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Schlagwort: Bußgeld

Neuer THC-Grenzwert: AG Landstuhl stellt Verfahren ein

Im Nachgang zu meinem Beitrag zur Entscheidung des OLG Oldenburg vom 16.9.2024 habe ich heute die erste Einstellungsmitteilung in einem meiner eigenen Fälle erhalten.

3,5 ng/ml THC gilt auch für Altfälle (OLG Oldenburg)

Der Mandant hatte sich im März 2024 gemeldet. Sein THC-Wert lag zwischen 1,0 ng/ml und 3,5 ng/ml. Im April kam der Bußgeldbescheid über 500,00 Euro und einen Monat Fahrverbot.

Meinen Antrag auf Einstellung und hilfsweise Aussetzung des Verfahrens wegen der anstehenden Gesetzesänderung hat die Zentrale Bußgeldstelle RLP abgelehnt und das Verfahren ans Amtsgericht Landstuhl abgegeben.

Den Einspruch habe ich nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung gegenüber dem Amtsgericht mit Schriftsatz vom 26.8.2024 ergänzend begründet wie folgt:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

am 22.8.2024 ist das Gesetz zur Änderung des StVG in Kraft getreten. Nach § 24 a Abs. 1 a StVG wurde der Grenzwert, was absehbar war, auf 3,5 ng/ml THC festgelegt. Unter Bezugnahme auf meine Einspruchsbegründung beantrage ich hiermit noch einmal die Einstellung des Verfahrens.

Da das Gesetz zwischenzeitlich in Kraft getreten ist, muss hier § 4 III OWiG gelten.

„Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.“

Mit Entscheidung ist der Zeitpunkt der Ahndung und somit die letzte Entscheidung gemeint (Göhler § 4 Rn9). Kann eine Handlung nach späterem Recht nicht geahndet werden, so ist dieses eindeutig das mildeste (Göhler § 4 Rn5). Im Zeitpunkt der Hauptverhandlung wird daher das neue Recht anzuwenden sein.

Soweit ersichtlich hat der Gesetzgeber keine anderweitigen Überleitungsvorschriften beschlossen. Sollte ich hier einem Missverständnis unterliegen, bitte ich hiermit höflich um einen Hinweis vor Durchführung der Hauptverhandlung.“

Als Reaktion habe ich heute den nachfolgenden Einstellungsbeschluss erhalten:

Klicke, um auf AGLandstuhlEinstellungTHC.pdf zuzugreifen

Das AG Landstuhl wendet § 4 III OWiG direkt an. Das OLG Oldenburg analaog. Das Ergebnis ist das Gleiche. Es gilt das mildere Recht. Also gilt für Altfälle, die noch nicht endgültig entschieden sind, der neue Grenzwert von 3,5 ng/ml THC.

Die Verfahrenskosten und die Rechtsanwaltskosten trägt die Landeskasse.

Spannend bleibt die Frage, ob und ggflls. wie die Fahrerlaubnisbehörde reagieren wird. Nach meiner Rechtsauffassung ist in diesem Fall – und in allen anderen Fällen mit einem Aktivwert von weniger als 3,5 ng/ml THC, in denen keine sonstige Problematik bekannt ist, keine fahrelaubnisrechtliche Maßnahme (z.B. MPU) zulässig.

Cannabis Legalisierung

3,5 ng/ml THC gilt auch für Altfälle (OLG Oldenburg)

Das OLG Oldenburg hat einen Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 24 a StVG freigesprochen. Hintergrund war, dass der Betroffene vom Amtsgericht Papenburg zu einer Geldbuße von 1.000 € und einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt worden war. Er hatte ein Fahrzeug mit einem THC-Wert von 1,3 ng/ml THC im Blut geführt und damit nach der alten Rechtslage gegen § 24 a StVG verstoßen. Nach dem Urteil wurde der neue Grenzwert von 3,5 ng/ml THC ins Gesetz aufgenommen. Das OLG Oldenburg führt aus:

„Zwar war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Papenburg noch davon auszugehen, dass der Betroffene mit einem THC-Wert von 1,3 ng/ml im Blut gegen § 24a StVG verstoßen hat. Durch das am 22. August 2024 in Kraft getretene 6. Gesetz zur Änderung des StVG und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, ist allerdings § 24a StVG durch die Einfügung von Absatz 1a) dahingehend geändert worden, dass der maßgebliche Wert nunmehr 3,5 ng/ml beträgt.

Zwar beruhte der bisherige analytische Grenzwert von 1,0 ng/ml nicht auf einer gesetzlichen Grundlage, sondern war von der Rechtsprechung – entsprechend eines Beschlusses der „Grenzwertkommission“- als maßgeblich angesehen worden. Gleichwohl ist zumindest der Rechtsgedanke des § 4 Abs. 3 OWiG heranzuziehen, wonach in dem Fall, in dem ein Gesetz, dass bei der Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert wird, das mildeste Gesetz anzuwenden ist. Nachdem nunmehr der maßgebliche Wert in § 24a StVG über dem Wert liegt, den der Betroffene im Blut hatte, hätte er bei einer Tatbegehung nach Inkrafttreten des Gesetzes den Bußgeldtatbestand nicht verwirklicht.“

Mit anderen Worten: Es gilt nicht, wie von einigen Bußgeldstellen angenommen, die Gesetzeslage zum Tatzeitpunkt oder zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung (sprich Erlass des Bußgeldbescheids). Vielmehr gilt bei nachträglichen Gesetzesänderungen das im Zeitpunkt der letzten Entscheidung mildere Gesetz.

Das Oberlandesgericht hat das Verfahren nicht eingestellt und auch nicht zurückverwiesen ans Amtsgericht, sondern den Betroffenen vom Tatvorwurf freigesprochen und sowohl die Verfahrenskosten als auch die Rechtsanwaltskosten der Landeskasse auferlegt.

Für alle Betroffene laufender Verfahren, die bei der Fahrt zwischen 1,0 ng/ml und 3,5 ng/ml THC im Blut hatten, gilt: Sie sollten sich verteidigen (lassen)!

BVerfG äußert sich zu Rohmessdaten

Der Zug ist abgefahren: Rohmessdaten müssen nicht gespeichert werden (BVerfG)

„Was lange währt, wird nichts …“, könnte man auch titeln.

Oder: „Klein Bonum ist gefallen.“

Dem Bundesverfassungsgericht lagen mehrerer Verfassungsbeschwerden vor, mit denen sich die jeweiligen Betroffenen gegen die Verwertung von Geschwindigkeitsmessungen gewendet hatten. In Fachkreisen wurde insbesondere die Entscheidung in der Sache 2 BvR 1167/20 zum Messgerät LeivtecXV3, die bereits für das Kalenderjahr 2021 angekündigt war, mit Spannung erwartet. Hintergrund der gesamten Diskussion um die Rohmessdaten ist die Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichts, Urt. v. 5.7.2019 – Lv 7/17, die zum Messgerät Traffistar S 350 erging.

Herausgekommen sind drei Nichtannahmebeschlüsse, aus denen aber nach meiner Ansicht folgt, dass sich das BVerfG der überwiegenden Rechtsprechung – Ausnahme Saarländisches VerfG – angeschlossen hat.

Zum Leivtec XV3: 2 BvR 1167/20

Zum Poliscan M1 HP: 2 BvR 1082/21

Zum Traffistar S 350: 2 BvR 1090/21

Im Ergebnis werden Betroffene nach meiner Einschätzung mit dem Argument, das Messergebnis dürfe nicht gegen Sie verwertet werden, weil die Rohmessdaten nicht mehr vorhanden seien, nun auch im Saarland (klein Bonum) von den Instanzgerichten nicht mehr gehört werden. Ob, wann und wie das Saarländische Verfassungsgericht noch einmal unter Berücksichtigung der Beschlüsse des BVerfG entscheiden wird, ist offen. Zum Verhältnis Bundesverfassungsgericht und Landesverfassungsgerichte ist insoweit anzumerken, dass Landesverfassungsgerichte eben die Vereinbarkeit mit der Landesverfassung prüfen, während das BVerfG über die „Bundesverfassung“ sprich das Grundgesetz wacht. Die Landesverfassung kann grundsätzlich verletzt sein, auch wenn das Grundgesetz nicht verletzt ist. Vorliegend geht es aber um das Recht auf ein faires Verfahren bzw. die sog. Waffengleichheit. Der Entscheidungsgegenstand ist daher identisch. Hätte das BVerfG über die Beschwerden entschieden statt sie nicht anzunehmen, ginge meines Erachtens dessen Entscheidung vor.

Hat es aber nicht.

Die Verfassungsbeschwerden wurden allesamt als unsubstantiiert bezeichnet und nicht zur Entscheidung angenommen. Die BeschwerdeführerInnen haben aus Sicht des BVerfG nicht hinreichend dargelegt, dass eine Grundrechtsverletzung vorliege.

Unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 12.11.2020 – BvR 1616/18 führt das BVerfG nämlich aus, dass der Betroffene grundsätzlich Anspruch auf Zugang auch zu solchen Informationen hat, die bei der Bußgeldbehörde vorhanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden.

Hierzu zählt es aber gerade nicht die nicht (mehr) vorhandenen Rohmessdaten.

„Der Beschwerdeführer schlussfolgert jedoch, der aus dem Grundsatz des Rechts auf ein faires Verfahren resultierende Gedanke der Waffengleichheit gebiete es darüber hinaus, dass die zuständigen Behörden nur Geräte einsetzen, die sogenannte „Rohmessdaten“ erheben. Damit verlangt er ein Mehr im Vergleich zur bloßen Herausgabe von vorhandenen Informationen, weil nach seinem Vorbringen auch die Bußgeldbehörde nicht im Besitz der von ihm bezeichneten „Rohmessdaten“ ist. Der Beschwerdeführer legt insofern nicht substantiiert dar, dass aus dem verfassungsrechtlich verankerten Recht auf ein faires Verfahren − aus Gründen der „Waffengleichheit“ oder in sonstiger Hinsicht − auch eine staatliche Pflicht folgt, potentielle Beweismittel zur Wahrung von Verteidigungsrechten vorzuhalten beziehungsweise zu schaffen.“ (BVerfG, Beschl. v. 20.6.2023 – 2 BvR 1167/20)

Das BVerfG wägt ab zwischen dem standardisierten Mesverfahren, bei dem wegen der „Massentauglichkeit“ eben geringere Anforderungen an die Beweisführung zu stellen seien und dem Recht des Betroffenen auf effektive Verteidigung. Es ist der Entscheidung eindeutig zu entnehmen, dass das BVerfG den Grundsätzen des standardisierten Messverfahrens den Vorrang einräumt. Einen Anspruch auf Speicherung sämtlicher Rohmessdaten sieht es nicht. Nach wie vor müssten Betroffene an der jeweiligen Einzelfallmessung konkrete Zweifel aufzeigen.

Hinzu kommt, dass das BVerfG die Ausführungen des Beschwerdeführers zur grundsätzlichen „offenkundigen tatsächlichen Unsicherheit im Hinblick auf die Relevanz von Rohmessdaten für die Verteidigungsmöglichkeiten“ anspricht und hierzu feststellt, dass nicht dargelegt ist, dass die Einsicht in die Rohmessdaten überhaupt geeignet ist, eine Messung anzugreifen. Gemeint ist damit, dass bei der Begutachtung der früher noch vorhandenen Rohmessdaten in der Regel auch „nichts rauskam“.

Fazit: Zwar ist rein theoretisch denkbar, dass es dem Betroffenen im Einzelfall gelingen könnte, konkrete Anhaltspunkte für Messfehler aufzuzeigen, die Anlass geben könnten, sich auf die fehlenden Rohmessdaten zu berufen. Ich halte das aber für eine rein theoretische Konstellation. Faktisch ist das Thema fehlende Rohmessdaten aus meiner Sicht erledigt.

VerfGH RLP zum Poliscan FM1: Speicherung von Rohmessdaten nicht erforderlich!

Der Verfassungsgerichtshof Rheinlandpfalz hat entschieden, dass die Verwertung eines Geschwindigkeitsmessergebnisses auch ohne Speicherung von Rohmessdaten zulässig ist. Nach Ansicht des Verfassungsgerichts RLP verstößt das nicht gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren.

Der Betroffene wurde mit einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb  geschlossener Ortschaften um 70 km/h geblitzt. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte dabei mittels eines Messgeräts des Typs Poliscan FM1. Es handelt sich hierbei um ein weit verbreitetes Lasermessgerät, welches beispielsweise in Trailern verwendet wird. Messgeräte vom Typ Poliscan des Herstellers Vitronic kommen auch mobil oder in Blitzersäulen zum Einsatz.

Umfangreiche Positions- und Zeitdaten könnten eigentlich gespeichert werden, werden aber, wie auch bei verschiedenen anderen Messgeräten, von der Gerätesoftware gelöscht. Eine dauerhafte Speicherung dieser Daten wäre technisch möglich.

Der Betroffene hatte sich durch die Instanzen gegen seine Verurteilung durch das Amtsgericht Wittlich gewehrt und war zuletzt auch vor dem Oberlandesgericht Koblenz gescheitert.

Mit der Verfassungsbeschwerde machte er unter anderem eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren geltend, da die Rohmessdaten vom Gerät gelöscht worden seien und für eine nachträgliche Überprüfung der Messung nicht mehr herangezogen werden könnten.

Das rheinland-pfälzische Verfassungsgericht stellt darauf ab, dass der Gedanke der Waffengleichheit, im Falle von nicht oder nicht mehr vorhandenen Rohmessdaten, nicht zum Tragen komme. Entscheidend sei, dass die Rohmessdaten weder den Betroffenen noch der Bußgeldstelle, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zur Verfügung stünden. Der Betroffene einer Geschwindigkeitsmessung hat nach Ansicht des Verfassungsgerichts Rheinlandpfalz keinen aus dem Recht auf ein faires Verfahren abzuleitenden Anspruch darauf, dass bei standardisierten Messverfahren, Rohmessdaten zwingend gespeichert werden müssten. Etwaige Messfehler würden ohnehin durch die erforderlichen Toleranzabzüge kompensiert.

Die Entscheidung finden Sie hier zum Download als PDF-Datei:

Beschluss vom 22. Juli 2022 Aktenzeichen VGH B 30/ 21

Hier geht es zur Presseerklärung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz:

Pressemitteilung Nr. 4/2022 – Verwertung eines Geschwindigkeitsmessergebnisses ohne Speicherung von Rohmessdaten verstößt nicht gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren

Die Entscheidung ist im Kontext mit der gegenläufigen Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs zu sehen, über die ich bereits berichtet habe, und die Gegenstand zahlreicher amts- und oberlandesgerichtlicher Entscheidungen war.

Messungen unverwertbar! Saarl. VerfG hebt Verurteilung auf!

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Frage der fehlenden Speicherung beziehungsweise Löschung von Rohmessdaten steht demnächst an. Das Verfahren läuft noch. Mit einem Termin zur Verhandlung könnte noch im Sommer 2022 zu rechnen sein.

Geblitzt mit Leivtec XV3: Wiederaufnahme des Verfahrens möglich!

Das Amtsgericht Cloppenburg hat mit Beschluss vom 6.8.2021 – 18 OWi 775 Js 46945/21 einem Antrag auf Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Bußgeldverfahrens stattgegeben.

Wiederaufnahme des Verfahrens bedeutet, dass eine bereits rechtskräftige Entscheidung praktisch aufgehoben und der Betroffene/Beschuldigte behandelt wird, als hätte er rechtzeitig Rechtsmittel bzw. Rechtsbefehl eingelegt.

 

 

Gegen den Betroffenen war ein zwischenzeitlich rechtskräftiger Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung erlassen worden. Der Bescheid enthielt ein Fahrverbot. Rechtskraft war eingetreten, da der Betroffene die Einspruchsfrist hatte verstreichen lassen.

 

 

Nach § 85 OWiG i. V. m. § 359 StPO kann ein durch rechtskräftigen Bußgeldbescheid eigentlich abgeschlossenes Bußgeldverfahren unter bestimmten Voraussetzungen wiederaufgenommen werden. Im Wesentlichen sind diese Voraussetzungen in § 359 StPO geregelt.

 

Nach § 359 Absatz 5 StPO ist eine solche Wiederaufnahme zulässig,

 

„ … wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind, … „

 

Das Amtsgericht Cloppenburg hat entschieden:

 

„Dadurch dass bei dem Messgerät Leivtec XV3 die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens derzeit nicht mehr als gegeben angesehen werden, liegen neue Tatsachen im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO vor.“

 

Hintergrund dieser Entscheidung ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg, Beschl. v. 20.4.2021 – 2 Ss(OWi) 92/21. In dieser Entscheidung hat das OLG Oldenburg festgestellt, dass im Falle des Messgerätes Leivtec XV3 die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens derzeit als nicht gegeben anzusehen sind. Das Verfahren gegen den dortigen Betroffenen hat das OLG Oldenburg eingestellt.

 

Zu beachten ist, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens für den Betroffenen nicht automatisch bedeutet, dass er auch freigesprochen wird.  Im Saarland ist allerdings wegen der aktuellen Rechtsprechung des OLG Saarbrücken und des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs im Falle des Leivtec XV3 mit einer Einstellung zu rechnen.

 

Schließlich begrenzt § 85 II OWiG die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens. Voraussetzung ist, dass entweder eine Geldbuße von mindestens 250,00 Euro oder ein Fahrverbot verhängt wurde.

 

Ein solcher Wiederaufnahmeantrag macht vor allem dann Sinn, wenn ein eigentlich rechtskräftiger Bußgeldbescheid vorliegt, in dem ein Fahrverbot mit der sogenannten viermonatigen Schonfrist verhängt wurde und der Antrag noch so frühzeitig gestellt werden kann, dass mit einer Entscheidung innerhalb der Schonfrist zu rechnen ist.

 

Es dürfte sich hierbei um eine eher geringe Anzahl von Fällen handeln.

Neuer Bußgeldkatalog tritt heute in Kraft!

Mit Wirkung zum 9.11.2021 tritt die Änderungsverordnung zur Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV-Novelle) vom 19. Oktober 2021 in Kraft. Die ursprüngliche Änderungsverordnung zum 28.4.2020 hatte sich wegen eines Verstoßes gegen das sog. Zitiergebot als unwirksam herausgestellt. Für Interessierte hier der Link zu dem damaligen Beitrag:

Verschärfung der StVO unwirksam!

Nach einigem Hin und Her hat sich der Gesetzgeber entschieden, die Änderung zu entschärfen, indem er die Geschwindigkeitsgrenzen für die Verhängung von Fahrverboten nun doch nicht herabgesetzt hat.

Beim Ersttäter bleibt es also dabei, dass innerorts ab 31 km/h und außerorts ab 41 km/h Überschreitung ein Fahrverbot vorgesehen ist.

Die Novelle dient der Verbesserung der Verkehrssicherheit und soll insbesondere Fußgänger und Radfahrer schützen.

Aus diesem Grund wurden die Rechtsfolgen bei Park- und Halteverstößen erheblich verschärft.

Für das verbotswidrige Parken auf Geh- und Radwegen und das Halten auf Schutzstreifen sowie das Parken und Halten in zweiter Reihe werden Geldbußen bis zu 110 Euro fällig. Diese Verstöße ziehen in Zukunft auch einen Punkt nach sich, wenn durch sie eine Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer oder eine Sachbeschädigung entsteht. Auf einem Geh- und Radweg erhält man bereits dann einen Punkt, wenn man länger als eine Stunde auf diesem parkt, ohne dass es auf eine Gefährdung /Behinderung oder Sachbeschädigung ankäme.

Die vorschriftswidrige Benutzung von Gehwegen und linksseitigen Radwegen wird ab dem 9.11.2021 mit bis zu 100,00 Euro Geldbuße geahndet.

Die Geldbußen für die übrigen Park- und Halteverstöße wurden erhöht (z.B.: auf einem Schwerbehindertenparkplatz: 55,00 Euro).

Der Gesetzgeber hat ferner die Rechtsfolgen bei Nichtbildung und bei unerlaubter Nutzung von Rettungsgassen erheblich verschärft. Ab dem 9.11.2021 wird nicht nur die unerlaubte Nutzung einer Rettungsgasse mit einem Fahrverbot belegt sondern auch die Nichtbildung der Rettungsgasse.

Die Nichtbildung einer Rettungsgasse wird mit 200,00 Euro und einem Monat Fahrverbot, die Benutzung einer Rettungsgasse wird mit 240 Euro und einem Monat Fahrverbot geahndet. Bei Gefährdung, Behinderung oder Sachbeschädigung erhöht sich die Geldbuße auf bis zu 320,00 Euro.

Zudem wurden die Geldbußen für Geschwindigkeitsverstöße deutlich erhöht.

Den aktuellen Bußgeldkatalog finden Sie hier:

https://www.gesetze-im-internet.de/bkatv_2013/anlage.html

AG Landstuhl: Keine Sonderrechte = keine Sonderbehandlung

In der Zeitschrift Verkehrsrecht aktuell ist eine aktuelle Entscheidung des Amtsgerichts Landstuhl vom 11.5.2021 – 2 OWi 4211 Js 4647/21 – veröffentlicht, in welcher sich das Amtsgericht mit dem Thema Sonderbehandlung von Polizeibeamten auseinandersetzt.

Der anwaltlich vertretene Betroffene hatte einen Geschwindigkeitsverstoß begangen. Statt der erlaubten 80 km/h fuhr er mit 119 km/h. Er verteidigte sich – unter anderem – mit der Einlassung, er sei zwar mit seinem zivilen Dienstfahrzeug ohne Sonderrechte nach § 35 StVO unterwegs gewesen. Allerdings habe er sich auf dem Weg zu einem dienstlichen Pflichtleistungsnachweis befunden. Wegen eines Staus sei er zeitlich in Verzug geraten. Zudem sei er wegen eines wichtigen Telefonats abgelenkt gewesen.

Schließlich berief er sich über seine Verteidigerin in der Hauptverhandlung auf ein Augenblicksversagen.

Diese Einlassung hat ihm vorm AG Landstuhl letztlich eher geschadet als genutzt. Denn er wurde daraufhin wegen Vorsatzes verurteilt, was eine Verdopplung der Geldbuße nach sich zog.

Aus den Gründen:

„Im Gegenteil hat der Betroffene anhand seiner eigenen Einlassungen gerade dargelegt, dass er hier mit wenigstens bedingtem Vorsatz die Geschwindigkeit überschritten hat. Er hat mitgeteilt, dass er unter Zeitdruck mit konkreter Geschwindigkeit gefahren sei und trotz des Zeitdrucks und der für ihn wenig bekannten Gegend während der Fahrt ein Telefonat angenommen und geführt habe. Dass er also in einer Situation, die von ihm gerade höhere Aufmerksamkeit erfordern würde (Eile, fremde Gegend) auch noch sein Aufmerksamkeitsniveau vorsätzlich absenkt – denn ein Telefonat kann man nicht fahrlässig führen -, zeigt, dass es ihm nicht nur gleichgültig war, ob er dadurch Verkehrsregeln verletzen würde, sondern dass er billigend in Kauf genommen hat die Verkehrszeichen zu übersehen, ohne seine Geschwindigkeit vorher aktiv anzupassen.“ (AG Landstuhl a. a. O.)

Fazit: Nun weiß es auch der Polizist, Extrawürste gibt es nicht.

Leivtec XV 3 – Messungen – Abschlussbericht der PTB und aktuelle Entscheidungen

Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) hat den Abschlussbericht im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsmessgerät Leivtec XV3 vorgelegt.

Sie finden diesen als PDF-Datei hier:

Abschlussbericht der PTB zum Leivtec XV3

Zusammengefasst kommt die PTB zu folgenden Ergebnissen:

Abweichungen zuungunsten des Betroffenen gab es bei den mehr als Tausend durchgeführten Messungen nur selten.

Alle Fälle, in denen solche Messabweichungen festgestellt werden konnten, waren Rechtsmessungen. Das Messgerät war in diesen Fällen aus Sicht des Fahrers also am linken Fahrbahnrand aufgestellt.

Allen Fällen ist gemeinsam, dass im Messung-Start-Bild das Nummernschild des betroffenen Fahrzeugs nicht vollständig vom Messfeldrahmen umfasst war. Hierzu ist anzumerken, dass die Messfotos einen viereckigen Rahmen einblenden, der eine bestimmte Position haben muss.

Hierzu hatte der Messgerätehersteller bereits – nach Bekanntwerden der Messproblematik – eine Ergänzung der Bedienungsanleitung vorgenommen.

Bei allen Messungen, bei denen unzulässige Abweichungen vorgenommen wurden, war die Messstrecke kürzer als 12,2 m.

Inzwischen hat das OLG Celle einen Fall aufgehoben und an das zuständige Amtsgericht zurückverwiesen mit der Aufforderung, im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob sich die Problematik auf die gegenständliche Messung mit dem Leivtec XV3 ausgewirkt hat.

Im Saarland werden derzeit vom Amtsgericht St. Ingbert – insbesondere in Fällen, in denen ein Fahrverbot im Raum steht – Plausibilitätsgutachten angefordert.

In meiner aktuellen Podcast-Folge erfahren Sie mehr zu diesem Thema:

#16 Leivtec, Trunkenheitsfahrt und Angriff auf Beamte, Fahrverbot wg. Trunkenheitsowi mit E-Scooter

Pflicht zur Vernehmung von Entlastungszeugen im Bußgeldverfahren

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit Beschluss vom 15.9.2020 – 1 Rb 37 Ss 473/20 – entschieden, dass die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen nicht ohne Weiteres zurückgewiesen werden darf.

Insbesondere genügt die Begründung nicht, durch die Aussagen des bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil zum Nachteil des Betroffenen bereits erwiesen.

In der Sache ging es um einen Verstoß gegen eine Personenbeförderungsvorschrift. Der Betroffene soll seinen siebenjährigen Sohn ohne Kindersitz oder Sitzerhöhung befördert haben. Im Fond des Autos befanden sich die beiden Söhne des Betroffenen. Der Betroffene hatte in der ersten Instanz seinen zweiten, älteren Sohn als Zeugen dafür benannt, dass der Siebenjährige auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

Das Amtsgericht Wertheim hat den Antrag auf Vernehmung des Sohnes als Zeugen mit der Begründung abgelehnt, der Polizeibeamte sei bereits vernommen worden und habe das Gegenteil bezeugt.

Das OLG Karlsruhe hat die Entscheidung des AG Wertheim aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das AG Wertheim zurückverwiesen.

Es hat klargestellt, dass die Ablehnung des Antrages auf Vernehmung des Zeugen das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzte. Es hätte sich dem AG Wertheim aufdrängen müssen, dass der als Zeuge benannte Sohn zu der Frage, ob eine Sitzerhöhung  genutzt wurde oder nicht, eigene Wahrnehmungen und somit potentiell auch eine eigene Aussage mit entsprechend überprüfbarem Wahrheitsgehalt hätte machen können.

Das OLG Karlsruhe weist ergänzend darauf hin, dass eine Ausnahme von der Aufklärungspflicht des Gerichts durch Vernehmung von Zeugen beispielsweise dann vorliegen kann, wenn die Möglichkeit der Wahrnehmung der behaupteten Tatsache durch den Zeugen bereits zweifelhaft erscheint. Hauptanwendungsfall dürfte hier das Angebot der Vernehmung eines Fahrzeuginsassen zur gefahrenen Geschwindigkeit sein. Einer solchen Vernehmung steht regelmäßig das Messergebnis bzw. die Aussage des Messbeamten zur Ordnungsgemäßheit des Messergebnisses entgegen.

Kurzum: Mit der Behauptung, ein Fahrzeuginsasse könne eine niedrigere als die gemessene gefahrene Geschwindigkeit im Tatzeitpunkt bestätigen, wird man nach wie vor regelmäßig (zu Recht) nicht vor Gericht gehört werden.

Die Entscheidung enthält auch Ausführungen zur Begründungspflicht des Gerichts bezüglich der Ablehnung solcher Beweisanträge. Das OLG Karlsruhe führt dazu aus, dass eine Kurzbegründung in der Hauptverhandlung ausreicht, allerdings im Urteil eine Begründung zu erfolgen hat, die einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zugänglich ist.

Geblitzt? OLG Saarbrücken stellt Leivtec-Verfahren ein!

Über die möglichen Fehlmessungen bei dem im Saarland weit verbreiteten Messverfahren Leivtec XV3 hatte ich bereits mehrmals berichtet.

Leivtec stellt Messungen ein

Geblitzt? Messabweichungen beim Leivtec XV3!

Nun liegt die erste Entscheidung des OLG Saarbrücken zu diesem Thema vor.

Das OLG hat ein Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 28.4.2021 – SsRs 4/21 (13/21 OWi) eingestellt. Die Kosten und Auslagen des Betroffenen hat es der Staatskasse auferlegt.

Das OLG folgte damit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken, die ihrerseits beantragt hatte, das Verfahren gegen den Betroffenen einzustellen. Unter Hinweis auf die aktuell aufgetretenen Messprobleme erschien die Verwertbarkeit der Messung als fraglich. Das OLG hielt es daher für geboten, die Sache nicht weiter zu verfolgen.

Sofern Sie mit dem Leivtec XV3 gemessen wurden, sollten Sie sich bei mir melden. Es erscheint derzeit als äußerst wahrscheinlich, dass Ihr Verfahren eingestellt werden wird.

Der Messgerätehersteller bemüht sich derzeit um eine Prüfung und Lösung mit der Physikalisch Technischen Bundesanstalt.

Regelmäßige Zwischenstandsnachrichten finden Sie hier:

Homepage der Firma Leivetec

Blitzer Leivtec XV3: Hersteller stellt Messungen ein!

Ich hatte bereits darüber berichtet, dass der Messgerätehersteller Leivtec seine Bedienungsanleitung ändern musste. Hintergrund war, dass eine Sachverständigenvereinigung mittels Testmessungen nachgewiesen hatte, dass es bei dem Gerät zu erheblichen Messabweichungen kommt. Den Artikel finden Sie hier:

Geblitzt? Messabweichungen beimLeivtec XV3!

In der Folge hat sich laut dieser Sachverständigen gezeigt, dass die Verschärfung der Auswerterichtlinien nicht ausgereicht hat. Auch Messungen, die nach den strengeren Maßstäben verwertbar sind, können laut den Sachverständigen zu hohe Messergebnisse anzeigen.

Der Hersteller Leivtec hat nun reagiert und die Betreiber des Mesgeräts per E-Mail gebeten, einstweilen von weiteren amtlichen Messungen Abstand zu nehmen.

In der E-Mail von Leivtec an die Messtellenbetreiber heißt es:

Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen
werden kann, dass es auch bei Beachtung der Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu
unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann, möchten wir sie bitten, von weiteren
amtlichen Messungen vorerst Abstand zu nehmen. Wir werden uns nach Veröffentlichung der
finalen Prüfergebnisse der PTB unverzüglich wieder bei Ihnen melden. Wir sind uns der
Tragweite unseres Schreibens bewusst, sehen jedoch in der Sache keine andere
Entscheidungsoption, da es uns als Ihr seit vielen Jahrzehnten zuverlässiger und seriöser
Partner darauf ankommt, den rechtssicheren Einsatz unserer Produkte im
Verkehrsüberwachungsbereich unter allen Umständen zu gewährleisten. Insoweit hoffen wir
auf Ihr Verständnis und verbleiben …“

Das Lasermessgerät Leivtec xV3 ist ein bundesweit eingesetztes Geschwindigkeitsmessgerät, das gerade im Saarland weit verbreitet eingesetzt wird.

Wenn Sie mit diesem Messgerät gemessen wurden, sollten Sie sich verteidigen!

Im Moment ist noch völlig unklar, wie die Gerichte, insbesondere das Amtsgericht St. Ingbert, das für das Saarland zentral für diese Verfahren zuständig ist, auf die Problematik reagieren werden.

Schließlich stellt sich gerade im Zusammenhang mit der Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichts zum Traffistar S350 die Frage, welche Auswirkungen die Erschwerung der nachträglichen Überprüfung der Messung durch die Löschung von Rohmessdaten nun vor dem Hintergrund der im Raum stehenden Fehlerhaftigkeit des Messverfahrens hat.

Zuletzt hatte das AG St. Ingbert Messungen mit dem Leivtec XV3 für verwertbar erklärt. Ausreichend sei die Möglichkeit einer nachträglichen Plausibilitätskontrolle.

AG St. Ingbert: Es werde geblitzt! Leivtec XV3-Messungen wieder verwertbar.

Wenn das Messgerät fehlerhafte Messergebnisse auswerfen sollte, was wohl der Fall zu sein scheint, dann kommt der Tatsache, dass die Rohmessdaten nicht vollständig zur Verfügung gestellt werden, eine ganz andere – auch praktische – Bedeutung zu.

Zu begrüßen ist jedenfalls die Aufforderung des Herstellers, die Messungen vorläufig, bis zur Klärung der Problematik, nicht mehr durchzuführen.

BVerfG: Betroffener hat Anspruch auf Einsicht in die Rohmessdaten!

Ein „Dauerbrenner des Ordnungswidrigkeitenrechts“ ist die Frage, in welchem Umfang der Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens Anspruch auf Akteneinsicht hat. Das betrifft vor allem die Frage, ob er auch Anspruch auf Einsicht in solche Dokumente hat, die sich gar nicht in der behördlichen Akte befinden.

Mit diesem Thema, konkret der Einsicht des Betroffenen in die Dateien (Rohmessdaten) der Verkehrsmessung, hat sich das Bundesverfassungsgericht jetzt befasst. Der vor allem in südlichen Bundesländern verbreiteten Ansicht dortiger Behörden und der dortigen Rechtsprechung nach dem Motto „Quod non est in actis non est in mundo – Was nicht in der Akte ist, ist nicht in der Welt“, hat das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage erteilt. Es hat  die angegriffene Entscheidung des OLG Bamberg für verfassungswidrig  erklärt und festgestellt:

„Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt hiernach, dass der Beschuldigte eines Strafverfahrens neben der Möglichkeit, prozessual im Wege von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen auf den Gang der Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, grundsätzlich auch das Recht hat, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden (vgl. BVerfGE 63, 45 <66>).“ BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18

Link zum Beschluss des BVerfG:

BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18

Damit ist der „Teufelskreis“ für den Betroffenen aufgelöst. Bislang hatten mehrere Obergerichte die Betroffenen darauf verwiesen, es handele sich bei den jeweiligen Messverfahren um standardisierte Verfahren. Um das Gericht dann dazu zu bewegen, eine Messung zu begutachten oder die Rohmessdateien beizuziehen, wurde vom Betroffenen gefordert, konkrete Zweifel an der Messung darzulegen. Das ist aber ohne die Messdateien kaum möglich.

Meine ehrliche Meinung:

Die Entscheidung ist für die Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz von untergeordneter Relevanz, da ich erfahrungsgemäß als Verteidiger von den zentralen Bußgeldstellen St. Ingbert und Speyer sowohl die Rohmessdaten als auch alle anderen wesentlichen Dokumente (z.B.: „Lebensakte“ des Messgeräts, Schulungsnachweise der Messbeamten) auf erste Anfrage erhalte, sofern ich im Einzelfall meine, dass mit der Messung etwas schiefgelaufen sein könnte oder es auf ein oder zwei km/h mehr oder weniger ankommt (z.B. bei Erreichen der Fahrverbotsgrenze).

Wichtig ist sie aber für andere Bundesländer, insbesondere Bayern. Dort wird man sich bei den Bugßeldstellen neu sortieren müssen, nachdem das für seine restriktive Rechtsprechung in Ordnungswidrigkeitensachen berüchtigte OLG Bamberg nun zum Umdenken gezwungen ist.

De facto wird man in den weit überwiegenden Fällen leider mit den Rohmessdaten nichts anfangen können. Sofern sie nicht vom Messgerät gelöscht werden, was in den betroffenen Verfahren übrigens immer noch zu Einstellungen durch das OLG des Saarlandes führt, lässt sich nach meiner Erfahrung mit einer sachverständigen Überprüfung der Rohmessdaten in der Regel wenig gewinnen. Denn die Messungen an sich sind fast immer korrekt. Durchschlagende Messfehler sind die absloute Ausnahme. Allenfalls kann in dem ein oder anderen Fall ein weiterer Toleranzabzug von einem oder zwei km/h durchgesetzt werden. Das ist aber auch die Ausnahme.

Aber: Jetzt kriegen wir sie endlich, die Dateien! Da freuen sich die Sachverständigen, die jetzt wahrwcheinlich noch mehr Umsatz machen. Wer sich nicht freut, das sind die Rechtsschutzversicherer, die das Ganze bezahlen dürfen und der Betroffene, für den bei der Begutachtung nichts rauskommt und der wegen der hohen Kosten von seinem Rechtsschutzversicherer die Quittung in Form der Kündigung kassiert.

Feststellungen zum Rotlichtverstoß und Ermittlung der Rotlichtzeit durch Zeugen – OLG Düsseldorf hebt Verurteilung auf!

Ganz, ganz üble Klatsche für das Amtsgericht Wuppertal!

Erinnert mich stark an meine damalige Lateinlehrerin: „Weiser, setzen! 6!“.

Das OLG Düsseldorf hat die Verurteilung eines Betroffenen durch das Amtsgericht Wuppertal aufgehoben, der wegen eines Rotlichtverstoßes von mehr als einer Sekunde verurteilt worden war. Beträgt die Rotlichtzeit mehr als eine Sekunde im Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie, so sieht der Bußgeldkatalog ein Fahrverbot vor (sog. Sekundenverstoß). Zudem erhält der Betroffene 2 Punkte, die 5 Jahre lang (plus 1 Jahr Überliegefrist) im Fahrerlaubnisregister gespeichert werden.

Das Amtsgericht Wuppertal hatte den Betroffenen aufgrund der gezielten Beobachtung der Ampelanlage durch einen Polizeibeamten und der Aussage eines weiteren Zeugen wegen eines Sekundenverstoßes verurteilt und einen Monat Fahrverbot angeordnet.

Der Polizeibeamte hatte den Verstoß gezielt beobachtet und zudem den Zeugen, der an der Fußgängerampel stand, vor Ort befragt. Der Fußgänger gab an, die Fußgängerampel sei bereits grün gewesen, er habe gerade die Straße überqueren wollen, als der Betroffene über die Ampel gefahren sei.

Der Betroffene berief sich vor Ort darauf, sein auf dem Beifahrersitz befindlicher Pitbull (!) könne als Zeuge bestätigen, dass die Ampel noch Gelb angezeigt hätte. Offenbar ein Tierfreund mit Humor.

 Das OLG Düsseldorf hob das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal auf. Man könnte in diesem Fall auch von einer „Abfuhr“ sprechen, wenn es in den Gründen heißt:

„Die Rechtsbeschwerde hat (vorläufig) Erfolg. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es den Mindestanforderungen an die Begründung einer Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes nicht genügt. … Für das neue Verfahren weist der Senat daraufhin, dass auch die Rechtsfolgenentscheidung im angefochtenen Urteil keinen Bestand hätte haben können, weil die Feststellungen der Tatrichterin zur Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde sowie die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung ebenfalls unzureichend sind und die Verhängung der im Bußgeldkatalog für einen sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß vorgesehenen Rechtsfolgen nicht tragen.“ (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2020 – IV-4 RBs 46/20)

Das Amtsgericht Wuppertal hat in diesem Fall mehrere Fehler gemacht, die allerdings nach meinen Erfahrungen geradezu typisch sind für Amtsgerichte, die – im Gegensatz zum Amtsgericht St. Ingbert – nicht „in Vollzeit“ mit Bußgeldverfahren befasst sind.

  1. Einfahren in den geschützten Bereich nicht festgestellt:

„Ein Rotlichtverstoß liegt vor, wenn gegen das Gebot des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO – „Halt vor der Kreuzung“ – verstoßen wird, ein Fahrzeugführer also bei Rotlicht in den durch die Lichtzeichenanlage gesicherten Bereich, im Regelfall den Kreuzungs- oder Einmündungsbereich, einfährt.“ (OLG Düsseldorf a. a. O.)

Entgegen landläufiger Meinung, ist ein Rotlichtverstoß nicht bereits dann vollendet, wenn das Fahrzeug „über die rote Ampel“ fährt.  Er ist erst dann vollendet, wenn das Fahrzeug in den Bereich einfährt, der von der Ampelanlage geschützt wird. Bei einer Fußgängerfurt ist das eben der – meist durch Markierungen – abgesetzte Bereich, in welchem der Fußgänger die Fahrbahn überquert. Bei einer Ampelkreuzung – ohne Fußgängerüberweg – ist dies beispielsweise die (ggflls. gedachte) Linie der querenden Fahrspur. Es ist also praktisch ein Einfahren in den Kreuzungsbereich erforderlich.

Gerade in diesem Punkt werden häufig Fehler gemacht, da sich diese Fragen bei dem Regelfall eines „geblitzten“ Rotlichtverstoßes nicht stellen. Denn bei der Rotlichtüberwachung durch Messanlagen wird zwei Mal geblitzt. Auf dem ersten Foto wird das Überfahren der Haltelinie dokumentiert, auf dem zweiten Foto das Einfahren in den geschützten Bereich.

Da das Amtsgericht keinerlei Feststellungen zu den Örtlichkeiten (geschützter Bereich und Einfahren in den geschützten Bereich) getroffen hat und lediglich festgestellt hat, der Betroffene sei „über Rot gefahren“, war das Urteil insgesamt aufzuheben.

  1. Lückenhafte Feststellungen/fehlerhafte Beweiswürdigung zur Rotlichtdauer:

Die Urteilsgründe genügten für sich bereits nicht, überhaupt einen Rotlichtverstoß zu begründen. Da der bedauenswerten Amtsrichterin aber auch in punkto Feststellung der Rotlichtdauer gravierende Fehler unterliefen und die Sache nun neu verhandelt werden muss, hat das OLG Düsseldorf dem Amtsgericht Wuppertal auch dies betreffend eine Lehrstunde erteilt:

„Auch beruht die der Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zugrunde liegende Feststellung, die Lichtzeichenanlage habe zum Zeitpunkt des Passierens durch den Betroffenen mehr als eine Sekunde Rotlicht gezeigt, auf einer lückenhaften Beweiswürdigung. Zwar kann die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes grundsätzlich auch — wie hier — auf die Schätzungen von Zeugen, insbesondere von Polizeibeamten gestützt werden. Jedoch müssen derartige Schätzungen wegen der ihnen innewohnenden möglichen Fehlerquellen durch das Hinzutreten weiterer, im tatrichterlichen Bußgeldurteil anzugebender Umstände erhärtet  und hinsichtlich ihrer Grundlagen sowie ihres Beweiswerts vom Tatrichter einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Solche Umstände, durch die die Richtigkeit einer Schätzung erhärtet wird, können sich — je nach den Umständen des Einzelfalls — etwa aus der angewandten Zählmethode (gedankliches Aussprechen der Zahlen „einundzwanzig, zweiundzwanzig“: …) oder einem während der Rotlichtdauer abgelaufenen, zeitlich eingrenzbaren Vorgang, an dem sich der Zeuge bei seiner Schätzung orientiert hat, ergeben. Freie Schätzungen aufgrund einer bloß gefühlsmäßigen Erfassung der verstrichenen Zeit sind jedenfalls zur Feststellung von Zeitintervallen im Sekundenbereich ungeeignet. …

Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil nicht. Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Schätzung des Zeugen auf tragfähiger Grundlage beruht, hätte es Angaben zur Methode seiner Schätzung (Mitzählen, Zeitmessung mittels (Stopp-)Uhr? sonstige Orientierung?), zum Ablauf des Rotlichtverstoßes, zur Entfernung des Fahrzeuges zur Lichtzeichenanlage und einer ggf. vorhandenen Haltelinie sowie zur genauen Beobachtungsposition des Zeugen (Standort? Gezielte oder zufällige Überwachung der Lichtzeichenanlage? Sichtverhältnisse auf Ampel, Vorbereich und Haltelinie?) bedurft.

Soweit der Schluss auf den qualifizierten Rotlichtverstoß aus Zeugenaussagen hergeleitet wird, die – wie hier offenbar der Zeuge pp – nur Angaben zum Grünlicht für den Querverkehr machen können, sind grundsätzlich Feststellungen zum automatisierten Programmablauf der Lichtzeichenanlage zu treffen.“ (OLG Düsseldorf a. a. O.)

Um dem Schlag ins Gesicht die Krone aufzusetzen, hat das OLG Düsseldorf abschließend noch einige formale Fehler des Urteils gerügt. Insbesondere hat es die Unterschrift der Tatrichterin als unzureichend betrachtet, weil diese keine hinlänglichen, charakteristischen Merkmale zur Identifizierung aufweise, sinngemäß: Die Unterschrift sieht ebenso schlampig aus wie das Urteil.

Fazit: Wer die Entscheidung liest, könnte meinen, es sei eine Einzelfallsache, dass ein Amtsgericht nicht befähigt ist, einen (qualifizierten) Rotlichtverstoß ordnungsgemäß in den Urteilsgründen festzustellen. Dem ist aber nicht so. Es ist für unerfahrene Amtsrichter keine Einfachheit einen Rotlichtverstoß, der durch Beobachtung festgestellt wurde, festzustellen und mit tragenden Entscheidungsgründen auszuurteilen.

Vor Feststellungen nach dem Motto: „Die Polizei hat mich beobachtet, was soll ich da schon gegen machen?“, sollte man sich ebenfalls hüten! Denn nach meiner Erfahrung sind auch die Polizeibeamten nicht oder nur unzureichend zu diesem Thema geschult und die Feststellungen in den Bußgeldakten dürftig und in der Regel für sich alleine betrachtet unzureichend.

OLG Frankfurt schlägt eine Fliege mit drei Klappen: Keine Privatisierung von Verkehrsmessungen!

Heute stelle ich drei aktuelle Entscheidungen des OLG Frankfurt vor, von denen besonders die dritte Entscheidung  die Gemüter erregen wird und das zu Recht.

Im Einzelnen:

  1. Keine Geschwindigkeitsmessung durch Private (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 6.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19)
  2. Kein Knöllchen durch Private (OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19)
  3. Verurteilung wegen Fälschung eines Messprotokolls zur Verschleierung von „privaten Messungen“ (OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19)

Zu den einzelnen Entscheidungen:

  1. Keine Geschwindigkeitsmessung durch Private – OLG Frankfurt

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass eine Verkehrsüberwachung – im konkreten Fall eine Geschwindigkeitsmessung – durch private Dienstleister unzulässig ist (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 6.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19).

Rechtsfolge: Unverwertbarkeit des Messergebnisses, also Freispruch des Betroffenen.

Der Betroffenen hatte einen Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften erhalten.

Dem Bescheid lag eine Geschwindigkeitsmessung durch einen Angestellten einer privaten GmbH zugrunde.

Die Gemeinde hatte mit dieser GmbH einen Vertrag  zum Zweck der „Unterstützung bei der Durchführung von Geschwindigkeitsprotokollen, allgemeine Datenverarbeitung und Erstellung von Messberichten“ geschlossen. Der „private Messbeamte“ war also im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung für die Gemeinde tätig.

Das Amtsgericht Gelnhausen sprach den Betroffenen frei wegen verbotener Tätigkeit eines Privaten bei der hoheitlichen Aufgabe der Geschwindigkeitsüberwachung.

Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft Hanau eingelegte Rechtsbeschwerde hat das OLG Frankfurt a. M. zurückgewiesen.

Aus den Urteilsgründen:

„Die vorliegend durchgeführte Verkehrsüberwachung durch den gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirk der Gemeinden Freigericht und Hasselroth ist gesetzeswidrig. Die im hoheitlichen Auftrag von einer privaten Person durchgeführte Geschwindigkeitsmessung hat keine Rechtsgrundlage. In der Folge hätte das Regierungspräsidium Kassel keinen Bußgeldbescheid erlassen dürfen. … In der Folge dieses gesetzwidrigen Handelns sind sämtliche Verkehrsüberwachungen des gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirks der Gemeinden Freigericht und Hasselroth mindestens seit dem 23.03.2017 unzulässig … Darüber hinaus dürfte dies auch für die Gemeinden Brachttal und Nidderau gelten, da der Zeuge dort…ebenfalls unter den genannten Bedingungen tätig war“. (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 6.11.2019, Az. 2 Ss-OWi 942/19)

  1. Kein Knöllchen durch Private – OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19

Die Frage, ob auch Verstöße im ruhenden Verkehr, also Parkverstöße, umgangssprachlich: Knöllchen, einem Verwertungsverbot unterliegen, wenn die Knöllchen von einem Privatunternehmen verteilt wurden, hat das OLG Frankfurt am Main ebenfalls bejaht (OLG Frankfurt, a. a. O.).

Ebenso wie die Auswertung von Messungen, ist die Erhebung der Messdaten, also die Durchführung der Messung hoheitliche Aufgabe. Werden diese Aufgaben durch Private durchgeführt, sollte man sich verteidigen.

Zur Erinnerung: Das OLG des Saarlandes hat zum Thema „Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen durch Private“ bereits im Jahr 2017 entschieden, dass das Vorgehen der Kreisstadt Neunkirchen rechtswidrig war und meinen Mandanten freigesprochen:

Freispruch! OLG Saarbrücken verwirft Geschwindigkeitsmessungen der Stadt Neunkirchen

Wie aber finde ich als Betroffener heraus, ob die Messung von einem privaten Unternehmen durchgeführt wurde oder nicht?

Hierzu ist zunächst durch einen Verteidiger Akteneinsicht zu nehmen.

Bislang konnte man mit dem nötigen Glauben an den Gutwill der Behörde, anhand des Messprotokolls und der Schulungsnachweise feststellen, ob ein Bediensteter der Stadt bzw. ein Beamter die Messung durchgeführt hat. Zudem kann man eine Vernehmung der Messbeamten beantragen. Eine solche Vernehmung findet auch regelmäßig statt.

Dass man nie auslernt, zeigt die letzte in diesem Themenkomplex zu erwähnende Entscheidung des OLG Frankfurt:

  1. Verurteilung wegen Fälschung eines Messprotokolls zur Verschleierung von „privaten Messungen“

Was man da liest, schlägt dem Fass den Boden aus.

 

Das OLG Frankfurt hat in einer Strafsache wegen Urkundenfälschung als Revisionsinstanz entschieden:

 

„Die von einem „privaten Dienstleister“ vorgenommene gesetzeswidrige Verkehrsmessung und das dabei von ihm erstellte Messprotokoll, das vorher von dem zuständigen Ordnungspolizeibeamten blanko unterschrieben worden war, damit verschleiert wird, dass die Verkehrsmessung nicht – wie gesetzlich vorgesehen – von der Polizei durchgeführt worden ist, stellt nicht nur eine schriftliche Lüge dar, sondern eine strafbare Falschbeurkundung im Amt durch den Ordnungspolizeibeamten, zu dem der private Dienstleister Beihilfe geleistet hat“.  (OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.1.2020 – 2 Ss 40/19)

Folgendes war passiert:

 

„Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte A als „privater Dienstleister“ gesetzeswidrig Verkehrsmessungen vorgenommen, (vor-)ausgewertet und Messprotokolle erstellt, die in einer Vielzahl von Bußgeld- und Verwarngeldverfahren als Beweismittel Verwendung gefunden haben. Dies erfolgte im bewusstem, kollusiven Zusammenwirken mit dem Angeklagten B als zuständigem Ordnungspolizeibeamten, der zur Verschleierung dem Angeklagten A eine von ihm unterzeichnete Kopie eines Blankomessprotokolls zur Verfügung gestellt hat. Da in den vom Angeklagten A erstellten und digitalisierte Messprotokollen der Angeklagte B als Messbeamter aufgeführt war, sollte auf diese Weise suggeriert werden, dass die Messungen von dem Hoheitsträger durchgeführt wurden. Auf diese Weise wurde im Rahmen der gesamten elektronischen Aktenführung – was beide Angeklagte wussten – unter Täuschen der Zentralen Bußgeld- und Verwarnstelle in eine Vielzahl von Fällen Buß- und Verwarngelder erlassen, die so nicht hätten ergehen dürfen.“ (OLG Frankfurt a. a. O.)

Die Verurteilten haben sich übrigens damit verteidigt, es liege keine Urkundenfälschung vor, da ein Messprotokoll keine Urkunde nach § 348 StGB darstelle.  Dieser Rechtsansicht hat das OLG Frankfurt eine klare Absage erteilt.

 

Fazit: Es soll keiner Behörde oder Gemeinde unterstellt werden, dass dort ebenfalls ein solches Vorgehen stattfindet. Nach dieser Entscheidung ist das allerdings auch nicht mehr auszuschließen. Wer in Verkehrsordnungswidrigkeiten verteidigt, sollte sich zukünftig nicht mehr mit dem Messprotokoll und den Schulungsnachweisen des Messbeamten zufrieden geben. Private Unternehmen, die meist als Kapitalgesellschaften organisiert sind und damit den Zweck der Gewinnerzielung verfolgen, dürfen nicht Herren eines Bußgeldverfahrens werden, schon gar nicht heimlich und verdeckt.

 

Verschleierungen von Beteiligungen privater Unternehmen müssen aufgedeckt und angegriffen werden.

 

Verkehrsüberwachung ist eine hoheitliche Aufgabe. Sie soll der Verkehrssicherheit und nicht dem Gewinnstreben Privater dienen!

 

AG St. Ingbert: Es werde geblitzt! Leivtec XV3-Messungen wieder verwertbar.

Im Saarland werden nach einer aktuellen Entscheidung des Amtsgerichts St. Ingbert Messungen mit dem Leivtec XV 3 wieder gegen die Betroffenen verwertet.

Das Amtsgericht St. Ingbert hat mit Urteil vom 29.10.2019 – 25 OWi 66 Js 1919/19 – (2968/19) entschieden, dass es genügt, wenn ein Messverfahren eine nachträgliche „falsifizierende Plausibilitätseinschätzung“ ermöglicht. Im konkret entschiedenen Fall ging es um eine Messung mit dem Gerät Leivtec XV 3. Das Amtsgericht hat aber zu weiteren Messgeräten, namentlich Multanova und Poliscan – klargestellt, dass auch mit diesen gemessen werden darf.

Das AG St. Ingbert führt aus, dass eine nachträgliche Plausibilitätskontrolle beim Leivtec XV3, beim Multanova und bei Poliscan Messgeräten grundsätzlich möglich ist. Aus den Gründen:

„Der VerfGH hat jedoch nicht entschieden, ob – sofern mehr Daten als bei dem Messgerät TraffiStar S 350 gespeichert sind – die geforderte Plausibilisierungsmöglichkeit ausschließlich aufgrund vollständig gespeicherter Messdaten oder in anderer Art und Weise möglich sein muss.

Bei dem hier verwendeten Messgerät Leivtec XV 3 sind zwei Arten der Plausibilisierung ohne Rückgriff auf sämtliche in die Messwertbildung eingehenden Daten möglich, nämlich durch Weg-Zeit-Berechnung (vgl. Leivtec XV 3, Geschwindigkeitsüberwachungsgerät, Beschreibung des Messverfahren, Stand 3.3.2015, 13 ff) sowie durch Photogrammetrie (vgl. Leivtec XV 3, a.a.O., 19 ff):

–  Plausibilitätsprüfung durch Weg-Zeitberechnung
(Ziff. 4.1, Seite 13): In der aktuellen Version 2.0 des
Referenzauswertprogramms wird neben dem abgerundeten XV3 Gerätemesswert
zusätzlich der Wert XV3 Geschwindigkeit vor Abrundung angezeigt. Für eine
Plausibilitätsprüfung kann jetzt der Wert XV3 Geschwindigkeit vor Abrundung mit
der durch die Plausibilitätsberechnung ermittelten Geschwindigkeit
Auswertstrecke verglichen werden. Eine Verfälschung durch Abrundungseinflüsse
wird somit vermieden. Die Berechnung der Abweichung beider Geschwindigkeiten
wird vom Referenz-Auswertprogramm Speed Check bereits durchgeführt als
Geschwindigkeitsdifferenz im Fenster zur Anzeige von Zusatzdaten angezeigt. Die
Geschwindigkeitsdifferenz kann aber natürlich zur Kontrolle anhand zusätzlich
dargestellter Hilfsgrößen nochmals überprüft werden.

– Plausibilitätsprüfung durch Photogrammetrie (Ziff. 4.3,
Seite 19): Unter Zuhilfenahme der Parameter von Kamera und Objektiv kann
mittels photogrammetrischer Auswertung der Abstand der Fahrzeuge zur
Messeinheit im Messung- Start- und Messung-Ende-Bild ermittelt werden. Die so
ermittelte Abstandsdifferenz des gemessenen Fahrzeugs zusammen mit der in Speed
Check angezeigten „Zeitdifferenz zwischen Messung-Start-Bild und
Messung-Ende-Bild“ ermöglicht die Berechnung eines „Photogrammetrie-Geschwindigkeitswertes“.

Beide Plausibilisierungsverfahren können – wie die
Gerichtspraxis zeigt – durch Sachverständige ohne weiteren Aufwand und ohne
Rückgriff auf nicht zur Verfügung stehende Algorithmen durchgeführt werden und
bedürfen keiner Erstellung eines Modells, welches wohl auch nur besonders
befähigte bzw. ausgebildete Sachverständige erstellen könnten.

Eine unter Berücksichtigung von Toleranzen erfolgte
Plausibilitätsbetrachtung kann den Gerätemesswert zwar nicht ersetzen, sondern
lediglich bestätigen oder anzweifeln. Verbleiben Zweifel, hat das Gericht
individuell den vorwerfbaren Geschwindigkeitsmesswert zu ermitteln, also das zu
tun, was es bei nicht-standardisierten Messverfahren ohnehin zu tun hätte,
nämlich die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 261 stopp auszuüben
(hierzu Dr. Peukert, a.a.O.).

Das auf den Gerätetyp S 350 bezogene nicht näher
begründete landesverfassungsrechtliche Verwertungsverbot stünde nur dann in
offenkundigem Widerspruch zur bundesverfassungsrechtlich bestätigten
Strafrechtsprechung, die für Verwertungsverbote eine ausdrückliche gesetzliche
Vorschrift verlangt oder aber einen wichtigen Grund im Einzelfall, wenn der
Begriff „Plausibilisierung“ durch „Verifizierung“ ersetzt würde, was der VerfGH
gerade nicht getan hat. Deshalb ist für jeden Gerätetyp gesondert zu prüfen, ob
eine nachträgliche Plausibilitätskontrolle möglich ist oder nicht. Ist diese
möglich, ist nicht von einem Verwertungsverbot betreffend erlangte Messdaten
auszugehen.

Das vom VerfGH angenommene Verfahrensgrundrecht kann
somit im Ergebnis nicht verletzt sein, wenn ohne weiteres zugängliche und
leicht zu handhabende Plausibilisierungsmöglichkeiten – wie hier bei Leivtec XV
3 – bestehen.

Dies gilt, wenn auch für vorliegende Entscheidung
nicht von Bedeutung, wohl ebenfalls für Messungen mit anderen Messgeräten, bei
denen Messdaten gelöscht/nicht gespeichert werden: Bei Messungen mit dem Gerät
PoliScan der Fa. Vitronic werden neben den Orts- und Zeitkoordinaten von erstem
und letztem Messpunkt 3 weitere Punkte gespeichert, was eine photogrammetrische
Auswertung ermöglicht. Bei dem Messgerät Multanova der Fa. Jenoptik handelt es
sich – anders als bei S 350 – um ein halb-analoges Messsystem, welches einen
aufmerksamen Messbetrieb erfordert und als halb-analoges Messsystem die
Messdaten nicht speichert. Die Überprüfung der richtigen Positionierung des
Messgerätes – auch hier besteht ein Unterschied zu S350, denn diese wird nicht
digital erfasst, verwertet oder gespeichert – kann durch photogrammetrische
Auswertung erfolgen. Der Geschwindigkeitsmesswert kann ferner bei diesen beiden
Messgeräten – soweit ein geeignetes Messfoto zur Verfügung steht, was bei allen
verwertbaren Fällen ohnehin der Fall sein sollte – mit Hilfe des Smear-Effektes
überprüft werden.

Messung und Messergebnis waren daher vorliegend uneingeschränkt verwertbar.“ ( AG St. Ingbert, Urteil vom 29.10.2019 – 25 OWi 66 Js 1919/19 (2968/19))

Blitzer verwertbar oder nicht? Ein kurzer Überblick über den aktuellen Sachstand.

Zwischenzeitlich schlug das Urteil des Saarländischen Verfassungsgerichts zur Unverwertbarkeit von Geschwindigkeitsmessungen – https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/messungen-unverwertbar-saarl-verfg-hebt-verurteilung-auf/ – bereits – bei mehreren Obergerichten auf.

Hier ein kleiner Überblick:

OLG Zweibrücken zum Poliscan FM1

Das OLG Zweibrücken hat sich aktuell mit dem Traffistar sondern mit dem Poliscan FM1 befasst. Da seit längerem auf der BAB 6 im Umkreis von Kaiserslautern regelmäßig Anhänger aufgestellt werden, die mit diesem Messgerät ausgestattet sind (Trailer), ist diese Entscheidung für mich und meine Mandanten von großem Interesse.

Das OLG Zweibrücken hat ausgesprochen, dass eine nachträgliche Überprüfung der Messung, wie vom Saarländischen Verfassungsgericht gefordert, bei diesem Messsystem grundsätzlich möglich sei. Von daher ist die Verwertung der Polscan Trailermessungen in Rheinland-Pfalz weiterhin zulässig.

AG St. Ingbert

Das für das Saarland für Geschwindigkeitsverstöße zuständige Amtsgericht St. Ingbert hat in einer aktuellen Entscheidung seinen Unmut darüber geäußert, dass es die Traffistarverfahren einstellen muss, folgt aber der eindeutigen Ansage aus Saarbrücken.

Für das Saarland gilt im Übrigen, dass derzeit Verfahren bei folgenden Messsystemen regelmäßig eingestellt werden: Poliscan, Traffistar und Leivtec. Gemäß ministerialer Anordnung darf – bis zu einem zu erwartenden Softwareupdate – mit diesen Geräten auch nicht mehr gemessen werden.

OLG Karlsruhe

Das OLG Karlsruhe hat darauf hingewiesen, dass es an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten wird, wonach es nicht darauf ankommt, ob eine nachträgliche Überprüfbarkeit der Messdateien ermöglicht wird oder nicht. Nach Ansicht des OLG Karlsruhe liegt in jedem Falle ein standardisiertes Messverfahren vor.

OLG Stuttgart

Das OLG Stuttgart hatte einen entspreche Rechtsbeschwerde zur Entscheidung vorliegen. Allerdings hatte die dortige Betroffene sich während des Verfahrens nicht um die Messdateien bemüht und demzufolge lag auch kein Verstoß gegen ein faires Verfahren vor. Schließlich fehlte es auch an der fristgerecht eingereichten Verfahrensrüge. Die eigentliche Frage der Verwertbarkeit konnte das OLG Stuttgart daher offenlassen. Für Baden-Württemberg lieg eine recht eindeutige Stellungnahme des Verkehrsministeriums vor:

https://vm.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/kein-freibrief-fuer-temposuender-im-land/

Jenoptik selbst hat bereits angekündigt, ein Softwareupdate für das Traffistar S350, das kurzfristig ohnehin angestanden hätte, vorerst zu verschieben und eine umfassendere Option in den Markt zu bringen.

Die Tendenz:

Dem positiven Beispiel des schönen Bundeslandes Saarland („Kleinbonum“), in dem ich meine beiden Büros betreiben darf, folgen die übrigen Bundesländer wohl nicht. Das war leider absehbar.

Messungen unverwertbar! Saarl. VerfG hebt Verurteilung auf!

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat mit Urteil vom 5.7.2019 – Lv 7/17 – entschieden, dass die Nichtspeicherung von Rohmessdaten bzw. das Nichtzurverfügungstellen das Grundrecht des Betroffenen auf ein faires gerichtliches Verfahren (Art. 60 Abs. 1 der Saarländischen Verfassung i.V.m. Art 20 der Saarländischen Verfassung) verletzt. Gegenstand des Urteils ist das Messverfahren Traffistar S350 der Firma Jenoptik.

Das Urteil finden Sie im Volltext hier:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/wp-content/uploads/2019/07/2019-Lv-7-17-Anonym.pdf

Diese Entscheidung hatte sich nach der mündlichen Verhandlung vom 9.5.2019 abgezeichnet::

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/geblitzt-sofort-einspruch-einlegen-messungen-im-saarland-sind-vermutlich-verfassungswidrig/

Das Saarlandische Verfassungsgericht führt aus:

Fehlt es an ihnen (Anmerk. d. Unterzeichners: den Rohmessdaten) und vermag sich eine Verurteilung nur auf das dokumentierte Messergebnis und das Lichtbild des aufgenommenen Kraftfahrzeugs und seines Fahrers zu stützen, so fehlt es nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren, wenn sich ein Betroffener wie hier – selbst ohne nähere Begründung – gegen das Messergebnis wendet und ein Fehlen von Rohmessdaten rügt. Eine Verurteilung kann dann auf dieser Grundlage nicht erfolgen.

Saarl. VerfG a. a. O.

Der Saarl. VerfG hat die Entscheidungen des Amtsgerichts Saarbrücken und des Saarländischen Oberlandesgerichts aufgehoben, die gegen den Betroffenen ergangen waren.

Wenn zu den rechtlichen Rahmenbedingungen eines standardisierten Messverfahrens zählt, sich mit Einwänden gegen seine Ergebnisse wenden zu dürfen, so darf einem Betroffenen nicht von vornherein abgeschnitten werden, solche Einwände erst zu ermitteln.

Saarl. VerfG a. a. O.

Damit löst der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes den von einigen Verteidigern seit Jahren angeprangerten „Teufelskreis“ bei standardisierten Messverfahren.

Ist ein Messverfahren von der Rechtsprechung als standardisiert anerkannt, muss der Betroffene nämlich konkrete Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung aufzeigen, um das Gericht zu veranlassen, die Messung in seinem Einzelfall auf ihre Ordnungsgemäßheit hin zu überprüfen.

Nach richtiger Ansicht des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes ist er hierfür aber gerade auf die Zurverfügungstellung der Messdateien angewiesen.

Der Verfasssungsgerichtshof des Saarlandes zieht einen Vergleich zu DNA-Beweisen und Blutprobenanalysen:

Solange eine Messung aber nicht durch die Bereitstellung der Datensätze – einschließlich auch der Statistikdatei – einer Nachprüfung durch die Verteidigung des Betroffenen zugänglich ist, würde der alleinige Verweis auf die Verlässlichkeit der Konformitätsprüfung – die im Übrigen keiner öffentlichen Transparenz und keiner Kontrolle der von der Verwendung der Messgeräte Betroffenen unterliegt – schlicht bedeuten, dass Rechtsuchende auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuernden Algorithmen ausgeliefert wären. Das ist nach der Überzeugung des Verfassungsgerichtshof weder bei Geschwindigkeitsmessungen noch in den Fällen anderer standardisierter Messverfahren – wie beispielsweise der Blutprobenanalyse und der DNAIdentitätsmusterfeststellung – rechtsstaatlich hinnehmbar. Auch in den genannten Beispielsfällen käme niemand auf den Gedanken, dass die untersuchten gesicherten Substanzen sofort nach ihrer Analyse vernichtet werden könnten und nachträglichen Zweifeln eines Beschuldigten an der Richtigkeit der Feststellungen nicht nachgegangen werden müsste, weil das Ergebnis der standardisierten Untersuchungen in aller Regel zutreffend sei.

Denn zu einer wirksamen Verteidigung gehört nicht nur, ein Gericht auf solche ihm ohnehin ins Auge fallenden Umstände aufmerksam zu machen, sondern nachforschen zu können, ob es bislang gerade nicht bekannte Zweifel an der Tragfähigkeit eines Vorwurfs gibt. Muss das Gericht die näheren technischen und physikalischen Umstände der Geschwindigkeitsmessung im Rahmen des standardisierten Messverfahrens nicht aufklären und bliebe die Aufklärung zugleich auch dem Betroffenen verwehrt, würde die Tatsachengrundlage der Verurteilung letztlich jeder gerichtlichen Überprüfung entzogen.

Saarl. VerfG a. a. O.

Damit sind Messungen, die mit dem Traffistar S350 der Firma Jenoptik im Saarland durchgeführt wurden und – wie allgemein üblich – auch im Saarland geahndet werden, derzeit nicht verwertbar, jedenfalls nicht, solange der Messgerätehersteller die Rohmessdaten nicht zur Verfügung stellt. Da die Software diese Daten nach wie vor löscht, jedenfalls ist das der aktuelle diesseitige Kenntnisstand, dürfte eine nachträgliche Zurverfügungstellung derzeit ausscheiden.

Die Rechtsfolge ist klar:

Sind die Ergebnisse des Messverfahrens mit dem Messgerät Traffistar 350S folglich wegen einer verfassungswidrigen Beschränkung des Rechts auf eine wirksame Verteidigung unverwertbar, sind die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben. (Hervorh. d. Unterz.)

Saarl. VerfG a. a. O.

Der Saarländische Verfassungsgerichtshof macht des Weiteren eine unmissverständliche Ansage an die Gerichte des Saarlandes, vor allem also an das Amtsgericht St. Ingbert, das nach der Strukturreform praktisch alleine zuständig für solche Verfahren im Saarland ist, und das Oberlandesgericht des Saarlandes:

Gerichte des Saarlandes sind – vorbehaltlich einer abweichenden späteren Entscheidung eines Bundesgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts – an die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes gebunden. Soweit dies lediglich einen konkreten Streitfall betrifft, ist allerdings aus gegebenem Anlass darauf hinzuweisen, dass in gleich gelagerten Streitfällen – vorbehaltlich der Zulassung eines Rechtsbehelfs zu einem Bundesgericht – der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes abweichende Entscheidungen saarländischer Instanzgerichte korrigieren wird. (Hervorh. d. Unterz.)

Saarl. VerfG a. a. O.

Sehr anschaulich hebt das Saarl. Verfassungsgericht die Bedeutung der Grundsätze des fairen Verfahrens und der Überprüfbarkeit staatlicher Sanktionen hervor, indem es ausführt:

Zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verurteilung einer Bürgerin oder eines Bürgers gehört, dass er die tatsächlichen Grundlagen seiner Verurteilung zur Kenntnis nehmen, sie in Zweifel ziehen und sie nachprüfen darf. Das gilt nicht nur in Fällen strafrechtlicher Sanktionen, sondern stets. Staatliches Handeln darf, so gering belastend es im Einzelfall sein mag, und so sehr ein Bedarf an routinisierten Entscheidungsprozessen besteht, in einem freiheitlichen Rechtsstaat für die Bürgerin und den Bürger nicht undurchschaubar sein; eine Verweisung darauf, dass alles schon seine Richtigkeit habe, würde ihn zum unmündigen Objekt staatlicher Verfügbarkeit machen. Daher gehören auch die grundsätzliche Nachvollziehbarkeit technischer Prozesse, die zu belastenden Erkenntnissen über eine Bürgerin oder einen Bürger führen, und ihre staatsferne Prüfbarkeit zu den Grundvoraussetzungen freiheitlich-rechtsstaatlichen Verfahrens.

Saarl. VerfG a. a. O.

Abschließend weise ich noch darauf hin, dass die Problematik der Nichtzurverfügungstellung von Rohmessdaten keine ist, die ausschließlich das Messsystem Traffistar S350 betrifft. Das Amtsgericht St. Ingbert hatte mit Urteil vom 26.4.2017 – 2 OWi 379/16 – die nachträgliche Löschung der Rohmessdaten bei dem Messgerät Leivtec XV3, das im Saarland sehr verbreitet ist, bemängelt und den Betroffenen freigesprochen.

Zum ESO ES 3.0:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/eso-es-3-0-freispruch/


Zur Identifizierung des Fahrers durch Sachverständigengutachten – „Höchstwahrscheinlich“ reicht nicht (OLG Oldenburg)

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in einer aktuellen Entscheidung noch einmal klargestellt, welche Anforderungen in einem Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren an die Identifizierung des Fahrers zu stellen sind. Die konkrete Entscheidung behandelt das Thema Identifizierung durch Einholung eines Gutachtens.

Dem Betroffenen wurde ein Geschwindigkeitsverstoß vorgeworfen. Er bestritt, der auf dem Messfoto abgebildete Fahrer zu sein. Das Amtsgericht holte daraufhin ein Gutachten ein. Hierzu ist anzumerken, dass es durchaus üblich ist, dass das Gericht ein anthropologisch-morphologisches Gutachten (Identitätsgutachten) einholt, wenn es sich anhand des Messfotos alleine nicht von der Fahrereigenschaft überzeugen kann.

Es ist also nicht ungewöhnlich, dass bei schlechter Qualität des Messfotos ein solches Gutachten eingeholt wird.

Der Gutachter kam im Verfahren vor dem Amtsgericht zu der Überzeugung, dass der Betroffene „höchstwahrscheinlich“ der auf dem Messfoto abgebildete Fahrer sei, allerdings mit der Einschränkung, dass kein Blutsverwandter in Betracht komme.

Allein auf diese Einschätzung stützte das Amtsgericht die Verurteilung des Betroffenen.

Das OLG Oldenburg führt zu diesem Vorgehen zutreffend aus:

„Dass jemand „höchstwahrscheinlich“ eine Straftat oder wie hier eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, rechtfertigt eine Verurteilung nicht.“ (OLG Oldenburg, Beschluss vom 22.6.2018 – 2 Ss (OWi) 176/18)

Das OLG Oldenburg hat die Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes.

Es hat darauf hingewiesen, dass eine Feststellung der Fahrereigenschaft in einem solchen Fall zusätzlich weitere Feststellungen erfordere, etwa dass der Betroffene im Tatzeitpunkt Halter des Fahrzeugs war oder dem Halter so nahe stehe, dass er auch Zugriff auf das Fahrzeug hatte.

Die Feststellung der Fahrereigenschaft spielt im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht eine große Rolle, da einzige Beweismittel häufig das Messfoto bzw. die Messfotos oder das Messvideo sind.

Insofern als es dem Betroffenen frei steht, zu bestreiten, dass er der auf dem Messfoto abgebildete Fahrer ist, Messfotos aber nicht selten von zweifelhafter Qualität sind und zudem Gesichtspartien verdeckt sein können, ranken sich viele Entscheidungen um das Thema „Fahreridentifizierung“.

Dass der vorliegende Wahrscheinlichkeitsgrad, den der Gutachter mit „höchstwahrscheinlich unter Ausnahme eines Blutsverwandten“ angenommen hat, für sich  alleine betrachtet nicht ausreicht, hätte sich dem Amtsgericht aufgrund der ständigen Rechtsprechung aufdrängen müssen.

Wie die Sache nach der Zurückverweisung und erneuten Verhandlung für den Betroffenen ausging, ist nicht veröffentlicht. Jedenfalls sollte jedem Betroffenen klar sein, dass er nicht verpflichtet ist, sich als Fahrer zu erkennen zu geben. Des Weiteren ist es sein gutes Recht, die Fahrereigenschaft zu bestreiten.

Vorschnelle Reaktionen auf Anhörbögen sollten daher dringend vermieden werden!

Die Nichtbeantwortung eines Anhörbogens ist im Übrigen keine Ordnungswidrigkeit. In dem Moment, in dem Ihre Daten der Behörde bekannt sind, entfällt der in Anhörbögen regelmäßig zitierte Tatbestand des § 111 OWiG. Falls Sie Post von der Bußgeldstelle erhalten haben, rufen Sie mich an, bevor Sie irgendwelche Angaben machen.

Der auf dem Beitragsfoto abgebildete Fahrer bin übrigens nicht ich … oder doch?

Verfassungsgerichtshof des Saarlandes: Betroffener hat Anspruch auf Einsicht in die Messdateien!

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat – sozusagen als „letzte Instanz“ – entschieden, dass einem Betroffenen die Messdateien zur Auswertung und Überprüfung durch einen Sachverständigen zur Verfügung zu stellen sind. Im konkreten Fall hatte der Betroffene sich gegen den Vorwurf eines Rotlichtverstoßes zur Wehr gesetzt und mehrmals erfolglos versucht, die Bußgeldstelle dazu zu bewegen, ihm die Falldateien zu übersenden.

Letztlich wurde er ohne Einsicht in die Falldateien durch alle Instanzen (Amtsgericht Saarbrücken und Oberlandesgericht Saarbrücken) verurteilt. Nach Ausschöpfung des ordentlichen Rechtsweges verblieb ihm nur noch die Anrufung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes.
Dieser entschied, dass die vorangegangenen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts den Betroffenen in seinen Grundrechten auf ein faires gerichtliches Verfahren und auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzten.

In seiner Begründung setzt sich der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes eindrucksvoll und einleuchtend mit dem sogenannten Teufelskreis bei der Frage der Gewährung der Einsicht in die Falldateien auseinander. Er führt aus:

Die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei verletzen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs.

a) Nach der Rechtsprechung zum sog. standardisierten Verfahren, der vorliegend auch das Amtsgericht Saarbrücken und das Saarländische Oberlandesgericht gefolgt sind, genügt es, dass der Tatrichter in den Urteilsgründen das verwendete Messverfahren und ggf. den erfolgten Toleranzabzug angibt. Weitere Angaben und Nachforschungen hinsichtlich des Messgeräts, seiner genauen Funktionsweise und der Richtigkeit der Messdurchführung bzw. -auswertung sollen nicht erforderlich sein, da eine Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit aufgestellt wird (Fromm, NZV 2013, 16 [17]). Dies gilt für die Geschwindigkeits- wie auch für die Rotlichtüberwachung im Straßenverkehr. Daher werden die von einem automatisch arbeitenden Messgerät erfassten sog. Rohmessdaten, aus denen dieses die Geschwindigkeit oder die Tatsache eines Rotlichtverstoßes ableitet, üblicherweise auch nicht vom Tatrichter oder von der Bußgeldbehörde auf Messfehler oder Störungen hin überprüft; es genügt der in das Messfoto eingeblendete Geschwindigkeitswert (oder hier: Tatsache des Missachtens des Rotlichtes sowie Dauer des Rotlichtes beim Überfahren), den das Gerät bestimmt hat. Aus diesem Grund sind die Rohmessdaten auch nicht Teil der Gerichtsakte.

Die Richtigkeitsvermutung kann der Betroffene eines Bußgeldverfahrens nur angreifen, wenn er konkrete Anhaltspunkte für einen Fehler im Rahmen der Messung vorträgt. Es wird ihm also eine Beibringungs- bzw. Darlegungslast auferlegt (Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Diese Punkte vorzutragen, also die erfolgversprechende Verschaffung rechtlichen Gehörs, wird ihm jedoch unmöglich gemacht, wenn die Messdaten als die Grundlage der Messung nicht für eine sachverständige Untersuchung zur Verfügung gestellt werden (OLG Celle, Urteil vom 16.6.2016- 1 Ss OWi 96/16 -, NJOZ 2017, 559 Rn. 5; Deutscher, DAR 2017, 723; Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Letztlich wird er unter Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens als Objekt des Verfahrens behandelt, dem wesentliche Mitwirkungsrechte versagt werden bzw. welches diese nicht effektiv ausüben kann.

Für den Betroffenen bzw. seinen Verteidiger ist es möglich, der Darlegungslast nachzukommen und das Messergebnis in Zweifel zu ziehen, wenn er die vom jeweiligen Messgerät erzeugten Digitaldaten als Grundlage jeder Messung technisch auswerten lässt. Daraus, dass einerseits die Verwaltungsbehörden bzw. die Gerichte sich zu einer Überprüfung aller Einzelheiten der Geschwindigkeitsmessung nicht verpflichtet sehen, andererseits der Betroffene für eine solche in eigener Regie durch einen Sachverständigen durchgeführte Überprüfung die bei der Messung angefallenen digitalen Daten als Grundlage der Messung benötigt, hat das Saarländische Oberlandesgericht als Konsequenz des Rechts auf ein faires Verfahren gefolgert, dass ihm diese Daten – auch wenn sie sich nicht in der Akte befinden und damit von § 147 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG nicht erfasst werden – zur Verfügung zu stellen sind (Beschluss vom 24.2.2016 – Ss [Bs] 6/2016 [4/16 OWi] -, juris Rn. 7, unter Hinweis auf Cierniak, ZfS 2012, 664 [673]). Dem ist zuzustimmen, denn durch die sodann ermöglichte Transparenz des Messverfahrens ist die Waffengleichheit wieder hergestellt und dem Gebot eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs genügt: Ein Betroffener kann dann adäquat auf den Tatvorwurf reagieren und den Tatvorwurf der Behörde bei Anhaltspunkten für Messfehler qualifiziert durch das Ergebnis der von ihm veranlassten technischen Untersuchung widerlegen oder erschüttern.

Aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden Gebot der Waffengleichheit folgt, dass ebenso, wie dem „Ankläger“ Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, einen Tatvorwurf nachzuweisen – was in Fällen der hier diskutierten Art leicht möglich ist, da der vom Gerät angezeigte Wert dafür genügt -, einem im Bußgeldverfahren Betroffenen Zugang zu den Informationen gewährt werden muss, die er benötigt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen oder durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen („Parität des Wissens“, vgl. LG Trier, DAR 2017, 721 [722]; „Informationsparität“ gemäß Art. 6 EMRK, vgl. Krenberger, jurisPR-VerkR 17/2016).

(VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18)

OLG Bamberg: Absehen vom Fahrverbot wegen verkehrspsychologischer Schulung?

Nach Ansicht des OLG Bamberg genügt die alleinige Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung nicht, um von einem verwirkten Regelfahrverbot abzusehen:

Eine auf eigene Kosten erfolgende freiwillige Teilnahme des Betroffenen an einer verkehrspsychologischen Schulung rechtfertigt für sich allein grundsätzlich nicht das Absehen von einem verwirkten bußgeldrechtlichen Fahrverbot. Eine Ausnahme kann auch dann nur in Betracht kommen, wenn daneben eine Vielzahl weiterer zu Gunsten des Betroffenen sprechender Gesichtspunkte festgestellt werden können.

(OLG Bamberg, Beschluss vom 2.1.2018 – 3 Ss OWi 1704/17)

Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Absehen vom Fahrverbot nicht bei Hinzutreten weiterer, begünstigender Umstände für den Betroffenen möglich wäre. In dem Fall, den das OLG Bamberg zu entscheiden hatte, ging es um eine Betroffene, gegen die ein Fahrverbot wegen Beharrlichkeit verhängt worden war. Es waren drei Voreintragungen im Fahrerlaubnisregister vorhanden, wobei ein in zeitlicher Nähe zum gegenständlichen Verstoß rechtskräftig gewordener Verstoß bereits ein Fahrverbot nach sich gezogen hatte.

Das Amtsgericht hatte dennoch das Fahrverbot wegen der Schulungsteilnahme aufgehoben. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat das OLG Bamberg die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung ans Amtsgericht zurückverwiesen.

Es hat angedeutet, dass über die Frage einer unzumutbaren Härte durch die Verhängung des Fahrverbotes noch ergänzende Feststellungen getroffen werden müssen.

Die Entscheidung liest sich auf den ersten Blick natürlich nicht positiv für Betroffene. Sieht man sich den konkreten Sachverhalt, so wie er sich aus dem Beschluss des OLG Bamberg im Wesentlichen ergibt, an, so lässt sich aber sagen:

1. Die Tendenz, bei einem Mehrfachtäter, der in zeitlicher Nähe zum Verstoß bereits ein Fahrverbot angetreten und weitere einschlägige Voreintragungen vorzuweisen hat, wegen der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung vom Fahrverbot abzusehen, ist bei Gericht – vielleicht auch zu Recht – nicht besonders groß.

2. Des Weiteren zeigt das OLG Bamberg auf, dass die Frage der unzumutbaren Härte, die durch das Fahrverbot eintreten würde, nach seiner Ansicht vom Amtsgericht nicht ausreichend aufgeklärt wurde. Ob ein Absehen vom Fahrverbot durchgesetzt werden kann oder nicht, ist immer Einzelfallsache.

Die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulungsmaßnahme wird allerdings auch von anderen Oberlandesgerichten regelmäßig für nicht ausreichend für ein Absehen vom Fahrverbot erachtet – so beispielsweise auch vom OLG Saarbrücken, Beschl. v. 12.2.2013 – Ss (B) 14/13 (9/13 OWi). Es bedarf in jedem Falle weiteren Sachvortrages und gegebenenfalls auch Beweisantrittes zu den Umständen, die ein Absehen vom Fahrverbot begründen.

OLG Bamberg: Keine Benachteiligung wegen Einspruchseinlegung – Ausnahme vom Fahrverbot für Krankentransportfahrzeuge

Das OLG Bamberg hat mit Beschluss vom 9.11.2017 – 3 Ss OWi 1556/17 entschieden:

Der Umstand, dass ein Betroffener von ihm zustehenden Verteidigungsmöglichkeiten (hier: Einspruch gegen den Bußgeldbescheid) Gebrauch gemacht hat, darf bei der Frage, ob im Einzelfall ein Absehen vom Fahrverbot oder eine sonstige Fahrverbotsprivilegierung in Betracht kommt, nicht zum Nachteil des Betroffenen berücksichtigt werden.

2. Die Versagung einer Fahrverbotsprivilegierung mit der Begründung, der Betroffene habe mit Blick auf den Antritt eines Arbeitsverhältnisses einen Härtefall aufgrund einer durch das Fahrverbot konkret drohenden Kündigung durch Hinnahme des Bußgeldbescheids und die hierdurch mögliche Verbüßung des Fahrverbots noch vor Antritt der Tätigkeit verhindern können, stellt eine im Rahmen des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ermessensfehlerhafte Verwertung zulässigen Verteidigungsverhaltens zum Nachteil des Betroffenen dar.

3.“Krankenkraftwagen“ können aufgrund ihrer über den bloßen Verwendungszweck und ihre Ausrüstung hinausgehende bauartbedingten Abgrenzbarkeit von anderen Fahrzeugen derselben Fahrzeugart oder -klasse als Kraftfahrzeuge „einer bestimmten Art“ gemäß § 25 I 1 StVG vom bußgeldrechtlichen Fahrverbot ausgenommen werden.

Der Betroffene war vom Amtsgericht wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes (Rotlichtdauer länger als eine Sekunde) zu einer Geldbuße von 200,00 € und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt worden.

Er hatte sich auf die sogenannte Härteklausel berufen und vorgetragen, ihm drohe als Rettungssanitäter eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Im Falle des Betroffenen verhielt es sich so, dass er im Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides noch arbeitsuchend war. Erst im Laufe des Einspruchsverfahrens konnte er seine neue Arbeitsstelle als Rettungssanitäter antreten.

Das Amtsgericht vertrat die Auffassung, ein Absehen vom Fahrverbot komme ebenso wenig in Betracht wie eine Beschränkung. Der Betroffene habe von Anfang an die Tat eingeräumt und es sei ihm daher möglich gewesen, den Bußgeldbescheid zu akzeptieren und das Fahrverbot während seiner Arbeitslosigkeit anzutreten.

Das OLG Bamberg hat dieser Rechtsauffassung eine klare Absage erteilt und vom Fahrverbot „Krankenkraftwagen“ ausgenommen:

Erst recht durfte die Möglichkeit eines Absehens vom Fahrverbot oder der Beschränkung des Fahrverbots nicht von vornherein mit dem Argument abgelehnt werden, dass der Betr. nach seiner Einlassung vor Antritt seiner Tätigkeit als Rettungsdiensthelfer arbeitslos gewesen sei, weshalb er „das Fahrverbot […] eben vor Aufnahme der Beschäftigung am 01.05.2017“ hätte antreten können, nachdem ihm der Bußgeldbescheid bereits am 15.03.2017 zugestellt worden war. Dies sei – so das AG  – insbesondere deshalb anzunehmen, „da der Betr. ja von Anfang an den Vorwurf nicht bestritten“ habe. Denn diese die Hinnahme des Bußgeldbescheids ohne Einspruch bzw. einen Einspruchsverzicht oder wenigstens eine noch rechtzeitige Einspruchsrücknahme nahe legende Argumentation läuft auf eine unzulässige Verwertung zulässigen Verteidigungsverhaltens zum Nachteil des Betr. hinaus, mit der das AG die Grenzen des ihm gem. § 25 I 1 StVG übertragenen tatrichterlichen Bewertungsspielraums in ermessensfehlerhafter Weise überschritten hat.

Neuer Bußgeldkatalog 2017 – Die wichtigsten Änderungen

Seit dem 19.10.2017 ist ein neuer Bußgeldkatalog in Kraft.

Der Gesetzgeber reagierte damit auf einige, seit längerer Zeit bekannte und besonders gefährliche Fehlverhaltensarten im Straßenverkehr. Im Wesentlichen enthält der Bußgeldkatalog folgende – meines Erachtens begrüßenswerte – Änderungen:

1. Blockierung von Rettungsgassen

Die Blockierung von Rettungsgassen, die in § 11 StVO geregelt ist, wird mit sehr viel höheren Sanktionen belegt.

Satt der früheren 20,00 € Bußgeld ist nunmehr das Zehnfache fällig und zwar auch ohne eine konkret entstandene Behinderung (200,00 € und 1 Punkt). Mit Behinderung erhöht sich die Geldbuße auf 240,00 €. Außerdem werden dann 2 Punkte eingetragen und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Kommt es durch die Behinderung zu einer Gefährdung, erhöht sich das Bußgeld auf 280,00 €. Bei zusätzlicher Sachbeschädigung sind 320,00 € fällig.

Wer absichtlich eine Rettungsgasse blockiert, macht sich nach wie vor gemäß § 323 c STGB strafbar.

2. Behinderung von Einsatzfahrzeugen

Für eine Behinderung von Einsatzfahrzeugen mit Blinklicht und Martinshorn werden zukünftig 240,00 €, zwei Punkte und ein Monat Fahrverbot verhängt. Bei Gefährdung erhöht sich das Bußgeld auf 280,00 €, bei einer Sachbeschädigung auf 320,00 €.

3. Nutzung von Mobiltelefonen und ähnlichen Geräten
Beim sogenannten Handyparagraphen hat sich der Gesetzgeber richtig ins Zeug gelegt.

Bislang galt § 23 StVO alte Fassung ausdrücklich nur für Mobiltelefone und Autotelefone. Das führte in der Praxis dazu, dass Betroffene sich häufig verteidigten, indem sie vortrugen, sie hätten einen IPod oder ähnliche technische Geräte benutzt. Der Gesetzgeber hat auf diesen Einwand und, wie sich aus einer Lektüre des aktuellen § 23 StVO ergibt, auch auf andere Einwände reagiert und zudem das Bußgeld deutlich erhöht (100,00 € statt 60,00 €):

(1a) Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn

1. hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und
2. entweder
a) nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder
b) zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist.

Geräte im Sinne des Satzes 1 sind auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder. Handelt es sich bei dem Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, um ein auf dem Kopf getragenes visuelles Ausgabegerät, insbesondere eine Videobrille, darf dieses nicht benutzt werden. Verfügt das Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, über eine Sichtfeldprojektion, darf diese für fahrzeugbezogene, verkehrszeichenbezogene, fahrtbezogene oder fahrtbegleitende Informationen benutzt werden. 5 Absatz 1c und § 1b des Straßenverkehrsgesetzes bleiben unberührt.

(1b) Absatz 1a Satz 1 bis 3 gilt nicht für
1. ein stehendes Fahrzeug, im Falle eines Kraftfahrzeuges vorbehaltlich der Nummer 3 nur, wenn der Motor vollständig ausgeschaltet ist,
2. den bestimmungsgemäßen Betrieb einer atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperre, soweit ein für den Betrieb bestimmtes Handteil aufgenommen und gehalten werden muss,
3. stehende Straßenbahnen oder Linienbusse an Haltestellen (Zeichen 224).

Freispruch! OLG Saarbrücken verwirft Geschwindigkeitsmessungen der Stadt Neunkirchen

Das Thema ging im Saarland durch die Medien. Da es sich um laufende Verfahren handelte, habe ich mich inhaltlich bislang nicht dazu geäußert (zum damaligen Beitrag:https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/innenministerium-des-saarlandes-keine-privatisierung-der-verkehrsueberwachung/).

Es geht um die Einbeziehung von Privaten in die Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen.

Konkret hatte die Stadt Neunkirchen den Messgerätehersteller Jenoptik in die Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen einbezogen.

Das habe ich gerügt und zwar unter Hinweis auf den folgenden ministerialen Erlass:

Erlass über die Wahrnehmung der Verkehrsüberwachung durch Ortspolizeibehörden

Das Amtsgericht Neunkirchen hat sowohl in meinem Verfahren als auch in einem Parallelverfahren die jeweiligen Betroffenen freigesprochen. Es hat hinsichtlich des Messfotos ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Da, wie üblich, keine weiteren Beweismittel zur Verfügung standen, konnte der Tatnachweis ohne das „Blitzerfoto“ nicht geführt werden.

Gegen die Freisprüche hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht des Saarlandes eingelegt.

Das Oberlandesgericht des Saarlandes hat die Ansicht des Amtsgerichts Neunkirchen bestätigt und die Freisprüche aufrechterhalten. Aus den Gründen:

… Nach Maßgabe dieser Grundsätze unterliegt das unter rechtswidriger Beteiligung der Jenoptik an der Auswertung der Rohmessdaten zustande gekommene Messbild im vorliegenden Fall hierbei einem Verwertungsverbot. Denn die Stadt Neunkirchen hat hierbei unter bewusster Missachtung der für sie geltenden Bestimmungen gehandelt.

Der Beschluss des OLG des Saarlandes ist sehr ausführlich und überzeugend begründet, weshalb ich ihn eingescannt habe und unter diesem Link zur Verfügung stelle:

OLG des Saarlandes, Beschl. v. 31.5.2017 – Ss BS 34/2017 (31/17 OWi)

Zwei aktuelle Entscheidungen des OLG Hamm zum Handyverstoß

Da Handyverstöße mit einem Punkt bewehrt sind, kommt es häufig zu gerichtlichen Entscheidungen über diese Verstöße. In Anbetracht der etwas vagen Formulierung des § 23 Abs. 1 a StVO kommt es häufig zu Streit, zum Beispiel darüber, wann ein „Benutzen“ im Sinne dieser Vorschrift oder wann ein „Mobiltelefon“ vorliegt. § 23 Abs. 1 a StVO lautet:

Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist.

Zum Thema „Benutzen“ eines Mobiltelefons hat das OLG Hamm mit Urteil vom 29.12.2016 – 1 RBs 170/16 – entschieden, dass unter die Benutzung eines Mobiltelefons auch die Kontrolle gehört, ob dieses ausgeschaltet ist. Der Betroffene hatte vorgetragen, er habe lediglich die Home-Taste seines Mobiltelefons gedrückt, um zu prüfen, ob das Gerät ausgeschaltet sei. Darin hatte die Verteidigung keine „Benutzung“ im Sinne des § 23 Abs.1 a StVO gesehen. Das sah das OLG Hamm leider anders und verurteilte den Betroffenen. Allgemein lässt sich sagen, dass die Gerichte ein „Benutzen“ eines Mobiltelefons praktisch bei jeder Nutzung irgendeiner Funktion desselben (z.B. auch Musik abspielen, E-Mails lesen etc.) annehmen.

Mit einer zweiten – allerdings wenig überraschenden – Entscheidung hat das OLG Hamm bestätigt, dass auch dann von einem „Mobiltelefon“ auszugehen ist, wenn in dieses keine SIM-Karte eingelegt ist, so dass die Telefonfunktion nicht genutzt werden kann. Der Betroffene hatte vorgetragen, er habe lediglich Musik gehört. In seinem Handy sei keine SIM-Karte eingelegt gewesen.

Allgemein lässt sich zum Handyverstoß konstatieren, dass die Verteidigungsmöglichkeiten eher im Tatsächlichen liegen. In der Regel sind diese Verstöße nur protokollhaft von der Polizei dokumentieren. In der Akte befindet sich häufig nur ein Protokollzettel, den die Beamten vor Ort handschriftlich ausgefüllt haben.

Wichtig ist es in jedem Fall, zeitig konkreten Sachvortrag zu liefern, da die Tendenz bei den Amtsgerichten besteht, zu späten Sachvortrag als Schutzbehauptung abzutun. In aller Regel wird die Rechtsbeschwerde bei einem Handyverstoß auch nicht zugelassen, es sei denn, es handelt sich um ungeklärte Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung. Sprich: Das Amtsgericht hat das letzte Wort.

Segway

Segway ist Kraftfahrzeug: Absolute Fahruntauglichkeit ab 1,1 Promille

Das OLG Hamburg hat entschieden, dass ein Segway ein Kraftfahrzeug im Sinne des § 316 StGB ist. Das hat zur Folge, dass die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit für einen Segwayfahrer, ebenso wie für den Autofahrer, bei 1,1 Promille liegt.

Der Verurteilte wurde mit 1,5 Promille auf einem Segway angehalten. Die Grenze für Fahrradfahrer zur absoluten Fahruntauglichkeit liegt (derzeit noch) bei 1,6 Promille.

Promillegrenzen im Überblick (Video)

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/alkohol-am-fahrrad-steuer/

Der Verurteilte hatte gegen die amtsgerichtliche Verurteilung Revision zum OLG Hamburg eingelegt mit der Begründung, das Segway sei einem Fahrrad nicht aber einem Kraftfahrzeug im Sinne des § 316 StGB gleichzustellen.

Das hat das OLG Hamburg anders gesehen und die Revision zurückgewiesen. Für die Verkehrssicherheit eine begrüßenswerte Entscheidung. In diesem Zusammenhang sei auch noch einmal darauf hingewiesen, dass die Empfehlung des Verkehrsgerichtstags Goslar aus dem letzten Jahr dahin ging, auch für Fahrradfahrer eine absolute Fahruntauglichkeitsgrenze von 1,1 Promille einzuführen. (Hier der Link zu meinem damaligen Artikel: Die Empfehlungen des deutschen Verkehrsgerichtstags 2016

Falschbenennung des Fahrers ist strafbar

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden:

Führen der Täter einer Ordnungswidrigkeit und eine mit ihm zusammenwirkende, an der Tat unbeteiligte Person die Bußgeldbehörde bewusst in die Irre, indem sich die weitere Person selbst zu Unrecht der Täterschaft bezichtigt, kann dies für den Täter zu einer Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft und für die weitere Person wegen Beihilfe hierzu führen.

(OLG Stuttgart, Urt. v. 23.7.2015 Az 2 Ss 94/15)

Dem lag folgende Fallgestaltung zugrunde:

Der Angeklagte und später Verurteilte (im Folgenden: Fahrer) wurde mit einem Firmenwagen geblitzt. Sein Arbeitgeber erhielt eine Halteranfrage, benannte daraufhin den Fahrer als solchen und leitete den Fragebogen an ihn weiter. In der Folge entschlossen sich der Fahrer und ein Arbeitskollege (im Folgenden: Kollege), dass sich der Kollege als Fahrer benennen solle. Daraufhin richtete sich das Verfahren zunächst gegen den Kollegen. Nach Eintritt der Verjährung für den Fahrer gab der Kollege dann bekannt, dass er nicht der Fahrzeugführer war.

In solchen Konstellationen ist bislang geklärt, dass sich der Fahrer, der einen Dritten selbst benennt, indem er ihn als Fahrer gegenüber der Behörde benennt, z. B. indem er die Personendaten des Kollegen auf dem Anhörbogen einträgt, wegen falscher Verdächtigung strafbar macht.
Lange Zeit war es dagegen Lehrmeinung und führte zur Straflosigkeit, wenn der Fahrer sich gar nicht äußerte und der Kollege sich selbst benannte, indem er – üblicher Weise – den Anhörbogen selbst ausfüllte und an die Bußgeldstelle schickte.

Dieser „Verteidigungsstrategie“ hat das OLG Stuttgart eine klare Absage erteilt, indem es den Fahrer wegen falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft verurteilt hat. Es führt zur Begründung aus:

Die Tatherrschaft des Hintermanns (Anmerkung: Des Fahrers und Angeklagten) kann auch im Fall eines objektiv tatbestandslos handelnden Tatmittlers wie hier gegeben sein. Der Angeklagte Ka ist im vorliegenden Fall mittelbarer Täter, weil er im Wege einer wertenden Zuschreibung Tatherrschaft und Wille zur Tatherrschaft hatte und die Tat allein in seinem Interesse begangen wurde. Er nahm auf die Tatbegehung dadurch Einfluss, dass er dem Angeklagten Kr (Anmerkung: Arbeitskollege) die an ihn gelangten Schreiben der Bußgeldbehörde mit den Daten zur Ordnungswidrigkeit übergab, nachdem er den Tatplan mit ihm vereinbart hatte. Obwohl Kr die Schriftstücke alleine ausfüllte und an die Bußgeldbehörde übersandte, hielt der Angeklagte Ka die Herrschaft über den Geschehensablauf gleichwohl weiter auch selbst in der Hand, weil er sich zu jedem Zeitpunkt an die Bußgeldbehörde wenden und den wahren Sachverhalt offenbaren konnte.

Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.

Ich habe schon davon gehört, dass der ein oder andere Versicherer – bislang mehr oder weniger inoffiziell – Bußgelder der Versicherungsnehmer übernimmt, um zu verhindern, dass diese einen Verteidiger beauftragen.

Das lief bisher immer so ab, dass der Betroffene eben geblitzt wurde, zu seinem Versicherungsvertreter ging und bereits von diesem angeboten bekam, man werde das Bußgeld übernehmen, er solle den Bescheid einfach akzetieren.

Hintergrund ist natürlich die Vermeidung von Anwalts- und Verfahrenskosten, die der Versicherer bedingungsgemäß zu tragen hat.

Jetzt sind wir endlich auch offiziell so weit!

Heute hat mich der Rechtsschutzversicherer eines Betroffenen eines Bußgeldverfahrens auf meine Deckungsanfrage hin angeschrieben. Er macht meinem Mandanten ein Angebot, von dem er anscheinend meint, man könne es nicht ablehnen. Es enthält sinngemäß folgenden Vorschlag:

Angeboten wird die Übernahme des Bußgeldes und der Verfahrenskosten durch den Rechtsschutzversicherer. Außerdem bietet man dem Betroffenen an, auf einen eventuell vereinbarten Selbstbehalt zu verzichten, sofern das Angebot angenommen werden sollte. Im konkreten Fall beträgt der Selbstbehalt übrigens 0,00 €. Auch wird angeboten, die Grundgebühr und eine Verfahrensgebühr (jeweils Mittelgebühren) sowie die Auslagen des Anwaltes zu übernehmen, sofern bereits eine anwaltliche Vertretung vorliege.

Voraussetzung ist natürlich, dass der Mandant den Bußgeldbescheid akzeptiert.

Liebe Rechtsschutzversicherer, den Betroffenen, die sich wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit bei mir melden, geht es nicht um das Bußgeld. Es geht Ihnen um die Punkte, es geht Ihnen um das Fahrverbot, es geht Ihnen um Probezeitmaßnahmen, es geht Ihnen darum, dass sie ernsthafte Zweifel am Messergebnis haben. Es geht Ihnen um alles Mögliche nur nicht um das Bußgeld.

Liebe Betroffene, wenn Ihr eigentlich gar nicht zum Anwalt wollt, weil Ihr kein Problem mit Punkten, Fahrverbot, der Messung oder sonstigem habt, dann geht doch mal zu eurem Versicherungsvertreter und fragt freundlich an, ob euer Bußgeld übernommen wird.

Könnte funktionieren.

Zu dem Angebot:

Es wird angeboten, auch die Verfahrenskosten zu übernehmen. Diese müssen aber ohnehin bedingungsgemäß getragen werden.

Angeboten wird des Weiteren, die Rechtsanwaltsgebühren zu tragen. Diese Gebührentragung soll auch noch – als freundliches Angebot – zu Gunsten des Rechtsschutzversicherers beschränkt werden auf eine Grund- und eine Verfahrensgebühr sowie die Auslagen, ohne Rücksicht darauf, welche Gebühren tatsächlich bereits entstanden sind.

Ich habe abschließend einen Vorschlag, wie die unliebsamen Kosten eines Bußgeldverfahrens (möglicher Weise effektiv) vermieden werden können. Der Ansatz ist ja richtig. Man muss den Betroffenen dazu bringen, dass er den Bescheid akzeptiert statt zum Rechtsanwalt zu gehen.

Vielleicht sollte in Zukunft angeboten werden, dass der ein oder andere Mitarbeiter des Rechtsschutzversicherers sich verpflichtet, die Punkte des jeweiligen Versicherungsnehmers in Flensburg zu übernehmen und/oder ein etwaiges Fahrverbot anzutreten.

Das wäre mal ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.

OLG Celle: Anspruch auf Einsicht in die Messdateien!

Bereits die Entscheidung, dem Betroffenen nicht die Möglichkeit einzuräumen, auf die Rohmessdaten zurückzugreifen, stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Auch wenn die Messdaten nicht Bestandteil der Verfahrensakte sind, müssen sie dem Betroffenen auf dessen Antrag zur Verfügung gestellt werden.

(OLG Celle, Beschluss vom 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16)

Diese Entscheidung des OLG Celle betrifft die sehr strittige Frage, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene einer Verkehrsmessung Anspruch auf Einsicht in die Rohmessdaten seiner Geschwindigkeitsmessung hat. Hierbei handelt es sich um eine entscheidende Fragestellung im Bußgeldverfahren. Hat der Betroffene Zweifel an der Ordnungsgemäßheit des Messergebnisses, muss es ihm frei stehen, die Messung überprüfen zu lassen. Hierfür werden die Messdateien benötigt.

Während die Gerichte in der Vergangenheit und in Bayern noch immer Gründe suchen, dieses Einsichtsrecht zu torpedieren, häufen sich die Entscheidungen, nach denen es eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt, dem Betroffenen die Einsichtnahme zu verweigern.

Besonders begrüßenswert sind folgende Ausführungen des OLG Celle:

Dass es sich bei der angewendeten Messmethode um ein standardisiertes Verfahren handelt, steht dem nicht entgegen. Gerade weil bei einer solchen Messmethode das erkennende Gericht nur zu einer weiteren Aufklärung und Darlegung verpflichtet ist, wenn sich Anzeichen für eine fehlerhafte Messung ergeben, muss dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet sein, solche Fehler substantiiert vortragen zu können. Hierfür ist er auf die Messdaten angewiesen. Werden diese zurückgehalten, liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.; Cierniak, ZfS 2012, 664).

Handyverstoß mit Freisprecheinrichtung?

Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass kein Handyverstoß vorliegt, wenn das Mobiltelefon zwar in der Hand gehalten und damit während der Fahrt telefoniert wird, die Telefonie aber über die Bluetooth-Freisprecheinrichtung des Fahrzeugs erfolgt.

Ein Handyverstoß liegt in einem solchen Fall nur vor, wenn weitere Funktionen des Mobiltelefons genutzt werden.

Handyverstöße sind in der Praxis sehr häufig und – wegen des damit verbundenen Punktes in Flensburg – auch oft sehr umkämpft. Was bei den zahlreichen Berichterstattungen über verschiedenste Varianten der Benutzung oder Nichtbenutzung von Mobiltelefonen oft außer Acht bleibt, ist eine praxisorientierte Sicht auf die Dinge.

In der Praxis laufen Handyverstöße auf eine Vernehmung der Polizeibeamten, die den Verstoß beobachtet haben, in der Hauptverhandlung hinaus. Handyverstöße werden in aller Regel sehr schlecht behördlich dokumentiert. Die Erinnerung der Beamten an diese wenig spektakuläre Verstoßart ist meist stark verblasst und lässt sich auch vor der Verhandlung, eben mangels nachvollziehbarer Einzelfalldokumentation, kaum auffrischen.

Bei einem Handyverstoß kann es häufig angezeigt sein, frühzeitig eine glaubhafte Stellungnahme abzugeben.

Wer monatelang schweigt und sich dann in der Hauptverhandlung darauf beruft, er habe sich während der Fahrt gar kein Handy sondern einen IPod, einen Rasierapparat, ein Diktiergerät, einen Rasenmäher, seine Schwiegermutter oder sonstige Gerätschaften an die Wange gehalten, der erleidet meist Schiffbruch, weil das Gericht dann von einer Schutzbehauptung ausgehen wird.

Hinzu kommt, dass gegen Verurteilungen wegen Handyverstößen aufgrund des geringen Bußgeldes keine Rechtsbeschwerde zulässig ist. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde muss erst beantragt werden und dem Zulassungsantrag wird nur in ganz besonderen Ausnahmefällen, wie etwa in der hier ziteierten Entscheidung des OLG Stuttgart, stattgegeben. Der Amtsrichter ist also sehr frei in seiner Beweiswürdigung.

Auswertung von Verkehrsmessungen durch Private – OLG Frankfurt

Das OLG Frankfurt hat mit Bschluss vom 3.3.2016 – 2 Ss OWi 1059/15 – zur sehr umstrittenen Frage der Verwertbarkeit einer Messung bei Auswertung durch Private Stellung genommen:

1. Verkehrsüberwachung ist Aufgabe der staatlichen Ordnungsbehörden (§ 47 OWiG, § 26 StVG).

2. Bei der Hinzuziehung von sog. privaten Dienstleistern muss die Ordnungsbehörde Herrin des Verfahrens bleiben.

3. Kern der Verkehrsmessung ist neben der Entscheidung wann, wo und wie gemessen wird, die Auswertung und Bewertung der vom Messgerät erzeugten Falldateien.

4. Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung ist nämlich die Falldatei in ihrer lesbaren Auswertung in der Gerichtsakte (i.d.R. in Form eines Lichtbildes mit den Messdaten). Die Ordnungsbehörde muss deswegen im Besitz der Falldateien sein und sie muss über die Bewertung der Falldatei hinaus die Authentizität der Umwandlung der Falldateien in ihrer lesbaren Form sicherstellen und garantieren.

5. Überlässt die Ordnungsbehörde gesetz- und erlasswidrig ihre Kernaufgabe sog. privaten Dienstleistern, führt dies nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot, da die Auswertung der Falldatei durch die Ordnungsbehörde nachgeholt werden kann.

AG Bad Kissingen: ESO ES 3.0 – Freispruch! Ohne Rohmessdaten keine Verwertung einer ESO-Messung!

Das AG Bad Kissingen hat mit Urteil vom 30.11.2015 – 3 OWi 16 Js 3704/14 – einen Betroffenen von dem Vorwurf einer Geschwindigkeitsmessung freigesprochen. Die Anhörung eines Sachverständigen, der die Messung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ES 3.0 überprüft hat, ergab Folgendes:

Bei der Softwareversion 1.007.1 werden lediglich noch die vom Messgerät vorläufig berechneten Geschwindigkeitswerte gespeichert. Bei der konkreten Messung lagen diese zwischen 165 km/h und 173 km/h. Wegen dieser erheblichen Schwankung konnte der Sachvertsändige – ohne Zugriff auf die sogenannten Rohmessdaten – nicht verifizieren, dass das Messergebnis von 171 km/h tatsächlich zutreffend ermittelt war.

Der Messgerätehersteller bietet inzwischen ein kostenpflichtiges (!!!) Onlineprogramm an, das die Rohmessdaten auswerten soll. Hierzu führte der Sachverständige aus, dass durch das Programm lediglich grafisch aufbereitete Daten nicht aber die erforderlichen Rohmessdaten zur Verfügung gestellt werden würden. Es könne anhand dieser Software nicht sichergestellt werden, dass es sich hierbei um die echten Daten, die bei der Messung erhoben wurden, handele. Ebenfalls könnten Manipulationen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.

Das AG Bad Kissingen ist diesen Ausführungen gefolgt, hat die Messung verworfen und den Betroffenen freigesprochen.

OLG Zweibrücken: Verjährung und Zustellung des Bußgeldbescheids an den Verteidiger

Die aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken bezieht sich auf einen Klassiker des Verfahrensrechts in Bußgeldsachen. Bekanntlich gelten hier sehr kurze Verjährungsfristen von in der Regel 3 Monaten. Die Verjährung wird allerdings durch mehrere Unterbrechungstatbestände unterbrochen (§ 33 OWiG). Greift ein solcher Tatbestand ein, beginnt die Verjährung ab diesem Zeitpunkt neu. Von besonderer Bedeutung ist die Unterbrechung der Verjährung durch die Zustellung des Bußgeldbescheides nach § 33 Absatz 1 Satz Nr.9 OWiG.

Nur die wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides unterbricht dabei die Verjährung. Ist die Zustellung unwirksam, dann wird die Verjährung nicht unterbrochen.

Die Zustellung ist grundsätzlich auch an den Verteidiger des Betroffenen möglich, wenn sich eine Vollmacht in der Akte befindet. Die Entscheidung des OLG befasst sich mit einer Situation, in der ein Bußgeldbescheid an die aus mehreren Anwälten bestehende Kanzlei des Verteidigers gerichtet war, die unter den Namen der Kanzleiinhaber (auch des Verteidigers) auftritt. Der Bußegeldbescheid war also an die Kanzlei „Müller, Meier, Schmidt“ gerichtet, zum Verteidiger hatte sich aber nur der Anwalt Meier bestellt (vereinfacht ausgedrückt).

Das OLG Zweibrücken stellt fest (Beschluss vom 6.1.2016 – 1Ss 1 OWi Bs 9/15):

Eine Zustellung ist nur an den bestellten Verteidiger möglich.

Eine Zustellung ist unwirksam, wenn sie an die ganze Kanzlei und nicht an das jeweilige Kanzleimitglied, das sich als Verteidiger bestellt hat, gerichtet ist.

Eine im Strafprozess erteilte Vollmacht wirkt im Bußgeldverfahren zwar nicht automatisch fort. Die Bevollmächtigung kann sich aber aus dem Gesamtverhalten im Bußgeldverfahren ergeben.

Eine fehlerhafte Zustellung wird nur geheilt, wenn der Verteidiger tatsächliche Kenntnis vom Inhalt des Bußgeldbescheides erhalten hat. Hierfür reicht es nicht aus, wenn er nur weiß, dass gegen seinen Mandanten ein Bescheid erlassen wurde. Es genügt aber, dass er Kenntnis davon hat, dass sich der Bußgeldbescheid in seiner Kanzlei befindet.

Allein durch die Übersendung der Bußgeldakte in die Kanzlei ist nicht belegt, dass der Verteidiger Kenntnis von dem in der Akte befindlichen Bußgeldbescheid erhalten hat.

OLG Rostock zur Auswertung von Verkehrsmessungen durch Private

Das OLG Rostock hat mit Beschluss vom 17.11.2015 – 21 Ss OWi 158/15 – ein Urteil des AG Parchim aufgehoben. Der Betroffene wurde vorm Amtsgericht Parchim vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung freigesprochen, weil nach Ansicht des Amtsrichters die Auswertung der Messdaten durch ein Privatunternehmen rechtlich unzulässig sei und daraus ein Beweisverwertungsverbot folge.

Gegen das freisprechende Urteil legte die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde zum OLG Rostock ein. Die Staatsanwaltschaft erhob die Aufklärungsrüge mit der Begründung, wenn das Amtsgericht davon ausgehe, dass die Auswertung der Messung durch Private unzulässig sei, müsse es zumindest im Wege der Amtsaufklärung die noch vorhandenen Rohmessdaten selbst auswerten lassen.

Der Senat stimmte dieser Auffassung zu, hob das Urteil auf und verwies an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung der Sache zurück.

Obiter dictum weist der Senat daraufhin, dass nach seiner Auffassung die Auswertung von Messungen durch Private keinen rechtlichen Bedenken begegne.

Diese Auffassung des OLG Rostock steht in Widerspruch zu den bereits vorliegenden Entscheidungen des OLG Naumburg, des OLG Frankfurt und des Amtsgerichts Kassel (AG Kassel zur Unverwertbarkeit einer von Privaten ausgewerteten Messung).

Nach meiner Meinung überzeugt der Beschluss allerdings im Tenor. Wenn das Gericht ein Beweisverwertungsverbot annimmt, weil die Messung durch Private ausgewertet wurde, dann hat es selbst aufzuklären, ob der Tatvorwurf noch auf anderem Wege geklärt werden kann. So weit die Rechtslage. Allerdings ist oft praktisch gar nicht mehr nachzuvollziehen, ob die Rohmessdaten unverändert vorliegen. Häufig werden diese nämlich zunächst auf dem Server des Privaten gelagert und dort bearbeitet, ohne dass die Behörde sie überhaupt prüfen kann. In diesen Fällen dürfte sich auch eine nachträgliche Auswertung durch einen vom Gericht beauftragten Sachverständigen verbieten.

AG Saarbrücken: Fahrverbote nacheinander antreten!

Dass es grundsätzlich möglich ist, zwei Fahrverbote gleichzeitig anzutreten, ist bekannt. Darüber habe ich schon vor einiger Zeit berichtet:

(Link: https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/aus-zwei-mach-eins-fahrverbote-gleichzeitig-antreten/)

Dabei ist allerdings zu unterscheiden:

Handelt es sich bei den Fahrverboten um solche, für die eine Schonfrist bewilligt wurde, dann ist der gleichzeitige Antritt, mit der Folge der Verkürzung der Fahrverbotsdauer auf die Dauer eines (des längeren) Fahrverbotes, immer möglich.

Wie die Rechtslage bei zwei Fahrverboten ist, bei denen nur eines oder keines der Fahrverbote mit Schonfrist verhängt wurde, ist umstritten.

Das Amtsgericht Saarbrücken hatte nun über einen Fall zu entscheiden, in dem der Betroffene zwei Fahrverbote erhalten hatte, von denen nur eines mit Schonfrist verhängt worden war.

Es hat – zu Ungunsten des Betroffenen – entschieden, dass in einem solchen Fall kein gleichzeitiger Antritt möglich ist. Die Fahrverbote müssen also nacheinander angetreten werden. Dumm gelaufen … (Wortspiel beabsichtigt)

Amtsgericht Bremen: Messung mit Poliscan Speed nicht verwertbar!

Über die aktuelle Diskussion um die Verwertbarkeit von Messungen mit Poliscan Speed – Messsystemen der Herstellerfirma Vitronic hatte ich bereits berichtet:

OLG Frankfurt zum Poliscan: „Passt schon!“

Nun hat sich das Amtsgericht Bremen der Argumentation des Oberlandesgerichts Frankfurt entgegengestellt und einen Betroffenen wegen Unverwertbarkeit einer Poliscan-Messung freigesprochen.

Das Gericht hat einen Sachverständigen gehört, der ausführte, der sogenannte Auswerterahmen auf dem Messfoto sei von der Auswertesoftware Tuff Viewer und gerade nicht von der geeichten Messsoftware des Gerätes erzeugt worden.

Die Auswertesoftware selbst ist allerdings nach den Erkenntnissen des Gerichts nicht geeicht.
Der Sachverständige legte Messfotos aus anderen Verfahren vor, die je nach Verwendung der unterschiedlichen Softwareversionen eben dieser Auswertesoftware Tuff Viewer den Messrahmen in unterschiedlicher Position abbildeten.

Der Auswerterahmen ist aber nach der Herstellerfirma und der PTB das maßgebliche Element zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung. Das ominöse Viereck, das auf Poliscan-Messfotos abgebildet wird, muss sich in einer bestimmten Position auf dem Messfoto befinden, sonst ist die Messung nicht verwertbar. Dass ein solches Element, das letztlich (mit-)entscheidend dafür sein soll, ob eine Messung korrekt verlaufen sein soll oder nicht,  je nach verwendeter Softwareversion in veränderter Position erscheint, kann meines Erachtens nach wie vor nicht angehen.

OLG Frankfurt zum Poliscan: „Passt schon!“

Als Partner-Anwalt der VUT-Sachverständigengesellschaft mbH, die sich seit Jahren mit der Überprüfung der Ordnungsgemäßheit von Messungen im Straßenverkehr beschäftigt, werde ich regelmäßig von den dortigen Sachverständigen über Neuigkeiten informiert.

So auch aktuell über die Entscheidung des OLG Frankfurt zu den Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens vor dem Hintergrund einer Entscheidung des AG Friedberg, das eine Messung mit dem Poliscan Speed verworfen hatte.
Die VUT GmbH setzt sich dafür ein, die Gerichte zu überzeugen, dass es sich bei den Poliscan-Messverfahren gerade nicht um sogenannte standardisierte Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung handelt. Die weitaus meisten im Einsatz befindlichen Messsysteme sind mittlerweile von der Rechtsprechung als standardisiert anerkannt, so auch die Poliscan-Messsysteme.
Was heißt das? Standardisiert?
Das bedeutet, dass das Gericht in jedem Einzelfall unterstellen darf, dass die jeweilige konkrete Messung ordnungsgemäß und verwertbar ist, es sei denn, der Betroffene legt dar, dass in seinem konkreten Fall Anhaltspunkte für eine Fehlmessung vorliegen.
Wer sich also mit einer solchen Poliscan-Säule ein mehr oder weniger schönes Selbstportrait schießen lässt, hat darzulegen, was mit der Messung nicht stimmen soll. Kann er das nicht, kann ihn das Gericht mit einem einfachen: „Passt schon!“, zum Teufel schicken.
Wie kann das sein?
Man fragt sich – nicht zuletzt wegen der Bedeutung der Unschuldsvermutung – als interessierter Bürger oder gerade erst kürzlich Poträtierter, wie das sein kann. Muss nicht die Staatsgewalt den Beweis erbringen, dass der Tatvorwurf auch zutrifft, sprich das Messergebnis stimmt?

Mitnichten!
Die Mühe macht man sich bei diesen Massenverfahren nicht. Es würde die Gerichte nämlich überlasten, wenn jede einzelne Messung von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen überprüft werden müsste. Ein einfaches: „Passt schon!“, beschleunigt das Verfahren da ungemein.
Was sagen die Gerichte dazu?
Die Argumentation der Oberlandesgerichte ist: Die verschiedenen Messsysteme bedürfen einer Zulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB-Zulassung). Und die Oberlandesgerichte gehen davon aus, dass bereits durch die Zulassung bzw. das Prüfverfahren der PTB in Verbindung mit der Eichung und einer ordnungsgemäßen Bedienung der Geräte gemäß Bedienungsanleitung sichergestellt ist, dass die Messergebnisse korrekt und verwertbar sind.
Was hat das OLG Frankfurt dazu gesagt?
Das OLG Frankfurt führt in der angesprochenen Entscheidung, Beschluss vom 04.12.2014 – 2 Ss-OW i 1041 /14 –aus:
„Mit der Zulassung erklärt die PTB im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass bei dem zugelassenen Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren vorliegt, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (sog. „standardisierte Messverfahren“ – ständige Rspr. der Obergerichte vgl. OLG Düsseldorf Beschluss vom 14.07.2014 – IV-1 RBs 50/14, 1 RBs 50/14 m.w.N.). Die Zulassung erfolgt dabei nur, wenn das Messgerät die umfangreichen Testreihen erfolgreich durchlaufen hat, bei denen die PTB das Messgerät auch unter atypischen Verkehrsszenarien auf seine Störungsresistenz prüft. Die Art der Verwendung und der zulässige Verwendungsaufbau werden von der PTB bei der Zulassung vorgegeben.

Ist ein Messgerät von der PTB zugelassen und ist das Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden, ist das Tatgericht grds. von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweisen des Messgeräts, enthoben. Die Zulassung durch die PTB ersetzt diese Prüfung. Damit soll erreicht werden, dass bei dem Massenverfahren im Bußgeldbereich nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Verfahren die technische Richtigkeit der Messung jeweils neu überprüfen muss. Ist die Messung im Rahmen der Zulassung erfolgt, – derzeit nach Maßgabe der PTB-Anforderungen (PTB-A) 18.11 vom Dezember 2013 -, kann das Gericht grds. von der Richtigkeit der Messung ausgehen.“
Die Entscheidung ist auf der Homepage des Kollegen Burhoff unter:

https://www.burhoff.de/insert/?/asp_weitere_beschluesse/inhalte/2868.htm

veröffentlicht.
Was sagen die Sachverständigen der VUT GmbH dazu?

Nach Ansicht der Sachverständigen der VUT GmbH steht diese Argumentation des Oberlandesgerichts Frankfurt in wesentlichen Teilen im Widerspruch zur Beschreibung des Prüfverfahrens, so wie es von der PTB selbst dargestellt wird.
Die VUT GmbH kritisiert unter anderem und meines Erachtens auch zurecht, dass weder der technische Geräteaufbau öffentlich im Detail bekannt ist, noch die verwendete Software. Zudem wird der Umfang der Zulassungsprüfung durch die PTB nicht bekanntgegeben.
Die PTB äußert sich seit Jahren – auch auf die zahlreichen Nachfragen der Anwaltschaft und Sachverständigen – nicht dazu, wie die Prüfung des Messgerätes vor Zulassung im Einzelnen erfolgt. Es ist also weder bekannt, was die PTB genau prüft noch wie. Ein solches Prüfverfahren lässt sich denkbar schlecht einer Gegenprüfung durch den Betroffenen bzw. einen Sachverständigen unterziehen.
Statt: „Passt schon!“, müsste man also eher sagen: „Nichts genaues weiß man nicht!“.
Gerade bei den Poliscan-Messverfahren kommt hinzu, dass es in jüngster Zeit durch eine Umstellung der Auswertesoftware dazu gekommen ist, dass sich der sogenannte „Auswerterahmen“ verschiebt.
Der Auswerterahmen ist ein Viereck, das auf dem Messfoto abgebildet ist und bestimmte Fahrzeugteile umfassen muss. Lange Zeit hieß es von Seiten des Herstellers, wenn der Auswerterahmen das Nummernschild und/oder einen Vorderreifen umfasse, sei die Messung auch korrekt.
Wenn nun aber bewiesen ist, dass das Viereck – quasi willkürlich und je nach Verwendung der Versionen der Auswertesoftware – seinen Platz und seine Ausdehnung verändert, dann muss doch die Frage erlaubt sein, wie das sein kann. Die VUT GmbH konnte in diesem Zusammenhang in Einzelfällen nachweisen, dass ein und dieselbe Messung mit der einen Auswertesoftware als verwertbar und korrekt eingestuft wurde, während bei Verwendung einer anderen Softwareversion eine Verwerfung der Messung erfolgte.
Dies sind nur einige der Kritikpunkte.
Die umfangreiche und lesenswerte Stellungnahme der Sachverständigen der VUT GmbH finden Sie bei Interesse hier:
http://vut-verkehr.de/aktuelle-downloads.html

Gegendarstellung

Auf der Internet-Seite des Rechtsanwaltes Dominik Weiser, Saarbrücken, www.rechtsanwalt-weiser.de wird mit einem Beitrag vom 12.02.2015 unter der Überschrift „OLG Frankfurt zum Poliscan: „Passt Schon!““ behauptet:

1.) „Auch die Bürger und Besucher der schönen Stadt Neunkirchen/Saar dürfen sich seit einigen Monaten über die Verschönerung der Landschaft durch die kleinen „bildschönen“ Säulen der Firma Vitronic freuen:“

Dies ist falsch. Richtig ist vielmehr, dass in der Stadt Neunkirchen/Saar keine Geschwindigkeitsmessgeräte der Firma Vitronic aufgestellt sind.

2.) In dem Bericht wird im Weiteren ausgeführt wie folgt: „Dass Vitronic, der Hersteller der Poliscan-Messsysteme, an den Knöllchen beteiligt wird, ist lange bekannt und war auch schon vor Jahren Gegenstand medialen Interesses.“

Soweit hierdurch der Eindruck erweckt wird, die Firma Vitronic erhalte einen Teil der Einnahmen aus Bußgeldern, ist dies falsch. Richtig ist vielmehr, dass die Firma Vitronic nicht an den Einnahmen aus Bußgeldern beteiligt ist.

Wiesbaden, den 2.4.15

VITRONIC Dr.-Ing. Stein Bildverarbeitsungssysteme GmbH
vertreten durch den Geschäftsführer Dr.-Ing. Norbert Stein

Achtung! Neue Verjährungsfristen für Alkohol- und Drogenfahrten!

Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Reform des Straßenverkehrsrechts mit Wirkung zum 1. Mai 2014 die Höchstgeldbuße für Verkehrsordnungswidrigkeiten nach § 24a StVG (Alkoholordnungswidrigkeiten ab 0,5 Promille) von 1.500,00 € auf 3.000,00 € angehoben.

Es bleibt zwar dabei, dass die Regelbuße gemäß Bußgeldkatalog für fahrlässige Begehungsweise 500,00 €, 1 Monat Fahrverbot und 2 Punkte (neu) beträgt.

Die Anhebung des (theoretischen) Höchstsatzes auf 3.000,00 € hat aber die für den Betroffenen nachteilige Folge, dass es sich nun bei fahrlässiger Begehung um eine Ordnungswidrigkeit nach § 31 II Nr. 3 OWiG handelt. Bei fahrlässiger Begehung (halber Höchstssatz = 1.500,00 €) tritt Verjährung daher künftig erst nach einem Jahr und nicht – wie bislang – nach sechs Monaten ein.

Bei vorsätzlicher Tatbegehung ist § 31 II Nr. 2 OWiG anwendbar. Dann beträgt die Höchstbuße 3.000,00 € und Verjährung tritt erst nach zwei Jahren ein.

Abschließend weise ich darauf hin, dass diese Ausführungen nur für das Ordnungswidrigkeitenverfahren Geltung beanspruchen nicht aber für ein Strafverfahren wegen Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) oder Gefährdung des Straßenverkehrs ( § 315 c StGB).

Tipp: Schweigen ist Gold!

Wenn Sie mit Alkohol am Steuer erwischt wurden, sollten Sie von Ihrem Schweigerecht Gebrauch machen und sich bei mir melden! In Verkehrsstrafsachen erhalten Sie umgehend einen Besprechungstermin.

Absehen vom Fahrverbot – Verkehrspsychologische Schulung

Das Amtsgericht Landstuhl hat mit Urteil vom 11.9.2014 entschieden, dass von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, wenn der Betroffene an einer verkehrspsychologischen Schulung teilgenommen hat. Im Gegenzug wurde die Geldbuße erhöht.

Das Amtsgericht war in diesem Fall außergewöhnlich großzügig, da der Betroffene bereits mehrere Voreintragungen hatte.

Verkehrspsychologische Schulungen gewinnen seit Jahren an Bedeutung bei der Frage der Erforderlichkeit eines Fahrverbotes im Bußgeldverfahren. Gleiches gilt für die Fahrerlaubnisentziehung und das Fahrverbot im Strafverfahren. Solche Schulungen werden von verschiedenen Stellen angeboten, z.B. dem TÜV.

Es sei allerdings davor gewarnt, vorschnell und auf eigene Faust irgendwelche Schulungsmaßnahmen zu absolvieren und dann zu erwarten, das Gericht werde auf jeden Fall vom Fahrverbot absehen. Es ist natürlich eine substantiierte Begründung der Einzelfalles erforderlich. Auch verfahren die Gerichte durchaus unterschiedlich großzügig. Das gilt ebenfalls für das vorgeschaltete Verwaltungsverfahren. Auch die Bußgeldstellen sind regional unterschiedlich streng bei der Verhängung von Fahrverboten.

Bundesfinanzhof: Kein Vorsteuerabzug im Strafmandat

Gerade bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die betrieblich veranlasst waren, stellt sich häufig die Frage, ob der Unternehmer als Auftraggeber des Anwalts die Umsatzsteuer, die der Anwalt berechnet, vorabziehen kann.

Besonders praxisrelevant sind in diesem Zusammenhang Ordnungswidrigkeiten, die mit Firmenfahrzeugen begangen werden.

Der Unternehmer, der den Verteidiger beauftragt, hätte dann letztlich nur den Nettobetrag zu entrichten (rein wirtschaftlich betrachtet).

Interessant wird diese Konstellation auch und vor allem, wenn ein Rechtsschutzversicherer eintrittspflichtig ist.

Die Folge des Bestehens einer solchen Vorsteuerabzugsberechtigung wäre nämlich, dass der gegebenenfalls eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherer die Anwaltsrechnung eben um die Umsatzsteuer kürzen darf. Denn wirtschaftlich betrachtet, „zahlt“ der Unternehmer dieselbe nicht. Der Anwalt muss die Umsatzsteuer dann von seinem Auftraggeber verlangen. Das ist auch noch immer gängige Praxis der Rechtsschutzversicherer.

Vorteil für den Rechtsschutzversicherer: 19 % Umsatzsteuer geschenkt!

Der Rechtsschutzversicherer nimmt ja in der Regel nur Versicherungssteuer nicht aber Umsatzsteuer ein. Dementsprechend kann er auf die Umsatzsteuer erfolgte Zahlungen auch nicht vorabziehen. Im Ergebnis bekommt er 19 % Umsatzsteuer geschenkt.

Wir sind aber nicht bei Praktiker!

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.4.2013, V R 29/10 (Leitsatz 2) – nach Vorlage an den Europäischen Gerichtshof – entschieden:

„Anwaltsdienstleistungen, deren Zweck darin besteht, strafrechtliche Sanktionen gegen natürliche Personen zu vermeiden, die Geschäftsführer eines steuerpflichtigen Unternehmens sind, eröffnen keinen Anspruch auf Vorsteuerabzug.“

Begründung: Die Strafverteidigungsleistung dient dem „Schutz der privaten Interessen“, nicht aber der wirtschaftlichen Tätigkeit des Beschuldigten. Nach den Urteilsgründen gilt dies unabhänging von der Rechtsform des Unternehmens, also für Einzelunternehmer wie für Geschäftsführer juristischer Personen.

Fazit: Den Abzug der Umsatzsteuer durch die Rechtsschutzversicherer hinzunehmen und die Umsatzsteuer vom Mandanten nachzufordern, ist in der Regel der falsche Weg. Richtig ist, den Rechtsschutzversicherer auf das oben genannte Urteil hinzuweisen und die Umsatzsteuer nachzufordern.

Einführung der Halterhaftung in Deutschland?

Derzeit prüft die Bundesanstalt für Straßenwesen, ob eine Halterhaftung auch in Deutschland eingeführt werden kann.

Nach aktueller Rechtslage existiert eine solche Halterhaftung nur im ruhenden Verkehr (Park- und Halteverstöße). Kann der derjenige, der das Fahrzeug ordnungswidrig geparkt hat, nicht ermittelt werden, muss der Halter die Kosten des Verfahrens tragen.

Die sogenannte Halterhaftung existiert in den meisten europäischen Ländern auch im fließenden Verkehr. Diese ist meist so ausgestaltet, dass das Bußgeld letztlich für die Nichtbenennung des Fahrers verhängt wird. Bestraft wird der Halter also nicht für den eigentlichen Verstoß (z.B. Geschwindigkeitsverstoß) sondern weil er den Fahrer nicht preisgibt.

Eine ebensolche Haftung des Halters für Verstöße im fließenden Verkehr ist nun auch in Deutschland im Gespräch. Hintergrund ist, dass die Ermittlung des Fahrers immer dann, wenn der Fahrer nicht gleichzeitig Halter des Fahrzeugs ist, mit erheblichem Aufwand verbunden sein kann. Häufig verläuft sie auch erfolglos, wenn der Halter nicht „petzt“. Bislang besteht lediglich die Möglichkeit, dem Halter, der nicht an der Fahrerermittlung mitwirkt, eine Fahrtenbuchauflage aufzuerlegen.

 

 

Amtsgericht Lüdinghausen: Stuhldrang schützt nicht vor Fahrverbot

„Schöne Sch …“, wird sich der Betroffene des Ordnungswidrigkeitenverfahrens 19 OWi-89 Js 155/14 vor dem Amtsgericht Lüdinghausen gedacht haben.

Er hatte sich vor dem Amtsgericht dahingehend eingelassen, wegen starken Stuhldrangs unaufmerksam gewesen zu sein. Mit dieser Begründung hat das Amtsgericht Lüdinghausen das Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation abgelehnt. Kein Absehen vom Fahrverbot! Die Argumentation des Betroffenen hinkte nämlich. Unaufmerksamkeit wegen akuten Durchfalls führt nicht zu einem Augenblickversagen und auch nicht zu einer notstandsähnlichen Situation.

Anders wäre die Sache wohl ausgegangen, wenn der Betroffene nicht mit Unaufmerksamkeit sonern tatsächlich mit absichtlicher Geschwindigkeitsüberschreitung, um die Notdurft nicht im Fahrzeug verrichten zu müssen, argumentiert hätte. Dazu der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 6.12.2007 – IV-5 Ss (OWi) 218/07 – (OWi) 150/07 I, 5 Ss (OWi) 218/07 – (OWi) 150/07 I:
„Dass ein Verkehrsverstoß im Einzelfall durch einen Notstand, § 16 OWiG, gerechtfertigt sein kann, wenn der oder die Betroffene ihn begangen hat, um einem plötzlich aufgetretenen und „unabweisbaren“ Stuhldrang (Durchfall) nachzukommen, ist allgemein anerkannt.“

Übernahme von Bußgeldern durch Spedition ist Arbeitslohn

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 14.11.2013 – VI R 36/12 – entschieden:

„Übernimmt der eine Spedition betreibende Arbeitgeber die Bußgelder, die gegen bei ihm angestellte Fahrer wegen Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten verhängt worden sind, handelt es sich dabei um Arbeitslohn.“

Der Bundesfinanzhof hatte zu dieser Thematik mit Urteil vom 7.7.2014 entschieden, dass solche Übernahmen durch den Arbeitgeber keinen Arbeitslohn darstellen. Die Zahlungen seien vielmehr im ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse und nicht mit Entlohnungscharakter erfolgt.

Von dieser Rechtsprechung nimmt der Bundesfinanzhof nun ausdrücklich mit folgender Begründung Abstand:

„Vorteile haben keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Das ist der Fall, wenn sie aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse des Arbeitgebers gewährt werden. Ein rechtswidriges Tun ist keine beachtliche Grundlage einer solchen betriebsfunktionalen Zielsetzung.“

Rechtsfolge: Lohnsteuernachforderungen!

Absehen vom Fahrverbot bei Nachweis einer verkehrspsychologischen Schulung

Knöllchen(2)Das Amtsgericht Bad Hersfeld hat durch Beschluss von der Verhängung eines Regelfahrverbotes gegen einen Betroffenen abgesehen, weil dieser an einer verkehrspsychologischen Intensivschulung (“avanti – Fahrverbot”) teilgenommen hat (AG Bad Hersfeld Beschl. v. 14.02.2013, 70 OWi – 31 Js 8265/12). Der Betroffene war außerhalb geschlossener Ortschaften 42 km/h zu schnell gefahren, was zu einem Regelfahrverbot führt (Link zum Bußgeldrechner).

Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist zudem, dass der Betroffene bereits eine Voreintragung im Verkehrszentralregister hatte, die nur drei Monate vor der erneuten Tatbegehung rechtskräftig geworden war. Es handelte sich also nicht um einen Ersttäter. Des Weiteren hat das Amtsgericht die Geldbuße unter Verweis auf die Kosten der Schulungsmaßnahme auch nicht verdoppelt.

Da wird sich der TÜV als Anbieter der avanti-Fahrverbot-Schulungen aber gefreut haben.

Fazit: Eine erfreuliche Entscheidung. Betroffenen muss allerdings geraten werden, nicht vorschnell und auf eigene Faust an Schulungsmaßnahmen teilzunehmen. Erfahrungsgemäß beruhen solche Beschlüsse auf Absprachen zwischen Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Gericht. Außerdem ist natürlich vorrangig zu prüfen, ob der Tatnachweis geführt werden kann.

OLG Hamm zum Absehen vom Fahrverbot: Wer fahren will, muss vortragen!

Das Oberlandesgericht Hamm hat eine amtsgerichtliche Entscheidung aufgehoben, die ein Absehen vom Fahrverbot bei einem berenteten, aber noch in seinem Beruf tätigen Architekten ausgeurteilt hatte.

Das OLG führt aus, dass ein Absehen vom Regelfahrverbot wegen beruflicher oder wirtschaftlicher Schwierigkeiten eine eingehende Begründung erfordere und eine unkritische Übernahme der Angaben des Betroffenen nicht ausreiche (OLG Hamm 28.3.12, III-3 RBs 19/12).

Fazit: Wer ein Absehen vom Fahrverbot erreichen möchte, muss umfassend darlegen, aus welchen Gründen eine unzumutbare Härte vorliegt.

Bußgelderhöhung für 2013 geplant

Für das kommende Jahr plant Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer neben der Reform des Punktekatalogs kräftige Bußgelderhöhungen. Das Thema wandert im Moment durch sämtliche Medien, beispielsweise sei auf den Artikel bei Spiegel online verwiesen: „Ramsauer verteidigt geplante Bußgelderhöhung„.
Die Liste der geplanten Erhöhungen scheint noch nicht abschließend geklärt zu sein. Sicher ist bislang, dass sich das Bußgeld für einen Handyverstoß von 40 € auf 70 € erhöhen wird. Ferner soll auch ein Verstoß gegen die Winterreifenpflicht oder die Anschnallpflicht für Kinder künftig mit 70 € statt wie bisher bislang mit 25 € bis 50 € zu Buche schlagen.
Wie sich die Neuerungen in den praktisch relevanten Bereichen (Geschwindigkeits-, Abstands-, Rotlichtverstöße) niederschlagen werden, steht wohl noch nicht fest. Geplant sind aber auch in diesen Bereichen Erhöhungen der Regelsätze des Bußgeldkatalogs.

 Kling, Kässchen, klingelingeling …

Missverständliche Beschilderung kann zum Absehen vom Fahrverbot führen

Das Oberlandesgericht Bamberg hat mit Beschluss vom 6. Juni 2012, Aktenzeichen 2 SS OWi 163/12 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ein Urteil des Amtsgerichts Bayreuth aufgehoben.

Das Amtsgericht Bayreuth hatte den Betroffenen am 16.02.2012 wegen einer am 24.10.2011 auf der BAB A 9 begangenen fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 55 km/h zu einer Geldbuße von 240,00 € verurteilt. Zugleich verhängte es ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war zwar letztlich erfolgreich und führte zu einer Zurückverweisung der Sache ans Amtsgericht, weil dem Urteil nicht zweifelsfrei zu entnehmen war, wie sich die Beschilderung am Tatort darstellte bzw. welches überhaupt die erlaubte Höchstgeschwindigkeit war. Das Oberlandesgericht Bamberg hat aber für die neue Entscheidung des Amtsgerichts unter Bezugnahme auf weitere einschlägige Urteile auf Folgendes hingewiesen:

„Zum einen erscheinen Ausführungen zur vollständigen Beschilderungssituation vor der Verkehrskontrollstelle bei Prüfung der Möglichkeit des Absehens von der Verhängung eines Fahrverbots wegen Augenblicksversagens oder auch bei Prüfung, ob trotz einer Existenzgefährdung das Gewicht des Verkehrsverstoßes die Verhängung eines Fahrverbots zur Einwirkung auf den Betroffenen zwingend erforderlich macht, zumindest sinnvoll.

Zum anderen ist in der neuen tatrichterlichen Entscheidung weiter auszuführen, wie und wodurch jeweils das Zeichen 274 von dem offenbar am selben Pfosten befindlichen Zeichen 276 (Überholverbot) „deutlich … abgesetzt“ (UA S. 4) war (vgl. BayObLG VM 1978, 29/30; vgl. auch OLG Bamber NZV 2007, 633). Zwar bezieht sich – entgegen der Ansicht der Verteidigung – ein, wie im vorliegenden Fall, unter mehreren Verkehrszeichen angebrachtes Zusatzzeichen (hier nach Angaben der Verteidigung in der Rechtsbeschwerde das Zusatzzeichen 1049-13) nur auf das unmittelbar darüber befindliche Verkehrszeichen, wie aus § 39 Abs. 3 Satz StVO folgt (Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 41. Auflage 39 StVO Rn. 31a a.E.). Dennoch kann u.U. ein Irrtum über die beschränkte Wirkung von Zusatzschildern dazu führen, dass trotz Vorliegens der Regelvoraussetzungen die Anordnung eines Fahrverbots entfällt; dies etwa dann, wenn eine deutliche Trennung des durch das Zusatzschild eingeschränkten Überholverbots von dem Zeichen 274 nicht vorgenommen ist (vgl. OLG Bamberg NZV 2007, 633; BayObL NJW 2003, 2253).“

OLG Celle – Vorsatzannahme bei hoher Geschwindigkeit

Der Unterschied zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht ist schnell erklärt:

Der Bußgeldkatalog gibt die Regelbußen für Ersttäter bei fahrlässiger Begehung an. Handelt der Betroffene vorsätzlich, wird die Geldbuße erhöht, in der Regel verdoppelt.

Einfach ausgedrückt: Vorsatz = doppeltes Bußgeld.

Das Oberlandesgericht Celle hat durch Beschluss vom 09.08.2011 AZ: 322 SsBs 245/11 einmal mehr festgestellt, dass aus einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 45 % auf Vorsatz geschlossen werden darf. Der Betroffene fuhr mit einer Geschwindigkeit von 176 km/h bei erlaubten 120 km/h. Die Einlassung des Betroffenen, bei seinem Fahrzeug handele es sich um eine größere Limousine mit einem großvolumigen Triebwerk, weshalb er nicht den Fahreindruck eines zu schnellen Fahrens gewonnen hätte, hat das OLG Celle verworfen. Zur Begründung führt es – meines Erachtens nachvollziehbar – aus, der abweichende Fahreindruck werde nicht allein vom Triebwerks- und Abrollgeräusch beeinflusst, sondern resultiere auch aus dem sich bei höherer Geschwindigkeit maßgeblich verändernden Umwelteindruck.

Einfach ausgedrückt: Auch wenn das Auto wirklich leise ist, muss es sich dem Fahrer aufdrängen, dass die umherstehende Umwelt mit erheblicher Geschwindigkeit an ihm vorbeifliegt. Das macht durchaus Sinn. Die ständige Rechtsprechung dieses Senats und auch anderer Oberlandesgerichte, dass ab bestimmter Überschreitungsgrenzen eine vorsätzliche Begehung der Tat vorliegen soll, halte ich für falsch.

ADAC Saarland – Jahresforum 2010 „Verkehrsverstöße und ihre Folgen“

Gestern fand das jährliche ADAC Forum des ADAC Saarland zu dem Thema "Verkehrsverstöße und ihre Folgen – neue Regelungen für Deutschland und Europa" im Kultur- und Kongresszentrum in Eppelborn, Saar statt. Die Veranstaltung war erwartungsgemäß sehr gut besucht. Neben den Themengebieten "Punkte in Flensburg" und "Geschwindigkeits-, Abstands- und Rotlichtmessungen" wurde vor allem das hochaktuelle Thema der nunmehr inkraftgetretenen Vollstreckung von europäischen Geldsanktionen (Geldsanktionengesetz) behandelt.

Referent zu diesem Thema, Titel: "Autofahrer – Bitte zur Kasse!", war der ehemalige Generalbundesanwalt Kay Nehm. Vor allem wegen dieses Beitrages habe ich mich dann dazu aufgerafft, die Veranstaltung zu besuchen. Die Referenten trugen erwartungsgemäß souverän und anschaulich vor, allerdings geriet ausgerechnet das mit Spannung erwartete Referat zu den EU – Knöllchen in meinen Augen leider etwas zu kurz. Herr Nehm gab einen Überblick über die Vorverhandlungen bis hin zum Inkrafttreten des Geldsanktionengesetzes am 27.10.2010 und erläuterte die grundsätzlichen Voraussetzungen der Vollstreckungshilfe durch die Bundesrepublik Deutschland.

Eine Übersicht zum Ablauf des Vollstreckungshilfeverfahrens finden Sie hier: Wie funktioniert die Vollstreckung ausländischer Bußgeldbescheide in Deutschland?

Anschließend wurden hochaktuelle, in naher Zukunft klärungsbedürftige Fragen angesprochen, insbesondere was die Frage der Anerkennung der ausländischen Halterhaftung im Rahmen der Vollstreckung durch die Bundesrepublik Deutschland angeht. Hier sah der Referent auch einen wesentlichen Angriffspunkt für die Verteidigung. Meines Erachtens völlig richtig, stellte klar, dass es zunächst erforderlich sei, sich im ausländischen Mitgliedsstaat zu verteidigen.

Eine interessante Frage warf auch der Kollege Gebhardt, der über das Thema Punktekatalog referierte, im Rahmen der sich an die Vorträge anschließenden Diskussionsrunde auf: "Muss ich zur Wahrnehmung meiner Rechte als Betroffener persönlich bei einer Gerichtsverhandlung im EU – Ausland erscheinen?" Diese und weitere juristisch hoch interessanten Fragen wird es in naher Zukunft zu klären gelten.

Die praktische Relevanz des Geldsanktionengesetzes sahen wohl alle Referenten insoweit als eingeschränkt an, als dass die beigetriebenen Sanktionen beim Vollstreckungsstaat verbleiben. Mithin hat der ersuchende Staat, in dem der Verstoß begangen wurde, jede Menge Aufwand zu betreiben und bleibt auf seinen Kosten sitzen. Dass das der Beitreibungsmoral des Begehungsstaates eher abträglich sein dürfte, wird den deutschen Autofahrer freuen (vgl. hierzu auch meinen Blog – Beitrag vom 19.07.2010 "Europaweite Vollstreckung von Bußgeldern"). Mit einer "Schwemme" ausländischer Vollstreckungsersuchen ist also wohl kaum zu rechnen.

Als Fazit bleibt festzuhalten und immer wieder zu betonen, dass es, auch wenn im Vollstreckungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland Verteidigungsmöglichkeiten gegeben sind, in der Regel nicht ausreichen wird, im Verfahren des Mitgliedsstaates zu schweigen. Wer also einen Anhörungsbogen bzw. eine Aufforderung zur Stellungnahme eines Mitgliedsstaates erhält, sollte diese nicht einfach "in die Ecke legen", sondern sich tunlichst qualifizierten Rechtsbeistand suchen.

Denn, und auch das wurde im Rahmen des Forums angesprochen: Deutschland liegt mit seinem Bußgeldkatalog an der unteren Grenze im Vergleich zu den anderen Mitgliedsstaaten. Ein EU- Knöllchen kann also richtig teuer werden, wenn man nicht rechtzeitig "die Bremse zieht".

Kein Bußgeld bei fehlender Winterbereifung

Die in § 2 Absatz 3 a Satz 1 und 2 der Straßenverkehrsordnung geregelte Pflicht, das Fahrzeug mit geeigneter Winterbereifung auszustatten, ist nichtig. Dies hat nun das OLG Oldenburg entschieden. Die Vorschrift verstößt gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot, weil die Anforderungen an Winterreifen nicht technisch konkretisiert sind. Es gibt kein Regelwerk, in welchem sich eine Regelung findet, wie Reifen beschaffen sein müssen, um als Winterreifen qualifiziert werden zu können. M.a.W.: Der Begriff Winterbereifung  ist  zu unbestimmt, weil kein Mensch weiß, wie Reifen beschaffen sein müssen, um als Winterreifen durchzugehen.

Meine Meinung: Konsequente Auslegung des einfachen Rechts anhand des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernisses, absolut zutreffende Entscheidung. Der Gesetzgeber sollte sich überlegen, ob und wie er hier nachbessern kann. Nicht vergessen werden sollte natürlich, dass eine nicht ordnungsgemäße Bereifung auch versicherungsrechtliche Konsequenzen haben kann, jedenfalls in der Kaskoversicherung. Wer also mit seinem sommerbereiften Ferrari bei Glatteis losbrettert, muss damit rechnen, dass es in der Vollkasko zu einer empfindlichen Leistungskürzung kommt, wenn er das Fahrzeug gegen die nächste Mauer setzt.

Europaweite Vollstreckung von Bußgeldern

Wie das funktionieren wird, mit der europaweiten Vollstreckung von Bußgeldbescheiden, kann man hier nachlesen:

Europaweite Vollstreckung von Bußgeldern.

Was ich an der ganzen Sache höchst interessant finde, ist, dass die Gelder dann nicht etwa in den Begehungsstaat zurrückfließen, sondern demjenigen Staat verbleiben, der die Vollstreckung betreibt. Werde ich also in Frankreich geblitzt, wird hier in Deutschland vollstreckt und die Kohle bleibt letztlich in Deutschland. Das gibt zu denken…

Da fragt sich doch schon, was bspw. die Franzosen für ein Interesse haben sollen, die Vollstreckung hier in Deutschland einzuleiten. Das ganze Verfahren bei denen, von der Einleitung des Verwaltungsverfahrens bis zum Abschluss eines eventuellen Gerichtsverfahrens, kostet doch nur Zeit, Nerven und Geld. Und das Ganze dann mit dem Ergebnis, dass uns das Säckel vollgemacht wird?! Die haben also den Aufwand und die Kosten und wir den Ertrag. "Merci bien!"

Vielleicht sollte man Einstellungsanträge ins EU – Ausland künftig um den Hinweis: "Im Falle der Nichteinstellung des Verfahrens bedanke ich mich im Namen der Bundesrepublik Deutschland schon jetzt vorsorglich für Ihre Mühe bei der Beitreibung unseres Geldes." erweitern. Dürfte der Einstellungsmoral wohl förderlich sein …