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Kategorie: Strafrecht

Cannabisfahrt: Keine MPU mehr nach erstem Verstoß? Zu den Auswirkungen der Legalisierung!

Cannabis: Keine MPU mehr bei einmaligem Verstoß?

Podcastfolge für Lesefaule unter:

# 29 – Cannabislegalisierung und Fahrerlaubnis

Die Cannabislegalisierung hat im Wesentlichen zu Änderungen in zwei Regelungskomplexen betreffend Führerscheinsachen geführt.

Punkt 1: Die Anhebung des Grenzwertes.

Hierbei geht es darum, ab welchem THC-Wert (Aktiv-Wert) eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorliegt. Bislang geht die Rechtsprechung von 1 ng/ml THC aus. Der Wert soll nun (endlich) auf vermutlich 3,5 ng/ml angehoben werden. Da das (noch) nicht passiert ist, werde ich mich mit diesem Thema in diesem Beitrag nicht weiter beschäftigen. Es folgt ein gesonderter Beitrag, falls und sobald das Gesetz in Kraft getreten sein wird.

Wichtig für Betroffene laufender Verfahren ist, dass die jeweiligen Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren in Fällen, in denen 1,0 ng/ml überschritten, aber 3,5 ng/ml nicht erreicht sind, „am Laufen gehalten“ wird. Sind solche Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren rechtskräftig, folgt in der Regel ein Eignungsverfahren vor der Fahrerlaubnisbehörde. Auch in diesem werden die neuen Grenzwerte maßgeblich sein (müssen). Das heißt, dass nach meiner Rechtsauffassung, auch wenn ein Fahren mit bis zu 3,5 ng/ml vorlag, daraus überhaupt keine fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen (z.B. MPU) folgen dürfen.

Punkt 2: Fahrerlaubnisrecht: Änderung der Rechtslage beim ersten Verstoß

In die Fahrerlaubnisverordnung wurde § 13 a FEV eingefügt. Zusätzlich wurde die Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung unter Ziffer 9 (Cannabis) geändert.

Es ist zunächst klarzustellen, dass von der Änderung praktisch nur Gelegenheitskonsumenten profitieren. Steht regelmäßiger Konsum oder Cannabisabhängigkeit fest, was letztlich häufig vom Abbauwert (Carbonsäurewert) abhängig sein wird, dann ergeben sich keine Änderungen zur alten Rechtslage. Die Fahrerlaubnis ist dann zu entziehen.

Bei wiederholten Verstößen, also schon beim zweiten Verstoß, wird nach wie vor eine MPU angeordnet werden.

Für Gelegenheitskonsumenten bei einem einmaligen Verstoß im Straßenverkehr gilt nunmehr Folgendes:

Bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom April 2019 (https://rechtsanwalt-weiser.de/?s=Bverwg+cannabis) wurde die Fahrerlaubnis bereits beim ersten Verstoß im Straßenverkehr entzogen. Seit der Entscheidung aus 2019 behielten Betroffene zunächst ihre Fahrerlaubnis, mussten aber ein MPU-Gutachten vorlegen zum Nachweis, dass sie zwischen Konsum und Fahren trennen können.

Das hat sich nun zu Gunsten der Betroffenen durch Einfügung der vorgenannten Regelungen geändert.

Zusammengefasst muss ein Gelegenheitskonsument beim ersten Verstoß nur dann eine MPU machen,

wenn Tatsachen die Annahme von Cannabismissbrauch begründen,

die Fahrerlaubnis wegen einer Missbrauchsthematik entzogen war oder

sonst zu klären ist, ob Cannabismissbrauch oder -abhängigkeit nicht mehr besteht.

Hauptanwendungsfall in der Praxis ist die Fallkonstellation „Annahme von Cannabismissbrauch“. Fraglich ist nämlich, wann ein solcher Missbrauch vorliegt und welche Folgen sich daraus ergeben.

Hier kursieren aktuell erhebliche Missverständnisse in Foren und Internetbeiträgen. Teilweise wird angenommen, der Begriff „Missbrauch“ bedeute, dass regelmäßiger Konsum oder eine Abhängigkeit bestünde. Das ist nicht der Fall. Für einen Missbrauch reicht es, wie beim Alkohol aus, dass der Gelegenheitskonsument einmalig  unter Überschreitung des Grenzwertes fährt. Das ergibt sich wörtlich aus Ziffer 9 der Anlage 4  zur FEV:

„Missbrauch
(Das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Cannabiskonsum können nicht hinreichend sicher getrennt werden.)“

Der Annahme, dass ein Missbrauch vorliegt, ist also ab dem ersten Verstoß gegeben. Mithin ist die Anordnung einer MPU weiterhin grundsätzlich gerechtfertigt.

Die teilweise vertretene Ansicht, bei Gelegenheitskonsum reiche es für die Anordnung von Führerscheinmaßnahmen nicht mehr aus, dass der Betroffene ein einziges Mal am Steuer erwischt wird, ist falsch. Die eigentliche Änderung ergibt sich aus der Anlage 4 Ziffer 9 zur Fahrerlaubnisverordnung.

Darin ist nämlich neuerdings auch geregelt, dass auch bei Missbrauch eine „Wiedereignung“ eintritt, „ … wenn die Änderung des Cannabiskonsumverhaltens gefestigt ist“.

Fraglich ist, wann das der Fall ist und wie der oder die Betroffene das nachweisen kann. Die Antwort ist meines Erachtens in erster Linie, wie beim Alkohol: Durch ein längerfristiges Abstinenznachweisprogramm. Dem oder der Betroffenen ist daher zu raten, was eigentlich schon immer anzuraten war, nämlich zeitnah nach dem Verstoß mit einem Abstinenznachweisprogramm einer anerkannten Stelle zu beginnen. Es verhält sich übrigens so, dass auch vor der Gesetzesänderung in Fällen, in denen im Zeitpunkt des Tätigwerdens der Fahrerlaubnisbehörde ein monatelanger Nachweis der Abstinenz geführt werden konnte, oft eine MPU vermieden werden konnte. Bis die Fahrerlaubnisbehörden sich nach einem Drogenverstoß einschalten, gehen in der Regel Monate ins Land, die nicht ungenutzt bleiben dürfen.

Wer weiter konsumieren möchte, muss nach meiner Einschätzung geeignete verkehrspsychologische Nachweise bringen, dass er zukünftig wieder sicher zwischen Konsum und Fahren trennen kann.  Welche Nachweise hier anerkannt werden, ist fraglich. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass ein Attest vom Hausarzt ausreicht.

MPU

MPU wegen aggressiven Verhaltens vermeiden!

In der MPU-Statistik bilden Verkehrsverstöße aufgrund von „aggressivem Verhalten“ eine beachtliche Rolle. Bei den Begutachtungsgründen führend ist zwar sind zwar Alkohol- und drogenbedingte Fragestellungen. Etwa 40 % der medizinisch-psychologischen Untersuchungen erfolgen wegen Alkohol- und weitere rund 30 % wegen Drogenproblematiken. Bei den sonstigen Anlässen fallen allerdings die in der Statistik als sonstige strafrechtliche Auffälligkeiten und Verkehrsauffälligkeiten bezeichneten Begutachtungsgründe ebenfalls mit rund 20 Prozent ins Gewicht.

(https://www.bast.de/DE/Presse/Mitteilungen/2022/07-2022.html)

Hierzu zählen schwerpunktmäßig solche Fallgestaltungen, denen ein strafrechtliches Verfahren wegen aggressivem Verhalten im Straßenverkehr vorausging, z.B. Gefährdung des Straßenverkehrs, Nötigung, Beleidigung, etc.

Die Durchfallquoten bei solchen Fallgestaltungen liegen bei über 40 %. Dennoch führen diese Fallgestaltungen in der Öffentlichkeit ein Schattendasein.

Für die Betroffenengruppe ergeben sich einige schwerwiegende Besonderheiten. Insbesondere gibt es zur Vorbereitung auf die MPU keine „standardisierten“ Kurse und Vorgehensweisen, wie dies etwa für Alkoholverstöße der Fall ist. Vor allem aber fehlt es aber nach meiner praktischen Erfahrung oft von vornherein an einem Problembewusstsein bei Betroffenen. Es ist nach meiner Einschätzung nicht allgemein bekannt, dass aggressives Verhalten im – aber auch außerhalb – des Straßenverkehrs fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen auslöst. Betroffene unterschätzen die Bedeutung solcher Strafverfahren.

Eine zentrale Rolle zur Vermeidung von fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen spielt aber die richtige und frühzeitige Verteidigung im Strafverfahren. Das Strafverfahren ist der regelmäßige Auslöser für das zeitlich nachgelagerte Verfahren vor der Fahrerlaubnisbehörde.

Gerade die typischen „aggressionsgeneigten“ Verstöße, wie etwa Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c StGB, häufig in Zusammenhang mit Nötigung nach § 240 StGB und/oder Beleidigung und Bedrohung, sind von einer geradezu gegenseitigen Begehungsweise geprägt. Typisch ist, dass es immer einen Anzeigeerstatter und einen Beschuldigten gibt. Typisch sind auch geradezu aufgebauschte Sachverhalte bis hin zu falschen Verdächtigungen und eben gegenseitige Begehungsweisen.

Wer nun aber solche Sachen auf die leichte Schulter nimmt und nicht rechtzeitig die Akte prüft und eine Einlassung abgibt, der verschenkt nicht nur im Rahmen des Strafverfahrens erhebliches „Einstellungspotential“, sondern provoziert den Erlass eines Strafbefehls. Ist der Strafbefehl in der Welt, steht faktisch der oder die Schuldige fest. Die Hauptverhandlung lässt sich dann kaum noch vermeiden. Der Mandant ist vorverurteilt.

Demgegenüber lässt sich mit einer Stellungnahme nach Aktenprüfung und vor Erlass eines Strafbefehls nicht selten noch die Einstellung des Strafverfahrens erreichen. Noch nie ist es in meiner Praxis passiert, dass sich eine Mandantin oder ein Mandant nach einer solchen Einstellung zurückgemeldet hätte, weil er oder sie Post von der Fahrerlaubnisbehörde erhalten hätte.

Selbst wenn aber eine Bestrafung des Beschuldigten im Einzelfall nicht zu vermeiden ist, auch das kommt vor, kann ich als Verteidiger aber, wenn ich diese Situation rechtzeitig zutreffend einschätze, zumindest fahrerlaubnisrechtliche Konsequenzen noch vermeiden oder abmildern.

Im Groben gibt es bei einer Verurteilung oder einem Strafbefehl durch das Strafgericht zwei Fallgestaltungen:

  1. Das Strafgericht entzieht dem oder der Verurteilten im Urteil/Strafbefehl die Fahrerlaubnis. Das ist vor allen Dingen bei § 315 c StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs) eine Regelfolge. Dann muss der Betroffene einen Antrag auf Neuerteilung bei der Fahrerlaubnisbehörde stellen, was regelmäßig eine MPU auslösen wird. Hier kann es bereits aus diesem Grund angezeigt sein, Rechtsmittel einzulegen, was allerdings Vor- und Nachteile hat, die im jeweiligen Einzelfall abzuwägen sind, Stichworte: zeitlicher Ablauf, Sperrfrist etc..
  2. Das Strafgericht belässt dem Verurteilten die Fahrerlaubnis, indem es entweder keine Führerscheinmaßnahme anordnet oder zumindest auf ein Fahrverbot nach § 44 StGB „abmildert“. Gerade in dieser Konstellation ist der oder die Verurteilte nur dann vor einer MPU sicher, wenn das Strafgericht seine Fahreignung ausdrücklich im Urteil bestätigt. Der Verteidiger sollte also den oder die Richterin in der Verhandlung ausdrücklich unter Hinweis auf die Folgen für die Mandantschaft bitten, im Urteil wörtlich zu vermerken, dass das Gericht den oder die Verurteilte (wieder) für geeignet hält, am Straßenverkehr teilzunehmen. Nur an eine solche ausdrückliche Feststellung ist die Fahrerlaubnisbehörde gebunden.

Aber wie erreiche ich das als Beschuldigter bzw. Verteidiger?

Komme ich zu der Erkenntnis, dass nach Prüfung der Akte eine Verurteilung oder ein Strafbefehl nicht zu vermeiden ist, dann sollte ich der Mandantschaft frühzeitig anraten, an einer verkehrspsychologischen Schulung teilzunehmen. Für aggressives Verhalten im Straßenverkehr gibt es – im Gegensatz zu Alkohol oder Drogenauffälligkeiten – zwar keine standardisierten Schulungen. Es gibt aber verkehrspsychologische Intensivkurse. Diese sind zwar recht teuer, hier wird aber der oder die Betroffene in mehreren Sitzungen mit einem Verkehrspsychologen intensiv und einzelfallmäßig beraten. Durch die Teilnahme an einer solchen Maßnahme kann das Gericht überzeugt werden, dass beim jeweiligen Beschuldigten Einsicht im sein Fehlverhalten eingekehrt ist und er sein Verhalten in Zukunft ändern und beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilnehmen wird.

Nur wenn es nicht gelingt, dass das Gericht die Fahreignung positiv feststellt, kann auch in einem Fall, in dem das Gericht die Fahrerlaubnis nicht im Urteil entzogen hat, nachfolgend noch eine MPU angeordnet werden.

Absolut wesentlich aus anwaltlicher Sicht ist, dass ich das Thema MPU erkenne und es Teil meiner Beratung in einer strafrechtlichen Verteidigung wegen aggressiven Verhaltens (vor allem im Straßenverkehr) ist. Die MPU ist letzten Endes in der Regel das Schlimmste, was der oder die Betroffene zu befürchten hat.

BGH: Promillegrenze für E-Scooter bleibt offen

Der BGH hat durch Beschluss vom 13.4.2023 – 4 StR 439/22 – entschieden, dass für E-Scooter, die nicht unter die Elektrokleinstfahrzeugeverordnung fallen, der Grenzwert zur absoluten Fahruntauglichkeit bei 1,1 Promille liegt.

Hintergrund der Entscheidung war, dass der Angeklagte mit einem E-Scooter gefahren war, der eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h erreichen konnte. Elektrokleinstfahrzeuge sind aber nur solche, die eine Maximalgeschwindigkeit von bis 20 km/h erreichen.

Die Frage, ob die 1,1 Promillegrenze zur absoluten Fahruntauglichkeit auch für E-Scooter gilt, auf die die Elektrokleinstfahrzeugeverordnung anwendbar ist (max. Höchstgeschwindigkeit 20 km/h), hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich offengelassen.

Die Tendenz in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und Landgerichte ist dagegen eindeutig: Alle mir bekannten obergerichtlichen Entscheidungen stellen auf die 1,1 Promillegrenze ab.

Rechtsfolge ist daher weiterhin, dass der Führerschein ab 1,1 Promille regelmäßig schon vor Ort von der Polizei beschlagnahmt bzw. sichergestellt wird und eine Entziehung der Fahrerlaubnis mit Verhängung einer entsprechenden Sperrfrist im Raum steht.

Es lohnt sich aktuell eine Einzelfallbetrachtung zur Widerlegung der Regelvermutung, dass der oder die Betroffene ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Je nach Fall kann eine Fahrerlaubnisentziehung auch über 1,1 Promille noch abgewendet werden.

Ab 1,6 Promille ist übrigens die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) zwingend vorgesehen. Das gilt für alle Fahrzeuge, auch Fahrräder. Nähert sich der/die Betroffene der 1,6 Promillegrenze an, kann eine MPU angeordnet werden, wenn Anhaltspunkte für Alkoholmissbrauch bestehen.

Cannabis am Steuer – Was kommt auf Sie zu?

Sie wurden unter Cannabiseinfluss am Steuer erwischt und fragen sich, was nun auf Sie zukommt?

Mit diesem Beitrag gebe ich Ihnen einen groben Überblick. Ausführlichere Erläuterungen können Sie sich in meiner nachfolgend verlinkten Podcastfolge anhören:

Zum Verkehrsrecht-Podcast: # 26 Cannabisfahrt – Was tun?

Zunächst ist es für Betroffene wichtig, zwischen verschiedenen rechtlichen Problemkreisen zu unterscheiden. Diese stehen zwar in engem rechtlichen, nicht aber zwingend im engen zeitlichen Zusammenhang, z.B. tauchen fahrerlaubnisrechtliche Fragestellungen oft erst lange nach Abschluss des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens auf.

Kommt es zu einem Unfall, stehen auch versicherungsrechtliche Probleme an. Denn betreffend die Kfz-Haftpflichtversicherung kommt ein betragsmäßig begrenzter Regress in Betracht. Die Vollkaskoleistung können Sie sogar vollständig verlieren. Das soll aber nicht Gegenstand dieses Beitrages sein. Wir gehen im Folgenden von einer Cannabisfahrt OHNE Unfall aus.

Bei Cannabis sind mehrere Werte zu unterscheiden. Hauptsächlich kommt es auf den THC-Wert (aktiver Wert) und den THC-COOH-Wert (THC-Carbonsäurewert, Abbauwert oder Langzeitwert) an. Daneben wird in manchen Fällen auch der THC-OH-Wert ermittelt. Dieser gibt Anhaltspunkte für einen zeitnahen Konsum, da er innerhalb weniger Stunden auf Null zurückgeht.

Der „Grenzwert“ bei Cannabis liegt nach der ganz überwiegenden Rechtsprechung (Ausnahme Bayern) bei einem THC-Gehalt von 1,0 ng/ml. Liegt der Wert darunter, sind Sie nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nicht unter der Wirkung von Cannabis gefahren. Eine Strafbarkeit kommt dann nicht in Betracht, ebenso wenig eine Ordnungswidrigkeit.

Liegt der THC-Wert bei 1,0 ng/ml oder darüber, so wird zunächst ein Strafverfahren gegen den oder die Beschuldigte(n) eingeleitet. Eine Bestrafung wegen Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB kommt aber nur in Betracht, wenn – unabhängig von der tatsächlichen Höhe des THC-Wertes – verkehrsbezogene Ausfallerscheinungen nachweisbar sind. Typische Ausfallerscheinungen sind beispielsweise Schlangenlinien, das Überfahren von Bordsteinen, etc..

Sind solche Ausfallerscheinungen feststellbar, folgt eine Bestrafung – bei erwachsenen Beschuldigten häufig durch Strafbefehl – und eine Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Gericht. Der Beschuldigte muss dann bei der Fahrerlaubnisbehörde die Neuerteilung der Fahrerlaubnis beantragen.

Sind solche Ausfallerscheinungen nicht feststellbar, so liegt, auch bei sehr hohen THC-Werten, keine Strafbarkeit nach § 316 StGB vor. Die Staatsanwaltschaft stellt dann das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts ein und gibt die Akte an die Bußgeldstelle ab. Dem Betroffenen wird sodann „nur noch“ eine Ordnungswidrigkeit, konkret ein Verstoß gegen § 24 a Absatz 2 StVG, vorgeworfen. Satz 1 dieser Vorschrift lautet:

„Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. …“

Rechtsfolge ist ein Bußgeldbescheid über 500,00 Euro und ein Fahrverbot von einem Monat. Wird dem Betroffenen Vorsatz vorgeworfen, verdoppelt sich die Geldbuße.

Mit der Rechtskraft des Bußgeldbescheides sind Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren abgeschlossen.

Bei einem solchen Ablauf – also einer Entscheidung im Bußgeldverfahren – tritt der Betroffene das Fahrverbot an und erhält dann seinen Führerschein zurück. Betroffene gehen dann häufig davon aus, dass „nichts mehr kommt“. Denn Ihnen wurde die Fahrerlaubnis nicht vom Gericht entzogen.

Tatsächlich aber erhält die Fahrerlaubnisbehörde spätestens nach Abschluss des Bußgeld- oder Strafverfahrens eine Information über die Cannabisfahrt, häufig auch schon früher. Daraufhin wird ein fahrerlaubnisrechtliches Verfahren zur Klärung der Frage eingeleitet, ob der Betroffene geeignet ist, Fahrzeuge im Straßenverkehr zu führen. Für die Frage der Eignung bzw. die Frage, welche Maßnahme die Behörde ergreift, ist entscheidend, ob ein einmaliger, ein gelegentlicher oder ein regelmäßiger Konsum von Cannabis vorliegt.

Die Behörde prüft in diesem Zusammenhang unter anderem vorab, wie hoch der THC-COOH Wert (Langzeitwert) ist. Aber auch Einlassungen des Betroffenen und sonstige Tatsachen aus der Bußgeld- bzw. Strafakte werden von der Behörde geprüft. Die Fahrerlaubnisbehörde erhält hierfür nicht nur Einsicht in die Bußgeldakte sondern holt auch weitere Auskünfte ein (Fahrerlaubnisregisterauszug, polizeiliche Auskünfte, BZR-Auszug, …). In diesem Zusammenhang kann es auch passieren, dass andere, allgemeine Strafsachen, die ebenfalls Eignungszweifel wecken, auf den Tisch kommen. Damit wollen wir uns in diesem Beitrag aber nicht beschäftigen.

Zu beachten ist im Fahrerlaubnisverfahren, dass es sich, auch wenn es Betroffene häufig anders empfinden, bei Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde nicht um Strafmaßnahmen sondern letztlich um verwaltungsrechtliche Maßnahmen zur Sicherung des Straßenverkehrs handelt. Dass es sich nicht um Strafverfahren handelt, bedeutet auch, dass die strafrechtlichen Grundsätze, wie etwa, dass Schweigen nicht zum Nachteil des Betroffenen gewertet werden darf oder im Zweifel zu Gunsten des Betroffenen zu entscheiden ist, keine Geltung beanspruchen.

Der Betroffene ist hier in der „Bringschuld“. Er muss daran mitwirken, dass seine Eignung festgestellt wird. Nimmt er an rechtmäßig angeordneten Maßnahmen nicht teil, wird ihm die Fahrerlaubnis entzogen.

Liegt einmaliger Konsum vor, was so gut wie nie vorkommt und bereits anhand des Langzeitwertes widerlegbar ist, ist keine weitere Maßnahme veranlasst.

Meistens liegt gelegentlicher Konsum vor. Dieser wird bereits bei eingeräumtem zweimaligen Konsum angenommen und steht bei einem THC-COOH-Wert von mehr als 5 ng/ml praktisch fest.

Bei gelegentlichem Konsum wird die Behörde eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) anordnen, um die Frage zu klären, ob der Betroffene zukünftig zwischen dem Konsum und dem Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr trennen können wird.

Bei regelmäßigem Konsum, welcher ab 75 ng/ml THC-COOH-Wert anzunehmen ist, wird die Fahrerlaubnis entzogen.

Wie bereits erwähnt, sind für das Konsumverhalten nicht nur die Blutwerte maßgeblich, sondern auch die Erkenntnisse aus dem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Wer im Strafverfahren von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch macht, wird in dem oft Monate später angestoßenen Fahrerlaubnisverfahren mit entlastenden Angaben (z.B. versehentliche Einnahme oder einmaliger Konsum) in der Regel nicht mehr gehört.

Wer mit Cannabis am Steuer erwischt wurde, sollte sich also nicht nur fragen, ob und wie er sich äußert, sondern vor allem auch wann. Letztlich kann wegen der Komplexität dieser Verfahren und den erheblichen Rechtsfolgen für Betroffene, nur angeraten werden, sich sofort nach dem Verstoß an einen Fachanwalt für Verkehrsrecht zu wenden.

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BGH: Doch nicht 1,1 Promille für alle E-Scooter?!

Doch nicht 1,1 Promille für alle E-Scooter?

Die überwiegene obergerichtliche Rechtsprechung geht derzeit davon aus, dass ab einer Promillegrenze von 1,1 Promille auch beim Fahren mit einem E-Scooter  absolute Fahruntauglichkeit vorliegt. Das bedeutet, dass es ab einem Blutalkoholwert von 1,1 Promille nicht darauf ankommt, ob der Beschuldigte verkehrsbezogene  Ausfallerscheinungen aufgewiesen hat oder nicht (z.B. Schlangenlinien oder ähnliche Fahrfehler).

Konsequenz ist eine Häufung von Urteilen und vorläufigen Fahrerlaubnisentziehungen in diesen Fällen, insbesondere in meinem Tätigkeitsgebiet Saarland und angrenzende Rheinland-Pfalz.

Damit wendet die Rechtsprechung letztlich auf das Fahren mit E-Scootern unterscheidungslos die Promillegrenze für Autofahrer an.

Das dürfte nach einem aktuellen Beschluss des Bundesgerichthofs falsch sein.

Der BGH hat die Promillegrenze für E-Scooter nämlich zumindest andeutungsweise geklärt, ohne sie ausdrücklich zu klären. Nach meiner rechtlichen Einschätzung gilt die 1,1 Promillegrenze zur absoluten Fahruntauglichkeit für E-Scooter nur dann, wenn es sich um fahrerlaubnispflichtige E-Scooter handelt, nicht aber für die, wie üblich fahrerlaubnisfreien E-Scooter der typischen Mietanbieter.

Was hat der BGH also (nicht) entschieden?

Der BGH hatte (unter anderem) über mehrere Trunkenheitsfahrten mit einem E-Scooter zu entscheiden. Der Verurteilte hatte seine Verurteilung durch das Landgericht Hechingen wegen mehrerer Taten – unter anderem Fahren ohne Fahrerlaubnis und mehrere Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern – angegriffen.

Zugrunde lag, soweit für die Trunkenheitsfahrt mit E-Scootern von Bedeutung, folgender Sachverhalt:

 

„In den Fällen II.23., II.30., II.31. und II.34. führte der Angeklagte in alkoholisiertem Zustand im öffentlichen Verkehr einen „Elektroroller Sunny-E-Bike“, der ein Versicherungskennzeichen trug und mit dem ohne Einsatz menschlicher Kraft eine Geschwindigkeit von 20 km/h erreicht werden kann. Dabei wies der Angeklagte in zwei Fällen jeweils eine Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,1 ‰ auf (Fälle II.23. und II.34.).“ (BGH, Beschluss vom 02. März 2021 – 4 StR 366/20 –, juris, Hervorh. d. Unterz.)

Der BGH hat das angegriffene Urteil aufgehoben und die Sache ans LG Hechingen zur Aufklärung des Sachverhalts zurückverwiesen.

Orientierungssatz nach juris:

„In den Fällen II.23. und II.34. (Anmerkung des Unterzeichners: Trunkenheitsfahrten mit mehr als 1,1 Promille, siehe oben) fehlt es an Feststellungen zur fahrzeugtechnischen Einordnung des bei den Fahrten verwendeten Elektrorollers. Dem Senat ist es deshalb verwehrt, anhand der Urteilsgründe zu überprüfen, ob das Landgericht zu Recht den für alkoholisierte Führer von Kraftfahrzeugen als unwiderleglichen Indizwert für die Annahme absoluter Fahrtüchtigkeit entwickelten Grenzwert der Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰ (BGH, Beschluss vom 28. Juni 1990 – 4 StR 297/90, BGHSt 37, 89) seiner rechtlichen Bewertung der Taten zugrunde gelegt hat. Zwar ergibt sich aus den Feststellungen noch, dass mit dem Elektroroller ohne menschlichen Kraftaufwand eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h erreicht werden konnte, so dass es sich bei diesem um ein Elektrokleinstfahrzeug im Sinne des § 1 eKFV gehandelt haben könnte. …“

Wie der BGH die Rechtslage sieht ergibt sich aus folgendem Satz:

„Mangels näherer Feststellungen sowohl zu der Fahrzeugklasse des vom Angeklagten genutzten Elektrorollers als auch zu dessen technischen Merkmalen im Einzelnen vermag der Senat die Rechtsfrage im vorliegenden Fall nicht abschließend zu beantworten.“

(BGH, Beschluss vom 02. März 2021 – 4 StR 366/20 –, Rn. 9, juris)

Der BGH hätte die Promillegrenzen also auch ausdrücklich klarstellen können, wenn er den konkreten E-Scooter hätte einordnen können.

Er unterscheidet zuvor ausdrücklich zwischen fahrerlaubnispflichtigen Elektrokleinstfahrzeugen nach § 4 S. 1 FEV und solchen, für die keine Fahrerlaubnis benötigt wird, weil die Ausnahmereglung des § 4 S.2  1a FEV i.V.m. § 1 I eKFV (Elektrokleinstfahrzeugeverordnung). Es ergibt sich als Umkehrschluss aus eben diesem Zurückweisungsgrund, dass der BGH die Frage, welche Promillegrenze für E-Scooter gilt, vorliegend ging es um die 1,1 Promillegrenze, ausdrücklich beantwortet hätte, wenn er den E-Scooter hätte einordnen können.

Daraus kann nach meiner Einschätzung nur ein Schluss gezogen werden, nämlich dass aus Sicht des BGH die 1,1-Promillegrenze zur absoluten Fahruntauglichkeit nur für solche E-Scooter gilt, auf die die Ausnahme von der Fahrerlaubnispflicht der eKFV nicht anwendbar ist, sprich für fahrerlaubnispflichtige E-Scooter.

Jedenfalls ist die Entchieung des BGH ein starkes Argument dafür, auf die fahrerlaubnisfreien Miet-E-Scooter gerade nicht die 1,1 Prmillegrenze anzuwenden. Der BGH hätte sonst offen lassen können, wie der E-Scooter einzuordnen ist, sprich fahrerlaubnispflichtig oder nicht.

Die 1,1-Promillegrenze zur absoluten Fahruntauglichkeit gilt nur für solche E-Scooter, die fahrerlaubnispflichtig sind. Ich meine, dass vieles dafür spricht, dass der BGH auf die fahrerlaubnisfreien E-Scooter die 1,6 Promillegrenze, analog zum Fahrradfahrer, anwenden wird.

Tödlicher Unfall mit Handy: 1 Jahr und 9 Monate Haft ohne Bewährung!

Die Verurteilung eines Autofahrers wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung ist rechtskräftig. Der Verurteilte muss die Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten antreten. Er hatte die erlaubte Geschwindigkeit von 70 km/h auf einer Landstraße um mindestens 15 km/h überschritten und im Unfallzeitpunkt auf seinem Mobiltelefon gerade Textnachrichten gelesen und verfasst.

Aus diesem Grund übersah er drei Fahrradfahrer in einer langgezogenen Rechtskurve. Mit mindestens 82 km/h kollidierte er mit den Fahrrädern. Die Mutter wurde getötet. Die dreijährige Tochter, die auf dem Kindersitz des Fahrrades saß und die sechsjährige Tochter, die mit ihrem Kinderrad vor der Mutter fuhr, wurden schwer verletzt.

Der Verurteilte hatte ein frühes Geständnis abgegeben, was das Landgericht Paderborn schon in der ersten Instanz zu seinen Gunsten berücksichtigt hatte. Ebenso hat es zu seinen Gunsten bei der Strafzumessung berücksichtigt, dass er keine Vorstrafen und auch keine Voreintragungen im Fahrerlaubnisregister hatte.

In erster Instanz erhielt er eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren.

Das Landgericht Paderborn hat diese Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt. Zwar läge eine günstige Prognose vor, mithin sei zu erwarten, dass der Verurteilte nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung treten werde, allerdings sei die Vollstreckung der Haftstrafe nach § 56 II StGB geboten.

Danach wird die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung dies gebietet.

Das Landgericht hatte die Tatsache, dass der Verurteilte sich für einen belanglosen Austausch von Textnachrichten über das sog. „Handyverbot“ des § 23 Abs.1 StVO hinweggesetzt hat, herangezogen. Seine Tat sei Ausdruck einer verbreiteten Einstellung, die den erheblichen Unrechtsgehalt des Handyverbots verkennen in der unberechtigten Annahme, es käme von vornherein keine Haftstrafe in Betracht.

Das OLG Hamm hat das Urteil des Landgerichts bestätigt und sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen. Die Haftstrafe hat es auf ein Jahr und neun Monate herabgesetzt.

Diese Entscheidung ist von ganz erheblicher Bedeutung für alle Straßenverkehrsteilnehmer. Denn das OLG Hamm postuliert letztlich, dass Freiheitsstrafen in solchen Fällen in der Regel nicht zur Bewährung auszusetzen sind. Wird ein Mensch bei einem Unfall wegen einer Handynutzung schwer verletzt oder getötet, ist regelmäßig mit einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten zu rechnen.

Inwiefern die Entscheidung bei anderen Verstößen gegen die StVO – beispielsweise Nutzung einer Rettungsgasse o. ä. – herangezogen werden wird, bleibt abzuwarten.

Kommt es wegen der Nutzung elektronischer Geräte zur Verletzung oder Tötung, ist daher – nicht nur im Gerichtsbezirk des OLG Hamm – damit zu rechnen, dass die Freiheitsstrafe angetreten werden muss. Denn die „Verteidigung der Rechtsordnung“ hat mir der Persönlichkeit des Täters und der Prognose, ob der Täter rückfällig wird oder nicht, nichts zu tun. Dagegen wird von der Verteidigung schwer anzukämpfen sein.

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BayObLG zu den Promillegrenzen für E-Scooter

Das bayerische Oberlandesgericht hat bestätigt, dass die für Autofahrer geltende Grenze von 1,1 Promille zur absoluten Fahruntauglichkeit auch für E-Scooter gilt. Es hat die Fahrerlaubnisentziehung eines Scooterfahrers, der auf dem Münchener Oktoberfest mit 1,35 Promille angehalten worden war, bestätigt. Er hatte eine Strecke von 300 m auf einem Bürgersteig zurückgelegt.

Der Angeklagte hatte einwendet, bei einem E-Scooter handele es sich nicht um Kraftfahrzeug im Sinne des § 316 StGB. Ferner seien die Promillegrenzen nicht auf den EScooter übertragbar, allenfalls sei eine Vergleichbarkeit mit einem Fahrrad gegeben. Bei einem solchen tritt absolute Fahruntauglichkeit erst ab 1,6 Promille ein.  Zudem liege bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad kein Regelfall für eine Fahrerlaubnisentziehung vor. Das AG München hat sämtliche Einwendungen des Angeklagten verworfen.  

Die Entscheidung des BayObLG ist wenig überraschend, denn sie orientiert sich an der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Das BayObLG führt aus:

„Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 28. Juni 1990 den Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers unter Berücksichtigung medizinischnaturwissenschaftlicher Erfahrungswerte mit 1,1 Promille festgelegt und dabei zugleich ausdrücklich ausgesprochen, dass dieser Wert für alle Führer von Kraftfahrzeugen gilt (BGH NJW 1990, 2393, 2395).

Auch wenn der Entscheidung des Bundesgerichtshofs eine Trunkenheitsfahrt eines Autofahrers zugrunde lag, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich klargestellt, dass dieser Grenzwert generell für (alle) Führer von Kraftfahrzeugen gilt, und dies zusätzlich durch Bezugnahme auf vorausgegangene Entscheidungen zu Kraftradfahrern (BGHSt 22, 352) sowie Fahrrädern mit Hilfsmotor, sog. Mofa 25 (BGHSt 30, 251) und auch Führen eines abgeschleppten betriebsunfähigen PKW (BGHR StGB § 316 Fahruntüchtigkeit alkoholbedingte 2, = BGHSt 36, 341) zum Ausdruck gebracht.

Von dem Grundsatz, dass die Promillegrenze von 1, 1 Promille für alle Kraftfahrzeugarten gilt, im Falle der E-Scooter abzuweichen, besteht kein Anlass.“ (BayObLG, Beschluss v. 24.07.2020 – 205 StRR 216/20)

In einer sehr ausführlichen Begründung bestätigt das BayObLG sodann die Wertung des Amtsgerichts München, wonach auch bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter ein Regelfall für eine Fahrerlaubnisentziehung vorliegt.

Zu der Einwendung der kurzen Fahrtstrecke führt es aus:

„Das Amtsgericht hat an tatbezogenen Umständen über den Aspekt hinaus, dass die Fahrt mit einem im Vergleich zu einem Personenkraftwagen leichteren E-Scooter stattfand, berücksichtigt, dass die vom Angeklagten bis zu seiner polizeilichen Kontrolle gefahrene Strecke von ca. 300 m nicht allzu lang war. Wenn das Amtsgericht darin keinen Fall einer Bagatellfahrt mehr gesehen hat, so liegt dies im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.“ (BayObLG a. a. O.)

Meine Meinung: Daran, dass die Promillegrenzen für Autofahrer auch für E-Scooterfahrer gelten, hatte ich auch vor dieser Entscheidung wenig Zweifel. Eine Fahrerlaubnisentziehung bei einer Fahrtstrecke von 300 m auf dem Gehweg auszusprechen, mag im Beurteilungsspielraum des entscheidenden Gerichts liegen. Vielleicht hat es hier aber in erster Instanz auch an entsprechendem Vortrag  zu den Tatumständen und dem Nachtatverhalten des Angeklagten gefehlt, die eine anderweitige Bewertung erlaubt hätten.

Das Urteil finden Sie im Volltext hier: BayObLG, Beschluss v. 24.07.2020 – 205 StRR 216/20

Fahrrad/Pedelec/E-Scooter/Segway – Alkohol erlaubt?

Auch an Fasching gelten bekanntermaßen die Alkoholgrenzen. Ich erinnere daher heute aus Anlass des Rosenmontags, der auch im schönsten  Bundesland der Welt, also im Saarland, gebührend gefeiert wird, an die geltenden Alkoholgrenzen. Unten stehend finden Sie mein Video, in dem die Alkoholgrenzen übersichtlich erklärt werden. Außerdem habe ich einige Links zum Thema rausgesucht.

Die meisten, wenn auch leider nicht alle, Jecken sind schlau und verantwortungsvoll genug, die Umzüge zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu besuchen, wenn sie denn Alkohol trinken möchten.

Da einige sicher auch zu nicht motorisierten Fahrzeugen greifen werden, gegebenenfalls auch in der irrigen Annahme, das sei erlaubt, folgende Kurzinformation zum Thema Alkohol auf dem Fahrrad (E-Scooter, Segway, Pedelec etc.):

Hier noch einige ausgesuchte Links zu diesem Thema:

 

Verkehrsgerichtstag 2020 – Die Empfehlungen

Vom 29. bis 31. Januar fand der jährliche Verkehrsgerichtstag – eine Zusammenkunft von Verkehrsexperten – in Goslar statt. Er endet mit den Empfehlungen der Arbeitskreise.

Wer sich die Empfehlungen im Volltext durchlesen will, findet diese hier:

Meine Zusammenfassung:

Arbeitskreis I –  Grenzüberschreitende Unfallregulierung in der EU

Das materielle Schadensersatzrecht der verschiedenen EU-Länder muss für den (ausländischen) Anwalt einfacher zu verstehen sein. Die EU-Kommission soll entsprechende Hilfsmittel zur Verfügung stellen.

Des Weiteren soll für grenzüberschreitende Gerichtsprozesse ein System geschaffen werden, wie es bereits für Zivil- und Handelssachen besteht.

Einführung von Videokonferenzen für Vernehmungen im Ausland.

Kurze Verjährungsfristen in anderen EU-Staaten sollen auf mindestens drei oder vier Jahre verlängert werden.

Arbeitskreis II – Abschied vom fiktiven Schadensersatz

Empfehlung: Kein Abschied vom fiktiven Schadensersatz. Außerdem: Werkstattverweis bei fiktiver Abrechnung ist für alle Beteiligten an der Unfallregulierung nervig und zeitaufwendig. Der BGH wird gebeten, sich etwas einfallen zu lassen.

Arbeitskreis III – Aggressivität im Straßenverkehr

Schulungen und Anti-Aggressions-Maßnahmen sollen gefördert werden.

Die gesetzlichen Möglichkeiten, auf aggressives Verhalten zu reagieren, müssen konsequent ausgeschöpft werden.

Es sollte ein Bußgeld für „aggressives Posen im Straßenverkehr“ geben.

Fahrerlaubnisbehörden sollen Einsicht in das Bundeszentral- und Erziehungsregister erhalten.

Sofern sich bei einer Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahrteignung steht, Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotential ergeben, soll die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU anordnen.

Der „Alleinrasertatbestand“ (§ 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB)  sollte im Wortlaut nachgebessert werden.

Arbeitskreis IV – Praxistauglichkeit des Bußgeldverfahrens

Der Gesetzgeber soll per Gesetz regeln, unter welchen Voraussetzungen ein standardisiertes Messverfahren vorliegt. Außerdem soll er per Gesetz ein umfassendes Einsichtsrecht in die Messdateien vorschreiben.

Bußgeldverfahren sollen gegen Auflagen eingestellt werden können.

Nach einer verkehrstherapeutischen Schulung soll vom Fahrverbot abgesehen werden können.

Arbeitskreis V – Elektrokleinstfahrzeuge

Aktuell herrscht in der Bevölkerung weitgehende Unkenntnis, was man mit E-Scootern überhaupt darf und was nicht. Das erfordert mehr Öffentlichkeitsarbeit, vor allem durch die Verleihfirmen.

Öffentlichkeitsarbeit habe ich selbst ja bereits geleistet:

10 Fragen und Antworten zum E-Scooter

Außerdem:

– Mehr Infrastruktur für E-Scooter und Fahrräder

– Blinkerpflicht für E-Scooter

– Keine Zulassung von Fahrzeugen ohne Lenkstange

– Erfassung und Herausgabe der Nutzerdaten durch Verleihfirmen zum Zweck der Verfolgung von Straftaten und Orddnungswidrigkeiten

– verbindliche Astellplätze für Verleihscooter

– Prüfbescheinigungspflicht für E-Scooter

Arbeitskreis VI  – Fahranfänger – neue Wege zur Fahrkompetenz

Der Arbeitskreis begrüßt das Optionsmodell, das Folgendes vorsieht:

Drei statt zwei Jahre Probezeit, aber verkürzbar auf bis zu zwei Jahre durch Teilnahme an Schulungsmaßnahmen oder begleitetes Fahren.

Auswetung örtlicher Unfalldaten von Fahranfängern und darauf gestützte regionalisierte Fahranfängervorbereitung.

Arbeitskreis VII – Entschädigung von Opfern nach terroristischen Anschlägen

Neben Harmonisierungen der Opferentschädigung und Zentralisierungen von Strukturen, insbesondere Opferbeauftragte, empfiehlt der Arbeitskreis die Schaffung eines Fachanwaltes für Personenschadensrecht.

 

LG Nürnberg-Fürth: Entziehung der Fahrerlaubnis nach Unfallflucht erst ab 2.500,00 Euro Fremdschaden!

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat festgestellt, dass einbedeutender Fremdschaden bei einer Unfallflucht erst ab einem Betrag von 2.500,00 € netto vorliegt.

Diese sog. Wertgrenze ist von herausragender Bedeutung für die Frage, ob der Beschuldigte seinen Führerschein (vorläufig) behalten darf oder nicht.

Gerade weil die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts der Unfallflucht und Überschreiten der Fremdschadensgrenze der Regelfall ist, hat auch die Verteidigung auf die Höhe des Fremdschadens besonderes Augenmerk zu legen.

 Wird die Wertgrenze überschritten und gehen die Staatsanwaltschaft und der Ermittlungsrichter davon aus, dass der Beschuldigte der Täter der Unfallflucht ist (einfach ausgedrückt), dann ergeht in der Regel schon während des laufenden Verfahrens ein Beschluss nach § 111 a StPO. Das bedeutet, dem Beschuldigten wird, ohne vorherige gerichtliche Verhandlung, vorläufig, aber mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis entzogen.

Bisher sehen die Gerichte die Wertgrenze bei etwa 1.400,00 € bis 1.800,00 € als erreicht an (mit gewissen regionalen Unterschieden).

Das Problem dabei ist, dass diese Grenze sehr schnell erreicht ist, unter anderem regelmäßig auch schon bei den üblichen „Parkplatzremplern“. Nicht zuletzt deswegen steht die Wertgrenze seit Jahren in zunehmender Kritik. Auch die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht und der Verkehrsgerichtstag empfehlen eine Anhebung der Wertgrenze.

Das LG Nürnberg-Fürth hat nun in Anlehnung an einen vorangegangenen Beschluss einen gewaltigen Schritt in die meines Erachtens richtige Richtung gemacht:

Ein bedeutender Fremdschaden liegt ab einem Betrag von 2.500,00 € netto vor (vgl. z.B. die Beschlüsse der Kammer vom 10.04.08 – Az. 5Qs 23/18 und vom 05.11.18, Az. 5 Qs 69/18). Die Kammer hat die Änderung von §44 Abs. 1 StPO und damit die seit dem 24.08.2017 geschaffene Möglichkeit der Verhängung von Fahrverboten von bis zu sechs Monaten anstelle von drei Monaten zum Anlass genommen, ihre Rechtsprechung zum Begriff des bedeutenden Fremdschadens Anfang 2018 zu ändern (bis 2017: 1.800,00 € netto, vgl. z. B.Beschluss vom 11.04.2008, Az. 5 Qs 61/08). Im Hinblick auf die in § 69 Abs. 2Nr. 3 StGB angeordnete Gleichsetzung des bedeutenden Fremdschadens mit der Tötung bzw. nicht unerheblichen Verletzung eines Menschen einerseits und der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten zehn Jahren andererseits hat die Kammer im Interesse der Rechtssicherheit eine großzügige Anpassung derWertgrenze nach oben vorgenommen. Die Kammer hat dabei die Entwicklung der Einkommen und der Kosten für die Beseitigung der Folgen von Verkehrsunfällen berücksichtigt und sich an einer groben Schätzung der wirtschaftlichen Entwicklung orientiert. Eine exakte Ermittlung der Kostenentwicklung bei der Beseitigung von Unfallfolgen ist nicht zuletzt wegen der Vielfältigkeit der Unfallszenarien von geringer Aussagekraft. Die Kammer hat deswegen davon abgesehen anhand von einem Musterunfallgeschehen auf eine insoweit singuläre Kostenentwicklung abzustellen (vgl. aber zu diesem Ansatz, LG Frankfurt amMain, Beschluss vom 13.05.2008, Az. 5/9a Qs 5/08). Die Verbraucherpreise für die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen sind allein in den Jahren von 2010 bis 2016 um 11,6% angestiegen (vgl. Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindex für Deutschland, Klassifikation CC 0723). Im gleichen Zeitraum steigerte sich der Reallohnindex lediglich um 7,8% (vgl. Statistisches Bundesamt, Verdienste und Arbeitskosten, Reallohnindex und Nominallohnindex, 4. Vierteljahr 2017). Auch im Bereich der Bergungs- und Abschleppkosten ist es zu deutlichen Preissteigerungen gekommen. So sind beispielsweise die Preise für ein Standard-Bergungsfahrzeug zum Abtransport von liegen gebliebenen Pkws bis 7,49t zwischen den Jahren 2006 und 2016 um 35,5% angestiegen (vgl. VBA, Preis- undStrukturumfrage im Bergungs- und Abschleppgewerbe, Ergebnisse 2006 bis 2016). Eine großzügige Anpassung der Wertgrenze war im Interesse der Rechtssicherheit geboten, um eine wiederholte Anpassung um kleinere Beträge in kürzeren Zeitabständen möglichst zu vermeiden.“ (LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v.12.11.2018 – 5 Qs 73/18)

Trotz 1,6 Promille keine MPU?!

Die Fahrerlaubnisverordnung sieht in § 13 vor, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einer Alkoholfahrt ab einer BAK von 1,6 Promille zwingend eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen hat:

 

Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass … ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn … ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr … geführt wurde.

Der Fahrerlaubnisbehörde steht nach dem eindeutigen Wortlaut der Fahrerlaubnisverordnung kein Ermessen zu. Wird die Grenze von 1,6 Promille erreicht, muss die MPU angeordnet werden.


Dennoch gibt es Fälle, in denen der Betroffene die MPU vermeiden kann. Heute möchte ich einen solchen Fall aus meiner Praxis vorstellen. Mein Mandant hatte wegen einer Alkoholfahrt mit mehr als 1,6 Promille einen Strafbefehl erhalten, gegen den ich Einspruch einlegte.

Im Rahmen der Hauptverhandlung konnten wir eine mehrmonatige Abstinenz meines Mandanten und die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung nachweisen. Der zuständige Strafrichter hob die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf und händigte meinem Mandanten in der Hauptverhandlung den Führerschein aus. Auf meine Bitte hin vermerkte er in den Urteilsgründen:

„Im Hinblick auf die Dauer des vorläufigen Maßregelvollzugs ist der Angeklagte aufgrund seiner zwischenzeitlichen Nachschulungsmaßnahme und Verhaltensänderung im Hinblick auf Alkoholkonsum – entsprechende Unterlagen wurden in  der Hauptverhandlung vorgelegt – zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet zu erachten, sodass lediglich noch ein deklaratorisches Fahrverbot verhängt wird.“

Mithin enthielt das Urteil positive Feststellungen zur Fahreignung des Mandanten. Die Entscheidung erging am 17.8.2017. Am 2.2.2018 meldete sich die zuständige Fahrerlaubnisbehörde schriftlich bei meinem Mandanten und ordnete die Vorlage einer MPU an.

Die Anordnung dieser MPU war allerdings rechtswidrig. Hintergrund ist die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 S. 1 des Straßenverkehrsgesetzes:

„Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht.“

Da die Urteilsgründe erkennen ließen, dass der Strafrichter sich ein eigenes Bild von der Eignung meines Mandanten gemacht und eine eigene Beurteilung der Eignung vorgenommen hatte, durfte die Fahrerlaubnisbehörde hiervon nicht zum Nachteil des Mandanten abweichen.

Nach einem Hinweis auf die Rechtslage und die Feststellungen des Amtsgerichts zur Eignung hob die Fahrerlaubnisbehörde die Anordnung sofort auf.

Im Ergebnis musste der Mandant also trotz einer BAK von mehr als 1,6 Promille keine MPU absolvieren.

Tipp: Bei Alkoholfahrten direkt zum Anwalt!

Die Tendenzen der Gerichte, selbst über die Eignung zu entscheiden, sind eher rückläufig. Hierfür muss der Fall "richtig liegen" und ausreichend Vortrag gehalten werden (Abstinenznachweise etc.). Aber auch wenn es nicht gelingt, das Gericht zu einer Eignungsentscheidung zu bewegen, ist es wichtig, im Strafverfahren dafür zu sorgen, dass der Führerschein nicht zu lange entzogen bleibt. Das ist beispielsweise mit Sperrfristverkürzungskursen möglich. Eine kompetente Verteidigung im Strafverfahren setzt gerade bei Führerscheinmaßnahmen voraus, dass der Verteidiger seinem Mandanten hilft, die Weichen für ein nachfolgendes Fahrerlaubnisverfahren frühzeitig in die richtige Richtung zu stellen.

Cannabis und Fahreignung – Unfallfucht – Die Empfehlungen des 56. Deutschen Verkehrsgerichtstages

Vom 24. Januar bis 26. Januar 2018 fand in Goslar der 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag statt.
Hierbei handelt es sich um eine Tagung von Verkehrsjuristen aus verschiedenen Branchen. Diese finden sich in Arbeitskreisen zusammen, in denen aktuelle Themen behandelt werden. Im Anschluss an die mehrtägigen Beratungen sprechen die Arbeitskreise Empfehlungen an den Gesetzgeber aus.
Von besonderem Interesse für meine berufliche Ausrichtung waren dieses Jahr die Arbeitskreise V (Cannabiskonsum und Fahreignung) und III (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort).
Der Arbeitskreis V hat zum Thema Cannabis und Fahreignung folgende Empfehlung ausgesprochen:

Die Fahrerlaubnis- Verordnung bedarf im Hinblick auf Arznei- und berauschende Mittel einer Überarbeitung durch den Verordnungsgeber.

Der Arbeitskreis ist der Auffassung, dass der erstmalig im Straßenverkehr auffällig gewordene, gelegentliche Cannabiskonsument nicht ohne Weiteres als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen wird, sondern lediglich Zweifel an seiner Fahreignung auslöst, die er mittels einer MPU ausräumen kann.
Der Arbeitskreis vertritt die Meinung, dass nicht bereits ab 1 ng/ml THC im Blutserum fehlendes Trennungsvermögen unterstellt werden darf. Er teilt die Feststellungen der Grenzwertkommission, wonach dies erst ab einem THC-Wert von 3 ng/ml Blutserum der Fall ist.
Auch im Falle einer medizinischen Indikation, insbesondere für die Verordnung von Cannabis-Blüten, begründet eine Teilnahme am Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis Zweifel an der Fahreignung. Aus dem Gebot der Verkehrssicherheit heraus ist es deshalb erforderlich, dass dann auch vor dem Hintergrund der Grunderkrankung die Fahreignung zu prüfen ist.
Auch in diesem Sinne müssen die Patienten, die ein Kraftfahrzeug führen wollen, durch entsprechend qualifizierte Ärzte umfassend über ihre Beeinträchtigung der Fahreignung und Fahrsicherheit informiert und begleitet werden. Dies ist entsprechend zu dokumentieren.
Der Gesetzgeber wird gebeten, für Kontrollen im Straßenverkehr ein geeignetes Nachweisdokument vorzusehen.

Zum Thema Unfallflucht spricht der Arbeitskreis III folgende Empfehlung aus:

1.
Die strafrechtlichen und versicherungsvertragsrechtlichen Regelungen zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort führen zu gewichtigen Rechtsunsicherheiten. Dadurch können Verkehrsteilnehmer überfordert werden. …
2.
Der Arbeitskreis empfiehlt mit überwiegender Mehrheit dem Gesetzgeber zu prüfen, wie eine
bessere Verständlichkeit des § 142 StGB erreicht werden kann, insbesondere durch eine Begrenzung des Unfallbegriffs auf Fortbewegungsvorgänge und eine Präzisierung der Wartezeit bei Unfällen mit Sachschäden bei einer telefonischen Meldung, etwa bei einer einzurichten den neutralen Meldestelle.
3.
Der Arbeitskreis fordert mit überwiegender Mehrheit den Gesetzgeber auf, die Möglichkeiten
der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe bei tätiger Reue in § 142 Abs. 4 StGB zu reformieren. Dabei sollte die Begrenzung auf Unfälle außerhalb des fließenden Verkehrs entfallen und die Regelung auf alle Sach- und Personenschäden erweitert werden.

4.
Der Arbeitskreis fordert mit knapper Mehrheit, dass das unerlaubte Entfernen vom Unfallort bei Sachschäden nicht mehr im Regelfall zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führt. Die Worte „oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden“ in § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sollten gestrichen werden.

Der Arbeitskreis empfiehlt, bis zu einer gesetzlichen Änderung einen Regelfall der Entziehung der Fahrerlaubnis nur noch bei erheblichen Personen –
und besonders hohen Sachschäden (ab 10.000 EUR) anzunehmen.

5.
Der Arbeitskreis hält es für notwendig, den Inhalt der auf das Verbleiben an der Unfallstelle
bezogenen versicherungsvertraglichen Aufklärungsobliegenheit den strafrechtlichen Pflichten nach § 142 StGB entsprechend zu verstehen. Er fordert die Versicherer auf, dies durch unmittelbare Bezugnahme auf § 142 StGB in den AKB klarzustellen.

Als Verkehrsrechtler kann man beide Empfehlungen vollumfänglich unterschreiben. ES bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber diese Empfehlungen aufnimmt und umsetzt.

Bundesverwaltungsgericht: MPU unter 1,6 Promille nur unter besonderen Voraussetzungen

Ist der Betroffene mit 1,6 Promille oder mehr am Steuer erwischt worden, kommt die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) der Fahreignung zwingend. Die Fahrerlaubnisbehörde hat in einem solchen Fall kein Ermessen. Das gleiche gilt, wenn ein wiederholter Verstoß unter Alkoholeinfluss begangen wurde und zwar schon bei zwei Fahrten, auch unter 1,6 Promille.

In beiden Fallgestaltungen hat die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU anzuordnen.

Was aber gilt bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt, wenn der Betroffene eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von weniger als 1,6 Promille hatte?

Auch in einem solchen Fall kann eine MPU durch die Fahrerlaubnisbehörde angeordnet werden. Es handelt sich dann aber um eine Ermessensentscheidung der Behörde. Die Behörde kann, muss aber keine MPU anordnen.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte über eine solche Fallgestaltung zu entscheiden. Der Klägerin war im Strafverfahren wegen einer einmaligen Trunkenheitsfahrt bei einer BAK von 1,28 Promille die Fahrerlaubnis entzogen worden. Auf Ihren Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis hin ordnete die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU an.

Die Klägerin zog dagegen vor das Verwaltungsgericht und unterlag in beiden Vorinstanzen. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch nachfolgend der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wiesen ihre Klage ab und erklärten die Anordnung der MPU für rechtmäßig. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof schloss sich in seinem Urteil aktuellen Tendenzen in der Rechtsprechung an, wonach nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen sei.
In einem Bundesland wie Bayern, in dem man nach der Beckstein’schen Formel nach zwei Maß Bier noch fahrtüchtig ist, ein erstaunliches Ergebnis.
Zur Erinnerung:

Nach zwei Maß Bier darf Beckstein noch fahren

Das Bundesverwaltungsgericht dagegen gab der Klage statt und verurteilte die Fahrerlaubnisbehörde dazu, der Klägerin die Fahrerlaubnis (ohne vorherige MPU) zu erteilen. Es führt aus:

Diese Auffassung ist mit § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d i.V.m. Buchst. a bis c FeV (Fahrerlaubnisverordnung) nicht vereinbar. Lag die Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille, so bedarf es bei einer einmalig gebliebenen Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss zusätzlicher Tatsachen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht genügt für sich gesehen nicht.

Segway

Segway ist Kraftfahrzeug: Absolute Fahruntauglichkeit ab 1,1 Promille

Das OLG Hamburg hat entschieden, dass ein Segway ein Kraftfahrzeug im Sinne des § 316 StGB ist. Das hat zur Folge, dass die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit für einen Segwayfahrer, ebenso wie für den Autofahrer, bei 1,1 Promille liegt.

Der Verurteilte wurde mit 1,5 Promille auf einem Segway angehalten. Die Grenze für Fahrradfahrer zur absoluten Fahruntauglichkeit liegt (derzeit noch) bei 1,6 Promille.

Promillegrenzen im Überblick (Video)

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/alkohol-am-fahrrad-steuer/

Der Verurteilte hatte gegen die amtsgerichtliche Verurteilung Revision zum OLG Hamburg eingelegt mit der Begründung, das Segway sei einem Fahrrad nicht aber einem Kraftfahrzeug im Sinne des § 316 StGB gleichzustellen.

Das hat das OLG Hamburg anders gesehen und die Revision zurückgewiesen. Für die Verkehrssicherheit eine begrüßenswerte Entscheidung. In diesem Zusammenhang sei auch noch einmal darauf hingewiesen, dass die Empfehlung des Verkehrsgerichtstags Goslar aus dem letzten Jahr dahin ging, auch für Fahrradfahrer eine absolute Fahruntauglichkeitsgrenze von 1,1 Promille einzuführen. (Hier der Link zu meinem damaligen Artikel: Die Empfehlungen des deutschen Verkehrsgerichtstags 2016

Falschbenennung des Fahrers ist strafbar

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden:

Führen der Täter einer Ordnungswidrigkeit und eine mit ihm zusammenwirkende, an der Tat unbeteiligte Person die Bußgeldbehörde bewusst in die Irre, indem sich die weitere Person selbst zu Unrecht der Täterschaft bezichtigt, kann dies für den Täter zu einer Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft und für die weitere Person wegen Beihilfe hierzu führen.

(OLG Stuttgart, Urt. v. 23.7.2015 Az 2 Ss 94/15)

Dem lag folgende Fallgestaltung zugrunde:

Der Angeklagte und später Verurteilte (im Folgenden: Fahrer) wurde mit einem Firmenwagen geblitzt. Sein Arbeitgeber erhielt eine Halteranfrage, benannte daraufhin den Fahrer als solchen und leitete den Fragebogen an ihn weiter. In der Folge entschlossen sich der Fahrer und ein Arbeitskollege (im Folgenden: Kollege), dass sich der Kollege als Fahrer benennen solle. Daraufhin richtete sich das Verfahren zunächst gegen den Kollegen. Nach Eintritt der Verjährung für den Fahrer gab der Kollege dann bekannt, dass er nicht der Fahrzeugführer war.

In solchen Konstellationen ist bislang geklärt, dass sich der Fahrer, der einen Dritten selbst benennt, indem er ihn als Fahrer gegenüber der Behörde benennt, z. B. indem er die Personendaten des Kollegen auf dem Anhörbogen einträgt, wegen falscher Verdächtigung strafbar macht.
Lange Zeit war es dagegen Lehrmeinung und führte zur Straflosigkeit, wenn der Fahrer sich gar nicht äußerte und der Kollege sich selbst benannte, indem er – üblicher Weise – den Anhörbogen selbst ausfüllte und an die Bußgeldstelle schickte.

Dieser „Verteidigungsstrategie“ hat das OLG Stuttgart eine klare Absage erteilt, indem es den Fahrer wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft verurteilt hat. Es führt zur Begründung aus:

Die Tatherrschaft des Hintermanns (Anmerkung: Des Fahrers und Angeklagten) kann auch im Fall eines objektiv tatbestandslos handelnden Tatmittlers wie hier gegeben sein. Der Angeklagte Ka ist im vorliegenden Fall mittelbarer Täter, weil er im Wege einer wertenden Zuschreibung Tatherrschaft und Wille zur Tatherrschaft hatte und die Tat allein in seinem Interesse begangen wurde. Er nahm auf die Tatbegehung dadurch Einfluss, dass er dem Angeklagten Kr (Anmerkung: Arbeitskollege) die an ihn gelangten Schreiben der Bußgeldbehörde mit den Daten zur Ordnungswidrigkeit übergab, nachdem er den Tatplan mit ihm vereinbart hatte. Obwohl Kr die Schriftstücke alleine ausfüllte und an die Bußgeldbehörde übersandte, hielt der Angeklagte Ka die Herrschaft über den Geschehensablauf gleichwohl weiter auch selbst in der Hand, weil er sich zu jedem Zeitpunkt an die Bußgeldbehörde wenden und den wahren Sachverhalt offenbaren konnte.

Ein Knaller zu Neujahr: Fahrverbot für alle Straftaten

Bislang sieht das Strafgesetzbuch das Fahrverbot als Nebenstrafe für solche Strataten vor, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen wurden. § 44 Absatz 1 Satz 1 StGB lautet:

Wird jemand wegen einer Straftat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, zu einer Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe verurteilt, so kann ihm das Gericht für die Dauer von einem Monat bis zu drei Monaten verbieten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen.

Seit Jahren wird diskutiert, ob der Gesetzgeber auch für solche Straftaten, die keinen Zusammenhang mit dem Straßenverkehr aufweisen, ein Fahrverbot vorsehen darf bzw. soll.

Da es sich gesetzessystematisch um eine sogenannte Nebenstrafe handelt, also um nichts anderes als eine Art von Strafe, der eben gerade keine Fahreignungsentscheidung zu Grunde liegt, ist eine solche Gesetzesänderung meines Erachtens ohne Weiteres zulässig.
Der Gesetzgeber sieht das offensichtlich auch so, denn nunmehr wurde der Gesetzesentwurf beschlossen. Die Umsetzung in geltendes Recht wird daher nicht lange auf sich warten lassen. In Kürze dürfen sich daher auch gemeine Ladendiebe und Kneipenschläger auf einen Fußmarsch von einem bis zu drei Monaten freuen.

Ich bin sehr gespannt, wie viele Angeklagte den Einspruch gegen den Strafbefehl zurücknehmen werden, wenn der obligatorische Hinweis des Gerichts, dass als Nebenstrafe ein Fahrverbot in Betracht gezogen wird, in der Hauptverhandlung erfolgt. Ich erwarte, dass die Strafgerichte von dieser Nebenstrafe ausgiebig Gebrauch machen werden.

Insgesamt wird dadurch eine Verlagerung eines bislang rein verkehrsrechtlichen Themas (Fahrverbot) ins allgemeine Strafrecht erfolgen. Es wird für jeden Strafverteidiger erforderlich werden, sich mit grundsätzlichen Fragen zum Thema Fahrverbot auseinanderzusetzen. Wer zukünftig in einer Hauptverhandlung, etwa wegen eines einfachen Ladendiebstahls, verteidigt, sollte in Erwägung ziehen, vorher mit seinem Mandanten zu besprechen, ob im Falle eines Fahrverbotes eine Existenzgefährdung im Raum steht, so dass in der Hauptverhandlung entsprechend vorgetragen werden kann.

Bei Interesse an dem Thema finden Sie hier einen weiterführenden Link zum Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz:

BMJV Pressemitteilung vom 21. Dezember 2016 – Kabinett beschließt: Fahrverbot bei allen Straftaten

Ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch und ein frohes, gesundes und erfolgreiches neues Jahr!

Zahlt die Haftpflicht trotz nachgewiesener Unfallflucht?

Eigentlich nicht. Anders aber im Fall des AG Dortmund, Urt. v. 30.1.2015, 436 C 5546/13.

Die Ausgangssituation ist die übliche. Der Versicherungsnehmer verursacht einen Verkehrsunfall, in diesem Fall auf einem Parkplatz, und entfernt sich unerlaubt vom Unfallort.

Im vorliegenden Fall wird die Polizei hinzugerufen und vernimmt den Versicherungsnehmer unmittelbar nach der Tat. Sie stellt insbesondere die Verkehrstüchtigkeit fest und erstellt eine sorgfältig dokumentierte Unfallaufnahme.

Der Versicherer reguliert die Ansprüche des Geschädigten und nimmt sodann seinen Versicherungsnehmer wegen der Unfallflucht in Regress.

Der Versicherungsnehmer beruft sich auf § 28 III des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG).Dieser regelt:

„Abweichend von Absatz 2 ist der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Satz 1 gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat.“

Diese Voraussetzungen konnte der Versicherungsnehmer, dem der sogenannte Kausalitätsgegenbeweis obliegt, nach Ansicht des Amtsgerichts führen.
Das Amtsgericht führt aus, dem Versicherungsnehmer (Beklagten) sei keine arglistige Begehung vorzuwerfen. Des Weiteren sei auch nicht ersichtlich, welche andere Unfallregulierung dem Grunde und der Höhe nach erfolgt wäre, wenn der Beklagte keine Unfallflucht begangen hätte.

Der Beklagte konnte daher nicht in Regress genommen werden.

Dashcam-Video als Beweismittel vor Gericht

Bei einer Dashcam handelt es sich um eine im Fahrzeug installierte Kamera, mit der der Fahrer den Verkehr aufzeichnen kann. Die Frage, ob eine solche Filmaufnahme vor Gericht verwertbar ist, dürfte maßgeblich bei Verkehrsunfällen im Rahmen von Schadensersatzklagen und in Strafverfahren oder Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren eine Rolle spielen.

Das AG München hat in einer Unfallsache mit Beschluss vom 13.8.2014 festgestellt, dass Aufnahmen einer Dashcam, die anlasslos und dauerhaft den Straßenverkehr überwacht, das Persönlichkeitsrecht der Gefilmten verletzt. Aus diesem Grund hielt das Amtsgericht solche Aufnahmen für nicht verwertbar, stellt aber klar, dass eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen ist.

Nun hatte das AG Nienburg im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Nötigung („Drängeln“) im Straßenverkehr zu entscheiden, ob eine solche Videoaufnahme gegen den Beschuldigten verwertet werden darf.

Auch das AG Nienburg stellt klar, dass die Frage der Verwertbarkeit solcher Aufnahmen eine am Einzelfall zu entscheidende Frage ist, die nicht generell mit ja oder nein beantwortet werden kann.

Im Innenspiegel des Fahrzeugs des Geschädigten war eine Dashcam verbaut, die dieser aktiviert hatte, als er das Drängeln des Hintermannes bemerkte. Es fand also keine permanente und anlasslose Videoaufzeichnung statt.

Eine solche Aufnahme hielt das AG Nienburg für verwertbar.

Fazit: Die Frage, ob eine Dashcam-Aufnahme im Straf- oder Zivilverfahren verwertbar ist oder nicht, kann nicht pauschal beantwortet werden. Sie hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Es kristallisiert sich aber eine Tendenz dahingehend heraus, dass anlassbezogene Aufnahmen eher verwertbar sind als permanente Überwachungsaufnahmen.

„Einmal blasen!“ „Bitte?!“ – Zur Belehrungspflicht beim Atemalkoholtest

Den meisten Betroffenen ist nicht klar, dass sie nicht verpflichtet sind, an einer Atemalkoholkontrolle mitzuwirken. Hier gilt der Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten muss.

Es ist also durchaus zulässig, wenn man die Aufforderung: „Einmal blasen bitte“ mit: „Nein, danke!“ beantwortet.

Die Frage, die im Rahmen dieses Beitrages angesprochen werden soll, ist allerdings nicht, was passiert, wenn man das gut gemeinte Angebot der Beamten höflich ausschlägt. Dann folgt im Regelfall schlicht und einfach die Anordnung einer Blutentnahme, an der man nicht vorbeikommt. Im Einzelfall mag man auch Glück haben, und die Beamten lassen einen fahren … (im wörtlichen Sinne) Darum geht es in diesem Beitrag aber nicht.

Wenn man gar nicht blasen muss, dann stellt sich zum einen die Frage, ob die Polizeibeamten verpflichtet sind, über diesen Umstand zu belehren. Und wenn eine solche Verpflichtung besteht, eine Belehrung aber nicht erfolgt ist, ist dann das Ergebnis des Atemalkoholtests trotzdem verwertbar oder nicht?

Muss der Beamte also auf die Freiwilligkeit der Teilnahme an der Atemalkoholkontrolle hinweisen oder nicht?

Das Kammergericht Berlin (KG 30.7.14, 3 Ws (B) 356/14) meint, dass keine Belehrungspflicht besteht. Daraus folgt, dass auch ein ohne Belehrung durchgeführter Atemalkoholtest grundsätzlich verwertbar ist.

Anders sehen das das Amtsgericht Frankfurt und das Landgericht Freiburg. Die Rechtsprechung zu diesem Thema ist nämlich durchaus uneinheitlich. Es kommt mehr oder weniger darauf an, im Bezirk welchen Gerichts man angehalten wird. Berlin ist also eher schlecht für den Betroffenen, Freiburg eher gut, nicht aber, wenn der Betroffene zusätzlich Cannabis dabei hat, dann nämlich wäre er besser in Hamburg, auf keinen Fall aber in München erwischt worden. Soviel sei nebenbei zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland und dem daraus resultierenden Gerechtigkeitsempfinden des einfachen Bürgers erwähnt.

Wenn einen ein Beamter anhält und zur Teilnahme an einem Atemalkoholtest auffordert, sollte man aus taktischen Gründen dennoch nicht unbedingt rückfragen, wo man sich gerade befindet. „Einmal blasen bitte!“ „Wo bin ich hier eigentlich?“, ist nicht gerade die Art Kommunikation, die den Interessen des Betroffenen dienlich sein dürfte.

Folgt man der zweiten Ansicht und hält eine Belehrung für erforderlich und ist diese unterblieben, dann stellt sich die Folgefrage, ob ein solches Messergebnis trotzdem verwertbar ist oder nicht.

Auch hierzu lassen sich unterschiedliche Ansichten vertreten. Klar ist nur, dass solche Alkoholmessungen unverwertbar sind, bei denen ein offenkundiger Irrtum des Betroffenen über die Freiwilligkeit bewusst ausgenutzt wird.

Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass in allen Fällen, in denen dem Betroffenen vorgespiegelt wird, er sei zur Mitwirkung verpflichtet, per se – und zwar unabhängig davon – ob eine Belehrungspflicht überhaupt besteht, eine Unverwertbarkeit vorliegt.

TENDENZIELL könnte man also wie folgt zusammenfassen:

„Einmal blasen! Ist freiwillig!“ verwertbar
„Einmal blasen!“ fraglich, in Berlin aktuell verwertbar
„Einmal blasen!“ „Muss ich?“ „Ja!“ unverwertbar
„Einmal blasen! Sie müssen!“ unverwertbar
„Einmal blasen!“ „Muss ich?“ „Sag‘ ich nicht!“ fraglich
„Einmal blasen!“ „Muss ich?“ „Weiß ich nicht.“ Beruf verfehlt

Die Thematik der Verwertbarkeit der Atemalkoholmessung spielt übrigens nur im Bußgeldverfahren eine Rolle, da die Ergebnisse eines Atemalkoholtestes im Strafverfahren per se nicht verwertbar sind. Im Strafverfahren muss ein Blutgutachten vorliegen. Da heißt es dann: „Einmal zapfen!“, und zwar zur Not auch gegen den ausdrücklichen Willen des Beschuldigten.

Bundesfinanzhof: Kein Vorsteuerabzug im Strafmandat

Gerade bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die betrieblich veranlasst waren, stellt sich häufig die Frage, ob der Unternehmer als Auftraggeber des Anwalts die Umsatzsteuer, die der Anwalt berechnet, vorabziehen kann.

Besonders praxisrelevant sind in diesem Zusammenhang Ordnungswidrigkeiten, die mit Firmenfahrzeugen begangen werden.

Der Unternehmer, der den Verteidiger beauftragt, hätte dann letztlich nur den Nettobetrag zu entrichten (rein wirtschaftlich betrachtet).

Interessant wird diese Konstellation auch und vor allem, wenn ein Rechtsschutzversicherer eintrittspflichtig ist.

Die Folge des Bestehens einer solchen Vorsteuerabzugsberechtigung wäre nämlich, dass der gegebenenfalls eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherer die Anwaltsrechnung eben um die Umsatzsteuer kürzen darf. Denn wirtschaftlich betrachtet, „zahlt“ der Unternehmer dieselbe nicht. Der Anwalt muss die Umsatzsteuer dann von seinem Auftraggeber verlangen. Das ist auch noch immer gängige Praxis der Rechtsschutzversicherer.

Vorteil für den Rechtsschutzversicherer: 19 % Umsatzsteuer geschenkt!

Der Rechtsschutzversicherer nimmt ja in der Regel nur Versicherungssteuer nicht aber Umsatzsteuer ein. Dementsprechend kann er auf die Umsatzsteuer erfolgte Zahlungen auch nicht vorabziehen. Im Ergebnis bekommt er 19 % Umsatzsteuer geschenkt.

Wir sind aber nicht bei Praktiker!

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.4.2013, V R 29/10 (Leitsatz 2) – nach Vorlage an den Europäischen Gerichtshof – entschieden:

„Anwaltsdienstleistungen, deren Zweck darin besteht, strafrechtliche Sanktionen gegen natürliche Personen zu vermeiden, die Geschäftsführer eines steuerpflichtigen Unternehmens sind, eröffnen keinen Anspruch auf Vorsteuerabzug.“

Begründung: Die Strafverteidigungsleistung dient dem „Schutz der privaten Interessen“, nicht aber der wirtschaftlichen Tätigkeit des Beschuldigten. Nach den Urteilsgründen gilt dies unabhänging von der Rechtsform des Unternehmens, also für Einzelunternehmer wie für Geschäftsführer juristischer Personen.

Fazit: Den Abzug der Umsatzsteuer durch die Rechtsschutzversicherer hinzunehmen und die Umsatzsteuer vom Mandanten nachzufordern, ist in der Regel der falsche Weg. Richtig ist, den Rechtsschutzversicherer auf das oben genannte Urteil hinzuweisen und die Umsatzsteuer nachzufordern.

Verurteilung wegen Cannabisfahrt – Erkennbarkeit der Rauschwirkung

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat entschieden, dass für eine Verurteilung nach § 24 a StVG die Feststellung erforderlich ist, dass der Betroffene das Fortbestehen der Wirkung des Rauschmittels hätte erkennen können und müssen.

Liegt der Cannabiskonsum bereits mehr als einen Tag zurück und liegt nur eine geringfügige Überschreitung des analytischen Grenzwerts vor, so ist im Urteil darzulegen, warum der Betroffene dennoch von einer fortbestehenden Rauschwirkung ausgehen musste.

Promillegrenzen

Im folgenden Video erläutere ich, welche Promillegrenzen im Straßenverkehr gelten:

Im Straßenverkehr gelten für Autofahrer folgende Promillegrenzen:

1. Für Fahranfänger gilt eine Grenze von 0,2 Promille. Das absolute Alkoholverbot für Fahranfänger ist in § 24 c des Straßenverkehrsgesetzes geregelt. Darin heißt es, dass es für Fahranfänger verboten ist, unter der Wirkung von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln zu fahren. Es steht also nicht in der Vorschrift, dass Fahranfänger nur mit 0,0 Promille fahren dürfen. Es kommt vielmehr darauf an, ob eine Wirkung des konsumierten Alkohols anzunehmen ist. Da nach derzeitiger Ansicht in der Rechtsprechung eine Wirkung von Alkohol erst ab 0,2 Promille eintritt, gilt die 0,2 Promillegrenze für Fahranfänger.

2. Ab 0,3 Promille kann der Straftatbestand der Trunkenheit im Straßenverkehr (§ 316 Strafgesetzbuch) erfüllt sein. Das ist aber nur der Fall, wenn alkoholbedingte Ausfallerscheinungen (z.B. Fahrfehler wie etwa Schlangenlinien) festgestellt werden können. Man spricht dann von relativer Fahruntauglichkeit.

3. Ab 0,5 Promille ist auch für Nicht – Fahranfänger die Grenze zur Ordnungswidrigkeit überschritten. Wer mit 0,5 Promille ein Kraftfahrzeug führt, begeht eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a des Straßenverkehrsgesetzes. Es ist nicht erforderlich, dass auch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen vorgelegen haben. Liegen Anhaltspunkte für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen vor, wird zunächst ein Strafverfahren eingeleitet werden.

4. Die Grenze zur sogenannten absoluten Fahruntauglichkeit liegt bei 1,1 Promille. Ab diesem Blutalkoholwert ist eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Straßenverkehr (§ 316 StGB) gegeben, ohne dass es auf Ausfallerscheinungen ankommt.

5. Eine weitere wichtige Grenze ist die 1,6 Promillegrenze. Bei diesem Blutalkoholwert liegt die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit eines Fahrradfahrers. Auch für den Autofahrer ist diese Grenze von Bedeutung. Wird die 1,6 Promillegrenze erreicht, muss die Fahrerlaubnisbehörde eine medizinisch – psychologische Untersuchung (MPU) anordnen. Sie hat kein eigenes Ermessen, ob sie die MPU anordnet oder nicht.

 

Rechtsschutzversicherung im Verkehrsrecht – Teil 1

Warum dieser Beitrag?

Mit der Rechtsschutzversicherung im Bereich Verkehrsrecht ist das so eine Sache. Viele Betroffene erkennen überhaupt nicht, dass ein Rechtsschutzversicherer eintrittspflichtig ist. Das ist schon mal sehr schlecht.

Denn es betrifft nicht nur die Frage des Leistungsumfangs einer Rechtsschutzversicherung, vielmehr wissen viele eigentlich versicherte Personen schon nicht, dass sie rechtsschutzversichert sind, weil sie meinen, nur wer einen eigenen Versicherungsvertrag abgeschlossen habe, sei rechtsschutzversichert.

In dieser Unwissenheit scheuen Sie natürlich den Weg zum vermeintlich teuren Rechtsanwalt. Da auch ich vermutlich solch ein häufig Gescheuter (im Übrigen auch Gescheiter) bin, möchte ich diesem Missstand so gut es geht – natürlich ausschließlich zum Wohle der Betroffenen – abhelfen. Nur am Rande sei erwähnt, dass ich selbstverständlich vor Annahme des Mandats prüfe, ob ein Rechtsschutzversicherer eintrittspflichtig ist und mich für den Mandanten kostenlos um die Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers kümmere.

Die Kostenzusage des Rechtschutzversicherers ist darüber hinaus nicht nur für die entstehenden Anwaltskosten von Bedeutung – natürlich freut sich der Anwalt (also ich), wenn ein Rechtschutzversicherer eintrittspflichtig ist. Vielmehr trägt der Rechtsschutzversicherer in den meisten Fällen auch die vollständigen Verfahrenskosten, was auch die Kosten eines gerichtlichen und / oder privaten Sachverständigengutachtens, die sich nicht selten im vierstelligen Bereich bewegen, und die Gerichtskosten beinhaltet.
Für die Vertretung des Mandanten ergibt sich aus der Eintrittspflicht des Rechtsschutzversicherers wegen des damit einhergehenden, auf den vereinbarten Selbstbehalt reduzierten Kostenrisikos ein ganz erhebliches Potenzial. Wer rechtsschutzversichert ist, kann es sich im Rahmen der Eintrittspflicht des Versicherers beispielsweise erlauben, einen teuren Sachverständigen zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit einer Geschwindigkeitsmessung hinzuzuziehen, ohne Kostenrisiko Klage zu erheben, sein Fahrzeug nach dem Kauf auf Mängel begutachten zu lassen, selbstständige Beweisverfahren zur Beweissicherung einzuleiten, Beweisanträge zu stellen, Rechtsmittel einzulegen, und vieles mehr.

Der jeweilige Leistungsumfang der verschiedenen Rechtsschutzversicherer ist seit einigen Jahren nicht mehr einheitlich, im Wesentlichen jedoch gleich ausgestaltet. Ich möchte mit diesem und nachfolgenden Beiträgen den üblichen Leistungsumfang der Rechtsschutzversicherer- zumindest in groben Zügen – in verschiedenen verkehrsrechtlichen Gebieten darstellen.

Der heutige Beitrag befasst sich mit dem Thema Rechtsschutz bei Verkehrsstraf- und ordnungswidrigkeiten. Beiträge zum zivilen Verkehrsrecht (Unfallregulierung, Kauf- und Leasingverträge) sowie zum Fahrerlaubnisrecht werden demnächst folgen.


Verkehrsrechtsschutz in den Bereichen Verkehrsstrafverfahren und Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren

Wer ist versichert?

Versichert ist natürlich derjenige, der eine Verkehrsrechtsschutzversicherung abgeschlossen hat, also der Versicherungsnehmer.

Dieser ist aber nicht die einzige Person, die im Rahmen des Verkehrsrechtsschutzes versichert ist. Neben der Möglichkeit, als Familienmitglied, beispielsweise über die Ehefrau oder den Ehemann, den Vater oder die Mutter, mitversichert zu sein, besteht im Verkehrsrechtsschutz die leider sehr oft übersehene Möglichkeit, als berechtigter Fahrer mitversichert zu sein.

Wer berechtigter Weise mit einem Fahrzeug fährt, das auf eine rechtsschutzversicherte Person zugelassen ist, kann die Rechtsschutzversicherung des „Halters“ in Anspruch nehmen. Ein besonderes, etwa verwandtschaftliches Verhältnis zum Fahrzeughalter ist dabei nicht erforderlich. Wer beispielsweise mit einem von einem Bekannten geliehenen Fahrzeug geblitzt wird, ist über die Rechtsschutzversicherung seines Bekannten mitversichert.

Eine häufige Fallgruppe bildet in diesem Zusammenhang der Arbeitnehmer, der mit einem Firmenfahrzeug geblitzt wird. Ist der Arbeitgeber, auf den das Fahrzeug zugelassen ist, verkehrsrechtsschutzversichert, so kann der Arbeitnehmer diese Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen, auch wenn er nicht selbst rechtsschutzversichert ist.

Was ist versichert?

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich allgemein immer lohnt, die jeweiligen Versicherungsbedingungen, die der Mandant vereinbart hat, einer genauen Prüfung zu unterziehen. Inzwischen gibt es zahlreiche Rechtsschutzversicherer, die auch im Bereich des allgemeinen Strafrechts – also außerhalb des verkehrsrechtlichen Bereichs – „Komfortpakete“, bei denen auch Vorsatzdelikte, z.B.: Betrug, Diebstahl und Sachbeschädigung, vorläufig versichert sein können, anbieten. Das soll aber nicht Gegenstand dieses Beitrages sein.

Dies gilt nämlich nicht für Vorsatzdelikte im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten. Bei Verkehrsordnungswidrigkeiten (Geschwindigkeitsverstöße, Rotlichtverstöße, Abstandsverstöße, etc.) sind sowohl Vorsatzdelikte vom Rechtsschutz umfasst als auch vorsätzlich begangene Verkehrsordnungswidrigkeiten, die auch fahrlässig begangen werden können. Einfach ausgedrückt ist bei Verkehrsordnungswidrigkeiten auch Vorsatz versichert.

Der Rechtsschutz im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht ist sehr umfassend. Darauf, ob eine Verurteilung wegen fahrlässiger oder vorsätzlicher Begehung erfolgt, kommt es bei Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht an. In diesem Bereich sind auch Privatgutachten zur Ordnungsgemäßheit der Messung versichert.

Früher geltende Allgemeine Rechtsschutzbedingungen, die die vorsätzliche Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit vom Rechtsschutz ausgenommen haben, sind meines Wissens durchweg abgeschafft. Dennoch kann sich vorosrglich eine klarstellende Kostenzusage, wenn eine Verurteilung wegen Vorsatzes möglich erscheint, im Laufe des Verfahrens empfehlen.

In Verkehrsstrafsachen besteht, auch wenn der Tatvorwurf auf Vorsatz lautet, vorläufige Deckung. Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer zunächst als versichert behandelt wird, mithin der Rechtsschutzversicherer zunächst die Kosten des Verteidigers übernimmt. Erfolgt jedoch im Verlauf des Verfahrens eine Bestrafung wegen Vorsatzes, muss der Versicherungsnehmer die geleisteten Zahlungen an den Rechtschutzversicherer zurückzahlen.

Typische Beispiele hierfür sind die Trunkenheitsfahrt, die Unfallflucht und die Gefährdung des Straßenverkehrs.

Wenn die Verteidigung ausnahmsweise im Übrigen aussichtslos sein sollte, so ist es doch in den weitaus meisten Fällen möglich, zumindest eine Verurteilung wegen fahrlässiger Begehung, dies gilt insbesondere für Trunkenheitsdelikte, zu erreichen. Dann bleibt es letztlich dabei, dass der Versicherungsnehmer weder Anwalts- noch Gerichtskosten zahlen muss.

Ist das Zuparken eines Blitzers strafbar?

Über alternative Methoden der Verteidigung in Verkehrsordnungswidrigkeiten hatte ich schon einmal berichtet: „Flitzer klaut Blitzer, Beitrag vom 07.10.2010„.

Nun liegt dem Bundesgerichtshof ein Fall vor, bei dem der Angeklagte die Messung behindert hat, indem er Fahrzeuge vor dem Messgerät abgestellt hat. Im Gegensatz zum obigen Blitzerklau also eher eine „vorbeugende Maßnahme“. Ob der Angeklagte sich durch dieses Verhalten strafbar gemacht hat, wird sich nun zeigen.

Wie der Kollege Burhoff (hier) und die Verkehrsrecht aktuell in ihrer neuesten Ausgabe berichten, hat das Oberlandesgericht Karlsruhe dem Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 17.08.2012 folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

„Ist eine Geschwindigkeitsmessanlage eine eigenständige, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienende Anlage im Sinne des § 316 b Abs. 1 Nr. 3 StGB?“

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat über eine Revision in einer Strafsache zu entscheiden. Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen Nötigung verurteilt. Er hatte einen Kastenwagen vor einer mobil aufgestellten Geschwindigkeitsmessanlage aufgestellt, offenbar in der erfolgreichen Absicht, die Messung zu verhindern. Nachdem ihm der Polizeibeamte das Abschleppen angedroht hatte, fuhr der Angeklagte den Kastenwagen weg. Einige Zeit später kehrte er mit einem Traktor mit Anhänger zurück und stellte diesen vor der Messanlage ab. Er ließ den Frontlader herunter, um das Abschleppen zu verhindern.

Das Amtsgericht hat den Angeklaggetn wegen Nötigung nach § 240 StGB verurteilt. Der Verteidiger des Angeklagten legte Revision zum Oberlandesgericht Karlsruhe ein. Das Oberlandesgericht sieht in dem Verhalten – meines Erachtens zutreffend – keine Nötigung. Es führt aus:

„Das Abstellen des Kastenwagens und danach des Traktors vor der Messanlage stellt zwar eine körperliche Kraftentfaltung dar (OLG Karlsruhe NJW 1996, 1551). Im hier zu entscheidenden Fall bewirkte dies jedoch keine körperliche Zwangswirkung gegen den Messbeamten.“

Es vertritt allerdings die Auffassung, der Angeklagte habe sich einer Störung öffentlicher Betriebe nach § 316b StGB strafbar gemacht. Da dieser Ansicht die Rechtsprechung eines anderen Oberlandesgerichts, namentlich des Oberlandesgerichts Stuttgart, das in einer Messanlage keine „Anlage“ im Sinne des § 316 b StGB sieht, entgegensteht, hat es die Frage dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

Behinderungen von Blitzern sind keine Seltenheit und kommen in den unterschiedlichsten Varianten vor. Dementsprechend ist der Entscheidung des Bundesgerichtshofs mit großem Interesse entgegenzusehen.

Wie der Kollege Burhoff zutreffend anmerkt, ist dieser Fall auch sehr gut für eine Examensklausur geeignet. Er gibt nicht nur Gelegenheit, sich in aller Ausführlichkeit mit dem Gewaltbegriff auseinanderzusetzen sondern schwenkt zudem in einen wenig bekannten Straftatbestand, nämlich die Störung öffentlicher Betriebe nach § 316 b StGB, über.

Den Damen und Herren Studiosi wünsche ich hiermit viel Spaß beim Lernen! Ich hab’s ja zum Glück hinter mir … 🙂

NRW will die Promillegrenze für Fahrradfahrer senken

Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger fordert eine Absenkung der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit für Fahrradfahrer. Bislang liegt die Grenze bei 1,6 Promille. Jäger möchte sie auf 1,1 Promille absenken.

Allenthalben ist jetzt auch zu lesen, Radfahren sei erst ab 1,6 Promille strafbar. Das ist falsch. Absolute Fahruntauglichkeit bedeutet lediglich, dass ab diesem Promillewert unwiderleglich vermutet wird, dass der Radfahrer untauglich ist, am Straßenverkehr teilzunehmen. Es bedeutet nicht, dass Radfahren unter 1,6 Promille nicht strafbar sein kann. Radfahren ist vielmehr, genau wie Autofahren, bereits ab 0,3 Promille strafbar, sofern beim Radfahrer verkehrsbezogene Ausfallerscheinungen (z.B. Schlangenlinien) festgestellt werden können.

Vor diesem Hintergrund hätte eine Herabsetzung der Promillegrenze zur absoluten Fahruntauglichkeit allenfalls Signalwirkung, wenn überhaupt.

Zum Thema: Alkohol am Fahrradsteuer (Blogbeitrag vom 04. August 2010).

Über den neuen medienwirksamen Vorstoß des Innenministers berichteten gestern so ziemlich alle Medien. Die 1,6 Promillegrenze für Radfahrer beruht allerdings allein auf Richterrecht. Sie ist nirgendwo normiert. Grundlage dieser ständigen Rechtsprechung sind Erkenntnisse aus der Wissenschaft. Eine Herabsetzung ist daher allein durch die Gerichte, namentlich den Bundesgerichtshof, möglich.
Man möge mich nicht falsch verstehen, betrunkene Fahrradfahrer gefährden sich und andere und dem gilt es selbstverständlich entgegenzuwirken.

Möglich wären zum Beispiel:

1. Eine Ahndung nach § 24 a StVG unter Heraufsetzung der Promillegrenze für Fahrradfahrer auf beispielsweise 1,1 Promille. Die 0,5 Promillegrenze, die für Autofahrer gilt (siehe hier: Promillegrenzen im Straßenverkehr) scheint dann nach den Erkenntnissen der Wissenschaft für Fahrradfahrer doch etwas niedrig angesetzt. Zudem sollte nicht die Signalwirkung: „Da kann ich ja gleich mit dem Auto fahren“, entstehen.
Konsequenz wäre dann ein Bußgeld in Höhe von 500,00 Euro (sollte für Radfahrer gegebenenfalls auch herabgesetzt werden) und ein Fahrverbot von einem Monat.

2. Ermöglichung von Fahrverboten nach § 44 StGB (also Fahrverbote durch den Strafrichter).

3. Verschärfung der Verwaltungspraxis bei den Fahrerlaubnisstellen. Diese dürfen dem betrunkenen Fahrradfahrer bisher als Einzige an den Führerschein. Allerdings wird hier bundesweit noch relativ zurückhaltend vorgegangen.

Jugendstrafrecht – Der Warnschussarrest ist beschlossene Sache

Der Bundestag hat am 14. Juni 2012 den Gesetzesvorschlag zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten angenommen.

Wesentliche Änderungen des Jugendgerichtsgesetzes sind zum einen die Heraufsetzung des Höchstmaßes der Jugendstrafe für heranwachsende bei Mord auf 15 Jahre.

Zum anderen wurde die Einführung des so genannten Warnschussarrest beschlossen. Dieser wird im neuen Paragraphen 16 a JGG geregelt werden.
Warnschussarrest bedeutet, dass unter bestimmten Voraussetzungen neben einer Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird, ein Jugendarrest von bis zu vier Wochen verhängt werden darf. Voraussetzung ist, grob gesagt, dass der Jugendarrest zur Einwirkung auf die Gesinnung des Jugendlichen, zur Vorbereitung der Bewährungszeit oder zur zeitlich begrenzten Trennung von seinem Umfeld und schädlichen Einflüssen geboten ist. Wenn der Jugendliche sich bereits in Untersuchungshaft befunden hat oder schon einmal Dauerarrest verbüßt hat, soll der Warnschussarrest in der Regel nicht geboten sein.

Der neu eingefügte § 16 a des Jugendgerichtsgesetzes hat folgenden Wortlaut:

„§  16a Jugendarrest neben Jugendstrafe

(1)  Wird  die  Verhängung  oder  die  Vollstreckung  der Jugendstrafe  zur  Bewährung  ausgesetzt,  so  kann  abweichend  von  §  13  Absatz  1  daneben  Jugendarrest  verhängt

werden,  wenn

1.  dies  unter  Berücksichtigung  der  Belehrung  über  die

Bedeutung  der  Aussetzung  zur  Bewährung  und  unter

Berücksichtigung  der  Möglichkeit  von  Weisungen

und  Auflagen  geboten  ist,  um  dem  Jugendlichen

seine  Verantwortlichkeit  für  das  begangene  Unrecht

und die Folgen weiterer Straftaten zu verdeutlichen,

2.  dies  geboten  ist,  um  den  Jugendlichen  zunächst  für

eine  begrenzte  Zeit  aus  einem  Lebensumfeld  mit

schädlichen  Einflüssen  herauszunehmen  und  durch

die  Behandlung  im  Vollzug  des  Jugendarrests  auf  die

Bewährungszeit vorzubereiten, oder

3.  dies  geboten  ist,  um  im  Vollzug  des  Jugendarrests

eine  nachdrücklichere  erzieherische  Einwirkung  auf

den  Jugendlichen  zu  erreichen  oder  um  dadurch  bessere  Erfolgsaussichten  für  eine  erzieherische  Einwirkung in der Bewährungszeit zu schaffen.

(2)  Jugendarrest  nach  Absatz  1  Nummer  1  ist  in  der

Regel  nicht  geboten,  wenn  der  Jugendliche  bereits  früher

Jugendarrest  als  Dauerarrest  verbüßt  oder  sich  nicht  nur

kurzfristig  im  Vollzug  von  Untersuchungshaft  befunden

hat.“

 

Unfallflucht mit Einkaufswagen

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 7. November 2011, AZ: III-1 RVs 62/11, entschieden, dass die Kollision eines Einkaufswagens mit einem parkenden Pkw auf einem Parkplatz, der öffentlich zugänglich ist, ein Unfall im Straßenverkehr im Sinne des § 142 StGB ist.

Beim Beschädigen eines fremden Pkw mit einem Einkaufswagen ist im Hinblick auf die Rechtsfolgen daher dringend zu empfehlen, sich nicht vom Unfallort zu entfernen sondern bestenfalls abzuwarten, bis der Fahrer des Pkw zum Fahrzeug zurückkehrt. Zu den Rechtsfolgen einer Unfallflucht:

Rechtsfolgen einer Unfallflucht

Zum Strafmaß bei der Unfallflucht

 

Besser mal einen Zug nehmen – „Fahrradfahrverbot“ wegen Trunkenheitsfahrt

Und es wird Sommer … Ästhetisch belästigende Presswürste, eingepackt in hautenge, schrittgezwängte und damit zeugungsfähigkeitsgefährdende (auch für den Beobachter) Jan Ullrich – Gedächtnis – Fahrradanzüge bevölkern die Straßen. Sport ist gesund.

Wer’s nicht sehen will, mag einfach wegschauen, während er mit seinem Auto zum Kippenautomaten gondelt. Ich halte es da lieber mit dem 97-er Udo Bölts – Tour de France – Klassiker. Ich kurbele gelegentlich im Vorbeifahren die Beifahrerscheibe runter und feuere die ohnehin schon Herzinfarktgefährdeten mit dem überraschenden, lautstarken und äußerst motivierenden Schlachtruf: „Quäl dich, du Sau!“, an. So weit so gut.

Kriminell wird’s aber, wenn Alkohol oder Drogen im Spiel sind.

Zum Thema Fahrradfahrer und Straßenverkehrsrecht habe ich bereits einige Artikel veröffentlicht, z.B.:

Wie werde ich Geisterradler

Nutzungsausfallentschädigung für beschädigtes Fahrrad

Dass die Fahrerlaubnisbehörde weitgehende Eingriffsrechte gegenüber alkoholauffälligen Fahrradfahrern hat, war ebenfalls bereits Gegenstand eines Artikels, siehe hier:

Alkohol am Fahrradsteuer

Zu diesem Thema gibt es nun zwei aktuelle Entscheidungen, die ich kurz aufzeigen möchte. Wenig überraschend ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Neustadt a. d. Weinstraße, Urteil vom 30.01.2012, AZ 3 K 954/11, Leitsatz:

„Die Fahrerlaubnisbehörde hat nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c. Fahrerlaubnisverordnung, wenn der Betroffene ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 %o oder mehr geführt hat – hier Radfahrer mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,44 %o -, zwingend die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im Hinblick auf seine Fahreignung anzuordnen. Dies gilt auch bei einem sog. Ersttäter, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge ist.“

Begründung:

„Bei einem Fahrradfahrer, der sich mit hoher Blutalkoholkonzentration am Straßenverkehr beteiligt und damit eine Verkehrsstraftat nach § 316 StGB begeht, ist in der Regel bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründet, er werde in alkoholisiertem Zustand nicht stets die nötige Selbstkontrolle aufbringen, vom Führen eines Fahrzeugs abzusehen.“

Kurzfassung: Ab 1,6 Promille auf dem Fahrrad folgt die MPU auf dem Fuß (zwingend).

Interessanter ist da schon die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen, Beschluss vom 02.02.2012, AZ 12 ME 274/11, Leitsatz:

„Einem Verkehrsteilnehmer, der bislang nur fahrerlaubnispflichtige Fahrzeuge in einem eignungsausschließenden Zustand geführt hat, kann die Nutzung fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge, ggf. auch eines Fahrrads, verboten werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls Anlass zu der begründeten Annahme besteht, er werde in überschaubarer Zukunft ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug im Zustand der Nichteignung führen und zu einer konkreten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer werden.“

Der Antragsteller war in mehreren Fällen wegen Alkohol und / oder Drogen im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs und Leichtkraftfahrzeugs (Mofas) sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Beim Fahrradfahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss hatte man ihn allerdings nie erwischt.

Aus den Gründen:

„Ein derartiges Verbot setzt … die Feststellung voraus, dass der Betreffende gerade auch ungeeignet zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen ist und die konkreten Umstände des Einzelfalls Anlass zu der begründeten Annahme geben, der Betroffene werde voraussichtlich in überschaubarer Zukunft ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug im Zustand der Nichteignung führen und so zu einer konkreten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer werden.“

M.a.W.: Auch wer noch nie Fahrrad gefahren ist bzw. noch nie mit Alkohol oder Drogen auf dem Fahrrad erwischt wurde, ist vor einem Fahrradfahrverbot nicht sicher. Damit liegt das OVG Niedersachsen auf einer Linie mit dem OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 08.06.2011, AZ 10 B 10415/11.

Das OVG Niedersachsen hat den Antragsteller übrigens darauf verwiesen, er könne mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Den Einwand des Antragstellers, er könne sich das nicht leisten, hat das OVG mit der Begründung, er solle sich das Geld für Drogen sparen und für öffentliche Verkehrsmittel ausgeben (Simplifizierung durch Unterzeichner) zurückgewiesen.

Ob der Betroffene in Zukunft „einen Zug nehmen“ wird oder nicht … Man weiß es nicht … 🙂

EU – Fahrerlaubnis wirksam trotz deutschem Wohnsitz im Führerschein?!

Anscheinend ja! Nach der Entscheidung des EuGH vom 26.08.2008 (Wiedemann/Zerche/Funk) herrschte zunächst unter den Oberverwaltungsgerichten die einhellige Meinung, dass eine EU – ausländische Fahrerlaubnis schon dann nicht dazu berechtigt, im Inland FAhrzeuge zu führen, wenn im Führerschein als Wohnsitz ein Ort in Deutschland eingetragen ist.
Darauf, ob dem Fahrerlaubnisinhaber vor Erwerb der Fahrerlaubnis in Deutschland der Führerschein entzogen worden war (§ 28 IV Nr. FEV) oder eine ähnliche Maßnahme stattgefunden hat, kam es nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung nicht an. Wer also mit einem Führerschein aus dem EU – Ausland unterwegs war, in dem ein deutscher Wohnsitz eingetragen war, fuhr ohne die erforderliche Berechtigung, was dann einen Sperrvermerk im Führerschein zur Folge hatte sowie in der Regel ein Strafverfahren wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVO) nach sich zog.

Dieser Rechtsansicht haben der Hessische Verwaltungsgerichtshof (Urt. v. 18.06.2009 AZ: 2 B 255/09) und das Oberverwaltungsgericht Rheinland – Pfalz eine deutliche Absage erteilt und klargestellt, dass ein Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip für sich alleine noch nicht genügt, um auf eine Nichtberechtigung zum Führen von Fahrzeugen im Inland zu schließen.

Leitsatz des OVG Rheinland – Pfalz (Urt. v. 18.03.2010 AZ: 10 A 11244/09):

"1. § 28 Abs. 4 Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung in der bis zum 18. Januar 2009 geltenden Fassung gelangt nicht schon dann zur Anwendung, wenn sich der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 91/439/EWG aus dem vom Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein oder anderen von diesem Staat herrührenden unbestreitbaren Informationen ergibt.

2. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass dem betreffenden EU-Fahrerlaubnisinhaber in Deutschland vor der Führerscheinausstellung die Fahrerlaubnis entzogen oder seine Fahrerlaubnis eingeschränkt, ausgesetzt oder aufgehoben worden war (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, grundlegend Beschluss vom 23. Januar 2009, BA 2009, 352)."

 

Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat bereits angedeutet, dass ein Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip für sich alleine gerade nicht ausreichen dürfte und diese Frage zur Klärung dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt (Beschluss v. 16.08.2010 AZ: 11 CE 10.262). Nach meiner Prognose wird der Europäische Gerichtshof diese Vorlagefrage in vorgenanntem Sinne beantworten. Die vormals herrschende Meinung unter den Verwaltungsgerichten basierte schlicht und einfach darauf, dass der Europäische Gerichtshof noch nie über Fälle zu entscheiden hatte, in denen ausschließlich ein Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip vorlag. Ihm lagen immer Sachverhalte vor, in denen eine Entziehungs- oder ähnliche Maßnahme vorausgegangen war und zudem die nationalen Eignungstests (MPU) umgangen werden sollten.

Nach meiner Erfahrung haben sich die oben genannten Urteile weder bei den Fahrerlaubnisbehörden noch bei den Strafgerichten festgesetzt. Ist im ausländischen Führerschein ein deutscher Wohnsitz eingetragen, wird noch immer häufig ein Sperrvermerk eingetragen und ein Strafbefehl produziert. In Rheinland – Pfalz kursiert jedenfalls noch immer ein Rundschreiben des Landesbetriebs für Mobilität an die einzelnen Fahrerlaubnisbehörden, nach welchem in solchen Fällen ein Sperrvermerk eingetragen werden soll. Aktuell befindet sich ein derartiger Fall bei mir in Bearbeitung und zwar mit allem pipapo (Umschreibungsantrag, Antrag auf Feststellung der Berechtigung, einstweiliger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren, Einspruch gegen den Strafbefehl). Schau mer mal, wie es ausgeht. Nach meiner Einschätzung gut … Ich werde darüber berichten.

Ganz allgemein lässt sich Folgendes konstatieren:

Die Rechtslage bezüglich der Anerkennung von EU – Fahrerlaubnissen ist ebenso kompliziert wie die anschließende Frage der Strafbarkeit wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis. Den Betroffenen bzw. Beschuldigten kann nur dringend ans Herz gelegt werden, sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen. Nicht selten kann übrigens schon wegen der Schwierigkeit der Rechtslage die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten sein (z.B.: OLG Zweibrücken Bschluss v. 14.03.2006 AZ: 1 Ss 146/05).

Abschließend bitte ich höflich davon, von Anfragen der Art: "Ich habe keine Lust, die MPU zu machen, weil ich auch weiterhin lieber im Drogen- und Alkoholrausch kleine Kinder totfahren möchte, kann ich nicht den Führerschein in Polen machen", abzusehen. Ich rate hiermit jedem ausdrücklich davon ab. Anfragen dieser Art werden von mir unbeantwortet bleiben. Wenden Sie sich mit solchen Anfragen bitte an den Ihnen sicherlich bekannten Anwalt Ihres Vertauens, der um die Ecke wohnt (man nennt ihn deshalb auch Winkeladvokat).

Wenn Sie ein aktuelles Problem mit einem "Alt – Fall" haben und jetzt bereits oder demnächst in der Tinte sitzen, insbesondere in der vorbezeichneten Art, stehe ich Ihnen für ein kostenloses Informationsgespräch selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Rechtsfolgen einer Unfallflucht

Der Straftatbestand der Unfallflucht ist in § 142 StGB – unerlaubtes Entfernen vom Unfallort – geregelt. Neben den strafrechtlichen Folgen einer Unfallflucht sind immer auch die zivilrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Folgen zu beachten. Nachfolgend gebe ich einen kleinen Überblick, über die Auswirkungen einer Unfallflucht. Der Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

1. Strafrechtliche Folgen: Nach § 142 StGB droht eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Die Unfallflucht ist eine sogenannte Katalogtat, die in § 69 unter Absatz 2 Nummer 3 aufgeführt ist. Ist bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt wurden oder ein bedeutender Sachschaden (ab einer Schadenshöhe von ca. 1200,00 €) an einer fremden Sache entstanden, so kann das Gericht die Fahrerlaubnis entziehen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung durch die Führerscheinstelle verhängen. In diesem Fall kommt auch eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis durch richterlichen Beschluss gemäß § 111 a StPO in Betracht. Bei den Staatsanwaltschaften existieren interne Richtlinie zum Strafmaß und zur Dauer der Sperrfrist, die unter anderem von der Höhe des eingetretenen Schadens abhängig sind und meist sklavisch im Antrag der Staatsanwaltschaft vertreten werden.

2. Verwaltungsrechtliche Folgen: Wer eine Unfallflucht begeht, zeigt charakterliche Mängel. Die Fahrerlaubnisbehörde kann eine MPU anordnen und die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von der bestandenen MPU abhängig machen. Das geschieht in der Praxis allerdings eher selten, wenn nicht sonstige erschwerende Umstände hinzutreten.

Was erstaunlicherweise häufig übersehen wird: Für eine Unfallflucht werden sieben Punkte in Flensburg eingetragen. Man sollte sich daher Gewissheit über den eigenen Punktestand verschaffen.

3. Versicherungsrechtliche Folgen: Dass der Führerscheinverlust und eine Geld- bzw. Freiheitsstrafe  droht, ist den meisten bewusst. Daneben sind aber auch die zivilrechtlichen Folgen zu beachten. Wer eine Unfallflucht begeht, begeht damit  eine sog. Obliegenheitsverletzung in der Kfz – Haftflichtversicherung, die einen (quotenmäßigen) Verlust des Leistungsanspruchs zur Folge hat. Der Kfz – Haftpflichtversicherer wird zwar die Schäden an dem fremden Eigentum ersetzen, danach aber Regress beim eigenen Versicherten nehmen bis zu einer Höhe von 2.500,00 €, in besonders schweren Fällen bis zu 5.000,00 €.

Zudem verliert der Unfallflüchtige seinen Anspruch auf Leistungen aus seiner Vollkaskoversicherung. Er muss also nicht nur die Schäden am fremden Eigentum bezahlen, sondern bleibt trotz bestehender Vollkaskoversicherung auf seinen eigenen Schäden sitzen.

Wer wegen Unfallflucht verurteilt wird, verliert auch den vorläufigen Rechtsschutz. Er muss dem Rechtsschutzversicherer bereits unter Vorbehalt gezahlte Anwaltsgebühren erstatten bzw. diese, soweit sie nicht von der Rechtsschutz bezahlt wurden, selber zahlen.

In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass im Rahmen der Mandatsbearbeitung auf diese Folgen durch den Rechtsanwalt nicht hingewiesen wird. Anstatt eine vernünftige Verteidigung gegen den Vorwurf der Unfallflucht zu führen, soweit dies im Einzelfall agezeigt und möglich ist, erfolgt vorschnell eine Strafmaßverteidigung in dem Sinne, dass der Tatvorwurf eingeräumt wird und der Richter dann sozusagen im Gegenzug die Geldstrafe senkt und die Sperrfrist etwas kürzt. Die Sperrfristverkürzung ist in den Fällen, in denen der Mandant die 17 Punkte – Grenze in Flensburg überschreitet, natürlich ein tolles Ergebnis. Dann ist die Fahrerlaubnis nämlich ohnehin weg und muss komplett neuerworben werden. Der Mandant bleibt außerdem häufig auf allen nur denkbaren Kosten sitzen, ohne vorher hierüber informiert worden zu sein. Herzlichen Glückwunsch und gute Besserung!

Fazit: Nur wer einen Überblick über die möglichen Rechtsfolgen einer Unfallflucht hat, kann den Beschuldigten optimal beraten und darauf vorbereiten, was auf ihn zukommt bzw. zukommen kann. Einen Verteidiger mit der Prüfung der Verteidigungsmöglichkeiten gegen den Vorwurf der Unfallflucht zu beauftragen, lohnt sich in jedem Fall.

Zum Strafmaß bei der Unfallflucht

Bei den Staatsanwaltschaften existieren interne Richtlinien zur Bearbeitung von Verkehrssachen, die von Staatsanwaltschaft zu Staatsanwaltschaft (geringfügige) Abweichungen enthalten. Die Richtlinien sind nicht verbindlich. Der Beschuldigte kann sich darauf also nicht berufen.

Meist wird sich der Antrag der Staatsanwaltschaft aber an die Vorgaben der Richtlinien halten, wenn nicht im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten. Diese sind natürlich von der Verteidigung vorzutragen, soweit sie dem Beschuldigten nützlich sind.

Als Beispiel soll hier die Richtlinie der Staatsanwaltschaft Saarbrücken dienen. Die Richtlinie gilt für Ersttäter. Wer also schon einschlägig vorbestraft ist, muss mit einer höheren Strafe rechnen. Die Richtlinie der Staatsanwaltschaft Saarbrücken sieht Folgendes vor:

Ist ein Sachschaden von 550,00 € bis 650,00 € entstanden, so soll eine Geldstrafe von 20 – 30 Tagessätzen und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt werden. Ein Tagessatz entspricht einem Dreißigstel des monatlichen Einkommens.

Bei einem Sachschaden von 650,00 € bis 900,00 € soll eine Geldstrafe von mindestens 30 Tagessätzen und zwei Monate Fahrverbot verhängt werden.

Liegt der Sachschaden zwischen 900,00 € und 1.100,00 € sollen mindestens 40 Tagessätze und 3 Monate Fahrverbot verhängt werden.

Ab einer Schadenshöhe von 1.100,00 € sind mindestens 50 Tagessätze und eine Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von mindestens 9 Monaten fällig.

Bei Wiederholungstätern kommt eine kurze Freiheitsstrafe von 4 – 6 Monaten (regelmäßig zur Bewährung ausgesetzt) in Betracht. Die Geldstrafe erhöht sich auf 120 bis 180 Tagessätze.

Sind der Unfallflucht eine Trunkenheitsfahrt oder eine Gefährdung des Straßenverkehrs vorausgegangen (was häufig der Fall ist) und wird die Fahrerlaubnis entzogen, so wirkt sich die Unfallflucht vor allem dahingehend aus, dass die Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis um 2 bis 4 Monate verlängert wird. Wichtig: Die Schadenshöhe berechnet sich nur aus den Reparaturkosten inklusive Umsatzsteuer, falls diese anfällt. Je nach Einzelfall ist es daher auch im Strafverfahren stets angezeigt, die tatsächliche Schadenshöhe zu ermitteln bzw. in Frage zu stellen. Es kann sich auch lohnen, mit dem Geschädigten Rücksprache zu halten, ob er das Fahrzeug tatsächlich repariert hat bzw. reparieren lassen möchte. Gegebenenfalls darf die Umsatzsteuer nämlich nicht berücksichtigt werden, weil der Geschädigte diese nicht zahlen muss. Falls keine anderen erfolgversprechenden Verteidigungsmittel in Betracht kommen, lassen sich so zumindest die Geldstrafe und die Dauer des Fahrverbotes reduzieren bzw. die Entziehung der Fahrerlaubnis verhindern.

Alkohol am (Fahrrad-)Steuer

Nach einer neuen Studie des Auto Club Europa (ACE) sind bei jedem achten Fahrradunfall Alkohol und / oder Drogen im Spiel. Im Vergleich dazu ist nur bei jedem 22. Autounfall Alkohol- oder Drogeneinnahme zu verzeichnen. Das gibt Anlass einmal kurz darzustellen, wie es sich mit den Rechtsfolgen bei Trunkenheitsfahrten von Fahrradfahrern verhält:

I. Straftaten

1. Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB): § 316 StGB knüpft an das Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr an. Auch das Fahrrad ist ein Fahrzeug, weshalb sich derjenige, der im Zustand alkoholoder drogenbedingter Fahrunfähigkeit im Verkehr Fahrrad fährt, nach § 316 StGB strafbar macht. Absolute Fahruntauglichkeit liegt ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille vor. Liegt der Wert darunter, müssen verkehrsbezogene Ausfallerscheinungen (Schlangenlinien o.Ä.) hinzutreten.

2. Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315 c StGB): Auch § 315 c StGB knüpft an den Begriff des Fahrzeuges an, weshalb auch eine Strafbarkeit wegen Gefährdung des Straßenverkehrs in Betracht kommt.

3. Kein Entzug der Fahrerlaubnis durch das Gericht (§ 69 StGB): Wird ein Autofahrer wegen der vorgenannten Verkehrsdelikte bestraft, so wird ihm das zuständige Gericht nach § 69 StGB in der Regel die Fahrerlaubnis entziehen. Die Fahrerlaubnis erlischt dann und muss nach Ablauf einer Sperrfrist bei der Fahrerlaubnisbehörde neu beantragt werden, ggf. unter Nachweis einer MPU. In § 69 StGB ist aber vom Führen von Kraftfahrzeugen die Rede. Egal wie muskulös die Beine sind, das Fahrrad ist kein Kraftfahrzeug, deshalb kann die Fahrerlaubnis nicht vom Strafgericht entzogen werden.

4. Kein Fahrverbot durch das Gericht (§ 44 StGB): Mit Fahrverbot ist die befristete Untersagung des Führens eines Kraftfahrzeugs gemeint. Die Fahrerlaubnis erlischt also nicht wie beim Entzug der Fahrerlaubnis, es wird dem Verurteilten lediglich für einen bestimmten Zeitraum (1 – 3 Monate) verboten, ein Kraftfahrzeug im Verkehr zu führen. Der Führerschein ist abzugeben und wird nach Ablauf der Frist wieder ausgehändigt. Auch § 44 StGB gilt nur für das Führen von Kraftfahrzeugen, also nicht für Fahrräder.

II. Ordnungswidrigkeiten

1. Keine Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 24 a des Straßenverkehrsgesetzes (Trunkenheits- oder Drogenfahrt). Auch diese Vorschrift bezieht sich nur auf Kraftfahrzeuge.

2. Vorsicht: Nicht alle Vorschriften des Verkehrsordnungswidrigkeitenrechts knüpfen wie § 24 a StVG an das Führen eines Kraftfahrzeugs an. Wer also z.B. auf der falschen Fahrbahn fährt, durch falsches Fahrverhalten einen Unfall verursacht o.Ä. muss, wenn und solange die Tat nicht schon als Straftat verfolgt wird, mit einem Bußgeld rechnen.

3. Kein Fahrverbot durch den Bußgeldrichter (§ 25 StVG): Alleinige Grundlage für die Verhängung eines Fahrverbotes im Bußgeldverfahren ist § 25 StVG. Diese Vorschrift bezieht sich nur auf Kraftfahrzeuge. Auch der Bußgeldrichter kann demnach kein Fahrverbot verhängen. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis wie im Strafverfahren kommt schon nicht in Betracht, weil es eine solche im Bußgeldverfahren nicht gibt.

III. Fahrerlaubnisrecht

Wer nach Lektüre der obigen Ausführungen schon frohlockt hat, weil ihm weder der Bußgeldrichter noch das Strafgericht an den Lappen kann, wird im Folgenden bitter enttäuscht werden.

Die Fahrerlaubnisbehörde (FEB) darf so ziemlich alles von der Anordnung einer MPU bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis. Was die FEB im Einzelfall darf oder sogar muss, sprengt den Rahmen dieses Beitrages. Regelungsgrundlagen sind jedenfalls § 25 StVG, die Fahrerlaubnisverordnung sowie die Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung. Tendenziell lässt sich sagen, dass ab einem Blutalkoholwert von 1,6 % Promille fest damit zu rechnen ist, dass sich die Fahrerlaubnisbehörde einschaltet. Die Staatsanwaltschaft ist übrigens ebenso wie die Bußgeldbehörde verpflichtet, der FEB Mitteilung zu machen, wenn der Verdacht eines fahrerlaubnisrelevanten Verstoßes vorliegt.

Fazit:

1. Nur wer Kenntnis von sämtlichen Regelungsmaterien, insbesondere vom Fahrerlaubnisrecht, hat, kann eine sachgerechte Verteidigung bieten.

2. Wer säuft, sollte mit dem Taxi fahren.

Freiheit für Kachelmann

Jörg Kachelmann ist raus. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat der Haftbeschwerde stattgegeben. Die Pressemitteilung des OLG Karlsruhe finden Sie hier: Pressemitteilung vom 29.07.2010.

Das OLG hat entschieden, dass die Tatbestandsvoraussetzung des dringenden Tatverdachts nicht (mehr) vorliege. Die ehemalige Lebensgefährtin des Herrn Kachelmann, die sich dem Prozess als Nebenklägerin angeschlossen hat, habe sich widersprüchlich geäußert. Es stünde "Aussage gegen Aussage". Nach den vorliegenden ärztlichen Gutachten könne zudem nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Nebenklägerin, bei der zudem Belastungstendenzen nicht ausgeschlossen werden könnten, die Verletzungen selbst zugefügt habe. Da schon kein dringender Tatverdacht vorliege, bedürfe die Frage, ob Fluchtgefahr bestehe, keiner Entscheidung. Damit ist die Hauptsache natürlich nicht entschieden. Ob Herr Kachelmann letztlich schuldig gesprochen wird, wird das LG Mannheim zu entscheiden haben.

Meine Meinung: Das Urteil ist ein Sieg für die Unschuldsvermutung. Die Sachverständigengutachten kenne ich natürlich inhaltlich nicht. Dass einige Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin bestanden, wurde im Laufe der viermonatigen Haft aber sehr ausführlich in der Presse diskutiert. Schade ist, dass die Frage der Fluchtgefahr nicht mehr entschieden werden musste. Warum bei Herrn Kachelmann Fluchtgefahr bestanden haben soll, ist für mich nicht einsichtig. Wenn allein ein Wohnsitz in der Schweiz ausreichen soll, um Fluchtgefahr zu begründen, kann man nur sagen: Armes Deutschland!

Sachsen – Anhalt und Mecklenburg – Vorpommern fordern die 0,0 Promillegrenze

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht das anders; Zitat: "Es kann nicht sein, dass wir jetzt jedem braven Bürger ein Glas Bier oder ein Glas Wein vergällen." Dass diese Stellungnahme aus Bayern kommt, verwundert wenig, kann man jenseits des Weißwurschtäquators nach der Beckstein'schen Formel doch ohnehin nach dem Genuss von zwei Maß Bier noch Autofahren.

Meine Meinung: Aus rein verkehrssicherheitstechnischer Sicht gibt es wohl nur eine Meinung, die man hier vertreten kann: Her mit der Null-Promille-Grenze. Das hat schließlich auch bei den Führerscheinanfängern und bis zu 21 – jährigen funktioniert. Aus Gründen der Verkehrssicherheit sollten wir dann aber auch alle künftig das Auto in der Garage stehen lassen und zu Fuß mit Sturzhelm und Protektoren bekleidet den nächsten ICE nehmen. Bei 50 Grad Celsius im Abteil und einer Schweißpfütze bodensee'schen Ausmaßes unterm Helm schmecken die zwei Maß dann auch gleich viel besser. Ich schließe mich Herrn Herrmann, nicht aber Herrn Beckstein, an. Ich möchte mir mein Bierchen nicht vergällen lassen, denn als vernünftiger Autofahrer bleibt es bei mir auch bei einem Bierchen. So weit muss die Allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen gehen!

0,0 Promille – Nein Danke!

Bundesverfassungsgericht zum Richtervorbehalt bei der Entnahme von Blutproben

Neues vom Bundesverfassungsgericht in Sachen Blutentnahme. Mit Beschluss vom 11.07.2010 hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung einer Blutentnahme durch Polizeibeamte, ohne vorherige Einholung eines richterlichen Beschlusses stattgegeben. Das Bundesverfassungsgericht folgt damit einer sich abzeichnenden Tendenz in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Zuletzt hatte das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 12.03.2009 AZ: 3 Ss 31/09 ebenso entschieden.

Meine Meinung: Während die Entscheidung in der Presse als "Stärkung des Richtervorbehaltes" angesehen wird und teilweise von grundlegender Bedeutung die Rede ist, sehe ich die Sache mal wieder etwas anders. Zum einen wurde die gleichzeitig eingelegte Beschwerde gegen die Wohnungsdurchsuchung als "offensichtlich unbegründet" zurückgewiesen. Was die Wohnungsdurchsuchung abelangt, soll nämlich ohne Weiteres Gefahr im Verzug anzunehmen gewesen sein. Zum anderen führt das Bundesverfassungsgericht aus, es sei Sache der Fachgerichte, zu prüfen, ob im Einzelfall Gefahr im Verzug vorliege. Ferner sei es es Sache des Einzelfalls, ob aus dem Verstoß gegen den Richtervorbehalt auch ein Beweisverwertungsverbot resultiere. Letztlich bleibt es also dabei, dass die Verteidigung wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt auf äußerst wackligen Beinen steht und nur in Ausnahmefällen erfolgversprechend erscheint.

Zur allgemeinen Situation um den Richtervorbehalt bei Blutentnahmen vertrete ich ohnehin die Auffassung, dass der Richtervorbehalt aus der Strafprozessordnung gestrichen werden sollte. Er ist eine bloße Förmelei. Man stelle sich vor, der Polizeibeamte vor Ort müsse zunächst den zuständigen Richter kontaktieren, diesem dann schriftlich den Sachverhalt erläutern und um Entscheidung bitten. Anschließend müsse er dann abwarten, bis ihm der schriftliche Beschluss des Richters – ggf. per Fax – zugeht und das, obwohl die Entscheidung des Richters gleichsam vorprogrammiert ist. Kein Richter wird vernünftigerweise, wenn ihm ein Polizeibeamter eine Trunkenheitsfahrt vorträgt, die Anordnung der Blutprobe verweigern. Die Blutprobe wird ohnehin immer und ausnahmslos angeordnet werden. Diese Meinung ist aus Verteidigersicht natürlich höchst unpopulär, aber letztlich dürfte sie, wenn man die Sache mit dem Richtervorbehalt mal "nüchtern" betrachtet, kaum von der Hand zu weisen sein.

Die gängige Praxis sieht jedenfalls so aus, dass es entgegen der Rechtslage den Regelfall darstellt, wenn die Polizeibeamten selbst die Blutprobe anordnen und ich fürchte, dass auch die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts daran nichts ändern wird.