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Archiv: 24. Mai 2018

Verfassungsgerichtshof des Saarlandes: Betroffener hat Anspruch auf Einsicht in die Messdateien!

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat – sozusagen als „letzte Instanz“ – entschieden, dass einem Betroffenen die Messdateien zur Auswertung und Überprüfung durch einen Sachverständigen zur Verfügung zu stellen sind. Im konkreten Fall hatte der Betroffene sich gegen den Vorwurf eines Rotlichtverstoßes zur Wehr gesetzt und mehrmals erfolglos versucht, die Bußgeldstelle dazu zu bewegen, ihm die Falldateien zu übersenden.

Letztlich wurde er ohne Einsicht in die Falldateien durch alle Instanzen (Amtsgericht Saarbrücken und Oberlandesgericht Saarbrücken) verurteilt. Nach Ausschöpfung des ordentlichen Rechtsweges verblieb ihm nur noch die Anrufung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes.
Dieser entschied, dass die vorangegangenen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts den Betroffenen in seinen Grundrechten auf ein faires gerichtliches Verfahren und auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzten.

In seiner Begründung setzt sich der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes eindrucksvoll und einleuchtend mit dem sogenannten Teufelskreis bei der Frage der Gewährung der Einsicht in die Falldateien auseinander. Er führt aus:

Die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei verletzen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs.

a) Nach der Rechtsprechung zum sog. standardisierten Verfahren, der vorliegend auch das Amtsgericht Saarbrücken und das Saarländische Oberlandesgericht gefolgt sind, genügt es, dass der Tatrichter in den Urteilsgründen das verwendete Messverfahren und ggf. den erfolgten Toleranzabzug angibt. Weitere Angaben und Nachforschungen hinsichtlich des Messgeräts, seiner genauen Funktionsweise und der Richtigkeit der Messdurchführung bzw. -auswertung sollen nicht erforderlich sein, da eine Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit aufgestellt wird (Fromm, NZV 2013, 16 [17]). Dies gilt für die Geschwindigkeits- wie auch für die Rotlichtüberwachung im Straßenverkehr. Daher werden die von einem automatisch arbeitenden Messgerät erfassten sog. Rohmessdaten, aus denen dieses die Geschwindigkeit oder die Tatsache eines Rotlichtverstoßes ableitet, üblicherweise auch nicht vom Tatrichter oder von der Bußgeldbehörde auf Messfehler oder Störungen hin überprüft; es genügt der in das Messfoto eingeblendete Geschwindigkeitswert (oder hier: Tatsache des Missachtens des Rotlichtes sowie Dauer des Rotlichtes beim Überfahren), den das Gerät bestimmt hat. Aus diesem Grund sind die Rohmessdaten auch nicht Teil der Gerichtsakte.

Die Richtigkeitsvermutung kann der Betroffene eines Bußgeldverfahrens nur angreifen, wenn er konkrete Anhaltspunkte für einen Fehler im Rahmen der Messung vorträgt. Es wird ihm also eine Beibringungs- bzw. Darlegungslast auferlegt (Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Diese Punkte vorzutragen, also die erfolgversprechende Verschaffung rechtlichen Gehörs, wird ihm jedoch unmöglich gemacht, wenn die Messdaten als die Grundlage der Messung nicht für eine sachverständige Untersuchung zur Verfügung gestellt werden (OLG Celle, Urteil vom 16.6.2016- 1 Ss OWi 96/16 -, NJOZ 2017, 559 Rn. 5; Deutscher, DAR 2017, 723; Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Letztlich wird er unter Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens als Objekt des Verfahrens behandelt, dem wesentliche Mitwirkungsrechte versagt werden bzw. welches diese nicht effektiv ausüben kann.

Für den Betroffenen bzw. seinen Verteidiger ist es möglich, der Darlegungslast nachzukommen und das Messergebnis in Zweifel zu ziehen, wenn er die vom jeweiligen Messgerät erzeugten Digitaldaten als Grundlage jeder Messung technisch auswerten lässt. Daraus, dass einerseits die Verwaltungsbehörden bzw. die Gerichte sich zu einer Überprüfung aller Einzelheiten der Geschwindigkeitsmessung nicht verpflichtet sehen, andererseits der Betroffene für eine solche in eigener Regie durch einen Sachverständigen durchgeführte Überprüfung die bei der Messung angefallenen digitalen Daten als Grundlage der Messung benötigt, hat das Saarländische Oberlandesgericht als Konsequenz des Rechts auf ein faires Verfahren gefolgert, dass ihm diese Daten – auch wenn sie sich nicht in der Akte befinden und damit von § 147 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG nicht erfasst werden – zur Verfügung zu stellen sind (Beschluss vom 24.2.2016 – Ss [Bs] 6/2016 [4/16 OWi] -, juris Rn. 7, unter Hinweis auf Cierniak, ZfS 2012, 664 [673]). Dem ist zuzustimmen, denn durch die sodann ermöglichte Transparenz des Messverfahrens ist die Waffengleichheit wieder hergestellt und dem Gebot eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs genügt: Ein Betroffener kann dann adäquat auf den Tatvorwurf reagieren und den Tatvorwurf der Behörde bei Anhaltspunkten für Messfehler qualifiziert durch das Ergebnis der von ihm veranlassten technischen Untersuchung widerlegen oder erschüttern.

Aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden Gebot der Waffengleichheit folgt, dass ebenso, wie dem „Ankläger“ Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, einen Tatvorwurf nachzuweisen – was in Fällen der hier diskutierten Art leicht möglich ist, da der vom Gerät angezeigte Wert dafür genügt -, einem im Bußgeldverfahren Betroffenen Zugang zu den Informationen gewährt werden muss, die er benötigt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen oder durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen („Parität des Wissens“, vgl. LG Trier, DAR 2017, 721 [722]; „Informationsparität“ gemäß Art. 6 EMRK, vgl. Krenberger, jurisPR-VerkR 17/2016).

(VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18)

VG Sigmaringen: Vorläufiger Rechtsschutz gegen Betriebsuntersagung eines Diesel-PKW

Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat einem Betroffenen vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung der sofortigen Betriebsuntersagung seines Dieselfahrzeugs gewährt. Nachdem der Betroffene an der Rückrufaktion des Herstellers bzw. dem umstrittenen Softwareupdate des Herstellers nicht teilgenommen hatte, wurde ihm von der Zulassungsstelle der Betrieb des Fahrzeugs mit sofortiger Wirkung (Sofortvollzug) untersagt.

Das VG Sigmaringen gab seinem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit folgender Begründung statt:

Die hier in Rede stehende Sofortvollzugsanordnung in Nummer 3 des Bescheids des Landratsamts Sigmaringen vom 05.03.2018 genügt diesen Maßgaben nicht. Die diesbezügliche – knappe und im gerichtlichen Verfahren nicht weiter erläuterte oder gar ergänzte (vgl. dazu ohnehin: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.09.2011, a.a.O.) – Begründung beschränkt sich darauf, unter offenkundiger Verwendung eines Textbausteins das besondere öffentliche Interesse darin zu sehen, dass nicht vorschriftsmäßige Fahrzeuge (auch bereits vor Bestandskraft) „zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer“ vom Betrieb im öffentlichen Straßenverkehr ausgeschlossen werden müssten. Eine solchermaßen pauschale Begründung mag – formell – ausreichend sein, wenn es um typische Fallgestaltungen einer Betriebsuntersagung geht, bei denen ggf. Sicherheitsmängel am Fahrzeug, etwa an der Bremsanlage, mit auf der Hand liegenden und beträchtlichen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter bei einer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr bestehen. Davon kann hier aber keine Rede sein. Es ist weder vom Antragsgegner geltend gemacht noch auch nur im Ansatz ersichtlich, dass die am Fahrzeug des Antragstellers offenbar vorliegende Abweichung von der EG-Typengenehmigung in Gestalt einer unzulässigen Abschalteinrichtung überhaupt verkehrssicherheitsrelevant sein könnte. Vielmehr dürften vom Betrieb des Fahrzeugs des Antragstellers unzulässige umwelt- und ggf. auch gesundheitsschädigende Emissionen ausgehen, die in erster Linie Belange der Luftreinhaltung betreffen. Dass die damit verbundenen (Umwelt-)Gefahren aus behördlicher Sicht indes gleichermaßen dringlich und gerade im Fall des Antragstellers auch mit Sofortvollzug angegangen werden müssten, ergibt sich aus der hierzu gegebenen Begründung im Bescheid nicht. Da das Landratsamt mithin offenbar schlicht einen ersichtlich unpassenden Textbaustein als (alleiniges) Begründungselement verwendet hat, fehlt es nach Auffassung der Kammer gänzlich an einer hinreichenden schriftlichen Begründung der Sofortvollzugsanordnung, ohne dass damit eine – im Rahmen des § 80 Abs. 3 VwGO dem Gericht auf formeller Ebene an sich verwehrte – Inhaltskontrolle der behördlichen Erwägungen verbunden wäre (ebenso VG Karlsruhe, Beschluss vom 26.02.2018 – 12 K 16702/17 -, Juris).

Die Pressemeldung ist hier veröffentlicht:

Pressemeldung des VG Sigmaringen

Den Beschluss des VG Sigmaringen vom 4.4.2018 – 5 K 1476/18 finden Sie im Volltext hier:

Beschluss des VG Sigmaringen

EuGH: Verjährungsfrist beim Gebrauchtwagenkauf beträgt zwei Jahre!

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass die Verkürzung der Gewährleistung auf ein Jahr beim Gebrauchtwagenkauf zwischen Unternehmer und Verbraucher unzulässig ist. Damit gelten für Verbraucher – also „Privatkäufer“ – aktuell zwei Jahre Gewährleistung beim Gebrauchtwagenkauf.

Im Gebrauchtwagenhandel ist es üblich, die Verjährung für Mängelansprüche auf ein Jahr zu verkürzen. Hierfür stellt – unter anderem – der Zentralverband des deutschen Kraftfahrtgewerbes Allgemeine Geschäftsbedingungen zur Verfügung, die eine entsprechende Klausel enthalten.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte diese wohl am weitesten verbreitete Klausel bereits im Jahr 2015 für intransparent und unwirksam erklärt. Während der BGH sich mit dem Wortlaut der Klausel befasst hat, und diese konkrete Klausel als unverständlich angesehen hat, hat sich der EuGH mit der generellen Möglichkeit, die Verjährung von Gewährleistungsansprüchen bei gebrauchten Sachen auf ein Jahr zu verkürzen, befasst.

Die Entscheidung des EuGH erging zu einer Vorlagefrage des belgischen Rechts, ist aber auf die Rechtslage in Deutschland anwendbar.

Der EuGH hat entschieden:

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 1999/44 dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die es erlaubt, dass die Verjährungsfrist für die Klage eines Verbrauchers eine kürzere Dauer als zwei Jahre ab Lieferung des Gutes beträgt, wenn dieser Mitgliedstaat von der in der zweiten dieser Bestimmungen der Richtlinie eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, und wenn der Verkäufer und der Verbraucher für das betreffende gebrauchte Gut eine Haftungsfrist des Verkäufers vereinbart haben, die kürzer als zwei Jahre, nämlich ein Jahr, ist. ( Urteil vom 13.07.2017 – C-133/16)

Der EuGH hat zunächst richtungsweisend klargestellt, dass zwischen zwei Fristen zu unterscheiden ist:

1. Haftungsfrist:

Die Haftungsfrist betrifft die Haftungsdauer des Verkäufers. Mit Haftungsfrist meint der EuGH den Zeitraum, in welcher ein Mangel auftreten muss, um die Gewährleistungsrechte des Verbrauchers auszulösen. Diese Frist beträgt zwei Jahre, kann aber auf ein Jahr verkürzt werden. Hiervon wurde aber bislang kein Gebrauch gemacht, weil die gängigen AGB im Gebrauchtwagenhandellediglich die Verjährungsfrist betreffen.

2. Verjährungsfrist:

Die Verjährungsfrist ist der Zeitraum, in dem der Verbraucher seine Rechte ausüben kann. Diese Frist beträgt zwei Jahre und darf nicht verkürzt werden.
Der EuGH hat seiner Entscheidung die maßgeblichen Regelungen vorangestellt, anhand derer das bislang verkannte Verjährungssystem deutlich wird:

Art. 5 („Fristen“) dieser Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Der Verkäufer haftet nach Artikel 3, wenn die Vertragswidrigkeit binnen zwei Jahren nach der Lieferung des Verbrauchsgutes offenbar wird (Anmerkung des Autors: Haftungsfrist). Gilt nach dem innerstaatlichen Recht für die Ansprüche nach Artikel 3 Absatz 2 eine Verjährungsfrist, so endet sie nicht vor Ablauf eines Zeitraums von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Lieferung (Anmerkung des Autors: Verjährungsfrist).“

Art. 7 („Unabdingbarkeit“) der Richtlinie 1999/44 sieht in seinem Abs. 1 vor:
„Vertragsklauseln oder mit dem Verkäufer vor dessen Unterrichtung über die Vertragswidrigkeit getroffene Vereinbarungen, durch welche die mit dieser Richtlinie gewährten Rechte unmittelbar oder mittelbar außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden, sind für den Verbraucher gemäß dem innerstaatlichen Recht nicht bindend.
Im Fall gebrauchter Güter können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Verkäufer und der Verbraucher sich auf Vertragsklauseln oder Vereinbarungen einigen können, denen zufolge der Verkäufer weniger lange haftet als in Artikel 5 Absatz 1 vorgesehen. Diese kürzere Haftungsdauer darf ein Jahr nicht unterschreiten.“

Fazit:
Da bislang keine wirksamen Klauseln vorliegen dürften, die zwischen der Haftungs- und der Verjährungsfrist unterscheiden, dürfte im Allgemeinen für den Gebrauchtwagenkauf derzeit eine zweijährige Gewährleistung gelten. Die Verkürzung der Haftungsfrist – nicht aber der Verjährungsfrist – ist aber durch zukünftige AGB-Anpassung möglich.