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BGH zu Auffahrunfall und Spurwechsel

Mrz 6, 2017 Unfallregulierung

Der Bundesgerichtshof hatte über einen Sachverhalt zu entscheiden, der sehr häufig, gerade auf Bundesautobahnen, vorkommt. Es kommt zu einem Auffahrunfall auf der Überholspur. Der Auffahrende behauptet, der Vordermann habe vor ihm abgebremst und sei unvermittelt auf seine Spur hinübergezogen. Der Vorausfahrende behauptet, es habe keinen Spurwechsel gegeben.

Fraglich und sehr umstritten ist nun, wer in dieser Konstellation was zu beweisen hat. Klar ist, dass der Auffahrvorgang für sich betrachtet, einen Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden begründet, so auch noch einmal ausdrücklich der BGH im ersten Leitsatz des Urteils:

a) Bei Auffahrunfällen kann, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste Anschein dafür sprechen, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat ( § 4 Abs. 1 StVO ), unaufmerksam war ( § 1 StVO ) oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist ( § 3 Abs. 1 StVO ) (Fortführung Senatsurteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10 , BGHZ 192, 84 Rn. 7 ).

(BGH Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16)

Allerdings ist dieser Anscheinsbeweis nicht in Stein gemeißelt, sondern widerlegbar (Leitsatz 2):

b) Der Auffahrunfall reicht als solcher als Grundlage eines Anscheinsbeweises aber dann nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die – wie etwa ein vor dem Auffahren vorgenommener Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs – als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen (Fortführung Senatsurteil vom 13. Dezember 2011, aaO).

(BGH Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16)

Ein solcher Umstand, und das ist allgemein anerkannt, stellt ein in engem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang durchgeführter Spurwechsel des Vorausfahrenden dar. Zurück zum Ausgangsfall: Der Hintermann behauptete ja gerade einen solchen Spurwechsel des Vordermannes. Dieser wiederum bestritt, dass es überhaupt einen Spurwechsel gab. Muss nun also der Hintermann den Spurwechsel des Vordermannes beweisen oder muss der Vordermann beweisen, dass er die Spur nicht gewechselt hat. Hierzu führt der BGH in Leitsatz 3 aus:

c) Bestreitet der Vorausfahrende den vom Auffahrenden behaupteten Spurwechsel und kann der Auffahrende den Spurwechsel des Vorausfahrenden nicht beweisen, so bleibt – in Abwesenheit weiterer festgestellter Umstände des Gesamtgeschehens – allein der Auffahrunfall, der typischerweise auf einem Verschulden des Auffahrenden beruht. Es ist nicht Aufgabe des sich auf den Anscheinsbeweis stützenden Vorausfahrenden zu beweisen, dass ein Spurwechsel nicht stattgefunden hat.

(BGH Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16)

Im Ergebnis haftete der Auffahrende daher vollumfänglich.

Anmerkung: In dem Fall, den der BGH entschieden hat, stand fest, dass auch tatsächlich ein Auffahrunfall vorlag. Mithin war bewiesen, dass das hinten fahrende Fahrzeug von hinten auf das vorausfahrende Fahrzeug aufgefahren war. Bei Auffahrunfällen und behaupteten Spurwechseln ist nach wie vor eine Einzelfallbetrachtung angezeigt. Steht beispielsweise nicht fest, dass es sich um einen Auffahrvorgang gehandelt hat, weil etwa der Schaden am Fahrzeug des Auffahrenden seitlich entstanden ist, kommen auch andere Prozessergebnisse in Betracht.

Dominik Weiser

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verkehrsrecht

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