Der Bundesgerichtshof hat in einem wegweisenden Beschluss von ganz erheblicher praktischer Bedeutung der bisher wohl herrschenden Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte (z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 8.4.2016 – I-9 U 79/15) eine deutliche Absage erteilt. Er hat die Anforderungen an die Darlegung eines Vorschadens durch den Geschädigten deutlich reduziert, indem er in weitem Umfang den Zeugenbeweis für zulässig erklärt hat. Damit hat er sich in einer für die Geschädigten oft unverschuldeten und misslichen Lage auf deren Seite gestellt. Eine sehr begrüßenswerte Entscheidung.
Worum geht es? Die Vorschadensproblematik beim Verkehrsunfall!
Das Problem stellt sich vor allem bei älteren Fahrzeugen, die der Geschädigte als Gebrauchtfahrzeug erworben hat. Fahrzeuge aus zweiter, dritter Hand etc..
Definitionen
Altschaden = unreparierter vorangegangener Unfallschaden
Vorschaden = reparierter vorangegangener Unfallschaden
Beispiel:
A erwirbt einen 5 Jahre alten BMW X1 von privat. Beide verwenden einen Mustervertrag aus dem Internet für einen Privatverkauf gebrauchter PKW, der auch einen Gewährleistungsausschluss enthält. Der Verkäufer teilt A mündlich mit, er habe keinen Unfall mit dem PKW, den er selbst gebraucht gekauft habe, gehabt. A geht auch davon aus, dass das Fahrzeug keinen Unfall hatte, denn es ist kein Vor- oder Altschaden erkennbar. Das Fahrzeug sieht einwandfrei aus.
A erleidet mit dem PKW einen unverschuldeten Unfall. Der Kfz-Haftpflichtversicher (H) des Schädigers ist dem Grunde nach eintrittspflichtig. Darüber besteht auch kein Streit.
A lässt sein Fahrzeug begutachten, reicht das Gutachten bei H ein und beziffert seine Schäden. Es ist nach den Ausführungen des Sachverständigen ein Totalschaden. Den Wiederbeschaffungswert – Wert unmittelbar vor dem Unfall – gibt der Sachverständige mit 20.000,00 Euro an.
H prüft das Gutachten und gibt das Fahrzeug in sein Hinweis- und Informationssystem (HIS) ein. Dort werden bestimmte Daten zu Unfällen gespeichert. Es ergibt sich, dass das Fahrzeug vor dem Verkauf an A einen Verkehrsunfall hatte. Mithin hat es einen Vorschaden. Wie der H mitteilt, handelt es sich um einen gravierenden Vorschaden.
H verweigert aus diesem Grund die Zahlung, bestreitet den Wiedebeschaffungswert und fordert den A auf, darzulegen, welche Vorschäden am Fahrzeug vorhanden waren und ob und wie diese repariert wurden.
Unstreitig und nach wie vor ständige Rechtsprechung ist und wird es bleiben, dass es Sache des Geschädigten ist, die Schadenshöhe nachzuweisen. Wenig zweifelhaft ist es weiterhin, dass ein solcher Vorschaden erheblichen Einfluss auf den Wert des Fahrzeugs vor dem Unfall (Wiederbeschaffungswert) haben kann.
Klar ist daher, dass A nun erstmal die A-Karte gezogen hat, denn er muss den Wiederbeschaffungswert schlüssig darlegen. Also muss er auch darlegen, ob und wie sich der Vorschaden, der in seinem Gutachten nicht erwähnt ist, ausgewirkt hat.
Fraglich ist, wie detailliert diese Darlegungen sein müssen und welche Anforderungen an die Beweisführung zu stellen sind.
Bisher waren die Oberlandesgerichte gegenüber den Geschädigten in solchen Fällen äußerst streng. Die Anforderungen an die Darlegungen zum Vorschaden, vor allem an die durchgeführten Reparaturarbeiten waren kaum einzuhalten.
Insbesondere ließen die Gerichte Zeugenbewiese, beispielsweise zum Zustand des Fahrzeugs vor dem Unfall, zu den durchgeführten Reparaturarbeiten etc. häufig nicht zu und schmetterten solche Zeugenbeweisanträge als unsubstantiiert oder als sog. unzulässige Beweisausforschungsanträge ab. Die Rechtsfolge ist für die Geschädigten bitter. Denn sie verlieren nicht nur vollständig den Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugschadens sondern bleiben darüber hinaus auch auf den Kosten des Gutachtens sitzen.
Diese ausufernde Rechtsprechung hat der BGH nun erst einmal ausgebremst, indem er klargestellt hat:
„Behauptet der Geschädigte eines Verkehrsunfalles, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und den beschädigten Pkw in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann ihm nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen. Darin liegt weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis.“ (BGH, Beschl. v. 15.10.2019 – VI ZR 377/18)
Damit ist der restriktiven Rechtsprechung der Untergerichte Einhalt geboten. Zukünftig muss in sehr weitem Umfang Zeugenbeweisanträge zum Zustand des Fahrzeuges und zu den Reparaturarbeiten am Fahrzeug nachgegangen werden. Denn der BGH konkretisiert zu Gunsten des Geschädigten die Anforderungen, die an einen Beweisantritt zu stellen sind wie folgt:
„Gemäß § 373 ZPO hat die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen beantragen will, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die dieser vernommen werden soll. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe. Wie weit eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, hängt von ihrem Kenntnisstand ab (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1988 – IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529, juris Rn. 8). Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Anerkanntermaßen ist jedoch bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen können (Senatsurteil vom 25. April 1999 – VI ZR 178/94, NJW 1995, 2111, juris Rn. 13; BGH, Urteile vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159, juris Rn. 40; 7. Februar 2019 – III ZR 498/16, NJW 2019, 1137 Rn. 37; jeweils mwN).“ (BGH a. a. O.)