel kommt es dann zu zwei Begutachtungen. Im Rahmen der ersten Begutachtung wird ein biomedizinisches Gutachten erstellt zur Ermittlung, von welcher „Aufprallgeschwindigkeit“ (sehr vereinfacht ausgedrückt) ausgegangen werden muss. Sodann wird in einem zweiten, medizinischen Gutachten – meist durch Untersuchung der Geschädigten und durch Prüfung der vorgelegten ärztlichen Befunde – ermittelt, ob eine HWS-Distorsion aus medizinischer Sicht vorgelegen hat bzw. vorgelegen haben kann.

Die Begutachtungen kosten den Unterlegenen – in der Regel die Versicherungswirtschaft – des jeweiligen Rechtsstreites mehrere Tausend Euro.

Dass es auch ohne Begutachtung geht, hat der BGH in seiner aktuellen Entscheidung dargelegt. In diesem Fall war der Beweis, dass eine HWS-Distorsion eingetreten war, zwar nicht erbracht. Der BGH hat aber auf Folgendes hingewiesen:

„Der angefochtenen Entscheidung liegt die rechtsfehlerhafte Auffassung zugrunde, dass sich eine unfallbedingte Körperverletzung nur dann feststellen ließe, wenn die Klägerin die von ihr behauptete HWS-Distorsion beweisen könnte. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass auch die von der Zeugin W. bekundeten starken Nacken-und Kopfschmerzen als Primärverletzung in Betracht kommen können, und deshalb Feststellungen dazu unterlassen, ob diese Schmerzen unfallbedingt waren und zur Arbeitsunfähigkeit der Zeugin W. geführt haben.“ (BGH Urteil vom 23.6.2020 – VI ZR 435/19)

Mit anderen Worten: Die HWS-Distorsion steht zwar nicht fest. Es genügt aber, dass der Geschädigte das Gericht davon überzeugt, dass er starke Schmerzen hatte. Primärverletzungen sind eben die starken Nacken. Und Kopfschmerzen.

Hintergrund des Prozesses war eine Arbeitgeberregressklage, so dass die eigentliche Geschädigte als Zeugin vernommen wurde. Für den Geschädigten, der selbst auf Schmerzensgeld klagt, gilt aber das gleiche. Es muss in Zukunft verstärkt darauf gedrängt werden, das Gericht, vor allem mittels informatorischer Anhörung oder Parteivernehmung des Geschädigten dazu zu bewegen, sich – auch ohne Gutachten – von dem Vorhandensein entsprechender Schmerzsymptome zu überzeugen.

Lesenswert zum Thema „richterliche Überzeugung vom Vorliegen eines HWS-Schleudertraumas“: OLG Saarbrücken Urt. v. 28.2.2013 – 4 U 587/10.

Die Begutachtungen in den Schleudertrauma-Fällen sind ein großes Ärgernis. Sie verschlingen Unsummen an Geldern der Versichertengemeinschaft und zudem sind sie für die Geschädigten, die Monate nach einem Unfall noch ärztlich „untersucht“ werden sollen, belastend.

 

Fahrradsturz – BGH klärt wichtige Fragen!

Heute möchte eine sehr wichtiges und praxisrelevantes Urteil des Bundesgerichtshofes zum Thema Fahrradunfall etwas eingehender als üblich vorstellen. Es geht dabei um einen Sturz über ein Hindernis und die Frage, wie sich ein Fahrradfahrer verhalten muss und unter welchen Gesichtspunkten er bei einem solchen Sturz anspruchsmindernd mithaftet.

Das Urteil finden Sie im Volltext hier:

 

Die Zahl der Verkehrstoten hat 2019 einen absoluten Tiefstand erreicht. Es starben 3.046 Menschen im Straßenverkehr. Im März 2020 gab es so wenige Straßenunfälle wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Die Tendenz bei Autounfällen ist seit Jahren rückläufig.

Anderes gilt für die Fahrradunfälle. Während seit  2010 die Gesamtzahl der Verkehrstoten um 16,5 % gesunken ist, wobei die Zahl der getöteten Autoinsassen um 25,9 %, die der Motorradfahrer um 12,4 % und die der Fußgänger um 14,7 % zurückgingen, ist die Zahl der getöteten Fahrradfahrer um 16,8 % angestiegen.

Interessante Statistiken zu diesem Thema finden Sie Übrigens unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/_inhalt.html

Der BGH hatte mit Urteil vom 23.4.2020 – III ZR 251/17 über einen Fahrradunfall zu entscheiden. Der Kläger war mit seinem Mountainbike mittels einer Kartenapp auf einen Feldweg geraten, der in eine „Sackgasse für Kraftfahrzeugfahrer“ mündete, an welcher das Verbotsschild „Verbot für Kraftfahrzeuge“ aufgestellt war. Der Feldweg war für die Nutzung durch Radfahrer zugelassen.

 En Jagdpächter hatte dort zum Schutz des Wildes eine Absperrung aufgestellt, die aus zwei Holzpfosten und zwei dazwischen eingespannten waagerecht verlaufenden Stacheldrähten bestand.

Der Kläger bemerkte den Stacheldraht noch und leitete eine Vollbremsung ein, kam dabei aber zum Sturz. Er stürzte Kopfüber über den Stacheldraht. Der Sturz endete für den Kläger tragisch. Er trug eine Querschnittslähmung davon und ist seit dem Sturz pflegebedürftig. Seine Klage richtete sich gegen die Jagdpächter und die zuständige Gemeinde.

In erster Instanz wurde die Klage vom LG Lübeck abgewiesen. Mit der Berufung hatte der Kläger teilweise Erfolg. Ihm wurden vom OLG Schleswig 25 % seiner Forderungen zugesprochen. DAs OLG Schleswig sah also die weit überwiegende Verantwortlichkeit beim Fahrradfahrer.

Gegen das Urteil des OLG Schleswig legte der Kläger Revision ein.

Der Bundesgerichtshof hat zunächst klargestellt, dass sowohl die Gemeinde als auch die Jagdpächter aus Verletzung der Verkehrssicherheitspflicht haften. Dies vor allem, weil es sich um eine ungewöhnliche und von der Straßenverkehrsbehörde nicht genehmigte Absperrung gehandelt hat.

Wie bei fast jedem Fahrradunfall stellte sich sodann die spannende Frage, ob, wie und unter welchen Gesichtspunkten ein Mitverschulden des Fahrrades zum tragen kommt.

Der BGH bezeichnet die Erwägung des OLG Schleswig, dem Kläger sei ein 75 %-iges Mitverschulden anzulasten, als rechtsfehlerhaft. Dabei hat es zum Thema Mitverschulden eines Fahrradfahrers zu einigen grundsätzlichen Fragen Stellung genommen wie folgt:

  1. Zum Sichtfahrgebot

Das Sichtfahrgebot gilt auch für Fahrradfahrer. Es bedeutet, dass er nur so schnell fahren darf, dass er vor einem Hindernis, dass sich auf der für ihn übersehbaren Strecke befindet noch rechtzeitig anhalten kann. Das Sichtfahrgebot bezieht sich dabei auf die Fahrbahn und nicht auf neben der Fahrbahn befindliche Hindernisse.  Der Fahrradfahrer muss also die seitliche Umgebung der Fahrbahn nicht voll überblicken können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines Verstoßes gegen das Sichtfahrgebot  ist der Augenblick, in dem ein Hindernis für den Fahrradfahrer sichtbar wird.  Das Sichtfahrgebot wird durch den Vertrauensgrundsatz beschränkt. Der Fahrradfahrer darf darauf vertrauen, dass er nicht auf Hindernisse stößt, mit denen er unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss. Das gilt vor allem für Hindernisse, die außergewöhnlich oder schwer erkennbar sind und auf die nichts hindeutet.

Zum konkreten Fall führt der BGH aus:

Dabei ist es auch unerheblich, ob die Stacheldrähte, wie die Beklagten behauptet haben, bereits aus einer Entfernung von mindestens zehn bis 15 m beziehungsweise aus weitaus größerer Entfernung als zehn oder elf Metern sichtbar waren. Selbst wenn dieser Vortrag der Beklagten zutreffen sollte, so handelte es sich doch um ein geradezu verkehrsfeindliches Hindernis, mit dem der Kläger nicht rechnen musste, so dass es ihm nicht zum Vorwurf  gereichen kann, wenn er dieses nicht sofort ab dem Zeitpunkt, zu dem es objektiv sichtbar wurde, tatsächlich wahrnahm. (BGH, Urt. v. 23.4.2020 – III ZR 251/17)

  1. Zum fehlerhaften Fahrverhalten

Regelmäßig werden von Gerichten, so auch der Vorinstanz im entschiedenen Fall, Fahrfehler zur Begründung eines Mitverschuldens des Fahrradfahrers ins Feld geführt, vor allem fehlerhaftes oder verspätetes Bremsen. Hierzu hat der  BGH schon in mehreren Urteilen klargestellt hat, dass eine Fehlreaktion, die auf einem Erschrecken beruht, nicht zur Begründung eines Mitverschuldens führen kann.

Die falsche Reaktion eines Verkehrsteilnehmers stellt dann keinen vorwerfbaren Obliegenheitsverstoß dar, wenn dieser in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn  nicht vorhersehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus  verständlichem Erschrecken objektiv falsch reagiert (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 2008 aaO Rn. 10 und vom 5. Oktober 2010 – VI ZR 286/09, NJW 2011, 292 Rn. 13).

  1. Zum Thema „Klickpedal“

Bis hierhin lag der Kläger nach dem Urteil des BGH also bei 100 % zu seinen Gunsten. Das dicke Ende kommt zum Schluss:

Als Umstand, der ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Klägers gemäß § 254 Abs. 1 BGB begründen könnte, bleibt lediglich, dass er auf dem unbefestigten und unebenen Feldweg statt der „normalen“ Fahrradpedale die Klickpedale nutzte. … Insoweit merkt der Senat für das weitere Verfahren an, dass der auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen insoweit allein in Betracht zu ziehende Umstand – Verwendung von Klickpedalen auf einem „holprigen“ Feldweg – allenfalls zu einer Anspruchsminderung von einem Viertel führen kann. (BGH a. a. O.)

BGH zur Verweisung auf eine günstigere Werkstatt – Zeitpunktfrage geklärt!

Seit Jahren ist es, infolge der VW-Entscheidung des BGH (Urt. v. 20.10.2009 – VI ZR 53/09), ständige Regulierungspraxis bei der sogenannten fiktiven Abrechnung:

Der Geschädigte möchte sein Fahrzeug nicht oder günstiger als im Haftpflichtgutachten berechnet reparieren. Er rechnet  fiktiv ab und beansprucht die Reparaturkosten netto gemäß des von ihm vorgelegten Haftpflichtgutachtens. Der Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers kürzt den Anspruch, indem er dem Geschädigten einen sogenannten Prüfbericht zusendet. Häufig werden die Kürzungen darauf gestützt, dass die Reparatur in einer vom Haftpflichtversicherer benannten Werkstatt, sog. Verweiswerkstatt, günstiger sei als im Gutachten berechnet.

Bezüglich der Zulässigkeit des Verweises stellen sich viele Fragen. Häufig in der Praxis nicht beachtet, wird, dass sich auch in dieser Verweiswerkstatt regelmäßig die Preise ändern. Viele telefonische Nachfragen der letzten Jahre haben in meiner Praxis gezeigt, dass die Stundenverrechnungssätze im Prüfgutachten falsch waren und nicht selten wurden Preisaufschläge auf die Ersatzteile erhoben, die ebenfalls zu Unrecht gekürzt worden waren.

Ein spezielles Problem dieser Verweisproblematik hat der BGH nun geklärt und zwar die Frage, welcher Zeitpunkt für die Reparaturkostenberechnung in der Verweiswerkstatt maßgeblich ist.

Beispiel: Unfallzeitpunkt soll der 19.11.2019 sein. Der Geschädigte legt Ende November 2019 ein Gutachten vor, welches Reparaturkosten netto von 4.000,00 Euro ausweist. Der Prüfbericht mit Benennung der Verweiswerkstatt wird am 15.12.2019 vorgelegt. Der Verweis soll in diesem Beispiel zulässig sein. Der Versicherer kürzt die Reparaturkosten wegen der günstigeren Stundenverrechnungssätze (= „Stundenlöhne“) netto um 500,00 Euro und überweist dem Geschädigten 3.500,00 Euro. Zum 1.1.2020 erhöht die Verweiswerkstatt ihre Stundenverrechnungssätze. Auf Basis der Stundenverrechnungssätze, die ab dem 1.1.2020 gelten, ergeben sich Reparaturkosten in der Verweiswerkstatt von 4.500,00 Euro, also 500,00 Euro mehr als im Gutachten ausgewiesen.

Mitte Januar 2020 erhebt der Geschädigte Klage. Am 1.1.2021 erhöht die Verweiswerkstatt erneut die Stundenlöhne. Es ergeben sich ab dem 1.1.2021 sogar 4.700,00 Euro Reparaturkosten. Die letzte mündliche Verhandlung vorm Amtsgericht findet am 20.1.2021 statt. Das Fahrzeug hat der Geschädigte nicht repariert.

Das LG Saarbrücken hat in der Vorinstanz auf den Zeitpunkt des Unfalls abgestellt. Somit wäre die Berechnung des Versicherers korrekt und der Geschädigte müsste sich den Abzug vonn 500,00 Euro gefallen lasen. Anders der BGH:

„Wie im Ausgangspunkt vom Berufungsgericht zutreffend gesehen, ist der materiell-rechtlich maßgebliche Zeitpunkt für die Bemessung des Schadensersatzanspruchs in Geld …

der Zeitpunkt, in dem dem Geschädigten das volle wirtschaftliche Äquivalent für das beschädigte Recht zufließt, also der Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung. …Verfahrensrechtlich ist, wenn noch nicht vollständig erfüllt ist, der prozessual letztmögliche Beurteilungszeitpunkt, regelmäßig also der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, maßgeblich. … Diese Grundsätze dienen in erster Linie dem Schutz des Gläubigers gegen eine verzögerte Ersatzleistung des Schuldners. Zusätzliche Schäden und eine Verteuerung der Wiederherstellungskosten vor vollständiger Erfüllung, etwa durch Preissteigerungen, gehen deshalb in der Regel zu dessen Lasten. (BGH, Urt. v. 18.2.2020 – VI ZR 115/19)

Im Beispielsfalle müsste das Gericht dem Geschädigten also 4.700,00 Euro zusprechen.

Rechts vor links und trotzdem Mitschuld?

Unter dieser Überschrift möchte ich heute einige praxisrelevante Konstellationen vorstellen, in denen der Vorfahrtsberechtigte trotz Rechts vor Links mithaftet. Grundsätzlich gilt bei einem Vorfahrtsverstoß des Wartepflichtigen ein Anscheinsbeweis für sein Verschulden. Geregelt ist das in § 8 Absatz 1 der StVO:

„An Kreuzungen und Einmündungen hat die Vorfahrt, wer von rechts kommt.“ Das gilt jedenfalls dann, wenn keine besondere Vorfahrtsregelung vorliegt.

In der Regel kommt es zu einer 100 %-igen Haftung des Wartepflichtigen.

Aber: Die Ausnahme bestätigt die Regel.

Es gibt auch Konstellationen, in denen der Vorfahrtberechtigte mithaftet. Es wird dann eine Haftungsquote gebildet.

Typische Fälle, bei denen es zu einer Mithaftung des Vorfahrtberechtigten kommen kann, sind (nicht abschließend):

  1. Der sogenannte Vorfahrtsverzicht

Eine Mithaftung des Vorfahrtberechtigten kommt dann in Betracht, wenn er dem Wartepflichtigen gegenüber den Anschein erweckt hat, er werde von seinem Vorfahrtsrecht keinen Gebrauch machen. Die Anforderungen an einen solchen Vorfahrtsverzicht sind sehr hoch. Der Wartepflichtige muss darlegen und beweisen, dass der Vorfahrtberechtigte ihm durch sein Verhalten bedeutet hat, er werde anhalten oder ihn passieren lassen. Hierfür genügt es beispielsweise nicht, dass der Vorfahrtberechtigte langsam gefahren ist der seine Geschwindigkeit verringert hat.

  1. Irreführendes Blinken

Wie aus dieser Bezeichnung ersichtlich sein dürfte, handelt es sich hierbei um Fallgestaltungen, in denen der Vorfahrtberechtigte links blinkt, dann aber dennoch geradeaus weiterfährt. Diesen Fällen ist zunächst eins gemein, nämlich, dass der Wartepflichtige den Vollbeweis erbringen muss, dass der  Unfallgegner tatsächlich geblinkt hat. Das gelingt nur im Einzelfall, beispielsweise wenn die Polizei das bei der Unfallaufnahme vermerkt hat oder es der Vorfahrtberechtigte einräumt.

Steht fest, dass geblinkt wurde, führt das für sich alleine betrachtet allerdings noch immer nicht zu einer Mithaftung des Vorfahrtberechtigten. Vielmehr gilt hier:

Will der Wartepflichtige an einer Kreuzung in eine Vorfahrtsstraße einbiegen, darf er nur dann darauf vertrauen, dass der Vorfahrtberechtigte seinerseits abbiegen will, wenn dieser blinkt und zusätzlich die Annäherungsgeschwindigkeit deutlich und erkennbar herabsetzt oder zweifelsfrei mit dem Abbiegen bereits begonnen hat.

  1. Geschwindigkeitsüberschreitung

Häufiger anzutreffen, ist die Argumentaton des Wartepflichtigen, der Vorfahrtsberechtigte sei „viel zu schnell gefahren“.

In dieser Fallgruppe geht es meist im ersten Schritt darum, ob die Geschwindigkeitsüberschreitung des Vorfahrtsberechtigten überhaupt bewiesen werden kann oder nicht. Die Beweislast trifft den Wartepflichtigen. Der Beweis kann durch ein unfallanalytisches Gutachten geführt werden.

Ergibt dieses, eine Geschwindigkeitsüberschreitung, dann kann diese unter mehreren Gesichtspunkten zu einer Mithaftung des Vorfahrtberechtigten führen.

Nicht übersehen werde darf, dass sich die Geschwindigkeitsüberschreitung kausal auf den Unfall ausgewirkt haben muss. Falsch ist es daher, pauschal zu behaupten, ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von x Prozent liege eine Mithaftung vor.  Hervorzuheben ist hier die Fallgruppe, in denen die überhöhte Geschwindigkeit dazu führt, dass das vorfahrtberechtigte Fahrzeug überhaupt nicht rechtzeitig vorm Einfahrvorgang des Wartepflichtigen erkannt werden konnte.

Tendenziell erhöht sich die Mithaftungsquote mit der prozentualen Überschreitung der erlaubten Geschwindigkeit. Beispiele:

Für eine 100 %-ige Haftung des Vorfahrtsberechtigten bei 30 bis 40 km/h Übrschreitung innerorts bei erlaubten 50 km/h: OLG Hamm DAR 01, 362.

50 %-ige Haftungsverteilung bei 28 km/h Überschreitung innerorts: OLG Köln OLGR 96,210.

50 % bei 55 km/h Überschrietung bei erlaubten 0 km/h: OLG Zweibrücken DAR 00,312.

  1. Die sogenannte halbe Vorfahrt

Das Thema halbe Vorfahrt setzt sich erst nach und nach bei den Versicherern durch und wird immer noch sehr selten eingewandt, obgleich es hierzu bereits  viele Entscheidungen  gibt.

Ist eine Kreuzung innerorts schlecht überschaubar, muss der Vorfahrtberechtigte sich selbst nach rechts vergewissern, ob sich von dort ein ihm gegenüber vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug nähert. Gegebenenfalls muss er hierfür auch die Geschwindigkeit verringern. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass hierdurch auch der eigentlich Wartepflichtige, der von links kommt, geschützt ist.

Verkehrsgerichtstag 2020 – Die Empfehlungen

Vom 29. bis 31. Januar fand der jährliche Verkehrsgerichtstag – eine Zusammenkunft von Verkehrsexperten – in Goslar statt. Er endet mit den Empfehlungen der Arbeitskreise.

Wer sich die Empfehlungen im Volltext durchlesen will, findet diese hier:

Meine Zusammenfassung:

Arbeitskreis I –  Grenzüberschreitende Unfallregulierung in der EU

Das materielle Schadensersatzrecht der verschiedenen EU-Länder muss für den (ausländischen) Anwalt einfacher zu verstehen sein. Die EU-Kommission soll entsprechende Hilfsmittel zur Verfügung stellen.

Des Weiteren soll für grenzüberschreitende Gerichtsprozesse ein System geschaffen werden, wie es bereits für Zivil- und Handelssachen besteht.

Einführung von Videokonferenzen für Vernehmungen im Ausland.

Kurze Verjährungsfristen in anderen EU-Staaten sollen auf mindestens drei oder vier Jahre verlängert werden.

Arbeitskreis II – Abschied vom fiktiven Schadensersatz

Empfehlung: Kein Abschied vom fiktiven Schadensersatz. Außerdem: Werkstattverweis bei fiktiver Abrechnung ist für alle Beteiligten an der Unfallregulierung nervig und zeitaufwendig. Der BGH wird gebeten, sich etwas einfallen zu lassen.

Arbeitskreis III – Aggressivität im Straßenverkehr

Schulungen und Anti-Aggressions-Maßnahmen sollen gefördert werden.

Die gesetzlichen Möglichkeiten, auf aggressives Verhalten zu reagieren, müssen konsequent ausgeschöpft werden.

Es sollte ein Bußgeld für „aggressives Posen im Straßenverkehr“ geben.

Fahrerlaubnisbehörden sollen Einsicht in das Bundeszentral- und Erziehungsregister erhalten.

Sofern sich bei einer Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahrteignung steht, Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotential ergeben, soll die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU anordnen.

Der „Alleinrasertatbestand“ (§ 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB)  sollte im Wortlaut nachgebessert werden.

Arbeitskreis IV – Praxistauglichkeit des Bußgeldverfahrens

Der Gesetzgeber soll per Gesetz regeln, unter welchen Voraussetzungen ein standardisiertes Messverfahren vorliegt. Außerdem soll er per Gesetz ein umfassendes Einsichtsrecht in die Messdateien vorschreiben.

Bußgeldverfahren sollen gegen Auflagen eingestellt werden können.

Nach einer verkehrstherapeutischen Schulung soll vom Fahrverbot abgesehen werden können.

Arbeitskreis V – Elektrokleinstfahrzeuge

Aktuell herrscht in der Bevölkerung weitgehende Unkenntnis, was man mit E-Scootern überhaupt darf und was nicht. Das erfordert mehr Öffentlichkeitsarbeit, vor allem durch die Verleihfirmen.

Öffentlichkeitsarbeit habe ich selbst ja bereits geleistet:

10 Fragen und Antworten zum E-Scooter

Außerdem:

– Mehr Infrastruktur für E-Scooter und Fahrräder

– Blinkerpflicht für E-Scooter

– Keine Zulassung von Fahrzeugen ohne Lenkstange

– Erfassung und Herausgabe der Nutzerdaten durch Verleihfirmen zum Zweck der Verfolgung von Straftaten und Orddnungswidrigkeiten

– verbindliche Astellplätze für Verleihscooter

– Prüfbescheinigungspflicht für E-Scooter

Arbeitskreis VI  – Fahranfänger – neue Wege zur Fahrkompetenz

Der Arbeitskreis begrüßt das Optionsmodell, das Folgendes vorsieht:

Drei statt zwei Jahre Probezeit, aber verkürzbar auf bis zu zwei Jahre durch Teilnahme an Schulungsmaßnahmen oder begleitetes Fahren.

Auswetung örtlicher Unfalldaten von Fahranfängern und darauf gestützte regionalisierte Fahranfängervorbereitung.

Arbeitskreis VII – Entschädigung von Opfern nach terroristischen Anschlägen

Neben Harmonisierungen der Opferentschädigung und Zentralisierungen von Strukturen, insbesondere Opferbeauftragte, empfiehlt der Arbeitskreis die Schaffung eines Fachanwaltes für Personenschadensrecht.

 

BGH entscheidet zu Gunsten der Geschädigten bei Vorschadensproblematik

Der Bundesgerichtshof hat in einem wegweisenden Beschluss von ganz erheblicher praktischer Bedeutung der bisher wohl herrschenden Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte (z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 8.4.2016 – I-9 U 79/15) eine deutliche Absage erteilt. Er hat die Anforderungen an die Darlegung eines Vorschadens durch den Geschädigten deutlich reduziert, indem er in weitem Umfang den Zeugenbeweis für zulässig erklärt hat. Damit hat er sich in einer für die Geschädigten oft unverschuldeten und misslichen Lage auf deren Seite gestellt. Eine sehr begrüßenswerte Entscheidung.

Worum geht es? Die Vorschadensproblematik beim Verkehrsunfall!

Das Problem stellt sich vor allem bei älteren Fahrzeugen, die der Geschädigte als Gebrauchtfahrzeug erworben hat. Fahrzeuge aus zweiter, dritter Hand etc..

Definitionen

Altschaden = unreparierter vorangegangener Unfallschaden
Vorschaden = reparierter vorangegangener Unfallschaden

Beispiel:

A erwirbt einen 5 Jahre alten BMW X1 von privat. Beide verwenden einen Mustervertrag aus dem Internet für einen Privatverkauf gebrauchter PKW, der auch einen Gewährleistungsausschluss enthält. Der Verkäufer teilt A mündlich mit, er habe keinen Unfall mit dem PKW, den er selbst gebraucht gekauft habe, gehabt. A geht auch davon aus, dass das Fahrzeug keinen Unfall hatte, denn es ist kein Vor- oder Altschaden erkennbar. Das Fahrzeug sieht einwandfrei aus.

A erleidet mit dem PKW einen unverschuldeten Unfall. Der Kfz-Haftpflichtversicher (H) des Schädigers ist dem Grunde nach eintrittspflichtig. Darüber besteht auch kein Streit.

A lässt sein Fahrzeug begutachten, reicht das Gutachten bei H ein und beziffert seine Schäden. Es ist nach den Ausführungen des Sachverständigen ein Totalschaden. Den Wiederbeschaffungswert – Wert unmittelbar vor dem Unfall – gibt der Sachverständige mit 20.000,00 Euro an.

H prüft das Gutachten und gibt das Fahrzeug in sein Hinweis- und Informationssystem (HIS) ein. Dort werden bestimmte Daten zu Unfällen gespeichert. Es ergibt sich, dass das Fahrzeug vor dem Verkauf an A einen Verkehrsunfall hatte. Mithin hat es einen Vorschaden. Wie der H mitteilt, handelt es sich um einen gravierenden Vorschaden.

H verweigert aus diesem Grund die Zahlung, bestreitet den Wiedebeschaffungswert und fordert den A auf, darzulegen, welche Vorschäden am Fahrzeug vorhanden waren und  ob und wie diese repariert wurden.

Unstreitig und nach wie vor ständige Rechtsprechung ist und wird es bleiben, dass es Sache des Geschädigten ist, die Schadenshöhe nachzuweisen. Wenig zweifelhaft ist es weiterhin, dass ein solcher Vorschaden erheblichen Einfluss auf den Wert des Fahrzeugs vor dem Unfall (Wiederbeschaffungswert) haben kann.

Klar ist daher, dass A nun erstmal die A-Karte gezogen hat, denn er muss den Wiederbeschaffungswert schlüssig darlegen. Also muss er auch darlegen, ob und wie sich der Vorschaden, der in seinem Gutachten nicht erwähnt ist, ausgewirkt hat.

Fraglich ist, wie detailliert diese Darlegungen sein müssen und welche Anforderungen an die Beweisführung zu stellen sind.

Bisher waren die Oberlandesgerichte gegenüber den Geschädigten in solchen Fällen äußerst streng. Die Anforderungen an die Darlegungen zum Vorschaden, vor allem an die durchgeführten Reparaturarbeiten waren kaum einzuhalten.

Insbesondere ließen die Gerichte Zeugenbewiese, beispielsweise zum Zustand des Fahrzeugs vor dem Unfall, zu den durchgeführten Reparaturarbeiten etc. häufig nicht zu und schmetterten solche Zeugenbeweisanträge als unsubstantiiert oder als sog. unzulässige Beweisausforschungsanträge ab. Die Rechtsfolge ist für die Geschädigten bitter. Denn sie verlieren nicht nur vollständig den Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugschadens sondern bleiben darüber hinaus auch auf den Kosten des Gutachtens sitzen.

Diese ausufernde Rechtsprechung hat der BGH nun erst einmal ausgebremst, indem er klargestellt hat:

„Behauptet der Geschädigte eines Verkehrsunfalles, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und den beschädigten Pkw in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann ihm nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen. Darin liegt weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis.“ (BGH, Beschl. v. 15.10.2019 – VI ZR 377/18)

Damit ist der restriktiven Rechtsprechung der Untergerichte Einhalt geboten. Zukünftig muss in sehr weitem Umfang Zeugenbeweisanträge zum Zustand des Fahrzeuges und zu den Reparaturarbeiten am Fahrzeug nachgegangen werden. Denn der BGH konkretisiert zu Gunsten des Geschädigten die Anforderungen, die an einen Beweisantritt zu stellen sind wie folgt:

„Gemäß § 373 ZPO hat die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen beantragen will, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die dieser vernommen werden soll. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe. Wie weit eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, hängt von ihrem Kenntnisstand ab (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1988 – IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529, juris Rn. 8). Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Anerkanntermaßen ist jedoch bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen können (Senatsurteil vom 25. April 1999 – VI ZR 178/94, NJW 1995, 2111, juris Rn. 13; BGH, Urteile vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159, juris Rn. 40; 7. Februar 2019 – III ZR 498/16, NJW 2019, 1137 Rn. 37; jeweils mwN).“ (BGH a. a. O.)

Auffahrunfall, Unfallregulierung, Fachanwalt für Verkehrsrecht

50:50 bei Auffahrunfall wegen grundloser Vollbremsung (LG Saarbrücken)

Das Landgericht Saarbrücken hat entschieden, dass der Vorausfahrende zu 50 % mithaftet, wenn er grundlos stark abbremst (LG Saarbrücken, Urt. v. 14.10.2019 – 13 S 69/19).

Die maßgebliche Regelung findet sich im Absatz 1 Satz 1 und 2 des § 4 StVO:

Absatz 1

„Satz 1: Der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird.

Satz 2: Wer vorausfährt, darf nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen.“

Die rechtliche Einordnung eines grundlosen Abbremsvorganges wird von Gerichten unterschiedlich vorgenommen. Zunächst ist es wichtig, zwischen einer Bremsung aus verkehrsbedingtem Anlass und einer grundlosen Bremsung zu unterscheiden. Wer aus einem verkehrsbedingten Anlass heraus, beispielsweise wegen kreuzenden Verkehrs oder Personen auf der Fahrbahn, bremst, der bremst nicht ohne zwingenden Grund, so dass kein Verstoß gegen § 4 Absatz 1 Satz 2 StVO vorliegt.

Der Auffahrende haftet in einem solchen Fall grundsätzlich voll. Er hat gegen § 4 Absatz 1 Satz 1 StVO verstoßen. Satz 1, also das Abstandsgebot, begründet einen Anscheinsbeweis. Es wird vermutet, dass der Auffahrende den Unfall verschuldet hat.

Bei einem grundlosen, scharfen Bremsvorgang oder einer grundlosen Vollbremsung des Vordermannes, ist unter den Gerichten streitig, ob hierdurch der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden bereits erschüttert ist oder nicht. Das Landgericht Saarbrücken vertritt die Position, dass es grundsätzlich beim Anscheinsbeweis bleibt, aber auf der Ebene des Mitverschuldens die Vollbremsung berücksichtigt werden muss. Im vorliegenden Fall führte das zu einer hälftigen Haftungsverteilung.

Praxishinweis: „Der Auffahrende ist immer Schuld“, ist eine weit verbreitete Fehlmeinung. Tatsächlich sind die Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Beweislastverteilung maßgeblich. Fährt ein Fahrzeug auf ein anderes auf, was bereits objektiv feststehen muss (Kollisionspunkt etc.), dann gilt zunächst der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden. Dieser besagt zunächst, dass der Auffahrende  den Unfall vollumfänglich verschuldet hat und alleine haftet. Die Betriebsgefahr des Vorausfahrenden tritt zurück. Der Anscheinsbeweis ist im Einzelfall aber erschütterbar. Gelingt dies nicht, ist es immer noch möglich, im Rahmen der Haftungsabwägung bewiesenes Verschulden des Vordermannes in die Haftung einzustellen. So hat es das Landgericht in diesem konkreten Fall gelöst.

Im Übrigen bleibt es dabei:

Eine Schadensabwicklung ohne Rechtsanwalt ist fahrlässig! (OLG Frankfurt)

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/olg-frankfurt-schadensabwicklung-ohne-rechtsanwalt-ist-fahrlaessig/

 

Nachweis einer Unfallmanipulation durch Blackbox – OLG Hamm

Soweit ersichtlich, liegt nunmehr die erste obergerichtliche Entscheidung vor, in der eine Blackbox ausgewertet wurde. Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Urteil vom 13.5.2019 – 6 U 144/17 eine Unfallklage abgewiesen. Es hat, unter anderem aufgrund der Auswertung der Daten der Blackbox eines der drei beteiligten PKWs, festgestellt, dass es sich um einen sogenannten gestellten Unfall handelte. Ein gestellter oder manipulierter Unfall ist eine Betrugsmasche, bei der zwei oder mehrere Beteiligte einvernehmlich eine Fahrzeugkollision herbeiführen in der Absicht, den Kfz-Haftpflichtversicherer zu betrügen. In der Vorinstanz hatte der Kläger obsiegt. Das OLG Hamm hat das Urteil des LG Münster aufgehoben.

Der Fall dürfte für die Beteiligten ein strafrechtliches Nachspiel haben.

Der Kläger hatte vorgetragen, mit seinem Mercedes einem entgegenkommenden Citroen, der auf seine Fahrspur gefahren sei, ausgewichen zu sein. Hierbei sei es zu einer Streifkollision der beiden Fahrzeuge gekommen. Der Mercedes des Klägers sei in den rechten Straßengraben geraten. Dass der Citroen auf seine Fahrspur gekommen sei, sei darauf zurückzuführen, dass ein Lexus von links aus einer untergeordneten Straße eingefahren und den Citroen seitlich erfasst hätte.

Das Landgericht Münster hat in der ersten Instanz Beweis erhoben durch Vernehmung sämtlicher Zeugen, vor allem der Fahrer der drei beteiligten PKWs. Des Weiteren hat es, wie üblich, ein Unfallrekonstruktionsgutachten in Auftrag gegeben. Der Sachverständige konnte die Blackbox des Lexus auslesen. Aus den Daten ergab sich, dass der PKW unmittelbar vor dem Unfall mindestens 5 Sekunden lang bei geöffnetem Fahrergurt gestanden hatte, mithin nicht in Bewegung gewesen war.

Das LG Münster hielt die Klage nach der durchgeführten Beweisaufnahme für begründet. Der beklagte Versicherer habe den Beweis, dass der Kläger mit dem Unfall einverstanden gewesen sei, nicht geführt. Es sprach dem Kläger Schadensersatz in Höhe von rund 15.000,00 Euro zu.

Das OLG Hamm hat auf die Berufung des Versicherers erneut Beweis erhoben. Es hat sämtliche Zeugen erneut vernommen und den Kläger erneut persönlich angehört. Der Sachverständige wurde erneut zu seinem unfallanalytischen Gutachten angehört. Der Senat kam zum gegenteiligen Ergebnis.

EDR - Event Data Recorder "Blackbox"

In Flugzeugen ist die Blackbox schon lange Standard. Auch in der Unfallregulierung wird sie in den kommenden Jahren erheblich an Bedeutung gewinnen.

Das OLG Hamm führt zunächst aus, was allgemeine Rechtsprechung ist:

„Für den Nachweis eines mit Einwilligung des Anspruchstellers beziehungsweise Geschädigten manipulierten Unfalls ausreichend aber erforderlich ist, dass derart gewichtige Indizien vorgebracht und gegebenenfalls bewiesen werden, die bei einer Gesamtschau in ihrem Zusammenwirken vernünftigerweise nur den Schluss zulassen, dass der Anspruchsteller beziehungsweise Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt hat. Eine mathematisch lückenlose Gewissheit ist insoweit nicht erforderlich. Es genügt vielmehr nach der unmittelbaren Überzeugungsbildung des Tatrichters ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, das heißt ein für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie mathematisch lückenlos auszuschließen. Die feststehenden Indizien müssen in lebensnaher Zusammenschau und praktisch vernünftiger Gewichtung den Schluss auf eine Einwilligung beziehungsweise auf ein kollusives Zusammenwirken zulassen, das die Rechtswidrigkeit der angeblichen Rechtsgutverletzung ausschließt (exemplarisch OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 08.12.2017, Az. 15 U 37/16, NJW-RR 2018, 538, Rn. 21 f. m.w.N.).“ (OLG Hamm, a. a. O.)

Den ersten Unfall, also die Kollision zwischen dem Lexus und dem Citroen, hat der Senat bereits aufgrund des Gutachtens und der Feststellung, dass der Lexus mindestens 5 Sekunden lang gestanden haben musste, als manipuliert betrachtet.

Der Senat hat auch nicht verkannt, dass es theoretisch möglich gewesen wäre, dass der Unfall zwischen dem Lexus und dem Citroen abgesprochen war und der Kläger mit seinem Mercedes nur zufällig in dieses Geschehen geraten sein könnte. Da dieser aber in seiner erneuten Anhörung vor dem OLG Hamm abweichende Angaben zu den Umständen des Unfalls machte, wurde ihm kein Glauben geschenkt.

Mitunter hatte er in erster Instanz angegeben, Anlass seiner Fahrt sei die beabsichtigte Abholung eines Bekannten gewesen, der einige Tage bei ihm übernachten wollte. In zweiter Instanz hat er dann einen anderen Nachnamen dieses Bekannten angegeben.

„Aufgrund des Auswechselns des Nachnamens des angeblichen Bekannten sowie der Angabe, dass es im Nachgang zu dem Unfall keinerlei Kontaktaufnahme gegeben habe, ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger zum Anlass seiner Fahrt eine unwahre Geschichte erzählt hat.“ (OLG Hamm, a.a.O.)

OLG Saarbrücken: Auch beim Reißverschlussverfahren spricht der Anscheinsbeweis gegen den Spurwechsler

Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat entschieden:

„Ereignet sich ein Unfall im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einem
Fahrstreifenwechsel, spricht auch beim Reißverschlussverfahren der
Anscheinsbeweis für ein schuldhaftes, unfallursächliches Verhalten des
Spurwechslers.“

OLG Saarbrücken, Urt. v. 1.8.2019 – 4 U 18/19

Der Entscheidung liegt ein Unfall auf der Autobahnauffahrt
Wilhelm-Heinrich-Brücke in Fahrtrichtung Mannheim zugrunde.

Diese Zufahrtstraße verfügt über zwei Beschleunigungsstreifen,
die sich am Ende auf eine Spur verengen, welche auf die Autobahn führt. Die
rechte Fahrspur endet durch eine schraffierte Sperrfläche. Die rechte Fahrspur
mündet also in die linke Fahrspur. Die linke Fahrspur führt auf die Autobahn.

Der Kläger fuhr auf der rechten Fahrspur. Die beklagte
Fahrerin des gegnerischen Unfallfahrzeuges fuhr auf der linken Fahrspur. Zwischen
den Fahrzeugen kam es zu einem Zusammenstoß, wobei das klägerische Fahrzeug
hinten links und das Beklagtenfahrzeug vorne rechts beschädigt wurde.

Die Unfalldarstellungen der Parteien wichen voneinander ab.
Der Kläger behauptete, er habe die Spur vollständig gewechselt und die Beklagte
sei ihm nach mehreren Sekunden von hinten aufgefahren. Somit berief sich der
Kläger auf den Anscheinsbeweis, des Auffahrens durch die Beklagte.

Die Beklagte behauptete, der Kläger habe sie rechts überholt
und habe dann unmittelbar vor ihr die Spur gewechselt und gebremst. Ein rechtzeitiges
Bremsen sei ihr nicht mehr möglich gewesen.

Somit lag ein Klassiker vor: „Spurwechsel vs. Auffahrunfall“.

Grundsätzlich hat sich der Bundesgerichtshof zu dieser
Konstellation bereits geäußert:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/bgh-zu-auffahrunfall-und-spurwechsel/

Im vom BGH entschiedenen Fall obsiegte der Fahrer, der sich
auf das Auffahren des andren Fahrers berufen hatte. Das ergab sich aus der Tatsache,
dass der Spurwechsel nicht beweisen werden konnte.

Der Sachverhalt, über den das OLG Saarbrücken zu entscheiden hatte, ist aber dadurch geprägt, dass der Spurwechsel unstreitig war. Fraglich war also, ob die Kollision noch im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Spurwechsel stand oder nicht.

Das OLG Saarbrücken bestätigte das Urteil des Landgerichts
Saarbrücken, welches die Klage abgewiesen hatte. Es führt aus:

„Der rechtliche Zusammenhang zwischen dem Spurwechsel und dem Auffahren ist noch
nicht unterbrochen, wenn sich der Unfall ereignet, nachdem sich der
Fahrstreifenwechsler etwa fünf Sekunden im Fahrstreifen des Auffahrenden
befunden hat. Diese Grundsätze gelten auch für einen Spurwechsel im Reißverschlussverfahren. … Der auf dem durchgehenden
Fahrstreifen Fahrende hat grundsätzlich Vortritt. Wer bei Reißverschlussbildung die
Spur wechselt, darf nicht darauf vertrauen, dass ihm dies ermöglicht wird.“

OLG Saarbrücken, Urt. v. 1.8.2019 – 4 U 18/19

Eine Mithaftung des Auffahrenden kommt in einer solchen Konstellation nur in Betracht, wenn ihm ein Verschulden nachzuweisen ist. Nach dem OLG ist das beispielsweise dann der Fall, wenn er den Spurwechsel erkennen konnte, die Geschwindigkeit aber trotzdem nicht herabgesetzt hat oder wenn er sonst falsch reagiert hat. Diese Umstände müssen aber unstreitig oder bewiesen sein. Das war bei vorliegender Sache aber gerade nicht der Fall.

Dass gerade die Konstellation „Spurwechsel vs. Auffahrunfall“ höchst problematisch ist, ist bekannt. Auf meiner Homepage finden Sie weitere Beiträge zu diesem Thema.

OLG Celle – Regulierungsfrist 6 Wochen! Auf Einsicht in die Behördenakte kommt es nicht an!

Man hat das Gefühl, es wird immer länger. Das OLG Frankfurt hat im Februar letzten Jahres  entschieden, dass die Prüfungsfrist für Kfz-Haftpflichtversicherer maximal 4 Wochen beträgt.

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/olg-frankfurt-maximal-4-wochen-regulierungsfrist-fuer-kfz-haftpflichtversicherer/

Nach der Rechtsprechung des LG Saarbrücken und des OLG Saarbrücken sind ebenfalls regelmäßig 4 bis 6 Wochen anzunehmen.

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/olg-saarbruecken-zur-unfallregulierung-wann-geraet-der-gegnerische-haftpflichtversicherer-in-verzug/

Das OLG Celle hat nun in einem Kostenbeschluss von einer angemessenen Regulierungsfrist von 6 Wochen gesprochen. Der Beschluss liest sich, als ginge das OLG Celle generell davon aus, dass der Kfz-Haftpflichtversicherer sechs Wochen Zeit zur Anspruchsprüfung hat, also sozusagen mindestens 6 Wochen Prüfungsfrist einzuräumen sind.

Gleichzeitig stellt das OLG Celle aber noch einmal klar, was ständige Rechtsprechung ist und hoffentlich auch bleiben wird:

„Ein Verzug der Haftpflichtversicherung nach Ablauf der angemessenen Prüfungsfrist von 6 Wochen wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass diese bis zu jenem Zeitpunkt noch keine Einsicht in die Ermittlungsakten hat nehmen können.“

OLG Celle, Beschl. v. 18.9.2013 – 3 W 46/13

Hierbei handelt es sich um eine ständige Argumentation der Versicherer, die einfach nicht tot zu kriegen ist. „Wir warten die Einsicht in die Behördenakte ab“. Das kann man ja machen, muss dann aber damit rechnen, dass man die Kosten des Rechtsstreits tragen muss, auch wenn man nach Einreichung der Klage dann doch noch reguliert.

„Denn der Haftpflichtversicherer kann sich über seinen Versicherungsnehmer bzw. evtl. mitversicherte Personen über den Sachverhalt unterrichten. Die Entscheidung der Eintrittspflicht von einer vorherigen Einsicht in die Ermittlungsakten abhängig zu machen, ist grundsätzlich nicht geboten bzw. erforderlich, zumal mit einer Akteneinsicht erfahrungsgemäß oft erst nach Monaten zu rechnen ist und ein entsprechendes Zuwarten den berechtigten Interessen des Geschädigten an einer raschen Regulierung zuwiderlaufen würde (OLG Dresden, Beschl. v. 29.06.2009, 7 U 499/09, zitiert nach Juris-Rn. 15).“

OLG Celle a. a. O.

Fazit:

Nicht begrüßenswert ist, dass das OLG Celle – jedenfalls scheinbar – davon ausgeht, dass grundsätzlich eine Prüffrist von 6 Wochen besteht. Das ist vor allem dann höchst problematisch für die Geschädigten eines Verkehrsunfalls, wenn das Fahrzeug nicht mehr fahrbereit und verkehrssicher ist und ein Mietwagen angemietet werden muss. Denn letztlich positionieren sich die Versicherer ja nicht selten so, dass dem Geschädigten auch die Dauer der Mietwagenanmietung angelastet wird. Er muss dann die Reparatur oder Ersatzbeschaffung vorfinanzieren oder darlegen, warum er das – gegebenenfalls auch unter Inanspruchnahme eines Kredits – nicht konnte.

An diesem Punkt sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Prüfungsfrist überhaupt erst beginnt, wenn der Geschädigte dem Versicherer den Schaden durch Gutachten oder bebilderten Kostenvoranschlag nachgewiesen hat, eine nachvollziehbare Unfallschilderung und eine spezifizierte Schadensaufstellung vorliegt.

Ansonsten passiert häufig – leider aus Sicht der Versicherer zu Recht – gar nichts, da es weder Sache des Versicherers ist, den Unfallhergang darzulegen noch den Schaden zu ermitteln.

Um es mit den Worten des OLG Frankfurt auszudrücken:

“Auch bei einfachen Verkehrsunfallsachen ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts von vornherein als erforderlich anzusehen. Gerade die immer unüberschaubarere Entwicklung der Schadenspositionen und der Rechtsprechung zu den Mietwagenkosten, Stundenverrechnungssätzen u.ä. lässt es geradezu als fahrlässig erscheinen, einen Schaden ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts abzuwickeln.”

OLG Frankfurt, Urteil vom 2.12.2014 – 22 U 171/13

OLG Düsseldorf spricht für 110 Tage Nutzungsausfall 4.730 Euro Entschädigung zu

Das OLG Düsseldorf hat einem Geschädigten eines Verkehrsunfalls für einen Ausfallzeitraum von 110 Tagen (ca. 4 ½ Monate) Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 43,00 Euro pro Ausfalltag zugesprochen. Das entspricht einem Gesamtbetrag von 4.730,00 Euro.

Kann ein Geschädigter trotz Nutzungswille und Nutzungsmöglichkeit sein Fahrzeug unfallbedingt nicht nutzen, erhält er für jeden Ausfalltag eine Geldentschädigung. Die Höhe des Tagessatzes bestimmt sich dabei nach dem Fahrzeugtyp. Nutzungsausfallentschädigung kann für Zeiträume, in denen ein Mietwagen genommen wird, nicht beansprucht werden. Für diese Zeiträume werden die Mietwagenkosten ersetzt.

Die Dauer des Ausfallzeitraumes muss der Geschädigte wegen der Schadenminderungspflicht natürlich geringhalten. Unproblematisch ist der Zeitraum, bis das vom Geschädigten beauftragte Gutachten vorliegt, sofern der Begutachtungsauftrag unverzüglich erteilt wird und das Gutachten innerhalb weniger Tage vorliegt. Hinzuzurechnen ist, je nach Einzelfall, noch ein Überlegungszeitraum von drei bis vier Tagen. Danach sollte der Geschädigte entscheiden, wie er mit dem Fahrzeug verfahren möchte bzw. sich darum kümmern, dass er schnellstmöglich wieder einen fahrbaren Untersatz erhält. Sprich der Geschädigte muss, sobald er das Gutachten in angemessener Zeit geprüft hat, die Schadensbeseitigung betreiben.

Was aber, wenn der Geschädigte hierzu finanziell gar nicht in der Lage ist und der Haftpflichtversicherer keine Zahlungen leistet?

Über einen solchen Fall hatte das OLG Düsseldorf zu entscheiden. Es führt aus:

„Seine finanzielle Leistungsfähigkeit ist dagegen der eigentlichen Schadensbeseitigung und damit auch dem Gegenstand der gutachterlichen Schätzung vorgelagert. Der Geschädigte kann den Reparaturauftrag erst erteilen, wenn er in der Lage ist, die Reparaturkosten zu begleichen. Ebenso kann er vernünftigerweise erst bestellen und kaufen, wenn er die Mittel dazu hat. Kann der Geschädigte also glaubhaft machen, dass er die Schadensregulierung aus finanziellen Gründen nicht betreiben konnte und aus diesem Grund auch in dieser Zeit auf ein Fahrzeug verzichten musste, so steht ihm auch für diesen Zeitraum ein Anspruch auf Nutzungsausfallsentschädigung zu.“

OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.5.2019 -1 U 115/18

Dazu muss noch angemerkt werden, dass an die Darlegung der fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit regelmäßig hohe Anforderungen von Seiten der Gerichte gestellt werden. Unter anderem wird gefordert, dass der Geschädigte beweist, dass er nicht kreditwürdig war, also zur Vorfinanzierung der Reparatur oder des Ersatzfahrzeuges keinen Kredit erhalten hat.

Vor allem aber ist es erforderlich, dass der Haftpflichtversicherer frühzeitig, bestenfalls mit der Schadenmeldung, darüber informiert wird, dass das Fahrzeug dringend benötigt wird und keine Möglichkeit der Vorfinanzierung besteht.

Im konkreten Fall hat der Kläger seine fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit aber nach Auffassung des Gerichts ausreichend dargelegt.

Das Urteil bestätigt im Übrigen die ständige Rechtsprechung, wonach Nutzungsausfallentschädigung auch bei einer Abrechnung auf Gutachtenbasis (sog. Fiktive Abrechnung) zu zahlen ist.

Motorradunfall: Kein Mitverschulden wegen fehlender Schutzkleidung (LG Frankfurt)

Das LG Frankfurt hat entschieden:

Ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Motorradschutzkleidung an den Beinen kann nicht schon aus einem reduzierten Verletzungsrisiko hergeleitet werden. Kann ein dahingehendes Verkehrsbewusstsein den tatsächlichen Umständen und Gepflogenheiten der betroffenen Verkehrsteilnehmer nicht entnommen werden (hier: Fahrer einer Harley Davidson), ist ein Mitverschulden des geschädigten Motorradfahrers nicht feststellbar.

LG Frankfurt, Urt. v. 7.6.2018 – 2-01 S 118/17

Zur Entscheidung im Volltext:

LG Frankfurt, Urt. v. 7.6.2018 – 2-01 S 118/17

Der Kläger war als Motorradfahrer bei einem Verkehrsunfall mit einem PKW verletzt worden. Er fuhr eine Harley Davidson und trug hierbei eine „Armee-Stoffhose“. Die Beklagte wandte ein Mitverschulden wegen des unterlassenen Tragens von (Bein-)Schutzbekleidung vor.

Das LG Frankfurt stellt in der Entscheidung zunächst klar, dass es keine gesetzliche Vorschrift gibt, wonach beim Motorradfahren Schutzbekleidung an den Beinen zu tragen sei. (Anmerkung: Anderes gilt natürlich für die Helmpflicht nach § 21 a Abs.2 StVO).

Demnach kommt es aus Sicht des LG Frankfurt darauf an, ob ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Motorradschutzkleidung, etwa Beinprotektoren oder Lederhosen, bestehe oder nicht.

Das LG Frankfurt zog für die Beurteilung dieser Frage die Erhebung der Bundesanstalt für Straßenwesen aus 2014 zu Rate, nach welcher nur 43 % der befragten Motorradfahrer schützende Beinkleidung tragen. Das reichte der Kammer nicht aus, um von einem allgemeinen Verkehrsbewusstsein auszugehen.

Speziell zum Thema Schutzbekleidung bei Chopper Fahrern führt es in den Entscheidungsgründen aus:

Andere Umstände, die auf ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Schutzkleidung speziell unter Fahrern von Harley Davidsons schließen lassen, wurden nicht dargelegt und sind nicht erkennbar. Die Ausführungen des Klägervertreters, derartige Motorräder würden im Vergleich zu anderen großmotorigen Krafträdern typischerweise weniger zum schnellen Fahren, sondern zum „Cruisen“, also einem moderateren Fahrstil, genutzt, erscheinen jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Daher erscheint es gerade unter Fahrern von Harley Davidsons bzw. Choppern jedenfalls nicht möglich, über den für alle Motorradtypen genannten Satz von 43 % hinaus, eine größere Gruppe zu bestimmen, die das Tragen von Schutzkleidung an den Beinen in ihr Verkehrsbewusstsein aufgenommen hat.

(LG Frankfurt aaO)

Das Urteil zitiert gleich mehrere Parallelentscheidungen weiterer Obergerichte, die aufzeigen, dass die Rechtsprechung bei der Thematik „Mitverschulden wegen unterlassenen Tragens von Schutzbekleidung“ uneinheitlich verfährt.

Das Saarländische Oberlandesgericht hat diese Frage in seinem Urteil vom 12.3.2015 – 4 U 187/13 – offengelassen. Hintergrund war, dass in dem vom OLG Saarbrücken entschiedenen Fall feststand, dass die – leider sehr schweren – Verletzungsfolgen auch bei Tragen von Schutzbekleidung eingetreten wären.

Es kam daher nicht darauf an, ob ein allgemeines Verkehrsbewusstsein im Sinne einer „Pflicht“ zum Tragen von Schutzbekleidung bestand oder nicht.

Fazit: Wer im Gerichtsbezirk des OLG Frankfurt mit seinem Motorrad verunfallt und im wahrsten Sinne des Wortes hinterher (?) den A … llerwertesten offen hat, weil er lieber in Jogginghose als mit Motorradschutzkleidung fährt, darf sich freuen. Es wird ihm aktuell, jedenfalls solange sich der Bundesgerichtshof dieser Thematik nicht angenommen hat, kein Mitverschulden angelastet werden.

Fahrstreifenwechsel beim parallelen Abbiegen

Das Amtsgericht München (Urt. v. 5.3.2018 – 333 C 18640/17) hatte über die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall zu entscheiden, der sich wie folgt ereignete:

Der Kläger fuhr auf dem rechten Fahrstreifen einer zweispurigen Fahrbahn. Die Beklagte befuhr die linke Spur dieser Fahrbahn. Beide Fahrzeuge bogen an einer Einmündung mit sehr engem Kurvenradius nach rechts in eine dreispurige Straße ab.

Der Kläger hielt auch zunächst die rechte Spur, wechselte dann aber, während des Abbiegevorgangs, doch auf die mittlere Spur der dreispurigen Einmündungsstraße. Hintergrund des Spurwechsels war, dass ein Bus seine Fahrspur blockierte. Dort kam es dann zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug, welches ebenfalls auf die mittlere Spur der Einmündungsstraße fuhr.

Der Kläger richtete seine Klage auf vollen Schadensersatz. Er vertrat die Auffassung, dass er als ganz rechts Fahrender bei der Wahl der Fahrstreifen gegenüber dem auf der linken Spur fahrenden PKW ein Vorfahrtsrecht gehabt hätte.

Das AG München sah das anders. Es hat die Klage zu 75 Prozent abgewiesen, also eine Haftungsquote von ¾ zu ¼ zum Nachteil des Klägers angenommen.

Es führt hierzu aus, dass der Rechtsfahrende bei einem Abbiegevorgang in eine mehrspurige Straße die rechte Spur halten muss. Der Kläger hat, indem er auf die mittlere Fahrspur fuhr, einen Spurwechsel im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO und zudem einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 StVO begangen.

Zu Lasten des Beklagten hat es die Betriebsgefahr in Ansatz gebracht. Es hat der Beklagten angelastet, dass diese in der konkreten Verkehrssituation damit hätte rechnen können, dass es zu einem Spurwechsel des Klägerfahrzeugs kommen könne. Hierfür spreche insbesondere der enge Kurvenradius an der Einmündung. Nach ihren eigenen Angaben habe sie aber auf den Verkehr auf der rechten Fahrspur nicht geachtet.

Fazit: Bei Abbiegevorgängen ist die Spur zu halten. Gerade bei einem Übergang in eine mehrspurige Straße sollte man sich darauf einstellen, dass es zu plötzlichen Spurwechseln anderer Fahrzeuge kommen kann. Von solchen Spurwechseln anderer Fahrzeuge kann ich ein Lied singen, vor allem, weil ich auf dem Weg zu meinem Büro das zweifelhafte Vergnügen habe, diese regelmäßig im Bereich der Bismarck-Brücke in Saarbrücken mitzuerleben.

Dass es im konkreten Fall, den das AG München entschieden hat, zu einer Haftungsverteilung kam, ist nicht zwingend. Es hätte auch durchaus zu einer vollumfänglichen Haftung des Klägers (Klageabweisung) kommen können.

LG Darmstadt: Fiktive Abrechnung von Unfallschäden unzulässig!

Das Landgericht Darmstadt hat – in Abkehr zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – die fiktive Abrechnung eines Unfallschadens („Abrechnung nach Gutachten“) für unzulässig erklärt.

Hintergrund ist die gängige und auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fußende Praxis, einen Unfallschaden anhand eines Haftpflichtgutachtens fiktiv abzurechnen. Das funktioniert dann so, dass der Geschädigte die im Gutachten ausgewiesenen, geschätzten Reparaturkosten ohne Umsatzsteuer erhält und das Fahrzeug billiger oder gar nicht repariert. Gerade bei älteren Fahrzeugen, bei denen eine vollumfängliche Reparatur in einer Fachwerkstatt keinen Sinn macht, macht der Geschädigte auf diesem Wege sozusagen „einen guten Schnitt“. Das ist gängige Regulierungspraxis.

Das LG Darmstadt hat diese Abrechungsmethode nun für unzulässig erklärt:

Entgegen der Auffassung des BGH (VII ZR 46/17, Urteil vom 22.02.2018) erstreckt sich die dort entschiedene Aufgabe der Zulässigkeit des sogenannten fiktiven Schadensersatzes auf Gutachtenbasis auf sämtliche Sachschadensfälle und damit sowohl auf kauf- oder mietrechtliche Gewährleistung als auch deliktische Ansprüche. (LG Darmstadt, Urt. v. 24.10.2018 – 23 O 356/179)

Das Urteil finden Sie im Volltext hier:

LG Darmstadt – Urt. v. 24.10.2018 – 23 O 356/17

Hintergrund ist, dass der BGH mit Urteil vom 22.2.2018 – VII ZR 46/17 seine ständige Rechtsprechung im Bereich des Baurechts aufgegeben und für diesen Bereich die fiktive Schadensabrechnung untersagt hat. Das war eine bahnbrechende Entscheidung mit erheblicher Tragweite, weshalb ich Sie damals auch auf meiner Facebookseite verlinkt habe. Hier der Link zum Artikel der LTO zum Urteil des BGH:

LTO – BGH ver­bietet fik­tive Scha­dens­kosten im Werk­ver­trags­recht

Das LG Darmstadt hat nun die Anwendbarkeit auf Schadensersatzansprüche „jedweder Art“ erklärt und begründet dies wie folgt:

Die Kammer bleibt bei ihrer in dem Hinweis zum Ausdruck gebrachten Auffassung, dass die vom BGH mit Urteil vom 22.02.2018(1) für den sogenannten kleinen Schadensersatzanspruch im Bereich von Werkverträgen aufgegebene Abrechnungsmöglichkeit auf fiktiver Basis nicht auf das Werkvertragsrecht beschränkt ist, sondern Schadensersatzansprüche jedweder Art erfasst, gleich, ob es sich um gewährleistungsrechtlich begründete Schadensersatzansprüche handelt oder um solche aus der Beschädigung von Sachen oder Personen und gleich, auf welchem rechtlichen Grund sie beruhen.(2)

Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass der VII. BGH-Senat selbst ausdrücklich erklärt hat, er sehe diese Aufgabe seiner Rechtsprechung den Besonderheiten des Werkvertragsrechts geschuldet und zugleich auf diesen Anwendungsbereich beschränkt.(3) Die Interpretation der fraglichen Entscheidung des BGH lässt indes keine plausible und dogmatisch begründbare Beschränkung der Aufgabe des fiktiven Schadensersatzes auf werkvertragliche Konstellationen erkennen. Soweit der VII. Zivilsenat das in seiner Entscheidung postuliert, dient dies offenkundig allein der Rechtfertigung des Umstandes, dass es zuvor keine Anfrage bei dem V. und VIII. Zivilsenat gegeben hat und eine im Widerspruchsfall an sich nach § 132 II GVG gebotene Vorlage dieser Rechtsfrage an den Großen Senat für Zivilsachen unterblieben ist.(4)

Das erkennende Gericht ist zu der rechtlichen Überzeugung gelangt, dass die in jeder Hinsicht zu begrüßende Aufgabe der fiktiven Schadensberechnung schon aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung auf das gesamte Schadensersatzrecht zu übertragen und überdies aufgrund erheblicher Möglichkeiten des Missbrauchs dies auch rechtspolitisch geboten ist. (LG Darmstadt, a. a. O.)

Ich rechne nicht wirklich damit, dass der BGH diese Auffassung teilen wird. Allerdings muss ich in der gebotenen Ehrlichkeit sagen, dass ich die Entscheidung für absolut schlüssig, richtig und gerecht halte. Es ist überhaupt nicht verständlich, weshalb der geschädigte Auftraggeber eines Bauwerkes nicht mehr fiktiv abrechnen darf, während der Unfallgeschädigte das weiterhin darf.

Und um es ganz klar zu sagen: Genau das, was im Baurecht passiert, nämlich dass sich Bauherren durch fiktive Schadensabrechnungen zu Lasten der Bauunternehmer den Sack voll machen und ihren Bau finanzieren, passiert bei Unfällen ebenfalls. Und das Gleiche gilt – in noch viel gravierender Weise – im Bereich der Fahrzeugreparaturverträge und auch im Bereich des Fahrzeugkaufs.

Ich würde mir im Sinne der Einheitlichkeit der Rechtsprechung wünschen, dass der BGH die fiktive Schadensabrechnung insgesamgt für unzulässig erklärt.

AG Aachen: Anwaltsbeauftragung ist auch dann veranlasst, wenn Haftpflichtversicherer bereits Zahlung angekündigt hat.

Das Amtsgericht Aachen klargestellt, dass die Beauftragung eines Anwalts nach einem Verkehrsunfall auch dann veranlasst ist, wenn der Versicherer bereits angekündigt hat, dass er zahlen wird.

Die hierdurch entstehenden Anwaltskosten hat der Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers zu ersetzen. Damit ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch den Geschädigten für diesen auch dann kostenlos, wenn er annehmen muss, dass der Haftpflichtversicherer zahlt.

Diese Entscheidung überzeugt und entspricht der ständigen Rechtsprechung. Das Amtsgericht Aachen führt aus:

Ein Schadensersatzanspruch umfasst auch die Kosten eines zu seiner Durchsetzung eingeschalteten Rechtsanwalts, wenn dessen Einschaltung zu dessen Durchsetzung zweckmäßig und erforderlich war. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn der Schadensfall einfach gelagert ist und der Geschädigte nicht geschäftlich ungewandt ist. Bei der Schädigung durch einen Verkehrsunfall liegt grundsätzlich kein einfach gelagerter Schadensfall vor. Angesichts der immer komplexer werdenden Rechtsprechung zu verschiedensten Schadenspositionen (zum Beispiel nur: Mietwagenkosten, Sachverständigenkosten, Verrechnungssätze von Werkstätten) ist die Abwicklung eines Verkehrsunfallschadens für jeden, der nicht gerade über ausgeprägte Spezialkenntnisse auf dem Gebiet des Verkehrsunfallrechts verfügt, ein schwierig gelagerter Schadensfall. …
Dass die Beklagte dem Kläger unstreitig telefonisch Deckung und Haftung bestätigt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Beklagte hatte hiermit dem Kläger nur ihre Haftung dem Grunde nach bestätigt. Es war damit nicht geklärt, in welcher Höhe der Kläger die Beklagte berechtigt würde in Anspruch nehmen können. Um dies zu klären, war es aufgrund der vorgeschriebenen Komplexität aus Sicht eines vernünftigen Unfallgeschädigten dringend geboten, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Bei dieser Sachlage ist es unerheblich, welche Erwartungen der Kläger persönlich an das Regulierungsverhalten der Beklagten gehabt haben mag. (AG Aachen, Urt. v. 20.7.2018 – 113 C 31/18)

Fazit: Auch bei vermeintlich einfach gelagerten Verkehrsunfällen sollten Sie als Geschädigter auf jeden Fall anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Wenn Sie an dem Unfall kein Verschulden trifft, ist meine Tätigkeit für Sie kostenlos, auch wenn der Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers bereits angekündigt hat, dass er zahlen wird.

Wer denkt, dass mit einer solchen Zusage auch gleichzeitig feststeht, dass eine problemlose, schnelle und vollumfängliche Regulierung stattfinden wird, der begibt sich in niedriges Fahrwasser.

Wie das OLG Frankfurt bereits festgestellt hat, ist eine Verkehrsunfallregulierung ohne Hinzuziehung eines Anwalts aus Sicht des Geschädigten „fahrlässig“:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/olg-frankfurt-schadensabwicklung-ohne-rechtsanwalt-ist-fahrlaessig/

OLG Saarbrücken räumt Kfz-Haftpflichtversicherern das Recht zur unbegründeten Nachbesichtigung des Geschädigtenfahrzeugs ein

Das OLG Saarbrücken hat entschieden:

Erkennt der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer, dem die Nachbesichtigung eines Kraftfahrzeugs auf eigene Kosten trotz begründeter Zweifel an einem vom Geschädigten vorgelegten Privatgutachten verwehrt wurde, den Anspruch nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens innerhalb der vom Gericht gewährten Frist zur Stellungnahme an, ist im Einzelfall § 93 ZPO zu Lasten des Klägers anzuwenden. (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.05.2018 – 4 W 9/18)

Mit anderen Worten hat das OLG Saarbrücken damit ein Recht des Kfz-Haftpflichtversicherers postuliert, das Geschädigtenfahrzeug ohne Angabe von Gründen zu besichtigen. Das entspricht – wie der Senat auch selbst ausführt – nicht gerade der bislang gefestigten Rechtsprechung, die verlangt, dass der Kfz-Haftpflichtversicherer begründete Zweifel am vom Geschädigten vorgelegten Gutachten vortragen muss.

Im Streitfall hatte der Versicherer den Geschädigten ohne Angabe von Gründen aufgefordert, die Fahrzeugnachbesichtigung durch einen vom Versicherer beauftragten Sachverständigen zu ermöglichen.

Das hatte der anwaltlich vertretene Geschädigte mit der wohl bislang überwiegenden Rechtsprechung abgelehnt und sich auf das von ihm vorgelegte Privatgutachten berufen.

Da der Versicherer nicht zahlte, reichte der Geschädigte Klage ein. Im Rahmen des Zivilprozesses wurde das Fahrzeug des Geschädigten von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen begutachtet mit dem Ergebnis, dass das vom Geschädigten vorgelegte Privatgutachten  fehlerhaft war. Die Schadenshöhe wurde daraufhin deutlich reduziert.

Der Versicherer hat nach Vorliegen des Gerichtsgutachtens  ein sofortiges Teilanerkenntnis in Höhe der berechtigten Forderung erklärt, sich aber gegen die Kostentragung verwahrt.

Das Landgericht Saarbrücken hat dem Geschädigten nach § 93 ZPO die vollen Kosten des Rechtsstreits auferlegt, obwohl er in der Sache teilweise gewonnen hat. Da der Geschädigte die Nachbesichtigung des Fahrzeugs grundlos verweigert habe, sei die Klage nicht veranlasst gewesen.

Diese Entscheidung hat das OLG Saarbrücken nun bestätigt. Aus den Gründen:

In Rechtsprechung und Schrifttum ist zwar grundsätzlich anerkannt, dass dem Kraftfahrthaftpflichtversicherer regelmäßig kein Anspruch auf Nachbesichtigung des unfallgeschädigten Fahrzeuges zusteht (LG München I ZfSch 1991, 123: etwas Anderes könne allenfalls dann gelten, wenn z. B. ein Verdacht auf betrügerische Geltendmachung von Unfallschäden vorliege und behauptet werde, dass Vorschäden verschwiegen worden seien; LG Kleve ZfSch 1999, 239, 240; AG Rostock ZfSch 2000, 151, 152: „regelmäßig“ kein Anspruch; Jaeger VersR 2011, 50; Dötsch ZfSch 2013, 63). Im Rahmen des gesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen dem Geschädigten und dem gegnerischen Haftpflichtversicherer sind aber auch dem Erstgenannten in Grenzen Pflichten zur Rücksichtnahme auf den Haftpflichtversicherer bei der Schadensfeststellung auferlegt, deren Verletzung über prozessuale Nachteile für die Durchsetzung der eigenen Schadensersatzansprüche hinaus sogar unter besonderen Umständen zum Ersatz von Schäden des Versicherers verpflichten kann (BGH VersR 1984, 79). Kann der Haftpflichtversicherer begründete Zweifel an der Richtigkeit des vom Geschädigten vorgelegten Privatgutachtens haben, verstößt der Geschädigte gegen die ihm obliegende Rücksichtspflicht, wenn er dem vom Haftpflichtversicherer beauftragten Sachverständigen, ohne einen berechtigten Grund zu haben, die Besichtigung des Fahrzeugs verwehrt (vgl. BGH VersR 1984, 79). (OLG Saarbrücken Beschluss vom 29.05.2018 – 4 W 9/18)

Das Neue und für den Geschädigten Nachteilhafte an dieser Entscheidung ist, dass das OLG Saarbrücken darauf abstellt, ob der Haftpflichtversicherer begründete Zweifel am Privatgutachten des Geschädigten haben durfte oder nicht. Unerheblich soll sein, ob er diese dem Geschädigten vorgerichtlich auch zur Kenntnis gebracht hat.

Das hat der Senat wie folgt begründet:

Die Beschwerde verweist weiter darauf, von Seiten der Beklagten seien in keinem Zeitpunkt konkrete Zweifel an dem Schaden bzw. an dessen Höhe vorgetragen worden (Bd. I Bl. 192 d. A.). Diese Erwägung greift zu kurz. Auf Grund des Nachbesichtigungsverlangens lag es für die klagende Partei auf der Hand, dass die Regulierungsbeauftragte das Privatgutachten nicht für überzeugend hielt. Die Regulierungsbeauftragte war darüber hinaus nicht gehalten, zur Begründung der Nachbesichtigung konkrete Zweifel an dem Schaden bzw. an dessen Höhe vorzutragen. Würden schon beim Nachbesichtigungsverlangen als solchem Begründungsanforderungen gestellt, würde der Streit um die Begründetheit des Verlangens in den außergerichtlichen Zeitraum vorverlagert, in dem eine verbindliche Entscheidung über die Begründetheit gerade nicht möglich ist. Ein grundloses, dilatorisches Verhalten des gegnerischen Haftpflichtversicherers ist im Allgemeinen nicht zu besorgen, weil dieser, wie oben ausgeführt, die Beweislast für die fehlende Klageveranlassung und damit das Risiko der Unbegründetheit der geltend gemachten Zweifel trägt. Zudem ist unter Berücksichtigung der langjährigen Erfahrungen des Senats im Rahmen der Spezialzuständigkeit für Verkehrsunfallsachen nicht zu erkennen und nicht zu erwarten, dass Haftpflichtversicherer das für sie kostenpflichtige Nachbesichtigungsverlangen aus sachfremden Erwägungen, insbesondere zur Verzögerung der Regulierung, einsetzen würden. Dem Geschädigten kommt als möglichem Inhaber von Schadensersatzansprüchen eine rasche Aufklärung des Sachverhalts, an der er kraft Gesetzes aktiv mitwirken soll, stets zugute (MünchKomm-​VVG/Schneider, 2. Aufl. § 119 Rn. 25). Etwaige Rechtsunsicherheiten kann auch er vermeiden, indem er eine kurzfristige Nachbesichtigung ermöglicht.

Fazit: Für die Unfallregulierung im Zuständigkeitsbereich saarländischer Gerichte bedeutet dieser Beschluss eine Kehrtwende. Für mich, als ebenfalls langjährig im Verkehrsrecht tätigen Rechtsanwalt, ist auch verständlich, dass der Senat den Haftpflichtversicherern nichts Böses unterstellen mag und in deren Nachbesichtigungsbegehren allein redliche Absichten erkennen kann.

Das liegt daran, dass sich Haftpflichtversicherer im Prozess völlig anders verhalten als vorgerichtlich. Man muss sich doch nur fragen, warum von Seiten des Haftpflichtversicherers im konkreten Fall vorgerichtlich kein einziges Wort zu den konkreten Zweifeln am Gutachten gefallen ist, während in der Klageerwiderung dann umfangreicher Vortrag zu diesen Zweifeln erfolgte!

Es hätte im konkreten Fall sicherlich genügt, wenn der Haftpflichtversicherer vorgerichtlich in einem Satz vorgetragen hätte, dass die Feststellungen des Gutachtens nicht mit dem Polizeibericht in Einklang zu bringen sind. Das war wohl auch der Fall.

„Ein grundloses, dilatorisches Verhalten des gegnerischen Haftpflichtversicherers ist im Allgemeinen nicht zu besorgen, weil dieser, wie oben ausgeführt, die Beweislast für die fehlende Klageveranlassung und damit das Risiko der Unbegründetheit der geltend gemachten Zweifel trägt.“ (OLG Saarbrücken a. a. O.)

Dieser Satz weist zum einen ein Bild vom Regulierungsverhalten von Haftpflichtversicherern auf, das ich aufgrund eigener langjähriger Tätigkeit im Bereich der Unfallregulierung so nicht unbedingt teilen kann. Zum anderen ist es bedenklich, anzunehmen, den Versicherer träfe das (alleinige) Risiko der Unbegründetheit der Klage. Wie der Beschluss des Senates selbst zeigt, musste doch der Geschädigte letztlich die Kosten des Verfahrens getragen. Ihn trifft selbstverständlich – ebenso wie den Versicherer – das Prozesskostenrisiko. Der Unterschied besteht  darin, dass das den Sachbearbeiter des Haftpflichtversicherers, der über die Regulierung entscheidet, überhaupt nicht zu interessieren braucht. Er haftet ja nicht persönlich, der nicht rechtsschutzversicherte Geschädigte allerdings sehr wohl.

Spurwechsel vs. Auffahrunfall und Bedeutung einer Zeugenaussage im Prozess – OLG München

Die Situation ist ein Klassiker im Bereich der Unfallregulierung.

Es kommt zu einem Unfall. Einer der am Unfall beteiligten Fahrer – Fahrer A – behauptet, der andere sei ihm von hinten aufgefahren. Der andere Fahrer – Fahrer B – trägt einen Spurwechsel des Vordermannes vor.

Das Oberlandesgericht München hat nun zu Gunsten des Fahrers B, der den Spurwechsel behauptet hatte, entschieden. Es hat ihm 100 %-igen Schadensersatz zugesprochen, weil der Anscheinsbeweis des Spurwechsels greife, nicht aber der Anscheinsbeweis des Auffahrens.

Zusammengefasst hat der Spurwechsler vorliegend den Prozess verloren, weil das unfallanalytische Sachverständigengutachten seine Unfalldarstellung ausschließen konnte. Es lag ein seitlicher Anstoß vor.  Zudem war die Zeugenaussage widersprüchlich.

Die Leitsätze des Urteils:

1. Steht die Kollision zweier Kraftfahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Wechsel des Fahrstreifens, so spricht der Anscheinsbeweis für die Missachtung der Sorgfaltspflichten, die für den Fahrstreifenwechsler gelten, wobei die Haftungsabwägung regelmäßig zu dessen Alleinhaftung führt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

2. Wer mit seinem Kraftfahrzeug auf ein vorausfahrendes oder vor ihm stehendes Kraftfahrzeug auffährt, hat den Anscheinsbeweis gegen sich, wonach er entweder nicht den nötigen Sicherheitsabstand eingehalten hat, mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist oder falsch reagiert hat. Eine bloße Teilüberdeckung der Fahrzeugschäden an Heck und Front lässt nicht auf einen atypischen Geschehensablauf schließen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

3. Der Aussage eines Zeugen kommt keine zwingende prozessrechtliche Priorität vor der Anhörung einer Partei im Rahmen des § 141 ZPO oder auch nur dem Prozessvertrag der anderen Seite zu (vgl. BGH BeckRS 9998, 165994). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz) (OLG München, Urt. v. 13.7.2018 – 10 U 1856/17)

Das Urteil finden Sie im Volltext hier:

OLG München, Endurteil v. 13.07.2018 – 10 U 1856/17

Grundsätzlich hat sich der Bundesgerichtshof zur Beweislastverteilung in seinem Urteil vom  13.12.2016 – VI ZR 32/16 – geäußert:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/bgh-zu-auffahrunfall-und-spurwechsel/

Das Urteil des Oberlandesgerichts München ist aber nicht nur wegen der überzeugenden Ausführungen zur Haftungsverteilung bzw. zum Durchgreifen des Anscheinsbeweises – in diesem Falle gegen den Spurwechsler – lesenswert.

Es räumt auch gründlich mit der weit verbreiteten Fehlvorstellung auf, dass derjenige, der „einen Zeugen hat“, den Prozess gewinnt. Diese immer noch vielfach von Mandanten geäußerte Auffassung ist falsch.

Und das gilt nicht nur, wenn sich der Zeuge, wie im Falle des OLG München, widersprüchlich äußert. Gerade bei einem Verkehrsunfall ist zu beachten, dass die Parteien in der Regel informatorisch angehört und im Einzelfall gegebenenfalls auch als Partei vernommen werden.

Das OLG München stellt diesbezüglich noch einmal unzweifelhaft klar:

Der Aussage eines Zeugen kommt keine zwingende prozessrechtliche Priorität vor der Anhörung einer Partei im Rahmen des § 141 ZPO oder auch nur dem Prozessvertrag der anderen Seite zu (vgl. BGH BeckRS 9998, 165994). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz) (OLG München a. a. O.)

Folge ist übrigens, dass bei streitigem Unfallhergang fast ausnahmslos verkehrsunfallanalytische Gutachten eingeholt werden.

LG Saarbrücken: Kosten der Beilackierung, UPE und Verbringungskosten auch bei der fiktiven Abrechnung ersatzfähig

Das LG Saarbrücken hat klargestellt, dass auch bei einer fiktiven Abrechnung Anspruch auf Ersatz der (fiktiven) Kosten einer Beilackierung angrenzender Fahrzeugteile sowie der Preisaufschläge auf die Ersatzteile (UPE-Aufschläge) und Verbringungskosten ersatzfähig sind. Diese Positionen setzen also keine tatsächliche Reparatur voraus.

Das Urteil ist eine gute Argumentationshilfe für Unfallgeschädigte – gerade im Saarland. Viele Haftpflichtversicherer ersetzen diese Positionen nicht, wenn der Geschädigte nicht repariert und deren tatsächlichen Anfall nachweist (sog. fiktive Abrechnung).

Das führt zu erheblichen Abzügen bei der Unfallregulierung, die gerade bezüglich der Beilackierungskosten durchaus den vierstelligen Bereich erreichen können. Die Argumentation der Versicherer geht dahin, dass sich erst im Rahmen einer konkreten Reparatur herausstelle, ob eine Lackierung angrenzender Teile wegen eines auftretenden Farbtonunterschieds erforderlich ist oder nicht.

Dem hat das Landgericht Saarbrücken mit der wohl überwiegenden Rechtsprechung eine Absage erteilt:

Soweit die Beklagte meint, bei fiktiver Abrechnung seien Beilackierungskosten von vorneherein nicht ersatzfähig, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Einen allgemeinen Grundsatz, dass bei fiktiver Abrechnung Beilackierungskosten nicht erstattungsfähig sind, gibt es ebenso wenig wie einen Grundsatz, dass Beilackierungskosten solange als erforderlich anzusehen sind, bis der Geschädigte das Gegenteil bewiesen habe. Vielmehr kann auch bei fiktiver Abrechnung ein Anspruch auf Ersatz von Beilackierungskosten bestehen, soweit der Geschädigte deren Erforderlichkeit dargelegt und bewiesen hat (vgl. hierzu OLG Hamm, Zfs 2017, 565; LG Arnsberg, NJW-RR 2017,1178; zum Meinungsstand NJW-Spezial 2017, 394, 395). (LG Saarbrücken, Urt. v. 1.6.2018 – 13 S 151/17)

Auch die Verbringungskosten und UPE-Aufschläge sind nicht mit der Argumentation kürzbar, sie fielen nur bei tatsächlicher Reparatur an:

Auch der von der Beklagten erhobene Einwand der fehlenden Erforderlichkeit von UPE-Aufschlägen und Verbringungskosten greift nicht durch. Zwar ist richtig, dass UPE-Aufschläge bzw. Verbringungskosten nicht zu ersetzen sind, wenn der Schädiger den Geschädigten auf eine Reparatur in einer „freien Fachwerkstatt“ verweisen kann, bei der diese Kosten nicht erhoben werden (vgl. nur Kammer, Urteil vom 19.07.2013 – 13 S 61/13, DAR 2013, 520 mit umfangreichen Nachweisen). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor, weil die Beklagte keine Verweisung ausgesprochen hat, so dass die Klägerin grundsätzlich Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten einer Markenwerkstatt hat. In diesem Fall kann der Schädiger den Geschädigten nur auf eine Reparatur in einer Markenwerkstatt verweisen, bei der UPE-Aufschläge und/oder Verbringungskosten nicht anfallen (vgl. Kammer, Urteil vom 19.07.2013 aaO). (LG Saarbrücken, Urt. v. 1.6.2018 – 13 S 151/17)

Bezüglich dieser Positionen muss in jedem einzelnen Fall überprüft werden, ob der Geschädigte, der fiktiv abrechnet, sich auf die Verhältnisse seiner Markenwerkstatt verlassen kann oder ob er sich auf die Verhältnisse freier Werkstätten bzw. Verweiswerkstätten, die ihm der Versicherer benennt, verweisen lassen.

Fazit: Gerade bei älteren Fahrzeugen lohnt sich häufig eine fachgerechte Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt nicht mehr. Die Geschädigten sind dann besser beraten, auf Gutachtenbasis abzurechnen. Bezahlt werden dann, sofern kein Totalschaden vorliegt, die Reparaturkosten netto gemäß Gutachten. Das Geld kann der Geschädigte dann behalten und mit dem Fahrzeug verfahren, wie er will.

Gerade in diesen Fällen, in denen also kein tatsächlicher Reparaturnachweis erfolgt, ist damit zu rechnen, dass der Haftpflichtversicherer des Schädigers nicht unerhebliche Kürzungen an den Reparaturkosten vornimmt.

Neben technischen Kürzungen stehen hier vor allem die oben genannten Positionen in Frage. Wenn Sie Geschädigter eines Verkehrsunfalles sind, sollten Sie sich sofort nach dem Unfall kostenloser anwaltlicher Hilfe bedienen. Man kann nicht oft genug erwähnen, dass der Haftpflichtversicherer des Schädigers die Kosten des Rechtsanwalts des Geschädigten zu ersetzen hat. Wer unverschuldet einen Unfall erleidet, erhält daher kostenlose anwaltliche Hilfe.

Nur Ihr Rechtsanwalt vertritt allein Ihre Interessen. Alle anderen am Verkehrsunfall Beteiligten haben eigene Interessen. Das gilt nicht nur für Haftpflichtversicherer sondern auch für Mietwagenunternehmen, Reparaturbetriebe und Abschleppunternehmen.

Nebenbei bemerkt enthält die Entscheidung auch grundsätzliche Ausführungen zur Streitwerterhöhung durch mit eingeklagte vorgerichtliche Anwaltskosten.

Sofortiger Restwertverkauf: OLG Braunschweig widerspricht dem Bundesgerichtshof

Das OLG Braunschweig hält sich nicht an die Rechtsprechung des BGH zum Restwertverkauf. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 30.1.2018 klargestellt, dass sich der Geschädigte eines Verkehrsunfalls auf die Restwertermittlung des von ihm beauftragten Sachverständigen verlassen darf. Der BGH hat klargestellt, dass das beschädigte Fahrzeug sofort zum ermittelten Restwert verkauft werden kann. Der Geschädigte sei weder gehalten, den gegnerischen Haftpflichtversicherer vorab zu informieren noch müsse er abwarten, bis der Versicherer eigene Restwertgebote eingeholt oder eine Stellungnahme zum Restwert abgegeben habe.

Das haben auch die für mein Tätigkeitsgebiet maßgeblichen Landgerichte seit längerem so gesehen:

LG Kaiserslautern – Sofortverkauf zum Restwert

LG Saarbrücken – Sofortiger Restwertverkauf

Das OLG Braunschweig wendet sich nun überraschender Weise mit seinem Urteil vom 30.1.2018 – 7 U 3/17 – gegen den Standpunkt des BGH. Es vertritt die Ansicht, der Geschädigte müsse den gegnerischen Haftpflichtversicherer vorab informieren, dass er das Fahrzeug schnell verkaufen müsse, weil er zur Ersatzbeschaffung auf das Geld angewiesen sei. Er müsse dem Versicherer die Gelegenheit geben, seine Zahlungsschwierigkeiten anderweitig zu beheben.

Dieses Urteil widerspricht eklatant der eindeutigen Rechtsprechung des BGH.

Zudem ist es praxisfremd.

Es ist nicht ernsthaft zu erwarten, dass Versicherer zur Vermeidung eines Restwertverkaufs durch den Geschädigten dazu übergehen werden, diesem sofort den auf den Restwert entfallenden Betrag vorzufinanzieren. Das ist abwegig. Bevor der Haftpflichtversicherer überhaupt eine Zahlung leistet, vergehen in der Regel mehrere Wochen. Ohne Klärung des Sachverhalts, insbesondere, wenn die Schadenmeldung des eigenen Versicherungsnehmers fehlt, wird ohnehin nicht gezahlt. Das Thema „Regulierungsfrist“, über das ich bereits mehrmals berichtet habe, ist nicht ohne Grund sehr umstritten. Mit anderen Worten: Wenn der Haftpflichtversicherrer noch nicht beurteilen kann, ob er überhaupt zur Zahlung verpflichtet ist, wird er wohl kaum den Restwert vorschießen.
Noch einmal zum Thema Regulierungsfrist:

OLG Frankfurt: Maximal 4 Wochen Regulierungsfrist für den Kfz-Haftpflichtversicherer

Hintergrund der ganzen Restwertproblematik ist, dass der Kfz-Haftpflichtversicherer den Restwert, den der Restwertkäufer zahlen muss, eben einspart. Von daher sind die Haftpflichtversicherer bemüht, eigene Restwertangebote vorzulegen. Leider entstammen diese häufig nicht dem regionalen Markt. Das bedeutet für den Geschädigten, dass er sich mit einem Restwertkäufer, der meist mehrere hundert Kilometer weit entfernt sitzt, auseinandersetzen muss.

Der BGH hat bereits in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass überregionale Gebote aus Internetrestwertbörsen unbeachtlich sind, wenn der Geschädigte regionale Gebote erhalten hat.

Nach wie vor empfiehlt es sich, sich auf die Restwertermittlung des Sachverständigen zu verlassen und das Fahrzeug zum vom eigenen Sachverständigen ermittelten Restwert auf dem regionalen Markt zu verkaufen.

Es ist absehbar, dass die Kfz-Haftpflichtversicherer sich auf das Ihnen günstige Urteil des OLG Braunschweig berufen werden.

Lassen Sie sich das nicht gefallen!

Im Falle eines unverschuldeten Unfalls sind die Kosten des eigenen Anwalts vom Haftpflichtversicherer des Unfallgegners zu ersetzen. Meine Beauftragung ist für Sie also kostenlos. Kontaktieren Sie mich sofort nach einem Verkehrsunfall!

OLG Frankfurt: Maximal 4 Wochen Regulierungsfrist für Kfz-Haftpflichtversicherer!

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat entschieden:

1. Der Geschädigte kann nach Vorlage des Anspruchsschreibens erwarten, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung kurzfristig mitteilt, ob, inwieweit und wie lange eine Prüfung stattfindet.
2. Die Dauer der Prüffrist ist von der Lage des Einzelfalls abhängig, beträgt in der Regel aber maximal vier Wochen. (Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschl. v. 06.02.2018 – 22 W 2/18)

Die Entscheidung ist hier veröffentlicht:

OLG Frankfurt, Beschl. v. 06.02.2018 – 22 W 2/18

Kürzlich hat das Landgericht Saarbrücken noch einmal klargestellt, dass die Regulierungsfrist bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall vier bis sechs Wochen beträgt. Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass die Regulierungsfrist erst beginnt, wenn der Haftpflichtversicherer ordnungsgemäß vom Geschädigten in die Lage versetzt wird, dessen Ansprüche nach Grund und Höhe zu prüfen.

Fristbeginn ist also nicht der Unfall selbst, wie viele Geschädigte, die sich an mich wenden, zu meinen scheinen. Ich verweise zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße „Inverzugsetzung“ noch einmal auf die Ausführungen des Landgerichts Saarbrücken, die ich in diesem Artikel bereits zusammengefasst habe:

OLG Saarbrücken zur Unfallregulierung: Wann gerät der gegnerische Haftpflichtversicherer in Verzug?

Dass der Geschädigte Herr des Regulierungsgeschehens ist, bedeutet eben auch, dass er die Regulierung betreiben muss. Dass das gar nicht so einfach ist, hat das OLG Frankfurt übrigens prägnant mit Urteil vom 2.12.2014 – 22 U 171/13 festgestellt:

Auch bei einfachen Verkehrsunfallsachen ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts von vornherein als erforderlich anzusehen. Gerade die immer unüberschaubarere Entwicklung der Schadenspositionen und der Rechtsprechung zu den Mietwagenkosten, Stundenverrechnungssätzen u.ä. lässt es geradezu als fahrlässig erscheinen, einen Schaden ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts abzuwickeln. (Hervorh. d. Unterz.)

Wenn Sie unverschuldet einen Unfall erleiden, werden Ihre Rechtsanwaltskosten vom gegnerischen Haftpflichtversicherer übernommen. Ich rate Ihnen daher:

Eiern Sie nicht rum! Rufen Sie mich nach einem Unfall sofort kostenlos und unverbindlich an!

Das ist besser, als monatelang auf die Regulierung zu warten, nur um dann festzustellen, dass der Haftpflichtversicherer von Ihnen nicht ordnungsgemäß in Verzug gesetzt wurde.

Cannabis und Fahreignung – Unfallfucht – Die Empfehlungen des 56. Deutschen Verkehrsgerichtstages

Vom 24. Januar bis 26. Januar 2018 fand in Goslar der 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag statt.
Hierbei handelt es sich um eine Tagung von Verkehrsjuristen aus verschiedenen Branchen. Diese finden sich in Arbeitskreisen zusammen, in denen aktuelle Themen behandelt werden. Im Anschluss an die mehrtägigen Beratungen sprechen die Arbeitskreise Empfehlungen an den Gesetzgeber aus.
Von besonderem Interesse für meine berufliche Ausrichtung waren dieses Jahr die Arbeitskreise V (Cannabiskonsum und Fahreignung) und III (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort).
Der Arbeitskreis V hat zum Thema Cannabis und Fahreignung folgende Empfehlung ausgesprochen:

Die Fahrerlaubnis- Verordnung bedarf im Hinblick auf Arznei- und berauschende Mittel einer Überarbeitung durch den Verordnungsgeber.

Der Arbeitskreis ist der Auffassung, dass der erstmalig im Straßenverkehr auffällig gewordene, gelegentliche Cannabiskonsument nicht ohne Weiteres als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen wird, sondern lediglich Zweifel an seiner Fahreignung auslöst, die er mittels einer MPU ausräumen kann.
Der Arbeitskreis vertritt die Meinung, dass nicht bereits ab 1 ng/ml THC im Blutserum fehlendes Trennungsvermögen unterstellt werden darf. Er teilt die Feststellungen der Grenzwertkommission, wonach dies erst ab einem THC-Wert von 3 ng/ml Blutserum der Fall ist.
Auch im Falle einer medizinischen Indikation, insbesondere für die Verordnung von Cannabis-Blüten, begründet eine Teilnahme am Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis Zweifel an der Fahreignung. Aus dem Gebot der Verkehrssicherheit heraus ist es deshalb erforderlich, dass dann auch vor dem Hintergrund der Grunderkrankung die Fahreignung zu prüfen ist.
Auch in diesem Sinne müssen die Patienten, die ein Kraftfahrzeug führen wollen, durch entsprechend qualifizierte Ärzte umfassend über ihre Beeinträchtigung der Fahreignung und Fahrsicherheit informiert und begleitet werden. Dies ist entsprechend zu dokumentieren.
Der Gesetzgeber wird gebeten, für Kontrollen im Straßenverkehr ein geeignetes Nachweisdokument vorzusehen.

Zum Thema Unfallflucht spricht der Arbeitskreis III folgende Empfehlung aus:

1.
Die strafrechtlichen und versicherungsvertragsrechtlichen Regelungen zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort führen zu gewichtigen Rechtsunsicherheiten. Dadurch können Verkehrsteilnehmer überfordert werden. …
2.
Der Arbeitskreis empfiehlt mit überwiegender Mehrheit dem Gesetzgeber zu prüfen, wie eine
bessere Verständlichkeit des § 142 StGB erreicht werden kann, insbesondere durch eine Begrenzung des Unfallbegriffs auf Fortbewegungsvorgänge und eine Präzisierung der Wartezeit bei Unfällen mit Sachschäden bei einer telefonischen Meldung, etwa bei einer einzurichten den neutralen Meldestelle.
3.
Der Arbeitskreis fordert mit überwiegender Mehrheit den Gesetzgeber auf, die Möglichkeiten
der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe bei tätiger Reue in § 142 Abs. 4 StGB zu reformieren. Dabei sollte die Begrenzung auf Unfälle außerhalb des fließenden Verkehrs entfallen und die Regelung auf alle Sach- und Personenschäden erweitert werden.

4.
Der Arbeitskreis fordert mit knapper Mehrheit, dass das unerlaubte Entfernen vom Unfallort bei Sachschäden nicht mehr im Regelfall zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führt. Die Worte „oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden“ in § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sollten gestrichen werden.

Der Arbeitskreis empfiehlt, bis zu einer gesetzlichen Änderung einen Regelfall der Entziehung der Fahrerlaubnis nur noch bei erheblichen Personen –
und besonders hohen Sachschäden (ab 10.000 EUR) anzunehmen.

5.
Der Arbeitskreis hält es für notwendig, den Inhalt der auf das Verbleiben an der Unfallstelle
bezogenen versicherungsvertraglichen Aufklärungsobliegenheit den strafrechtlichen Pflichten nach § 142 StGB entsprechend zu verstehen. Er fordert die Versicherer auf, dies durch unmittelbare Bezugnahme auf § 142 StGB in den AKB klarzustellen.

Als Verkehrsrechtler kann man beide Empfehlungen vollumfänglich unterschreiben. ES bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber diese Empfehlungen aufnimmt und umsetzt.

OLG Saarbrücken zur Unfallregulierung: Wann gerät der gegnerische Haftpflichtversicherer in Verzug?

Es passiert nicht gerade selten, dass mich Geschädigte eines Verkehrsunfalls anrufen, die bereits versucht haben, ihren Verkehrsunfall ohne anwaltliche Hilfe selbst zu regeln.

„Es passiert nichts!“, heißt es dann oft. Man habe sich telefonisch an den gegnerischen Haftpflichtversicherer gewendet und diesen informiert. Es sei einem gesagt worden, der Versicherer kümmere sich um alles. Nun passiere aber seit Wochen nichts, obwohl man dort mehrmals angerufen habe. „Die sind doch längst in Verzug.“, meint der künftige Mandant dann, wie selbstverständlich. Mitnichten!

Ganz so einfach ist das nämlich nicht. Abgesehen davon, dass Telefongespräche mit Versicherern meines Erachtens „Schall und Rauch“ sind, wenn es zu einem Zivilprozess kommt, gilt Folgendes:

Grundsätzlich ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Geschädigte der Herr der Unfallregulierung. Daraus folgt aber nicht nur, dass es sein gutes Recht ist, seinen Schaden selbst zu beziffern und hierzu beispielsweise einen Sachverständigen seiner Wahl zu beauftragen. Vielmehr ist es auch seine „Pflicht“, den gegnerischen Haftpflichtversicherer in die Lage zu versetzen, eine korrekte Regulierungsentscheidung zu treffen.

Der Unfallgeschädigte befindet sich also quasi in einer Bringschuld. Solange er nicht die Grundlage dafür schafft, dass der gegnerische Haftpflichtversicherer den Schadenfall beurteilen kann, gerät dieser auch nicht in Verzug.

Einheitlich vertritt die Rechtsprechung hierzu die Auffassung, dass der Geschädigte mindestens ein sogenanntes spezifiziertes Anspruchschreiben und die erforderlichen Belege zur Schadensbezifferung, in der Regel also das Haftpflichtgutachten oder den bebilderten Kostenvoranschlag, einzureichen hat. Erst wenn diese Mindestangaben gemacht sind, beginnt die dem Versicherer zuzubilligende Prüffrist von – je nach Einzelfall – etwa vier bis sechs Wochen überhaupt zu laufen.

Erst nach Ablauf dieser Prüffrist wiederum tritt Verzug ein.

Vorgerichtlich sind damit einige unter Umständen auch finanziell schwerwiegende Folgen verbunden, beispielsweise wenn es darum geht, wie lange ein Mietwagen angemietet werden darf.

Prozessual taucht das Problem immer dann auf, wenn der Geschädigte bzw. sein Anwalt (vermeintlich) zu früh klagt und der Versicherer daraufhin ein sofortiges Anerkenntnis abgibt und zahlt. Dann stellt sich die Frage, wer die Kosten des Klageverfahrens zu tragen hat. Denn wenn die KLage ohne Anlass eingereicht ist, weil der Versicherer nicht in Verzug war, muss der Geschädigte damit rechnen, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, auch wenn er in der Sache Recht hat und der Versicherer den Schaden vollumfänglich zahlt.

Ein solches Verfahren hat das OLG des Saarlandes nun zum Anlass genommen, noch einmal zu verdeutlichen, welche Anforderungen an den Verzug des Versicherers zu stellen sind und was der Geschädigte mindestens beizubringen hat, bevor der Versicherer überhaupt in die Prüffrist gerät:

Die Prüffrist beginnt mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens. Ihre Dauer ist vom Einzelfall abhängig, wobei die wohl überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen als angemessen ansieht.
Auch wenn ein Versicherer die Prüfung eines Schadens, für den er einzustehen hat, tunlichst beschleunigen muss, gibt es für die Länge der Prüfungsfrist keine festen oder starren Regeln.
Bei komplexem Unfallhergang, bei Auslandsberührung oder auch bei mehreren dazwischenliegenden Feiertagen kann sich der Zeitraum unter Umständen verlängern.
Gleiches gilt, wenn der Versicherer konkrete Unterlagen angefordert und deren Eingang abgewartet hatte, ohne dass der Geschädigte bzw. sein Rechtsanwalt dem widersprochen hatte.
Keine Verlängerung rechtfertigt hingegen z. B. grundsätzlich die beabsichtigte Einsicht in die Ermittlungsakte. Selbst dann kann es aber nach Treu und Glauben geboten sein, dass der Geschädigte, wenn er einerseits an der Ermöglichung der Einsicht mitwirkt und dem Verlangen des Haftpflichtversicherers nicht widerspricht, die Prüfungsfrist so zu verlängern, dass der Versicherer in angemessen kurzer Frist die ihm zugeleiteten Unterlagen zur Kenntnis nehmen und dann (umgehend) regulieren kann.

Die Anforderungen an ein die Prüffrist auslösendes spezifiziertes Anspruchsschreiben sind stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Der gegnerische Haftpflichtversicherer benötigt zur sachgerechten Prüfung seiner Eintrittspflicht und des Haftungsgrundes, insbesondere der Haftungsquote, zumindest kurze Angaben zum Unfallhergang. (OLG des Saarlandes, Beschl. v. 10.11.2017 – 4 W 16/17)

Fazit: Nach einem Unfall lieber gleich zum Fachanwalt für Verkehrsrecht!

AG München: Keine 280-Euro-Gutachten für die HUK-Coburg Versicherung

Die HUK-Coburg Versicherung ist in jüngster Zeit dazu übergegangen, Geschädigte nach einem Verkehrsunfall anzuschreiben und diesen anzubieten, ein Haftpflichtgutachten für 280,00 € erstellen zu lassen. Ferner wird ein Sachverständigenverbund genannt, dessen Mitglieder bereit sein sollen, für den genannten Betrag ein Haftpflichtgutachten zu erstellen.

Gleichzeitig wird mitgeteilt, dass die Nichtannahme dieses freundlichen Angebotes einen Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht darstelle. Jedenfalls dann, wenn der Geschädigte für ein eigenes Haftpflichtgutachten mehr als 280,00 € aufwenden sollte, seien diese nicht zu erstatten.

Das Amtsgericht München hat dieser merkwürdigen Rechtsauffassung der HUK-Coburg Versicherung die zu erwartende, glasklare Absage erteilt:

Vielmehr stand es der Klägerin frei, einen eigenen Sachverständigen zu beauftragen. Dabei war sie auch nicht auf die Sachverständigen aus dem von der Beklagtenseite genannten Sachverständigenbund … beschränkt. Vielmehr ist der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens.
Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung grundsätzlich frei (vgl. BGH, Urt. V. 29.04.2003, Az. VI ZR 393/02). Er darf zur Schadensbehebung grundsätzlich den Weg wählen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint (vgl. BGH, Urt. V. 18.01.2005, Az. VI ZR 73/04).

Daraus ergibt sich zwanglos, dass die Geschädigte das Recht zur freien Wahl eines Sachverständigen ihres Vertrauens hat und sich nicht auf von der Beklagtenseite vorgeschlagene Sachverständige – auch nicht aus einem Sachverständigenverbund – verweisen lassen muss. Dies gilt gerade bei der Auswahl eines Sachverständigen umso mehr, als das Sachverständigengutachten den Geschädigten erst in die Lage versetzt, seinen Schaden der Höhe und dem Umfang nach sinnvoll geltend zu machen.

Der gesamte Anspruch auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall steht und fällt für den Geschädigten mit dem erholten Schadensgutachten und dessen Vertrauenswürdigkeit.

Dieses grundlegende Recht des Geschädigten würde weitgehend entwertet, wenn er sich auf von seinem Schädiger benannte Sachverständige, zur Feststellung seines Schadens verweisen lassen müsste. (AG München Urt. v. 18.8.2017 – 322 C 12124/17)

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Leistungsfreiheit des Vollkaskoversicherers wegen verspäteter Schadenmeldung

Das Oberlandesgericht Hamm hat ausgeurteilt, dass ein Versicherungsnehmer, der vorsätzlich gegen die Obliegenheit, einen Schaden binnen Wochenfrist beim Vollkaskoversicherer zu melden, verstößt, seinen Anspruch auf Leistung aus der Vollkaskoversicherung verliert (OLG Hamm, Beschl. v. 21.6.2017 – 20 U 42/17).

Der Kläger hatte als (vermeintlich) Geschädigter eines Verkehrsunfalls den Unfall erst etwa 6 Monate nach dem Unfallzeitpunkt bei seinem Vollkaskoversicherer gemeldet. § 28 II S. 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) stellt den Versicherer im Falle einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung leistungsfrei. In den Bedingungen der Vollkaskoversicherer (AKB) ist geregelt, dass ein Vollkaskoschaden binnen Wochenfrist nach Schadenseintritt zu melden ist.

Leistungsfreiheit tritt aber nur ein, wenn der Versicherungsnehmer diese Frist vorsätzlich verletzt. Zu den Anforderungen an ein vorsätzliches Verhalten führt das OLG Hamm aus:

„Eine vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer die Verhaltensnorm, aus der die Obliegenheit folgt, positiv kennt. Insoweit genügt bedingter Vorsatz, der nach allgemeinen Regeln vorliegt, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheitsverletzung für möglich hält und sie billigend in Kauf nimmt, also nicht ernsthaft darauf vertraut, dass der Erfolg ausbleiben werde.“ (OLG Hamm a. a. O.)

Dabei hat der Versicherer zu beweisen, dass auf Seiten des Versicherungsnehmers Vorsatz vorliegt. Dem Kläger fiel im konkreten Fall zur Last, dass er nicht abgestritten hat, Kenntnis von der Pflicht zur Schadenmeldung gehabt zu haben. Er hat lediglich bestritten, Kenntnis von der Wochenfrist gehabt zu haben. Das hat das OLG Hamm wie folgt gewürdigt:

Der Kläger stellt aber nicht in Abrede, dass er seine Obliegenheit zur Schadenmeldung als solche kannte.

Damit war ihm auch bewusst, dass er den Schaden zumindest zeitnah, insbesondere vor der Reparatur des Fahrzeugs zu melden hatte. Denn ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wie der Kläger erkennt, dass die Obliegenheit zur Schadenmeldung dem Versicherer eine möglichst unmittelbare Überprüfung seiner Leistungspflicht ermöglichen soll, die nach längerem Zeitablauf und insbesondere bei einer Beseitigung der geltend gemachten Unfallschäden zumindest in Frage gestellt sein kann. Die Obliegenheit zur Wahrung der Wochenfrist enthält so als minus die Verpflichtung zur zeitnahen Schadenanzeige, die allgemein bekannt ist.

Im konkreten Fall war zudem das Fahrzeug im Zeitpunkt der Schadenmeldung bereits seit Monaten repariert, so dass letztlich auch das Recht des Vollkaskoversicherers zur Fahrzeugbegutachtung vereitelt wurde.

Für die Praxis ist dieses Urteil zu Lasten der Versicherungsnehmer zum einen nicht überraschend zum anderen aber auch nicht so beschwerend, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Längst nicht jeder Versicherungsnehmer, der den Schaden nicht binnen Wochenfrist meldet, verliert seinen Anspruch. Liegt eine verspätete Schadenmeldung vor, so muss der Versicherer zunächst den Vorsatz, also die Kenntnis von der Anzeigepflicht, beweisen. Sodann bleibt dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit offen, darzulegen und zu beweisen, dass die verspätete Schadenmeldung keine Auswirkungen auf das Regulierungsverhalten hat, was beispielsweise bei ordnungsgemäßer Dokumentation des Schadens durch ein Haftpflichtgutachten, das unmittelbar nach dem Schaden eingeholt wurde, gelingen kann.

Es empfiehlt sich dringend, bei jeder Unfallregulierung, insbesondere aber, wenn eine Mithaftung des Versicherungsnehmers in Betracht kommt, den eigenen Vollkaskoversicherer zu informieren und ihm anheimzustellen, das Fahrzeug zu begutachten. Die Geltendmachung von Vollkaskoansprüchen kann man sich dabei vorbehalten, für den Fall, dass die Regulierung mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer scheitert.

BGH zu Auffahrunfall und Spurwechsel

Der Bundesgerichtshof hatte über einen Sachverhalt zu entscheiden, der sehr häufig, gerade auf Bundesautobahnen, vorkommt. Es kommt zu einem Auffahrunfall auf der Überholspur. Der Auffahrende behauptet, der Vordermann habe vor ihm abgebremst und sei unvermittelt auf seine Spur hinübergezogen. Der Vorausfahrende behauptet, es habe keinen Spurwechsel gegeben.

Fraglich und sehr umstritten ist nun, wer in dieser Konstellation was zu beweisen hat. Klar ist, dass der Auffahrvorgang für sich betrachtet, einen Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden begründet, so auch noch einmal ausdrücklich der BGH im ersten Leitsatz des Urteils:

a) Bei Auffahrunfällen kann, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste Anschein dafür sprechen, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat ( § 4 Abs. 1 StVO ), unaufmerksam war ( § 1 StVO ) oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist ( § 3 Abs. 1 StVO ) (Fortführung Senatsurteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10 , BGHZ 192, 84 Rn. 7 ).

(BGH Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16)

Allerdings ist dieser Anscheinsbeweis nicht in Stein gemeißelt, sondern widerlegbar (Leitsatz 2):

b) Der Auffahrunfall reicht als solcher als Grundlage eines Anscheinsbeweises aber dann nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die – wie etwa ein vor dem Auffahren vorgenommener Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs – als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen (Fortführung Senatsurteil vom 13. Dezember 2011, aaO).

(BGH Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16)

Ein solcher Umstand, und das ist allgemein anerkannt, stellt ein in engem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang durchgeführter Spurwechsel des Vorausfahrenden dar. Zurück zum Ausgangsfall: Der Hintermann behauptete ja gerade einen solchen Spurwechsel des Vordermannes. Dieser wiederum bestritt, dass es überhaupt einen Spurwechsel gab. Muss nun also der Hintermann den Spurwechsel des Vordermannes beweisen oder muss der Vordermann beweisen, dass er die Spur nicht gewechselt hat. Hierzu führt der BGH in Leitsatz 3 aus:

c) Bestreitet der Vorausfahrende den vom Auffahrenden behaupteten Spurwechsel und kann der Auffahrende den Spurwechsel des Vorausfahrenden nicht beweisen, so bleibt – in Abwesenheit weiterer festgestellter Umstände des Gesamtgeschehens – allein der Auffahrunfall, der typischerweise auf einem Verschulden des Auffahrenden beruht. Es ist nicht Aufgabe des sich auf den Anscheinsbeweis stützenden Vorausfahrenden zu beweisen, dass ein Spurwechsel nicht stattgefunden hat.

(BGH Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16)

Im Ergebnis haftete der Auffahrende daher vollumfänglich.

Anmerkung: In dem Fall, den der BGH entschieden hat, stand fest, dass auch tatsächlich ein Auffahrunfall vorlag. Mithin war bewiesen, dass das hinten fahrende Fahrzeug von hinten auf das vorausfahrende Fahrzeug aufgefahren war. Bei Auffahrunfällen und behaupteten Spurwechseln ist nach wie vor eine Einzelfallbetrachtung angezeigt. Steht beispielsweise nicht fest, dass es sich um einen Auffahrvorgang gehandelt hat, weil etwa der Schaden am Fahrzeug des Auffahrenden seitlich entstanden ist, kommen auch andere Prozessergebnisse in Betracht.

OLG Hamm zum Schuldanerkenntnis am Unfallort

Nicht selten kommt es vor, dass mir Mandanten bei der Erstbesprechung mitteilen: „Die Sache ist ganz klar. Der andere hat nach dem Unfall alles zugegeben. Er hat selbst gesagt, er sei Schuld.“.

In solchen und ähnlichen Erklärungen sehen viele Unfallbeteiligte ein Schuldanerkenntnis, das jegliche Haftungsfrage im Keim erstickt.

Und das ist grob falsch!

Zum einen, und das kann nicht oft genug hervorgehoben werden, bindet ein – wie auch immer geartetes – „Anerkenntis am Unfallort“ den Kfz-Haftpflichtversicherer nicht. Übrigens darf ein solches Anerkenntnis versicherungsrechtlich schon nicht abgegeben werden.

Zum anderen bedarf es, um wenigstens den Unfallgegner in dem Sinne zu binden, dass die Haftung ihm gegenüber damit festehen könnte, eines sogenannten deklaratorischen Schuldanerkenntnisses. Der Unfallgegner muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er für die konkrete eingetretenen Rechtsfolgen einstehen will und zwar gerade unabhängig von der Frage des Verschuldens.

Das ist unmittelbar bei einem Unfall praktisch nie der Fall, da es den Beteiligten meistens darum geht, den Unfallhergang zu fixieren.

Im vom Oberlandesgericht Hamm entschiedenen Fall wurde folgende Erklärung von den Beteiligten, die es offenkundig besonders genau machen wollten, nach dem Unfall niedergeschrieben, mit einer Skizze versehen und unterschrieben:

„KFZ A befand sich mit eingeschaltetem Fahrtrichtungsanzeiger im Abbiegevorgang. KFZ B beginnt ein Überholmanöver und trifft KFZ A in der Fahrertür. KFZ B trifft das Verkehrsschild und kommt nach mehreren Metern zum Stehen. Fahrzeugführer von KFZ B gesteht ein in KFZ A hinein gefahren zu sein und den Unfall verursacht zu haben.“

In Bezug auf das vermeintliche Anerkenntnis im letzten Satz führt das OLG Hamm aus:

„Dem letzten Satz der Erklärung kann schließlich auch nicht etwa ein mit Rechtsbindungswillen abgegebenes deklaratorisches Schuldanerkenntnis des Beklagten zu 1) entnommen werden. Die Annahme eines solchen Anerkenntnisses liegt bei einer vor Ort abgegebenen Erklärung, welche sich nicht auf konkrete Rechtsfolgen, sondern auf den tatsächlichen Hergang bezieht, von vornherein fern …“

(OLG Hamm Urt. v. 15.1.2016 – 9 U 30/15)

Bleibt die Frage: Was ist ein solches „Anerkenntis am Unfallort“ dann überhaupt Wert?

Nun, es kann vom Gericht zumindest als starkes Indiz für den tatsächlichen Hergang des Unfalls gewertet werden. Das aber auch nur, wenn es beweisbar abgegeben wurde. Die Beweisführung bereitet aber naturgemäß Probleme, wenn beispielsweise keine schriftliche Fixierung – wie im Fall des OLG Hamm – erfolgt ist oder die Erklärung nicht vor Zeugen (z.B. der Polizei) abgegeben wurde.

Zudem herrscht bei den Beteiligten oft gänzliche Unklarheit darüber, welche Rechtsfolge ein bestimmter Unfallhergang zeitigt.

Wer also meint, er bekomme auf keinen Fall Probleme bei der Unfallregulierung, weil der Unfallgegner ihm gegenüber irgendwelche Erklärungen abgegeben hat, der irrt. Wie man sich nach einem Unfall verhalten sollte, habe ich in einem Infoblatt zusammengefasst. Auch ein Unfallfragebogen für das Handschuhfach ist beigefügt. Zum Downloaden und Ausdrucken:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/wp-content/uploads/2013/10/VerhaltenAmUnfallortMitEUBogen1.pdf

 

Halbe Vorfahrt bei rechts vor links – Haftungsverteilung beim Verkehrsunfall

Ein wenig bekanntes Rechtsinstitut ist die sogenannte „halbe Vorfahrt“.

Die Situation ist Folgende:

An einer Kreuzung, an der keine Vorfahrtsregelung durch Verkehrsschilder angeordnet ist, gilt grundsätzlich rechts vor links. Das sollte jedem Autofahrer klar sein. Der von rechts kommende Fahrer hat also Vorfahrt. Kommt es nun zum Unfall, sollte man meinen, der von links kommende Fahrer hafte vollumfänglich, da er die Vorfahrt des von rechts kommenden Fahrzeugs eben missachtet hat.

Allerdings verhält es sich häufig so, dass gerade innerorts, wo diese Unfälle in der Regel stattfinden, im Bereich von solchen Kreuzungen Sichthindernisse durch die Bebauung bestehen. Kann der von rechts kommende Fahrer nicht von weitem in die aus seiner Sicht von rechts kommende und daher bevorrechtigte Straße einsehen, muss er sich langsam an den Kreuzungsbereich herantasten. Er muss ja gegebenenfalls selbst einem von rechts kommenden Fahrzeug die Vorfahrt gewähren.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass hiervon auch das aus der untergeordneten, also von links kommende Fahrzeug geschützt ist.

Rechtsfolge ist die Bildung einer Haftungsquote. In der Regel ist eine 25 % – ige Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten angemessen.

Haftungsverteilung beim Verkehrsunfall: Linksabbieger und Überholer

Anlässlich des Eintreffens der aktuellen Auflage des Werkes „Schadensverteilung bei Verkehrsunfällen – Rechtsprechungssammlung mit Skizzen und Haftungsgrundlagen“ (Paul Kuhn, 9. Auflage 2016) habe ich mich entschlossen, eine neue Beitragsreihe zu diesem  Thema zu gründen.

Die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall ist für den Laien meines Erachtens ein Buch mit sieben Siegeln. Zudem werden grundsätzliche Begriffe, allen voran der Begriff des Anscheinsbeweises, häufig fehlinterpretiert („Wer auffährt, ist immer schuld.“).

Die Haftungsverteilung ist bei jedem einzelnen Verkehrsunfall anhand des konkreten Geschehensablaufs zu beurteilen. Die in der Reihe „Haftungsverteilung“ dargestellten Fälle sind beispielhafte Einzelfälle. Zur besseren Veranschaulichung und völligen Verwirrung des Lesers werde ich gelegentlich, so auch nachfolgend, widerstreitende Urteile zitierten. Dies soll das Verständnis dafür fördern, wie wichtig eine einzelfallbezogene Betrachtung ist.

Direkt zur ersten Fallkonstellation:

Abbiegen – Kollision mit Linksüberholer

Ein Fahrer der beim Linksabbiegen in ein Grundstück ein ihn gerade auf der linken Spur überholendes Fahrzeug übersieht, haftet zu 50 %. Dem Abbieger ist eine Mithaftung vorzuwerfen, weil er gegen die Verpflichtung zur zweiten Rückschau verstoßen und den Überholer übersehen hat. Der Überholer haftet ebenfalls zu 50 % wegen Überholens bei unklarer Verkehrslage. (OLG Karlsruhe r+s 1988, 71)

Demgegenüber nimmt das OLG Saarbrücken eine Alleinhaftung des Abbiegenden an, der sich nicht rechtzeitig in die Abbiegespur eingeordnet hat.

In einer weiteren Entscheidung kommt das OLG Saarbrücken zu einer Haftungsverteilung von 75 : 25 zu Lasten des Abbiegenden. In diesem Fall hatte der Abbiegende zwar weder seine Bereitschaft zum Abbiegen – etwa durch Einordnen in die Fahrbahnmitte oder durch Setzen des linken Blinkers – angezeigt, allerdings hatte er seine Geschwindigkeit erheblich verlangsamt und ein Stück weit nach rechts ausgeschert. Das OLG Saarbrücken wirft dem Überholer in dieser Konstellation vor, dass er sich auf das Verhalten des Vordermanns hätte einstellen müssen und nicht überholen dürfen. Daher hält es eine Mithaftung des Überholenden wegen unklarer Verkehrslage begründet.

OLG Nürnberg: Der Abbieger haftet zu 100 %, da für den Überholer keine unklare Verkehrslage bestand. Grund: Der Abbieger konnte nicht nachweisen, dass er geblinkt hatte.

OLG Celle: Der Abbiegende darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Vorausfahrende, der sich auf einer Geradeausspur befindet, auch geradeaus fährt und nicht abbiegt. Haftung des Abbiegenden: 100 %.

OLG München: Fahrplan zum Ersatz der Sachverständigenkosten

Das OLG München hat in einem Rechtsstreit um die Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten einen Hinweisbeschluss für die Parteien erlassen, der sich wie ein Leitfaden für die Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten liest.

Beauftragt der Geschädigte eines Verkehrsunfalls einen Gutachter mit der Ermittlung des Fahrzeugschadens, so kommt es häufig zu Streit mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer um die Erstattungspflicht der Kosten dieses Gutachtens. Immer häufiger wenden die Versicherer ein, die Sachverständigenkosten seien überhöht und daher nur teilweise zu ersetzen.

Die bisher ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs haben leider nicht die erhoffte Klarheit in dieser umstrittene Thematik gebracht. Das OLG München macht nun einen Schritt nach vorne und konkretisiert unter welchen Voraussetzungen Sachverständigenkosten noch angemessen und vom  Haftpflichtversicherer zu ersetzen sind.

Zunächst stellt das OLG München klar, dass seines Erachtens die Bagatellgrenze bei einem Fahrzeugschaden von 750,00 € liegt. Liegt der Fahrzeugschaden darunter, soll die Beauftragung eines Sachverständigen nicht erforderlich sein. Hierzu ist nach meinem Dafürhalten anzumerken, dass es der ständigen Rechtsprechung entspricht, dass die fehlende Höhe des Schadens (bzw. das Unterschreiten der Bagatellgrenze) für den Geschädigten, auch wenn er Laie ist, erkennbar sein muss. Die Bagatellgrenze dürfte daher in den allerwenigsten Fällen unterschritten werden.

Das OLG München stellt weiterhin fest, dass unübliche Sachverständigengebühren nicht zu ersetzen sind, der Geschädigte aber Probleme bei der Beurteilung der üblichen Sachverständigenhonorare hat. Es erlegt dem Sachverständigen, dessen Gebührenhöhe über dem üblichen Satz liegt, auf, spätestens in der Kostenrechnung auf diesen Umstand hinzuweisen. Erfolgt eine solche Aufklärung, kann sich der Geschädigte gegenüber dem Haftpflichtversicherer nicht mehr darauf berufen, er habe nicht erkennen können, dass unübliche Sätze verlangt werden. Unterbleibt die Aufklärung, kann der Geschädigte vom Haftpflichtversicherer die Erstattung der vollen  Sachverständigengebühren verlangen, muss aber im Gegenzug seinen Rückforderungsanspruch gegen den Sachverständigen an den Haftpflichtversicherer abtreten. Das ist für den juristischen Laien ganz sicher unverständlich, heißt aber einfach ausgedrückt: Der Versicherer muss zwar an den Geschädigten voll zahlen, kann dann aber wegen der Differenz gegen den Sachverständigen vorgehen. Damit verlagert das OLG den Rechtsstreit dorthin, wi er hingehört, nämlich zwischen den Haftpflichtversicherer und den Sachverständigen. Das macht auch Sinn. denn hat der Sachverständige den Geschädigten über eventuell überhöhte Kosten, die der Haftpflichtversicherer nicht tragen muss, nicht informiert, soll es auch nicht am Geschädigten hängenbleiben, wenn der Versicherer (wenn auch im Einzefall zu Recht) kürzt.

Es folgen sodann sehr lesenswerte Ausführungen des OLG München zur korrekten Aufstellung einer Kostenrechnung für Sachverständige. Das OLG hält die BVSK-Tabelle (Tabelle des Bundesverbands der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V.) für eine geeignete Grundlage zur Bestimmung der üblichen Vergütung.

Auch zu den Nebenkosten äußert es sich im Einzelnen und sehr detailliert.

Den Hinweisbeschluss finden Sachverständige im Volltext zur weiteren Verwendung hier:

OLG München – Hinweisbeschluss 10 U 579/15

OLG Karlsruhe – Kein Verweis auf 22 km entfernte Werkstatt

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit Beschluss vom 28.7.2015 – 1 U 135/14 – klargestellt, dass der gegnerische Haftpflichtversicherer einen Geschädigten nicht auf die Stundenlöhne einer Werkstatt verweisen darf, die 22 km entfernt liegt.

Hintergrund ist der permanente Streit zwischen Haftpflichtversicherer und Geschädigten, welche Stundenverrechnungssätze, insbesondere bei einer Abrechnung auf Gutachtenbasis, einschlägig sind.

Näheres dazu in meinem Video:

KG Berlin: Kein Ersatz des Fahrzeugschadens bei unzureichenden Angaben zu einem Vorschaden

Das Kammergericht hat entschieden, dass der Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugschadens vollständig entfällt, wenn der Geschädigte einen Vorschaden nicht angibt oder hierzu unzureichende Angaben macht.

Damit ließ das Kammergericht (KG) einen Geschädigten vollständig im Regen stehen, obwohl der Wiederbeschaffungswert von 8.500,00 € sogar unstreitig war.

In der Praxis der Unfallregulierung sollte zunehmend darauf geachtet werden, dass eingereichte Privatgutachten des Geschädigten auch hinreichende und nachvollziehbare Aussagen über etwaig vorhandene Vorschäden sowie deren Auswirkungen auf den Wiederbeschaffungswert enthalten.

Nach dieser Rechtsprechung, die einer Überprüfung durch den Bundesgerichtshof allerdings kaum standhalten dürfte, kann es sonst passieren, dass der Geschädigte leer ausgeht.

Parken im verkehrsberuhigten Bereich – Wer haftet bei Unfall?

Das Landgericht Saarbrücken hatte in seinem Urteil vom 1.4.2015 – 13 S 165/14 – über einen Unfall im verkehrsberuhigten Bereich zu entscheiden. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger hatte seinen PKW im verkehrsberuhigten Bereich geparkt. Hier gilt das durch Zeichen 325.1 angeordnete Parkverbot:

325

„Wer ein Fahrzeug führt, darf außerhalb der dafür gekennzeichneten Flächen nicht parken, ausgenommen zum Ein- oder Aussteigen und zum Be- oder Entladen.“

Der mitverklagte Fahrer des Beklagtenfahrzeugs befuhr mit einem Sattelschlepper den verkehrsberuhigten Bereich und stieß beim Einscheren mit dem geparkten Fahrzeug des Klägers zusammen. Der Kläger machte 100 % seines Schadens beim Haftpflichtversicherer geltend. Der Haftpflichtversicherer zahlte aber nur einen Teil und berief sich auf ein Mitverschulden des Klägers, da dieser eben gegen das Parkverbot verstoßen habe. Er wies die Ansprüche des Klägersals teilweise unbegründet zurück.

Das Landgericht Saarbrücken gab dem Kläger Recht.

Es führt aus, dass das Parkverbot im verkehrsberuhigten Bereich dem Schutz spielender Kinder und Fußgänger diene. Durch die Anordnung eines verkehrsberuhigten Bereiches solle die gesamte Straße als Kommunikationsraum und Bewegungsraum für Fußgänger und spielende Kinder nutzbar und der Fahrzeugverkehr zurückgedrängt werden.

Dieses Parkverbot diene daher gerade nicht der Verhinderung einer Fahrbahnverengung durch parkende Fahrzeuge und damit nicht dem Schutz der vorbeifahrenden Fahrzeuge. Da der Schutzbereich der Vorschrift nicht berührt werde, trete auch keine Mithaftung des Klägers ein. Der Kläger erhielt seinen vollen Schaden ersetzt.

Das gilt natürlich nicht für alle Park- und Halteverbote.

Kammergericht Berlin: Sofortiger Restwertverkauf zulässig

Nachdem sich das Landgericht Saarbrücken bereits zum Thema „sofortiger Restwertverkauf“ geäußert hat, und einen solchen für zulässig hält:

LG Saarbrücken: Sofortiger Restwertverkauf zulässig

hat nun auch das KG entschieden, dass es kein Mitverschulden des Geschädigten begründet, wenn er das Fahrzeug zum von seinem Gutachter ermittelten Restwert verkauft, ohne zuvor das Restwertgutachten des Haftpflichtversicherers abzuwarten. (KG 6.8.2015 – 22 U 6/15)

Unfallregulierung: Auffahren auf Abbieger – Wer haftet?

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte über eine in der Praxis gar nicht so seltene Konstellation zu entscheiden. Der Vordermann will in ein Grundstück abbiegen, der Hintermann fährt aus Unachtsamkeit auf.

Wie allgemein bekannt sein dürfte, gilt gegen den Auffahrenden grundsätzlich der sogenannte Anscheinsbeweis. Das heißt, wer einem anderen auffährt, gilt zunächst als der Verursacher des Unfalls. Denn es wird vermutet, dass er entweder den erforderlichen Abstand nicht eingehalten hat oder unaufmerksam gefahren ist.

Nun gilt aber, was eher weniger geläufig ist, auch beim Ein- und Ausfahren in ein Grundstück der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Ein- und Ausfahrenden.

Man könnte auch sagen: Es treffen sich zwei Anscheinsbeweise.

Wer ist denn jetzt schuld?

Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urt. v. 23.6.2015, I-U 107/14) trifft den Auffahrenden das volle Verschulden. Gegen ihn soll weiterhin der Anscheinsbeweis gelten, der durch den Abbiegevorgang des Vordermannes nicht erschüttert wird. Anders sieht das allerdings das Landgericht Saarbrücken (Urt. v. 21.11.2014 – 13 S 138/14), das in einem ähnlich gelagerten Fall eine Haftungsquote (Mitverschulden beider Fahrer) angenommen hat.

Darauf hinzuweisen ist, dass jeder Einzelfall anders liegt und seine Besonderheiten aufweist, die einer gründlichen Auswertung bedürfen. Entsprechender Sachvortrag bereits in der Unfallmeldung, ist unerlässlich. Gleiches gilt natürlich für eine etwaige Klagebegründung oder Klageerwiderung.

LG Saarbrücken – Sofortiger Restwertverkauf zulässig!

Die Frage, ob ein Geschädigter sein Fahrzeug nach einem Totalschaden sofort zum Restwert gemäß Gutachten verkaufen kann oder dem gegnerischen Haftpflichtversicherer die Möglichkeit geben muss, einen alternativen Restwert zu ermitteln, ist in der Rechtsprechung höchst umstritten.

Zum besseren Verständnis:

Im Totalschadensfall erhält der Geschädigte vom Haftpflichtversicherer den sogenannten Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt. Dieser wird in der Regel von einem vom Geschädigten beauftragten Gutachter im Rahmen eines Haftpflichtgutachtens ermittelt.
Der Sachverständige ermittelt zwei Werte. Zum einen ermittelt er den Wiederbeschaffungswert. Hierbei handelt es sich um den Wert, den das Fahrzeug unmittelbar vor dem Unfallschaden hatte. Zum anderen ermittelt er den Restwert. Das ist der Wert, den das verunfallte Fahrzeug gegebenenfalls noch hat. Im Totalschadensfall kann der Unfallgeschädigte das beschädigte Fahrzeug noch verkaufen und so den Restwert erzielen.

Der Haftpflichtversicherer ersetzt dann den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes. Je höher also der Restwert ist, desto weniger Geld erhält der Geschädigte.

Aus diesem Grund ist der Restwert eine äußerst umstrittene Position. Der Sachverständige stellt zur Restwertermittlung das Fahrzeug in eine Restwertböse ein und versucht, es nach Möglichkeit an einen lokalen Aufkäufer zu vermitteln. Der Geschädigte bzw. sein Rechtsanwalt erhalten das Gutachten vorm Haftpflichtversicherer und leiten es an diesen weiter.
Das Gutachten enthält verbindliche Angebote, zu denen das Fahrzeug verkauft werden kann. Der Geschädigte muss sich nur mit dem Restwertaufkäufer in Verbindung setzen. Nach einiger Zeit hat dann der Haftpflichtversicherer seinerseits einen Restwert ermittelt und zwar – entgegen der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – meist auf bundesweiter Ebene und gerade nicht aus dem örtlichen Umfeld des Geschädigten stammend. In aller Regel sind diese Restwertgebote natürlich höher.

Der Haftpflichtversicherer bringt dann den von ihm ermittelten Restwert in Abzug und beruft sich auf die Schadenminderungspflicht des Geschädigten. Es stellt sich dann die Frage, ob der Abzug berechtigt ist.

In diesem Zusammenhang spielt es eine entscheidende Rolle, wozu der Geschädigte vor Veräußerung des Fahrzeugs verpflichtet ist. Muss er vor Verkauf des Fahrzeugs das Gutachten überhaupt an den Haftpflichtversicherer gesandt haben? Muss er diesem einen Prüfungszeitraum einräumen und ihm ermöglichen, eigene Angebote einzuholen?

„NEIN!“, sagt jetzt das Landgericht Saarbrücken und stellt fest:

„Der Geschädigte darf sein Fahrzeug jederzeit und unabhängig davon veräußern, ob er zuvor ein Schadensgutachten eingeholt und der Schädigerseite vorgelegt hat. Insbesondere trifft ihn keine Wartepflicht, um der Haftpflichtversicherung die Gelegenheit zum Nachweis einer günstigeren Verwertungsmöglichkeit zu geben. Hat er jedoch ein Schadensgutachten eingeholt, so darf er der Schädigerseite die Möglichkeit zum Nachweis einer günstigeren Verwertungsmöglichkeit grundsätzlich nicht dadurch unmöglich machen, dass er die Weiterleitung des Gutachtens unangemessen verzögert (LG Saarbrücken Urt. v. 3.7.15, 13 S 26/15).“

Das Landgericht hat die Revision zugelassen. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Bundesgerichtshof dieser geschädigtenfreundlichen Rechtsprechung anschließen wird.

Zahlt die Haftpflicht trotz nachgewiesener Unfallflucht?

Eigentlich nicht. Anders aber im Fall des AG Dortmund, Urt. v. 30.1.2015, 436 C 5546/13.

Die Ausgangssituation ist die übliche. Der Versicherungsnehmer verursacht einen Verkehrsunfall, in diesem Fall auf einem Parkplatz, und entfernt sich unerlaubt vom Unfallort.

Im vorliegenden Fall wird die Polizei hinzugerufen und vernimmt den Versicherungsnehmer unmittelbar nach der Tat. Sie stellt insbesondere die Verkehrstüchtigkeit fest und erstellt eine sorgfältig dokumentierte Unfallaufnahme.

Der Versicherer reguliert die Ansprüche des Geschädigten und nimmt sodann seinen Versicherungsnehmer wegen der Unfallflucht in Regress.

Der Versicherungsnehmer beruft sich auf § 28 III des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG).Dieser regelt:

„Abweichend von Absatz 2 ist der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Satz 1 gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat.“

Diese Voraussetzungen konnte der Versicherungsnehmer, dem der sogenannte Kausalitätsgegenbeweis obliegt, nach Ansicht des Amtsgerichts führen.
Das Amtsgericht führt aus, dem Versicherungsnehmer (Beklagten) sei keine arglistige Begehung vorzuwerfen. Des Weiteren sei auch nicht ersichtlich, welche andere Unfallregulierung dem Grunde und der Höhe nach erfolgt wäre, wenn der Beklagte keine Unfallflucht begangen hätte.

Der Beklagte konnte daher nicht in Regress genommen werden.

OLG Frankfurt: Schadensabwicklung ohne Rechtsanwalt ist fahrlässig!

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 2.12.2014 – 22 U 171/13 – festgestellt:

„Auch bei einfachen Verkehrsunfallsachen ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts von vornherein als erforderlich anzusehen. Gerade die immer unüberschaubarere Entwicklung der Schadenspositionen und der Rechtsprechung zu den Mietwagenkosten, Stundenverrechnungssätzen u.ä. lässt es geradezu als fahrlässig erscheinen, einen Schaden ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts abzuwickeln.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Haftungsverteilung beim Parkplatzunfall

Es ist ein Massenproblem. Unfälle auf Parkplätzen beschäftigen die Gerichte jährlich in zigtausenden von Fällen mit unterschiedlichen Sachverhalten.
Das Oberlandesgericht Saarbrücken hatte eine Fallkonstellation zu entscheiden, die sehr häufig vorkommt:

Ein Unfallbeteiligter fährt auf der Mittelgasse, ein anderer Unfallbeteiligter parkt rückwärts in Richtung Mittelgasse aus. Es kommt zur Kollission.
Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass es bei einer 100 % – igen Haftung des rückwärts Ausparkenden bleibt, wenn dem auf der Mittelgasse fahrenden Fahrer kein Verschulden (unangepasste Geschwindigkeit) nachzuweisen ist.
Parkplatzunfälle sind, obgleich sie ein Massenphänomen darstellen, immer Einzelfälle, die der genauen Herausarbeitung des Sachverhalts bedürfen.

OLG Koblenz: Zum Anscheinsbeweis bei einem Auffahrunfall

Die landläufige Ansicht: „Wer auffährt, ist immer Schuld.“, trifft nicht zu. Richtig ist, dass bei einem Auffahrunfall ein sogenannter Anscheinsbeweis dafür gilt, dass der Auffahrende den Unfall verursacht und verschuldet hat. Denn es wird vermutet, dass er entweder zu spät reagiert oder den erforderlichen Abstand nicht eingehalten hat.
Diese Vermutung trifft aber nicht auf alle Fallgestaltungen ohne Weiteres zu sondern eben nur auf den typischen Geschehensablauf eines Auffahrunfalls, bei welchem der Vordermann normale eine Bremsung einleitet oder bereits steht und der Hintermann auffährt.
Bei einer anlasslosen Vollbremsung des Vordermannes kommt beispielsweise eine Mithaftung in Betracht.

Ebenso bei weiteren atypischen Geschehensabläufen. Wichtig ist, dass es dem Auffahrenden nicht obliegt, den vollen Gegenbeweis für einen atypischen Geschehensablauf zu erbringen. Es genügt, wenn ein solcher nachvollziehbar dargelegt wird, so dass das Gericht sich letztlich nicht festlegen kann, welcher Geschensablauf zutreffend war.
Dem OLG Koblenz lag ein solcher Fall vor. Die Klägerin des dortigen Verfahrens war dem Beklagten auf der Autobahn aufgefahren. Sie behauptete, der Auffahrunfall sei infolge eines Spurwechsels des Beklagten geschehen. Letztlich konnte sich das in erster Instanz angerufene Landgericht nach Vernehmung der Unfallzeugen nicht davon überzeugen, ob der Spurwechsel unfallursächlich war oder nicht. Es konnte nicht mehr festgestellt werden, ob der Spurwechsel in zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfall erfolgt war oder nicht.
Sind beide Varianten möglich und bleibt der Unfallhergang insoweit unaufgeklärt, greift der Anscheinsbeweis nicht. Es kommt, wie das OLG Koblenz ausführt, zu einer Haftungsverteilung. Beide Fahrer bzw. Halter haften. Bei dieser Haftungsverteilung dürfen allerdings nur solche Umstände zu Gunsten oder zu Lasten einer Partei berücksichtigt werden, die sich erwiesenermaßen unfallursächlich ausgewirkt haben.
Da der Unfallhergang letztlich ungeklärt blieb, kam es folgerichtig zu einer hälftigen Haftungsverteilung.

Blink, blink?! OLG Dresden zur Haftungsverteilung bei „falschem Blinken“.

Das Oberlandesgericht Dresden hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Ein Autofahrer befuhr eine Vorfahrtsstraße, blinkte rechts, fuhr dann aber mit unveränderter Geschwindigkeit geradeaus weiter.

Die Unfallgegnerin, die aus der untergeordneten Straße von rechts kommend nach links in die Hauptstraße einbiegen wollte, wartete zunächst ordnungsgemäß.

Als sie sah, dass das aus ihrer Sicht von links kommende, bevorrechtigte Fahrzeug rechts blinkte, fuhr sie in die Hauptstraße ein. Es kam zur Kollission.

Das OLG Dresden hat eine Haftungsquote von 70:30 zu Gunsten des Blinkenden ausgesprochen und ausgeführt, dass allein das Setzen eines Blinkers noch keinen Vertrauenstatbestand in ein tatsächliches Abbiegen setzt. Es müssten weitere Anzeichen, etwa eine deutliche Verlangsamung des Fahrzeugs oder eine Orientierung im Sinne eines Abbiegevorgangs gegeben sein.

Sei dies nicht der Fall, überwiege grundsätzlich die Haftung des Wartepflichtigen.

Oben ohne! Bundesgerichtshof: Keine Helmpflicht für Fahrradfahrer

Der Bundesgerichtshof hat es mit Urteil vom 17. Juni 2014, VI ZR 281/13, bestätigt: Das Unterlassen des Helmtragens führt bei einem Freizeitfahrer nicht zu einer Mithaftung beim Verkehrsunfall.

Zu beachten ist allerdings, dass der Bundesgerichtshof über einen Unfall, der sich im Jahr 2011 ereignet hat, entschieden hat. Nach dem Bundesgerichtshof bestand im Jahr 2011 kein allgemeines Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer, beim Fahrradfahren einen Helm zu tragen.

Fraglich ist daher, ob das Urteil von den Instanzgerichten auch auf Fälle, die sich nach dem Jahr 2011 ereignet haben, angewendet werden wird. Inzwischen dürfte das Helmtragen eine breite Akzeptanz und somit Eingang in das Verkehrsbewusstsein der Fahrradfahrer gefunden haben.

Ähnlich hatte bereits das OLG Celle entschieden: https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/ohne-olg-celle-meint-keine-helmpflicht-fuer-fahrradfahrer/

 

Oben ohne?! OLG Celle: „Keine Helmpflicht für Fahrradfahrer“!

Die grundsätzliche Frage ist ganz einfach: Muss sich der Geschädigte allein deshalb ein Mitverschulden zurechnen lassen, weil er als Fahrradfahrer bei einem Verkehrsunfall keinen Helm getragen hat?

Entgegen der Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig (DAR 13, 470) hat sich das Oberlandesgericht Celle (VA 14, 59) dafür ausgesprochen, dass einen Fahrradfahrer kein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms bei einem Verkehrsunfall trifft.

Ausnahmefälle kommen nach der Ansicht des OLG Celle nur in Betracht, wenn der Fahrradfahrer sich bewusst besonderen Risiken oder Gefahren aussetzt.

Das entspricht der wohl herrschenden Meinung. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig steht noch aus.

Werkstattrisiko geht zu Lasten des Haftpflichtversicherers

Two cars crashedDas Landgericht Hamburg hat mit Urteil vom 4.6.2013 – 302 O 92/11 – noch einmal die ständige Rechtsprechung bestätigt, wonach das sogenannte Werkstattrisiko grundsätzlich zu Lasten des Schädigers bzw. des hinter ihm stehenden Haftpflichtversicherers geht.

Die Geschädigte hatte restliche Nutzungsausfallentschädigung sowie den Ersatz weiterer Reparaturkosten eingeklagt. Die Geschädigte hatte zur Schadensermittlung ein Sachverständigengutachten (Haftpflichtgutachten) einholen lassen und sodann Reparaturauftrag erteilt. Die Reparaturdauer ging mit insgesamt 34 Tagen über die im Gutachten geschätzten 8 bis 10 Arbeitstage deutlich hinaus. Die endgültigen Reparaturkosten lagen bei 14.193,40 €, während im Gutachten nur 11.165,81 € angegeben waren.

Das Landgericht Hamburg hat der Geschädigten Recht gegeben. Gemäß der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung geht das Werkstattrisiko grundsätzlich zu Lasten des Schädigers.

Das Landgericht führt in Anlehnung an die obergerichtliche Rechtsprechung ausdrücklich aus:

„Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeitszeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind.“