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Schlagwort: MPU

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MPU immer häufiger unter 1,6 Promille

Man hat inzwischen, vermutlich aufgrund der  Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.3.2021 –  3 C 3/20, welche die bisherige Rechtsprechung eigentlich nur wiederholt hat, den Eindruck, dass die Fahrerlaubnisbehörden ab 1,1 Promille zunehmend medizinisch-psychologische Untersuchungen (MPU) anordnen.

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Deutsches Autorecht (DAR 2023, 286-287) ist ein beispielhaftes Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth VG vom 13. September 2022 – B 1 K 22.30 – veröffentlicht, anhand dessen ich kurz die Problematik darstellen möchte. Ich möchte anhand dieses Falles noch einmal darauf hinweisen, von welcher Bedeutung Einlassungen und Verhaltensweisen des Beschuldigten im Strafverfahren wegen einer Trunkenheitsfahrt für ein späteres Fahrerlaubnisverfahren sind.

Gegenstand der Entscheidung ist eine Klage auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangenem strafrichterlichem Entzug. Der Kläger klagte auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis gegen die zuständige Fahrerlaubnisbehörde. Diese hatte eine medizinisch-psychologische Untersuchung vor Erteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Der Kläger hielt die Anordnung für rechtswidrig. Das VG Bayreuth gab der Fahrerlaubnisbehörde Recht und wies die Klage ab.

Die Anordnung war in diesem Fall auf  § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e) der Fahrerlaubnisverordnung (FEV) gestützt. Danach muss die Behörde eine MPU anordnen, wenn „sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht.“

Zum Sachverhalt:

Beim Kläger wurde im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle eine Blutalkoholkonzentration von 1,12 ‰ festgestellt. Ein Fahrfehler im Sinne einer verkehrsbezogenen Ausfallerscheinung wurde nicht festgestellt.

Im Rahmen der Blutentnahme werden ein polizeilicher Bericht (sog. Torkelbogen) und ein ärztlicher Bericht zum Zustand des Beschuldigten gefertigt, anlässlich dessen verschiedene Tests durchgeführt werden. Der ärztliche Untersuchungsbericht enthielt im Falle des Klägers folgende Feststellungen:

„Gang (geradeaus) sicher, Drehnystagmus feinschlägig, Finger-Finger-Prüfung, Finger-Nasen-Prüfung sicher, Sprache deutlich, Pupillen unauffällig, Pupillenlichtreaktion prompt, Bewusstsein klar, Denkablauf geordnet, Verhalten beherrscht, Stimmung gereizt, äußerlicher Anschein des Einflusses von Alkohol leicht bemerkbar.“

Zum Trinkverhalten gab der Kläger an, vor Fahrtantritt zwei Biere getrunken, sich aber für fahrtauglich gehalten zu haben. Er habe unvorhergesehen wegen einer Streitigkeit den ehemaligen Freund seiner Tochter und seine Tochter nach Hause fahren müssen. Die hohe BAK könne er sich nicht erklären.

Das VG Bayreuth führt in Anlehnung an die Entscheidung des BVerwG aus:

„Unter Berücksichtigung der Wertungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV liegen dann Zusatztatsachen vor, wenn der Betroffene bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug zwar eine Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 ‰ aufwies, bei ihm aber trotz einer BAK von 1,1 ‰ oder mehr keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt wurden. Denn dies deutet auf eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung hin und begründet eine damit einhergehende erhöhte Wiederholungsgefahr für einen Verstoß gegen das Trennungsgebot und damit Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn. …

Der vom Kläger eingeräumte Alkoholkonsum steht dabei in Widerspruch zu der bei ihm gemessenen Blutalkoholkonzentration. Der Wert von 1,12 ‰ zwei Stunden nach dem eingeräumten letzten Konsum lässt sich mit zwei Bier unter Berücksichtigung des Körpergewichts des Klägers von nur 62 kg nicht erklären. …

Die vom Kläger geschilderten Umstände der Alkoholfahrt, nämlich dass er unvorhergesehen und auch um einen Disput mit seiner Ehefrau zu beenden, den ehemaligen Freund seiner Tochter nach Hause habe fahren wollen, entlastet ihn nicht. Zwar ist die Schilderung durchaus glaubwürdig, dennoch hat sich der Kläger dazu entschieden, in erheblich alkoholisiertem Zustand am Straßenverkehr teilzunehmen, noch dazu mit seiner Tochter und deren ehemaligem Freund im Fahrzeug.

Wenn der Kl. vorträgt, er könne sich die bei ihm gemessene BAK nicht erklären, führt dies zu keiner anderen Entscheidung. Insbesondere ist nicht von Amts wegen nach anderen möglichen Ursachen für den gemessenen Wert zu suchen, wie z. B. eine – vom Klagebevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung angedeutete – mögliche von der Norm abweichende gesundheitliche Disposition des Kl., ohne dass konkrete Anhaltspunkte hierfür vorliegen. Auch spricht die Schilderung des Kl., er habe sich durch den vorhergegangenen Alkoholkonsum nicht beeinträchtigt gefühlt, eher für die Feststellungen des Arztes, wonach keine Ausfallerscheinungen festgestellt wurden. Dem Kl. hätte es offen gestanden, im strafrechtlichen Verfahren dergleichen vorzubringen. Außerdem bedürfte es hierzu grundlegender substantiierter Darlegungen.“

(VG Bayreuth, Urteil vom 13. September 2022 – B 1 K 22.30 –, Rn. 29, juris)

Entscheidende Zusatztatsache, die für den Verdacht auf Alkoholmissbrauch ausreichte, war sicherlich die Tatsache, dass der Kläger bei der ärztlichen Untersuchung einen nahezu nüchternen Eindruck hinterließ.

Aber auch alle weiteren Angaben, die gemacht bzw. nicht gemacht wurden, hat das Verwaltungsgericht gewertet, in diesem Fall zu Lasten des Klägers verwertet.

Der Fall ist geradezu typisch. Es ist üblich und menschlich verständlich, dass das Trinkverhalten von Beschuldigten im Rahmen der Verkehrskontrolle  bzw. auf der Polizeiwache heruntergespielt wird. Auch höre ich oft von meinen Mandanten, sie hätten ja „alle Tests bestanden“, womit dann die Tests im Rahmen des Torkelbogens gemeint sind.

Sie müssen an solchen Tests nicht mitwirken und sollten das auch nicht tun. Machen Sie als Beschuldigte/r im Rahmen der polizeilichen Kontrolle und Vernehmung keine Angaben zur Sache und zwar weder zum Trink- noch zum Fahrverhalten, zum Anlass der Fahrt oder sonstigen Umständen! Sie haben das Recht zu Schweigen. Auch wenn im nachfolgenden Fahrerlaubnisverfahren nachteilige Schlüsse aus Ihrem Schweigen gezogen werden können, sollten Sie von diesem Recht Gebrauch machen und umgehend einen Fachanwalt für Verkehrsrecht aufsuchen!

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BVerwG: MPU auch bei unter 1,6 Promille zulässig

Aufgrund mehrerer Nachfragen zu dem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, möchte ich dieses heute kurz vorstellen. Eins vorab: Das Urteil könnte man schlagwortartig zusammenfassen mit: Nichts Neues im Westen.

Das BVerwG wiederholt in dieser Entscheidung eigentlich nur das, was ohnehin ständige Rechtsprechung und allgemeine Meinung ist:

Die Fahrerlaubnisbehörde kann auch bei einer erstmaligen Trunkenhheitsfahrt unter 1,6 Promille eine medizinisch-psychologische Untersuchung zur Prüfung der Fahreignung anordnen.

Die Voraussetzungen hierfür sind in  § 13 S.1 Nr. 2 a) der Fahrerlaubnisverordnung niedergeschrieben.

§ 13 Fahrerlaubnisverordnung :

„Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass …

ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn

 … sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, …“ 

Sonstige Tatsachen ergeben sich häufig aus dem zugrundeliegenden Strafverfahren.

Auch der Fall, den das BVerwG zu entscheiden hatte, lag so, dass dem Kläger in einem Strafverfahren wegen einer Trunkenheitsfahrt die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Er war mit 1,3 Promille am Steuer erwischt worden. Der Kläger beantragte die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Die Behörde machte die Neuerteilung von der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU) abhängig. Da der Kläger dieses nicht beibrachte, wurde sein Antrag abgelehnt.

Die Rechtmäßigkeit der Anordnung der MPU ergibt sich in solchen Fällen häufig daraus, dass ein stark alkoholisierter Beschuldigter im Strafverfahren keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zeigt. Regelmäßig wird das im Rahmen des polizeilichen und/oder des ärztlichen Untersuchungsberichtes (sog. Torkelbogen) festgestellt.

Aus der Pressemitteilung des BVerwG:

„Bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, besteht eine erhöhte Rückfallgefahr. Die Giftfestigkeit führt u.a. dazu, dass der Betroffene die Auswirkungen seines Alkoholkonsums auf die Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen kann. Deshalb liegt in dem Umstand, dass der Betroffene trotz eines bei seiner Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug festgestellten hohen Blutalkoholpegels keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen aufwies, eine aussagekräftige Zusatztatsache im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c Alt. 2 FeV.“

(BVerwG, Pressemitteilung Nr. 18/2021 vom 17.3.2021)

Einfach ausgedrückt: Je „besser“ man beim polizeilichen Torkeltest abschneidet, desto schlechter steht man im Fahrerlaubnisverfahren da. Denn wer mit annähernd 1,6 Promille mit Bravour den Finger-Nase-Test oder den Drehnachnystagmus-Test (10 Mal mit geöffneten Augen um die eigene Achse drehen) absolviert, bei dem darf die Fahrerlaubnisbehörde von einer hohen Alkoholgewöhnung ausgehen.

Verkehrsgerichtstag 2020 – Die Empfehlungen

Vom 29. bis 31. Januar fand der jährliche Verkehrsgerichtstag – eine Zusammenkunft von Verkehrsexperten – in Goslar statt. Er endet mit den Empfehlungen der Arbeitskreise.

Wer sich die Empfehlungen im Volltext durchlesen will, findet diese hier:

Meine Zusammenfassung:

Arbeitskreis I –  Grenzüberschreitende Unfallregulierung in der EU

Das materielle Schadensersatzrecht der verschiedenen EU-Länder muss für den (ausländischen) Anwalt einfacher zu verstehen sein. Die EU-Kommission soll entsprechende Hilfsmittel zur Verfügung stellen.

Des Weiteren soll für grenzüberschreitende Gerichtsprozesse ein System geschaffen werden, wie es bereits für Zivil- und Handelssachen besteht.

Einführung von Videokonferenzen für Vernehmungen im Ausland.

Kurze Verjährungsfristen in anderen EU-Staaten sollen auf mindestens drei oder vier Jahre verlängert werden.

Arbeitskreis II – Abschied vom fiktiven Schadensersatz

Empfehlung: Kein Abschied vom fiktiven Schadensersatz. Außerdem: Werkstattverweis bei fiktiver Abrechnung ist für alle Beteiligten an der Unfallregulierung nervig und zeitaufwendig. Der BGH wird gebeten, sich etwas einfallen zu lassen.

Arbeitskreis III – Aggressivität im Straßenverkehr

Schulungen und Anti-Aggressions-Maßnahmen sollen gefördert werden.

Die gesetzlichen Möglichkeiten, auf aggressives Verhalten zu reagieren, müssen konsequent ausgeschöpft werden.

Es sollte ein Bußgeld für „aggressives Posen im Straßenverkehr“ geben.

Fahrerlaubnisbehörden sollen Einsicht in das Bundeszentral- und Erziehungsregister erhalten.

Sofern sich bei einer Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahrteignung steht, Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotential ergeben, soll die Fahrerlaubnisbehörde eine MPU anordnen.

Der „Alleinrasertatbestand“ (§ 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB)  sollte im Wortlaut nachgebessert werden.

Arbeitskreis IV – Praxistauglichkeit des Bußgeldverfahrens

Der Gesetzgeber soll per Gesetz regeln, unter welchen Voraussetzungen ein standardisiertes Messverfahren vorliegt. Außerdem soll er per Gesetz ein umfassendes Einsichtsrecht in die Messdateien vorschreiben.

Bußgeldverfahren sollen gegen Auflagen eingestellt werden können.

Nach einer verkehrstherapeutischen Schulung soll vom Fahrverbot abgesehen werden können.

Arbeitskreis V – Elektrokleinstfahrzeuge

Aktuell herrscht in der Bevölkerung weitgehende Unkenntnis, was man mit E-Scootern überhaupt darf und was nicht. Das erfordert mehr Öffentlichkeitsarbeit, vor allem durch die Verleihfirmen.

Öffentlichkeitsarbeit habe ich selbst ja bereits geleistet:

10 Fragen und Antworten zum E-Scooter

Außerdem:

– Mehr Infrastruktur für E-Scooter und Fahrräder

– Blinkerpflicht für E-Scooter

– Keine Zulassung von Fahrzeugen ohne Lenkstange

– Erfassung und Herausgabe der Nutzerdaten durch Verleihfirmen zum Zweck der Verfolgung von Straftaten und Orddnungswidrigkeiten

– verbindliche Astellplätze für Verleihscooter

– Prüfbescheinigungspflicht für E-Scooter

Arbeitskreis VI  – Fahranfänger – neue Wege zur Fahrkompetenz

Der Arbeitskreis begrüßt das Optionsmodell, das Folgendes vorsieht:

Drei statt zwei Jahre Probezeit, aber verkürzbar auf bis zu zwei Jahre durch Teilnahme an Schulungsmaßnahmen oder begleitetes Fahren.

Auswetung örtlicher Unfalldaten von Fahranfängern und darauf gestützte regionalisierte Fahranfängervorbereitung.

Arbeitskreis VII – Entschädigung von Opfern nach terroristischen Anschlägen

Neben Harmonisierungen der Opferentschädigung und Zentralisierungen von Strukturen, insbesondere Opferbeauftragte, empfiehlt der Arbeitskreis die Schaffung eines Fachanwaltes für Personenschadensrecht.

 

Trotz 1,6 Promille keine MPU?!

Die Fahrerlaubnisverordnung sieht in § 13 vor, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einer Alkoholfahrt ab einer BAK von 1,6 Promille zwingend eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen hat:

 

Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass … ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn … ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr … geführt wurde.

Der Fahrerlaubnisbehörde steht nach dem eindeutigen Wortlaut der Fahrerlaubnisverordnung kein Ermessen zu. Wird die Grenze von 1,6 Promille erreicht, muss die MPU angeordnet werden.


Dennoch gibt es Fälle, in denen der Betroffene die MPU vermeiden kann. Heute möchte ich einen solchen Fall aus meiner Praxis vorstellen. Mein Mandant hatte wegen einer Alkoholfahrt mit mehr als 1,6 Promille einen Strafbefehl erhalten, gegen den ich Einspruch einlegte.

Im Rahmen der Hauptverhandlung konnten wir eine mehrmonatige Abstinenz meines Mandanten und die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung nachweisen. Der zuständige Strafrichter hob die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf und händigte meinem Mandanten in der Hauptverhandlung den Führerschein aus. Auf meine Bitte hin vermerkte er in den Urteilsgründen:

„Im Hinblick auf die Dauer des vorläufigen Maßregelvollzugs ist der Angeklagte aufgrund seiner zwischenzeitlichen Nachschulungsmaßnahme und Verhaltensänderung im Hinblick auf Alkoholkonsum – entsprechende Unterlagen wurden in  der Hauptverhandlung vorgelegt – zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet zu erachten, sodass lediglich noch ein deklaratorisches Fahrverbot verhängt wird.“

Mithin enthielt das Urteil positive Feststellungen zur Fahreignung des Mandanten. Die Entscheidung erging am 17.8.2017. Am 2.2.2018 meldete sich die zuständige Fahrerlaubnisbehörde schriftlich bei meinem Mandanten und ordnete die Vorlage einer MPU an.

Die Anordnung dieser MPU war allerdings rechtswidrig. Hintergrund ist die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 S. 1 des Straßenverkehrsgesetzes:

„Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht.“

Da die Urteilsgründe erkennen ließen, dass der Strafrichter sich ein eigenes Bild von der Eignung meines Mandanten gemacht und eine eigene Beurteilung der Eignung vorgenommen hatte, durfte die Fahrerlaubnisbehörde hiervon nicht zum Nachteil des Mandanten abweichen.

Nach einem Hinweis auf die Rechtslage und die Feststellungen des Amtsgerichts zur Eignung hob die Fahrerlaubnisbehörde die Anordnung sofort auf.

Im Ergebnis musste der Mandant also trotz einer BAK von mehr als 1,6 Promille keine MPU absolvieren.

Tipp: Bei Alkoholfahrten direkt zum Anwalt!

Die Tendenzen der Gerichte, selbst über die Eignung zu entscheiden, sind eher rückläufig. Hierfür muss der Fall "richtig liegen" und ausreichend Vortrag gehalten werden (Abstinenznachweise etc.). Aber auch wenn es nicht gelingt, das Gericht zu einer Eignungsentscheidung zu bewegen, ist es wichtig, im Strafverfahren dafür zu sorgen, dass der Führerschein nicht zu lange entzogen bleibt. Das ist beispielsweise mit Sperrfristverkürzungskursen möglich. Eine kompetente Verteidigung im Strafverfahren setzt gerade bei Führerscheinmaßnahmen voraus, dass der Verteidiger seinem Mandanten hilft, die Weichen für ein nachfolgendes Fahrerlaubnisverfahren frühzeitig in die richtige Richtung zu stellen.

Besser mal einen Zug nehmen – „Fahrradfahrverbot“ wegen Trunkenheitsfahrt

Und es wird Sommer … Ästhetisch belästigende Presswürste, eingepackt in hautenge, schrittgezwängte und damit zeugungsfähigkeitsgefährdende (auch für den Beobachter) Jan Ullrich – Gedächtnis – Fahrradanzüge bevölkern die Straßen. Sport ist gesund.

Wer’s nicht sehen will, mag einfach wegschauen, während er mit seinem Auto zum Kippenautomaten gondelt. Ich halte es da lieber mit dem 97-er Udo Bölts – Tour de France – Klassiker. Ich kurbele gelegentlich im Vorbeifahren die Beifahrerscheibe runter und feuere die ohnehin schon Herzinfarktgefährdeten mit dem überraschenden, lautstarken und äußerst motivierenden Schlachtruf: „Quäl dich, du Sau!“, an. So weit so gut.

Kriminell wird’s aber, wenn Alkohol oder Drogen im Spiel sind.

Zum Thema Fahrradfahrer und Straßenverkehrsrecht habe ich bereits einige Artikel veröffentlicht, z.B.:

Wie werde ich Geisterradler

Nutzungsausfallentschädigung für beschädigtes Fahrrad

Dass die Fahrerlaubnisbehörde weitgehende Eingriffsrechte gegenüber alkoholauffälligen Fahrradfahrern hat, war ebenfalls bereits Gegenstand eines Artikels, siehe hier:

Alkohol am Fahrradsteuer

Zu diesem Thema gibt es nun zwei aktuelle Entscheidungen, die ich kurz aufzeigen möchte. Wenig überraschend ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Neustadt a. d. Weinstraße, Urteil vom 30.01.2012, AZ 3 K 954/11, Leitsatz:

„Die Fahrerlaubnisbehörde hat nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c. Fahrerlaubnisverordnung, wenn der Betroffene ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 %o oder mehr geführt hat – hier Radfahrer mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,44 %o -, zwingend die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im Hinblick auf seine Fahreignung anzuordnen. Dies gilt auch bei einem sog. Ersttäter, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge ist.“

Begründung:

„Bei einem Fahrradfahrer, der sich mit hoher Blutalkoholkonzentration am Straßenverkehr beteiligt und damit eine Verkehrsstraftat nach § 316 StGB begeht, ist in der Regel bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründet, er werde in alkoholisiertem Zustand nicht stets die nötige Selbstkontrolle aufbringen, vom Führen eines Fahrzeugs abzusehen.“

Kurzfassung: Ab 1,6 Promille auf dem Fahrrad folgt die MPU auf dem Fuß (zwingend).

Interessanter ist da schon die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen, Beschluss vom 02.02.2012, AZ 12 ME 274/11, Leitsatz:

„Einem Verkehrsteilnehmer, der bislang nur fahrerlaubnispflichtige Fahrzeuge in einem eignungsausschließenden Zustand geführt hat, kann die Nutzung fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge, ggf. auch eines Fahrrads, verboten werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls Anlass zu der begründeten Annahme besteht, er werde in überschaubarer Zukunft ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug im Zustand der Nichteignung führen und zu einer konkreten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer werden.“

Der Antragsteller war in mehreren Fällen wegen Alkohol und / oder Drogen im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs und Leichtkraftfahrzeugs (Mofas) sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Beim Fahrradfahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss hatte man ihn allerdings nie erwischt.

Aus den Gründen:

„Ein derartiges Verbot setzt … die Feststellung voraus, dass der Betreffende gerade auch ungeeignet zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen ist und die konkreten Umstände des Einzelfalls Anlass zu der begründeten Annahme geben, der Betroffene werde voraussichtlich in überschaubarer Zukunft ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug im Zustand der Nichteignung führen und so zu einer konkreten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer werden.“

M.a.W.: Auch wer noch nie Fahrrad gefahren ist bzw. noch nie mit Alkohol oder Drogen auf dem Fahrrad erwischt wurde, ist vor einem Fahrradfahrverbot nicht sicher. Damit liegt das OVG Niedersachsen auf einer Linie mit dem OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 08.06.2011, AZ 10 B 10415/11.

Das OVG Niedersachsen hat den Antragsteller übrigens darauf verwiesen, er könne mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Den Einwand des Antragstellers, er könne sich das nicht leisten, hat das OVG mit der Begründung, er solle sich das Geld für Drogen sparen und für öffentliche Verkehrsmittel ausgeben (Simplifizierung durch Unterzeichner) zurückgewiesen.

Ob der Betroffene in Zukunft „einen Zug nehmen“ wird oder nicht … Man weiß es nicht … 🙂