Es passiert nicht gerade selten, dass mich Geschädigte eines Verkehrsunfalls anrufen, die bereits versucht haben, ihren Verkehrsunfall ohne anwaltliche Hilfe selbst zu regeln.
„Es passiert nichts!“, heißt es dann oft. Man habe sich telefonisch an den gegnerischen Haftpflichtversicherer gewendet und diesen informiert. Es sei einem gesagt worden, der Versicherer kümmere sich um alles. Nun passiere aber seit Wochen nichts, obwohl man dort mehrmals angerufen habe. „Die sind doch längst in Verzug.“, meint der künftige Mandant dann, wie selbstverständlich. Mitnichten!
Ganz so einfach ist das nämlich nicht. Abgesehen davon, dass Telefongespräche mit Versicherern meines Erachtens „Schall und Rauch“ sind, wenn es zu einem Zivilprozess kommt, gilt Folgendes:
Grundsätzlich ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Geschädigte der Herr der Unfallregulierung. Daraus folgt aber nicht nur, dass es sein gutes Recht ist, seinen Schaden selbst zu beziffern und hierzu beispielsweise einen Sachverständigen seiner Wahl zu beauftragen. Vielmehr ist es auch seine „Pflicht“, den gegnerischen Haftpflichtversicherer in die Lage zu versetzen, eine korrekte Regulierungsentscheidung zu treffen.
Der Unfallgeschädigte befindet sich also quasi in einer Bringschuld. Solange er nicht die Grundlage dafür schafft, dass der gegnerische Haftpflichtversicherer den Schadenfall beurteilen kann, gerät dieser auch nicht in Verzug.
Einheitlich vertritt die Rechtsprechung hierzu die Auffassung, dass der Geschädigte mindestens ein sogenanntes spezifiziertes Anspruchschreiben und die erforderlichen Belege zur Schadensbezifferung, in der Regel also das Haftpflichtgutachten oder den bebilderten Kostenvoranschlag, einzureichen hat. Erst wenn diese Mindestangaben gemacht sind, beginnt die dem Versicherer zuzubilligende Prüffrist von – je nach Einzelfall – etwa vier bis sechs Wochen überhaupt zu laufen.
Erst nach Ablauf dieser Prüffrist wiederum tritt Verzug ein.
Vorgerichtlich sind damit einige unter Umständen auch finanziell schwerwiegende Folgen verbunden, beispielsweise wenn es darum geht, wie lange ein Mietwagen angemietet werden darf.
Prozessual taucht das Problem immer dann auf, wenn der Geschädigte bzw. sein Anwalt (vermeintlich) zu früh klagt und der Versicherer daraufhin ein sofortiges Anerkenntnis abgibt und zahlt. Dann stellt sich die Frage, wer die Kosten des Klageverfahrens zu tragen hat. Denn wenn die KLage ohne Anlass eingereicht ist, weil der Versicherer nicht in Verzug war, muss der Geschädigte damit rechnen, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, auch wenn er in der Sache Recht hat und der Versicherer den Schaden vollumfänglich zahlt.
Ein solches Verfahren hat das OLG des Saarlandes nun zum Anlass genommen, noch einmal zu verdeutlichen, welche Anforderungen an den Verzug des Versicherers zu stellen sind und was der Geschädigte mindestens beizubringen hat, bevor der Versicherer überhaupt in die Prüffrist gerät:
Die Prüffrist beginnt mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens. Ihre Dauer ist vom Einzelfall abhängig, wobei die wohl überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen als angemessen ansieht.
Auch wenn ein Versicherer die Prüfung eines Schadens, für den er einzustehen hat, tunlichst beschleunigen muss, gibt es für die Länge der Prüfungsfrist keine festen oder starren Regeln.
Bei komplexem Unfallhergang, bei Auslandsberührung oder auch bei mehreren dazwischenliegenden Feiertagen kann sich der Zeitraum unter Umständen verlängern.
Gleiches gilt, wenn der Versicherer konkrete Unterlagen angefordert und deren Eingang abgewartet hatte, ohne dass der Geschädigte bzw. sein Rechtsanwalt dem widersprochen hatte.
Keine Verlängerung rechtfertigt hingegen z. B. grundsätzlich die beabsichtigte Einsicht in die Ermittlungsakte. Selbst dann kann es aber nach Treu und Glauben geboten sein, dass der Geschädigte, wenn er einerseits an der Ermöglichung der Einsicht mitwirkt und dem Verlangen des Haftpflichtversicherers nicht widerspricht, die Prüfungsfrist so zu verlängern, dass der Versicherer in angemessen kurzer Frist die ihm zugeleiteten Unterlagen zur Kenntnis nehmen und dann (umgehend) regulieren kann.
Die Anforderungen an ein die Prüffrist auslösendes spezifiziertes Anspruchsschreiben sind stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Der gegnerische Haftpflichtversicherer benötigt zur sachgerechten Prüfung seiner Eintrittspflicht und des Haftungsgrundes, insbesondere der Haftungsquote, zumindest kurze Angaben zum Unfallhergang. (OLG des Saarlandes, Beschl. v. 10.11.2017 – 4 W 16/17)
Fazit: Nach einem Unfall lieber gleich zum Fachanwalt für Verkehrsrecht!