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Archiv: 19. Dezember 2018

LG Nürnberg-Fürth: Entziehung der Fahrerlaubnis nach Unfallflucht erst ab 2.500,00 Euro Fremdschaden!

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat festgestellt, dass einbedeutender Fremdschaden bei einer Unfallflucht erst ab einem Betrag von 2.500,00 € netto vorliegt.

Diese sog. Wertgrenze ist von herausragender Bedeutung für die Frage, ob der Beschuldigte seinen Führerschein (vorläufig) behalten darf oder nicht.

Gerade weil die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts der Unfallflucht und Überschreiten der Fremdschadensgrenze der Regelfall ist, hat auch die Verteidigung auf die Höhe des Fremdschadens besonderes Augenmerk zu legen.

 Wird die Wertgrenze überschritten und gehen die Staatsanwaltschaft und der Ermittlungsrichter davon aus, dass der Beschuldigte der Täter der Unfallflucht ist (einfach ausgedrückt), dann ergeht in der Regel schon während des laufenden Verfahrens ein Beschluss nach § 111 a StPO. Das bedeutet, dem Beschuldigten wird, ohne vorherige gerichtliche Verhandlung, vorläufig, aber mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis entzogen.

Bisher sehen die Gerichte die Wertgrenze bei etwa 1.400,00 € bis 1.800,00 € als erreicht an (mit gewissen regionalen Unterschieden).

Das Problem dabei ist, dass diese Grenze sehr schnell erreicht ist, unter anderem regelmäßig auch schon bei den üblichen „Parkplatzremplern“. Nicht zuletzt deswegen steht die Wertgrenze seit Jahren in zunehmender Kritik. Auch die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht und der Verkehrsgerichtstag empfehlen eine Anhebung der Wertgrenze.

Das LG Nürnberg-Fürth hat nun in Anlehnung an einen vorangegangenen Beschluss einen gewaltigen Schritt in die meines Erachtens richtige Richtung gemacht:

Ein bedeutender Fremdschaden liegt ab einem Betrag von 2.500,00 € netto vor (vgl. z.B. die Beschlüsse der Kammer vom 10.04.08 – Az. 5Qs 23/18 und vom 05.11.18, Az. 5 Qs 69/18). Die Kammer hat die Änderung von §44 Abs. 1 StPO und damit die seit dem 24.08.2017 geschaffene Möglichkeit der Verhängung von Fahrverboten von bis zu sechs Monaten anstelle von drei Monaten zum Anlass genommen, ihre Rechtsprechung zum Begriff des bedeutenden Fremdschadens Anfang 2018 zu ändern (bis 2017: 1.800,00 € netto, vgl. z. B.Beschluss vom 11.04.2008, Az. 5 Qs 61/08). Im Hinblick auf die in § 69 Abs. 2Nr. 3 StGB angeordnete Gleichsetzung des bedeutenden Fremdschadens mit der Tötung bzw. nicht unerheblichen Verletzung eines Menschen einerseits und der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten zehn Jahren andererseits hat die Kammer im Interesse der Rechtssicherheit eine großzügige Anpassung derWertgrenze nach oben vorgenommen. Die Kammer hat dabei die Entwicklung der Einkommen und der Kosten für die Beseitigung der Folgen von Verkehrsunfällen berücksichtigt und sich an einer groben Schätzung der wirtschaftlichen Entwicklung orientiert. Eine exakte Ermittlung der Kostenentwicklung bei der Beseitigung von Unfallfolgen ist nicht zuletzt wegen der Vielfältigkeit der Unfallszenarien von geringer Aussagekraft. Die Kammer hat deswegen davon abgesehen anhand von einem Musterunfallgeschehen auf eine insoweit singuläre Kostenentwicklung abzustellen (vgl. aber zu diesem Ansatz, LG Frankfurt amMain, Beschluss vom 13.05.2008, Az. 5/9a Qs 5/08). Die Verbraucherpreise für die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen sind allein in den Jahren von 2010 bis 2016 um 11,6% angestiegen (vgl. Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindex für Deutschland, Klassifikation CC 0723). Im gleichen Zeitraum steigerte sich der Reallohnindex lediglich um 7,8% (vgl. Statistisches Bundesamt, Verdienste und Arbeitskosten, Reallohnindex und Nominallohnindex, 4. Vierteljahr 2017). Auch im Bereich der Bergungs- und Abschleppkosten ist es zu deutlichen Preissteigerungen gekommen. So sind beispielsweise die Preise für ein Standard-Bergungsfahrzeug zum Abtransport von liegen gebliebenen Pkws bis 7,49t zwischen den Jahren 2006 und 2016 um 35,5% angestiegen (vgl. VBA, Preis- undStrukturumfrage im Bergungs- und Abschleppgewerbe, Ergebnisse 2006 bis 2016). Eine großzügige Anpassung der Wertgrenze war im Interesse der Rechtssicherheit geboten, um eine wiederholte Anpassung um kleinere Beträge in kürzeren Zeitabständen möglichst zu vermeiden.“ (LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v.12.11.2018 – 5 Qs 73/18)

OVG Schleswig-Holstein: Es bleibt dabei. Ein Mal Cannabis am Steuer = Führerschein weg!

Das OVG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass bereits eine einmalige Fahrt unter Einfluss von Cannabis eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach sich zieht.
Der Betroffene wurde mit 1,5 ng/ml THC im Blutserum angehalten. Es stand im Verfahren fest, dass der Betroffene gelegentlicher Konsument (nicht einmaliger Konsument) von Cannabis war.
Ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml liegt nach der ständigen Rechtsprechung eine Wirkung des Betäubungsmittels vor. Der Betroffen berief sich darauf, nach wissenschaftlichen Erkenntnissen liege erst ab 3,0 ng/ml THC-Gehalt im Blut eine Rauschwirkung vor, die die Fahrtauglichkeit beeinträchtige.
Er stützte seine Argumentation auf die Empfehlung der Grenzwertkommission und des 56. Deutschen Verkehrsgerichtstags, wonach der Grenzwert auf 3 ng/ml angehoben werden solle.
Über die Empfehlung des Verkehrsgerichtstages zur Anhebung des Cannabisgrenzwertes hatte ich hier berichtet:

Cannabis, Fahreignung und Unfallfucht – Die Empfehlungen des 56. Deutschen Verkehrsgerichtstags

Mit dieser Argumentation drang er beim OVG Schleswig-Holstein nicht durch.

Das Gericht führt aus:

Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml davon auszugehen ist, dass der Betroffene nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen kann (BVerwG, Beschl. v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 -, NJW 2015, 2439; BVerfG, Beschl. v. 21.12.2004 – 1 BvR 2652/03 -, NJW 2005, 349, Rn. 29 f. bei juris; OVG Schleswig, Beschl. v. 22.12.2014 – 2 O 19/14 -, NJW 2015, 2202, Rn. 6 bei juris; OVG Schleswig, Beschl. v. 23.01.2017 – 4 MB 2/17 -; Rn. 11 bei juris, VGH Kassel, Beschl. v. 17.08.2017 – 2 B 1213/17 -, VerkMitt 2018 Nr. 3).

Es entspricht weiterhin dem Stand der Wissenschaft, dass bereits bei einem THC-Wert von 1,0 ng/ml die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht. Das Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München ist in der Untersuchung „Unfälle und reale Gefährdung des Straßenverkehrs und der Cannabis-Wirkung“ (abgedruckt in: Blutalkohol Vol. 43/2006, S. 441 – 450) in ausdrücklicher Abgrenzung zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 21.12.2004 – 1 BvR 2652/03 -, NJW 2005, 349, Grenzwert 1,0 ng/ml) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschl. v. 25.01.2006 – 11 CS 05.1711 -, ZfSch 2006, 236, Grenzwert 2,0 ng/ml) zu dem Ergebnis gekommen, dass eine abstrakte Gefährdung sogar bei einem Wert von weniger als 1,0 ng/ml besteht.

Das OVG beschäftigt sich in dieser Entscheidung ausführlich mit verschiedenen Studien zum Thema Fahrtauglichkeit und Cannabis.

Das Urteil finden Sie hier:

Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urt. v. 27.06.2018 – 4 MB 45/18

Fazit:

Bis auf Bayern liegen aktuell noch alle Bundesländer auf der Linie, ab einer Konzentration von 1,0 ng/ml THC und festgestellter Fahrt die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Zur Entscheidung des VGH München, das die Ansicht vertritt, die Fahreignung sei bei einmaliger Fahrt vor Entziehung der Fahrerlaubnis mittels MPU zu überprüfen, lesen Sie meinen Artikel vom 1.12.2017:

Cannabis am Steuer – MPU statt sofortiger Entziehung der Fahrerlaubnis

Ob das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung ändert und damit dem Verkehrsgerichtstag und dem VGH München folgen wird, bleibt abzuwarten.