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Kategorie: Verfahrensrecht

Einführung der Halterhaftung in Deutschland?

Derzeit prüft die Bundesanstalt für Straßenwesen, ob eine Halterhaftung auch in Deutschland eingeführt werden kann.

Nach aktueller Rechtslage existiert eine solche Halterhaftung nur im ruhenden Verkehr (Park- und Halteverstöße). Kann der derjenige, der das Fahrzeug ordnungswidrig geparkt hat, nicht ermittelt werden, muss der Halter die Kosten des Verfahrens tragen.

Die sogenannte Halterhaftung existiert in den meisten europäischen Ländern auch im fließenden Verkehr. Diese ist meist so ausgestaltet, dass das Bußgeld letztlich für die Nichtbenennung des Fahrers verhängt wird. Bestraft wird der Halter also nicht für den eigentlichen Verstoß (z.B. Geschwindigkeitsverstoß) sondern weil er den Fahrer nicht preisgibt.

Eine ebensolche Haftung des Halters für Verstöße im fließenden Verkehr ist nun auch in Deutschland im Gespräch. Hintergrund ist, dass die Ermittlung des Fahrers immer dann, wenn der Fahrer nicht gleichzeitig Halter des Fahrzeugs ist, mit erheblichem Aufwand verbunden sein kann. Häufig verläuft sie auch erfolglos, wenn der Halter nicht „petzt“. Bislang besteht lediglich die Möglichkeit, dem Halter, der nicht an der Fahrerermittlung mitwirkt, eine Fahrtenbuchauflage aufzuerlegen.

 

 

Verurteilung wegen Cannabisfahrt – Erkennbarkeit der Rauschwirkung

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat entschieden, dass für eine Verurteilung nach § 24 a StVG die Feststellung erforderlich ist, dass der Betroffene das Fortbestehen der Wirkung des Rauschmittels hätte erkennen können und müssen.

Liegt der Cannabiskonsum bereits mehr als einen Tag zurück und liegt nur eine geringfügige Überschreitung des analytischen Grenzwerts vor, so ist im Urteil darzulegen, warum der Betroffene dennoch von einer fortbestehenden Rauschwirkung ausgehen musste.

OLG Hamm zum Absehen vom Fahrverbot: Wer fahren will, muss vortragen!

Das Oberlandesgericht Hamm hat eine amtsgerichtliche Entscheidung aufgehoben, die ein Absehen vom Fahrverbot bei einem berenteten, aber noch in seinem Beruf tätigen Architekten ausgeurteilt hatte.

Das OLG führt aus, dass ein Absehen vom Regelfahrverbot wegen beruflicher oder wirtschaftlicher Schwierigkeiten eine eingehende Begründung erfordere und eine unkritische Übernahme der Angaben des Betroffenen nicht ausreiche (OLG Hamm 28.3.12, III-3 RBs 19/12).

Fazit: Wer ein Absehen vom Fahrverbot erreichen möchte, muss umfassend darlegen, aus welchen Gründen eine unzumutbare Härte vorliegt.

OLG Hamm – Reduzierung der Geldbuße bei Rentnern

GerichtsverfahrenBei der Verhängung von Regelgeldbußen sind nähere Betrachtungen der wirtschaftlichen Verhältnisse im Normalfall nur erforderlich, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese besonders gut oder schlecht sind. Dabei gilt beispielsweise die bloße Eigenschaft als Rentner nicht zwangsweise als Indiz für schlechte wirtschaftliche Verhältnisse. Beträgt die Verhängung eines Bußgeldes jedoch über 250 Euro, sind nähere Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen erforderlich. (OLG Hamm 20.3.12, III-3 RBs 440/11)

Durchsuchung und Beschlagnahme wegen Geschwindigkeitsüberschreitung zulässig

Starenkasten150x100In einem Bußgeldverfahren, in dem dem betroffenen Motorradfahrer eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen wird, die zur Eintragung von drei Punkten im Verkehrszentralregister führen kann, sind die Durchsuchung der Wohnung und die Beschlagnahme der auf dem Messfoto abgebildeten und bei dem Betroffenen aufzufindenden Motorradkleidung und des Schutzhelms zwecks Vorbereitung eines anthropologischen Identitätsgutachtens bzw. einer gerichtlichen Inaugenscheinnahme erforderlich und verhältnismäßig.
(Landgericht Tübingen, Beschluss vom 29. Dezember 2011 – 1 Qs 248/11 OWi)

Anmerkung: Dem Betroffenen wurde eine Überschreitung von 39 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften vorgeworfen. Inwiefern die Durchsuchung der Wohnung und die Beschlagnahme der Motorradkeidung geeignete Manßnahmen zur Identifizierung des Betroffenen darstellen sollen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Das Landgericht führt in seinem Beschluss hierzu – meines Erachtens wenig überzeugend – aus:

„Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Wohnungsdurchsuchung vorliegend keineswegs ungeeignet war, eine Identifizierung des Fahrers zu ermöglichen. Zumindest bildet das Auffinden der Motorradbekleidung beim Betroffenen ein wichtiges Indiz in der Beweiskette gegen den Betroffenen.“.

Kosten eines vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens

Bußgeldbescheid mit FührerscheinHat der Betroffene eines Bußgeldverfahrens Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung, so kann er die Messung mittels eines selbst beauftragten Privatgutachters begutachten lassen. Er kann auch einen Beweisantrag auf Einholung eines vom Gericht bestellten Sachverständigen stellen.

Mit einem Fall, in dem das Amtsgericht ohne vorherige Anhörung des Betroffenen von Amts wegen einen Gutachter beauftragt hat, hatte sich das Amtsgericht Frankfurt an der Oder zu beschäftigen.
Der Betroffene hatte Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung vorgetragen. Das Amtsgericht hat ohne Anhörung des Betroffenen und ohne Information des Betroffenen einen Sachverständigen beauftragt, die Messung zu begutachten und in der Hauptverhandlung das Ergebnis zu erörtern.

Durch eine solche Begutachtung entstehen Kosten, die nicht selten im vierstelligen Bereich liegen. Besteht eine eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung, kommt diese in der Regel für die Kosten auf. Für den nicht rechtsschutzversicherten Betroffenen stellt ein solches Vorgehen des Gerichts eine ganz erhebliche Kostenfalle dar.

Der Betroffene, dem die Kosten der Begutachtung auferlegt werden sollten, hat gegen den Kostenansatz Erinnerung eingelegt. Das Amtsgericht Frankfurt an der Oder hat auf die Erinnerung des Betroffenen entschieden, dass er die Kosten der Begutachtung nicht zu tragen habe (sog. Niederschlagung der Kosten). Er hätte nach Ansicht des Amtsgerichts vor der Einholung des Gutachtens über diese vom Gericht beabsichtigte Maßnahme informiert und es hätte ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden müssen.

Im Ergebnis eine zutreffende und betroffenenfreundliche Entscheidung, die der aktuellen Tendenz der Amtsgerichte, die Betroffenen mit den Kosten eines gerichtlichen Gutachtens von Einwänden gegen die Ordnungsgemäßheit der Messung abhalten zu wollen, entgegenwirkt.

Hat der Betroffene Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung, ist dringend anzuraten, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Verteidiger regelt für den Betroffenen in Zusammenarbeit mit dem Rechtsschutzversicherer die Kosten der Begutachtung der Messung, ohne dass dem Betroffenen ein erhebliches Kostenrisiko droht.

Aus zwei mach eins – Fahrverbote gleichzeitig antreten

Bußgeldbescheid mit FührerscheinUnverhofft kommt oft und manchmal doppelt. Gerade bei Vielfahrern (z.B.: Außendienstler, Berufskraftfahrer, etc.) kommt es häufiger zu Verkehrsverstößen, da diese Personengruppen häufig mehrere 10.000 km im Jahr fahren.

Wenn es ganz dumm läuft, wird der Betroffene zwei Mal nacheinander geblitzt und es stehen plötzlich zwei Fahrverbote im Raum. Was vielen Betroffenen nicht bewusst ist, ist dass diese unter Umständen auch gleichzeitig angetreten werden können. Handelt es sich um zwei Fahrverbote, bei denen keine Schonfrist nach § 25 Abs. 2 a StVG (4-monatige Abgabefrist) gewährt wurde, so ist die gleichzeitige Vollstreckung immer möglich.

Die Schonfrist wird gewährt, wenn gegen den Betroffenen innerhalb der letzten zwei Jahre kein Fahrverbot verhängt wurde und auch während des laufenden Verfahrens keins verhängt wird.

Beispiel: Wird gegen einen Betroffen in zwei Verfahren ein Fahrverbot von jeweils einem Monat verhängt und die Schonfrist nicht gewährt, so kann er diese beiden Fahrverbote gleichzeitig antreten. Es bleibt dann praktisch bei einem Monat Fahrverbot.

Ob das möglich ist, wenn bei beiden Fahrverboten oder einem der beiden Fahrverbote die Schonfrist gewährt wurde, wird von den Gerichten allerdings unterschiedlich beurteilt. In diesen Fällen empfiehlt es sich einen entsprechenden Antrag zum Gericht zu stellen.

Missverständliche Beschilderung kann zum Absehen vom Fahrverbot führen

Das Oberlandesgericht Bamberg hat mit Beschluss vom 6. Juni 2012, Aktenzeichen 2 SS OWi 163/12 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ein Urteil des Amtsgerichts Bayreuth aufgehoben.

Das Amtsgericht Bayreuth hatte den Betroffenen am 16.02.2012 wegen einer am 24.10.2011 auf der BAB A 9 begangenen fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 55 km/h zu einer Geldbuße von 240,00 € verurteilt. Zugleich verhängte es ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war zwar letztlich erfolgreich und führte zu einer Zurückverweisung der Sache ans Amtsgericht, weil dem Urteil nicht zweifelsfrei zu entnehmen war, wie sich die Beschilderung am Tatort darstellte bzw. welches überhaupt die erlaubte Höchstgeschwindigkeit war. Das Oberlandesgericht Bamberg hat aber für die neue Entscheidung des Amtsgerichts unter Bezugnahme auf weitere einschlägige Urteile auf Folgendes hingewiesen:

„Zum einen erscheinen Ausführungen zur vollständigen Beschilderungssituation vor der Verkehrskontrollstelle bei Prüfung der Möglichkeit des Absehens von der Verhängung eines Fahrverbots wegen Augenblicksversagens oder auch bei Prüfung, ob trotz einer Existenzgefährdung das Gewicht des Verkehrsverstoßes die Verhängung eines Fahrverbots zur Einwirkung auf den Betroffenen zwingend erforderlich macht, zumindest sinnvoll.

Zum anderen ist in der neuen tatrichterlichen Entscheidung weiter auszuführen, wie und wodurch jeweils das Zeichen 274 von dem offenbar am selben Pfosten befindlichen Zeichen 276 (Überholverbot) „deutlich … abgesetzt“ (UA S. 4) war (vgl. BayObLG VM 1978, 29/30; vgl. auch OLG Bamber NZV 2007, 633). Zwar bezieht sich – entgegen der Ansicht der Verteidigung – ein, wie im vorliegenden Fall, unter mehreren Verkehrszeichen angebrachtes Zusatzzeichen (hier nach Angaben der Verteidigung in der Rechtsbeschwerde das Zusatzzeichen 1049-13) nur auf das unmittelbar darüber befindliche Verkehrszeichen, wie aus § 39 Abs. 3 Satz StVO folgt (Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 41. Auflage 39 StVO Rn. 31a a.E.). Dennoch kann u.U. ein Irrtum über die beschränkte Wirkung von Zusatzschildern dazu führen, dass trotz Vorliegens der Regelvoraussetzungen die Anordnung eines Fahrverbots entfällt; dies etwa dann, wenn eine deutliche Trennung des durch das Zusatzschild eingeschränkten Überholverbots von dem Zeichen 274 nicht vorgenommen ist (vgl. OLG Bamberg NZV 2007, 633; BayObL NJW 2003, 2253).“

Fahrtenbuchauflage gegen kooperierenden Halter

Nach § 31 a StVZO kann gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs angeordnet werden, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

In der Praxis kommt dies häufig in zwei Fallgestaltungen vor. Zum einen die Nutzung des auf einen Verwandten zugelassenen Fahrzeugs. Zum anderen sind dies die Fälle der Nutzung eines Firmenwagens.

Da die Behörden auf den Messfotos lediglich das Nummernschild als Anhaltspunkt für die Fahrerermittlung haben, wird zunächst eine Halteranfrage an denjenigen erfolgen, auf den das Fahrzeug zugelassen ist, sofern die Behörde davon ausgeht, dass der Halter nicht der Fahrer ist (z.B. bei erkennbar abweichendem Geschlecht). Dieser wird aufgefordert, den Fahrer zu benennen.

§ 31 a StVZO regelt die mögliche Rechtsfolge, namentlich die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage für den Halter, wenn der Fahrer nicht innerhalb der (kurzen) Verjährungsfrist ermittelt werden kann.
Da die Fahrtenbuchauflage sich nicht auf das im Tatzeitpunkt geführte Fahrzeug beschränkt, ist diese gerade bei Firmen, auf die mehrere Fahrzeuge zugelassen sind, ein empfindliches Übel.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat mit Beschluss vom 25.06.2012 AZ: 6 K 6286/11 entschieden, dass auch gegen denjenigen Halter, der gegenüber der Bußgeldstelle angibt, wem er das Fahrzeug überlassen hat, eine Fahrtenbuchauflage verhängt werden darf, wenn dies trotz ordnungsgemäßer Ermittlungen der Bußgeldbehörde nicht zu einem Erfolg, also zur Ermittlung des Täters, geführt hat.

Aus den Gründen:

„Wirkt der Halter des Geschäftsfahrzeugs an der Aufklärung des Fahrzeugführers mit, indem er denjenigen benennt, dem er das Fahrzeug überlassen hat, muss die Bußgeldbehörde so gegen diesen vorgehen, als ob er der Halter wäre.

Bleiben die gegen den Benannten gerichteten Aufklärungsmaßnahmen jedoch erfolglos, z. B. weil dieser (auch unter Verstoß gegen eine firmeninterne Dienstwagenvereinbarung/-richtlinie) keine Aufzeichnungen geführt hat, keine Auskünfte erteilt oder sich auf ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht beruft, und ist der Bußgeldbehörde beim Vorgehen gegen den Benannten sonst kein Ermittlungsdefizit unterlaufen, ist die Ermittlung im fahrtenbuchrechtlichen Sinne unmöglich. Im Ergebnis steht daher auch die nach Kräften geleistete Mitwirkung des Halters („Firma“) einer Fahrtenbuchauflage nicht entgegen, wenn sie zu keinem Erfolg geführt hat.“

§ 69 Absatz 5 OWiG oder Ping Pong für Fortgeschrittene

Nach der Regelung des § 69 Absatz 5 OWiG kann das Gericht eine Bußgeldsache mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft wieder an die Bußgeldstelle zurückgeben, wenn der Sachverhalt offensichtlich ungenügend aufgeklärt ist. Das Ganze sogar zwei Mal und beim zweiten Mal kommt die Akte auch nicht mehr zurück zum Gericht.

Da das Bußgeldverfahren bekanntermaßen bei der Bußgeldstelle beginnt, die Akte nach Einspruch sodann die Staatsanwaltschaft passiert und schließlich beim Amtsrichter auf dem Tisch landet, stellt man sich auf den ersten Blick die Frage, wieso die Sache bis zum Richter gelangt, wenn sie „offensichtlich ungenügend“ aufgeklärt ist. Der rechtstreue Bürger an sich wird doch wohl erwarten dürfen, dass eine solche Akte erst beim Richter auf dem Tisch landet, wenn der Sachverhalt auch ausermittelt ist.

Wann also soll diese Regelung relevant sein?

Die Antwort ist einfach: In den zahlreichen Fällen, in denen die Fahrereigenschaft bestritten wird und das Messfoto undeutlich ist.

In meiner Praxis häufen sich beispielsweise die Fälle, in denen ein mobiles Navigationsgerät, das an der Windschutzscheibe angebracht wurde, das Gesicht des Fahrers fast vollständig verdeckt. Manche Betroffene sehen eher aus wie R2 – D2  mit Ohren denn wie ein Mensch … also auf dem Messfoto …

Wer nun denkt, die Bußgeldstellen würden solche Fälle „aussortieren“ oder zumindest, nachdem der Betroffene klargestellt hat, dass er nicht der Fahrer war, einstellen, der irrt. Ich zitiere mal wörtlich aus einem Aktenvermerk des Sachbearbeiters der Bußgeldstelle in einer laufenden Bußgeldsache:

„Das Bild ist zwar nicht so gut, doch sind Brille und Mundpartie zu erkennen, so dass bei evtl. Einspruch nach Bußgeldbescheid und Vorlage bei Gericht möglicherweise evt. ein Gutachter beauftragt werden wird. Da bis jetzt noch kein Rechtsanwalt eingeschaltet ist, würde ich ein Bußgeld erlassen, da auch ein Fahrverbot zu verhängen ist und bei Überschreitung von 54 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften auch Vorsatz zum Tragen kommt.“ (Hervorhebung durch mich).

M.a.W.: Ich erkenne ihn nicht. Er hat keinen Anwalt, ich haue das Bußgeld (doppelte Höhe wegen Vorsatz) mal raus und wenn er die Tat abstreitet, kann ja die Landesjustizkasse das Sachverständigengutachten und den Anwalt bezahlen, wenn er es nicht war.

In aller Regel wird der schwarze Peter (bzw. R2 – D2 ), wie dieses Beispiel zeigt, einfach an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Über den Hintergrund einer solchen Vorgehensweise kann man nur spekulieren, es sei aber die Anmerkung erlaubt, dass ein Freispruch im gerichtlichen Verfahren die Landesjustizkasse trifft, während die Bußgeldstellen, wenn sie das Verfahren selber einstellen, gegebenenfalls ins Gemeindesäckel greifen müssen.

Also wird die Zonk -Akte  schön weitergereicht. Die Landesjustizkasse hat’s ja dicke.

Und da käme jetzt eigentlich die Regelung des § 69 Absatz 5 OWiG ins Spiel. Nach meiner Erfahrung gehen die Amtsrichter in den Fällen von undeutlichen Beweisfotos entweder so vor, dass sie eine Einstellung anbieten, der Betroffene aber die Anwaltskosten selbst tragen soll oder aber Sie entscheiden sich, die Sache mal auf Gedeih und Verderb durchzuziehen, gegebenenfalls auch mit Einholung eines anthropologischen Gutachtens („Gesichtsgutachten“).

Besser wäre es doch (auch für die Landesjustizkasse), wenn diese Verfahren wieder vermehrt an die Bußgeldstellen zurückgegeben würden mit der Aufforderung, weiter zu ermitteln. Sollen die doch mal ein anthropologisches Gutachten für 1.000 Euro einholen. Schließlich sind es ja auch die Städte und Kommunen, die jährlich Milliardenumsätze mit dem Blitzergeschäft machen, nicht die Landesjustizkassen.

Liebe Amtsrichter, macht’s doch einfach mal wie der Weiser im Training in den guten alten Tischtenniszeiten:

Setzt auf den Lerneffekt der Gegenseite und spielt den Ball zurück!

Besser mal einen Zug nehmen – „Fahrradfahrverbot“ wegen Trunkenheitsfahrt

Und es wird Sommer … Ästhetisch belästigende Presswürste, eingepackt in hautenge, schrittgezwängte und damit zeugungsfähigkeitsgefährdende (auch für den Beobachter) Jan Ullrich – Gedächtnis – Fahrradanzüge bevölkern die Straßen. Sport ist gesund.

Wer’s nicht sehen will, mag einfach wegschauen, während er mit seinem Auto zum Kippenautomaten gondelt. Ich halte es da lieber mit dem 97-er Udo Bölts – Tour de France – Klassiker. Ich kurbele gelegentlich im Vorbeifahren die Beifahrerscheibe runter und feuere die ohnehin schon Herzinfarktgefährdeten mit dem überraschenden, lautstarken und äußerst motivierenden Schlachtruf: „Quäl dich, du Sau!“, an. So weit so gut.

Kriminell wird’s aber, wenn Alkohol oder Drogen im Spiel sind.

Zum Thema Fahrradfahrer und Straßenverkehrsrecht habe ich bereits einige Artikel veröffentlicht, z.B.:

Wie werde ich Geisterradler

Nutzungsausfallentschädigung für beschädigtes Fahrrad

Dass die Fahrerlaubnisbehörde weitgehende Eingriffsrechte gegenüber alkoholauffälligen Fahrradfahrern hat, war ebenfalls bereits Gegenstand eines Artikels, siehe hier:

Alkohol am Fahrradsteuer

Zu diesem Thema gibt es nun zwei aktuelle Entscheidungen, die ich kurz aufzeigen möchte. Wenig überraschend ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Neustadt a. d. Weinstraße, Urteil vom 30.01.2012, AZ 3 K 954/11, Leitsatz:

„Die Fahrerlaubnisbehörde hat nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c. Fahrerlaubnisverordnung, wenn der Betroffene ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 %o oder mehr geführt hat – hier Radfahrer mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,44 %o -, zwingend die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im Hinblick auf seine Fahreignung anzuordnen. Dies gilt auch bei einem sog. Ersttäter, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge ist.“

Begründung:

„Bei einem Fahrradfahrer, der sich mit hoher Blutalkoholkonzentration am Straßenverkehr beteiligt und damit eine Verkehrsstraftat nach § 316 StGB begeht, ist in der Regel bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründet, er werde in alkoholisiertem Zustand nicht stets die nötige Selbstkontrolle aufbringen, vom Führen eines Fahrzeugs abzusehen.“

Kurzfassung: Ab 1,6 Promille auf dem Fahrrad folgt die MPU auf dem Fuß (zwingend).

Interessanter ist da schon die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen, Beschluss vom 02.02.2012, AZ 12 ME 274/11, Leitsatz:

„Einem Verkehrsteilnehmer, der bislang nur fahrerlaubnispflichtige Fahrzeuge in einem eignungsausschließenden Zustand geführt hat, kann die Nutzung fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge, ggf. auch eines Fahrrads, verboten werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls Anlass zu der begründeten Annahme besteht, er werde in überschaubarer Zukunft ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug im Zustand der Nichteignung führen und zu einer konkreten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer werden.“

Der Antragsteller war in mehreren Fällen wegen Alkohol und / oder Drogen im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs und Leichtkraftfahrzeugs (Mofas) sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Beim Fahrradfahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss hatte man ihn allerdings nie erwischt.

Aus den Gründen:

„Ein derartiges Verbot setzt … die Feststellung voraus, dass der Betreffende gerade auch ungeeignet zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen ist und die konkreten Umstände des Einzelfalls Anlass zu der begründeten Annahme geben, der Betroffene werde voraussichtlich in überschaubarer Zukunft ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug im Zustand der Nichteignung führen und so zu einer konkreten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer werden.“

M.a.W.: Auch wer noch nie Fahrrad gefahren ist bzw. noch nie mit Alkohol oder Drogen auf dem Fahrrad erwischt wurde, ist vor einem Fahrradfahrverbot nicht sicher. Damit liegt das OVG Niedersachsen auf einer Linie mit dem OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 08.06.2011, AZ 10 B 10415/11.

Das OVG Niedersachsen hat den Antragsteller übrigens darauf verwiesen, er könne mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Den Einwand des Antragstellers, er könne sich das nicht leisten, hat das OVG mit der Begründung, er solle sich das Geld für Drogen sparen und für öffentliche Verkehrsmittel ausgeben (Simplifizierung durch Unterzeichner) zurückgewiesen.

Ob der Betroffene in Zukunft „einen Zug nehmen“ wird oder nicht … Man weiß es nicht … 🙂

OLG Zweibrücken zum Absehen vom Fahrverbot wegen „Zeitablauf“

Bislang war es einhellige Meinung unter den Oberlandesgerichten, dass von einem Fahrverbot nach § 25 StVG (Fahrverbot im Bußgeldverfahren) dann abzusehen ist, wenn zwischen der Tat und dem Urteil ein Zeitraum von zwei Jahren liegt.

Zwei Jahre nach der Tat soll es nicht mehr erforderlich sein, mit einem Fahrverbot „erzieherisch“ auf den Täter einzuwirken. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Täter innerhalb der zwei Jahre beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat.

Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat nun in einer bemerkenswerten Entscheidung diese Grenze auf 1 Jahr und 9 Monate herabgesetzt. Es befindet sich damit auf einer Linie mit den Oberlandesgerichten Karlsruhe (23 Monate), Hamm und Nürnberg (ebenfalls 21 Monate) und dem Bundesgerichtshof, die allerdings über das Fahrverbot nach § 44 StGB (Fahrverbot wegen einer Straftat) entschieden haben.

Aus den Entscheidungsgründen des OLG Zweibrücken (Urt. v. 25.08.2011 AZ: 1 SsBs 24/11):

„Keinen Bestand haben kann jedoch die Anordnung eines Fahrverbots. Das Fahrverbot ist als so genannter Denkzettel für nachlässige und leichtsinnige Kraftfahrer vorgesehen (BVerfGE 27, 36), um den Täter vor einem Rückfall zu warnen und ihm ein Gefühl für den zeitweiligen Verlust des Führerscheins und den Verzicht auf aktive Teilnahme am Straßenverkehr zu vermitteln. Diese Warnungs– und Besinnungsfunktion kann das Fahrverbot – auch im Hinblick auf seinen Strafcharakter – aber nur erfüllen, wenn es sich in einem angemessenen zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter auswirkt. Nach einem längeren Zeitablauf verliert der spezialpräventive Charakter eines Fahrverbots seine eigentliche Bedeutung, so dass nur noch der Charakter als Funktionsinhalt übrig bleibt (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 03.06.2004, 2 Ss 112/04 und vom 23.07.2007, 2 Ss 224/04 – juris).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei einer Tat, die ein Jahr und neun Monate zurückliegt, die Anordnung eines Fahrverbots als Warnungs– und Besinnungsstrafe nicht mehr geeignet (BGH ZfS 2004, 133). Etwas anderes kann nach der Rechtsprechung nur gelten, wenn der erhebliche Zeitablauf zwischen der Tat und der Verhängung des Fahrverbots dem Angeklagten anzulasten ist (BayObLG NZV 2004, 210).“

Noch nicht geklärt ist, wie der Zeitraum zu berechnen ist. Dass Anfangszeitpunkt der Tatzeitpunkt ist, leuchtet ein. Fraglich ist aber, ob der Endzeitpunkt der Zeitpunkt des Urteils in der ersten Instanz oder der Zeitpunkt des Urteils im Rechtsbeschwerdeverfahren gegen das Urteil ist. Letzteres wäre für den Betroffenen natürlich günstiger, denn bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde vergehen mehrere Monate. Das OLG Zweibrücken geht zu Gunsten des Betroffenen davon aus, dass auch die Zeit bis zum Urteil über die Rechtsbeschwerde anzurechnen ist. Aus den Gründen:

„Vorliegend beträgt der seit der Tat am 6. November 2009 verstrichene Zeitablauf mehr als ein Jahr und neun Monate. Dabei ist auch die zwischen dem angefochtenen Urteil und der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts verstrichene Zeit bei der Prüfung der Frage, ob wegen Zeitablaufs von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen ist, zu berücksichtigen.“

Was in der Praxis nicht vergessen werden darf, ist dass derjenige, der im Verlauf des Rechtsstreits erneut (aktenkundig) verkehrsauffällig wird, nicht in den Genuss dieser Rechtsprechung kommen kann. Denn er bringt damit zum Ausdruck, dass es bei ihm der Denkzettelfunktion noch immer bedarf. Ferner führen unlautere Verfahrensverzögerungen durch den Verteidiger ebenfalls zu einer Unanwendbarkeit dieser Rechtsprechung. Was als unlauter in diesem Sinne zu gelten hat, ist umstritten, bleibt aber einer gesonderten Darstellung in einem weiterführenden Blogbeitrag vorbehalten.

AG Konstanz: Weiterer Toleranzabzug von 0,4 Sekunden bei Traffiphot III (Rotlichtüberwachung)

Das AG Konstanz hat mit Urteil vom 16.02.2011 (AZ: 13 OWi 52 Js 1314/2011 – 43/11) entschieden, dass bei der Messanlage Traffiphot III, die weit verbreitet für Ampelmessungen im Einsatz ist, ein weiterer Toleranzabzug von 0,4 Sekunden zu machen sein kann. Den so ermittelten Wert hat das Gericht sodann zu Gunsten des Betroffenen auf die erste Stelle hinter dem Komma abgerundet.

Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Betroffen war  von einer der vorbezeichneten Messanlagen beim Überfahren einer roten Ampel geblitzt worden. Das Messfoto wies eine Rotlichtdauer von 1,43 Sekunden, also deutlich über einer Sekunde, auf, mithin lag ein sogenannter qualifizierter Rotlichtverstoß vor.  Überschreitet die Dauer der Rotlichtphase eine Sekunde, so beträgt die Regelbuße 200,00 Euro. Es werden vier Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Zu den Rechtsfolgen eines Rotlichtverstoßes siehe hier: Link.

Die Traffiphot III – Messanlage funktioniert mittels in der Fahrbahn eingelassener Induktionsschleifen, die beim Überfahren die Messung auslösen. Da für den Tatvorwurf bzw. die Ermittlung der Rotlichtdauer nach herrschender und gefestigter Rechtsprechung der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie maßgeblich ist, sollte man eigentlich davon ausgehen, dass die Induktionsschleife regelmäßig exakt unter der Haltelinie angebracht ist. Indes ist dies sehr häufig nicht der Fall, so auch nicht in dem Fall, über den das AG Konstanz zu entscheiden hatte.

Auf dem ersten Messfoto war nämlich zu erkennen, dass sich die Vorderreifen des Fahrzeugs, die die Messung ausgelöst hatten, hinter der Haltelinie befanden.  Dementsprechend war ein Toleranzwert, der der Zeit entsprach, die zwischen Überfahren der Haltelinie und Überfahren der Induktionsschleife vergangen war, zu entsprechen hatte. Einfach ausgedrückt:

Es muss zurückgerechnet werden, wie lange die Rotphase dauerte, als der Betroffene die Haltelinie, nicht die Induktionsschleife, überfahren hat.

Im konkreten Fall hat eine sachverständige Begutachtung ergeben, dass 0,4 Sekunden abzuziehen waren. Es ergab sich also eine Rotlichtdauer von 1,03 Sekunden. Da die Bedienungsanleitung des Herstellers vorsieht, dass die vorzuwerfende Rotlichtzeit mit einer Auflösung von 0,1 Sekunden anzugeben ist, führte der Sachverständige aus, dass  die zweite Stelle hinter dem Komma abzurunden sei. Dem ist das Gericht gefolgt. Letztlich konnte nur noch eine Rotlichtphase von 1,0 Sekunden vorgeworfen werden. Ein qualifizierter Rotlichtverstoß konnte nicht nachgewiesen werden, da es hierfür die Rotlichtdauer mehr als eine Sekunde gedauert haben muss.

Rechtsfolge: 90,00 Euro , drei Punkte und kein Fahrverbot

Fazit: Dass die Induktionsschleife hinter der Haltelinie verlegt ist, ist in der Praxis häufig anzutreffen und kein Problem, das auf das vorgenannte Messsystem beschränkt wäre. Das hat der Verteidiger zu sehen und gegebenenfalls die Messung begutachten zu lassen bzw. einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. In diesem Fall gilt nämlich nicht nur „Zeit ist Geld.“ , sondern vielmehr: „Zeit ist Fahrverbot.“.

 Einige Bußgeldstellen machen auch per se weitere Toleranzabzüge, weil dieses Problem an der jeweiligen Ampelanlage bekannt ist oder gerätespezifische Abzüge zu machen sind.

Zu den Toleranzabzügen bei verschiedenen Rotlichtmesssystem grundlegend:

 OLG Braunschweig, Urt. v. 02.08.2006 AZ: 2 Ss (B) 38/04 (Link PDF)

Rotlichtverstoß – Keine Feststellung eines Sekundenverstoßes bei zufälliger Beobachtung durch einen Polizeibeamten

Das AG Landstuhl hatte einen in der Praxis gar nicht seltenen Fall zu entscheiden (AG Landstuhl Urt. v. 24.02.2011 AZ: 4286 Js 13706/10.OWi, 4286 Js 13706/10 OWi):

Der Betroffene befuhr am 10.09.2010 gegen 07:18 Uhr die Bahnhofstraße und bog An der Rampe links in die Saarbrücker Straße Richtung Stadtmitte ein. Dabei führte er den Abbiegevorgang durch, obwohl die Lichtzeichenanlage für ihn bereits auf Rot umgeschaltet hatte. Dies bemerkte er aufgrund von Unaufmerksamkeit nicht.

Den Verstoß beobachtete ein Polizeibeamter, der sich gerade auf dem Weg zum Dienst befand und dabei an erster Stelle an der Linksabbiegespur der Saarbrücker Straße stand.

Mit welcher Geschwindigkeit der Betroffene gefahren war, konnte nicht festgestellt werden. Der Abstand des Betroffenen von der Haltelinie der Linksabbiegespur konnte nicht festgestellt werden. Der als Zeuge vernommene Polizeibeamte sagte aus, dass nach seiner Schätzung die Ampel bereits länger als eine Sekunde rot gewesen sei. Die Ampel, die der Betroffene überfahren hatte, war aus Sicht des Polizeibeamten nur unzureichend einzusehen. Der Zeuge gab an, die Sekunden nicht mitgezählt zu haben.

Der Betroffene wurde wegen eines einfachen Rotlichtverstoßes (Rotlichtdauer unter eine Sekunde, d.h. kein Fahrverbot, 90 Euro Geldbuße) verurteilt.

Leitsatz des Amtsgerichts Landstuhl:

"Die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes innerorts kann nicht durch die zufällige Beobachtung, selbst eines erfahrenen Polizeibeamten, erfolgen, insbesondere wenn keine Feststellungen zur Geschwindigkeit des Betroffenen oder zum Abstand von der Haltelinie möglich waren."

OLG Karlsruhe zur Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung in einem OWi – Verfahren

Das OLG Karlsruhe hat mit Beschluss vom 12.08.2010 – AZ:  1 (8) SsRs 366/09, 1(8) SsRs 366/09AK 92/09 – noch einmal Folgendes klargestellt:

"1. Hat der Betroffene seine Fahrereigenschaft zugestanden und erklärt, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache machen, ist seine persönliche Anwesenheit in der Hauptverhandlung im Sinne von § 73 OWiG im Regelfall entbehrlich.

2. Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung kann auch dann noch zur weiteren Sachaufklärung dienen, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des berechtigterweise schweigenden Betroffenen genügt."

Nach § 73 II OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf Antrag von der Pflicht, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Die Entscheidung darüber, ob eine Entbindung erfolgt, ist daher nicht mehr ins Ermessen des Gerichts gestellt, wie dies früher der Fall war.

Beantragt der Verteidiger also, dass der Betroffene von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung entbunden wird, wird er in der Regel erklären, dass der Betroffene sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und darzustellen haben, warum seine Anwesenheit zur Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich ist. Wenn beispielsweise die Fahrereigenschaft eingeräumt ist und es lediglich darum geht, eine sachverständige Begutachtung der Messung zu erreichen, wird der Betroffene regelmäßig entbunden werden müssen.

Ist die Fahrereigenschaft bestritten und geht es somit um Feststellung der Fahrereigenschaft durch Zeugen, wird man um die Anwesenheitspflicht nicht herumkommen.

 

 

ADAC Saarland – Jahresforum 2010 „Verkehrsverstöße und ihre Folgen“

Gestern fand das jährliche ADAC Forum des ADAC Saarland zu dem Thema "Verkehrsverstöße und ihre Folgen – neue Regelungen für Deutschland und Europa" im Kultur- und Kongresszentrum in Eppelborn, Saar statt. Die Veranstaltung war erwartungsgemäß sehr gut besucht. Neben den Themengebieten "Punkte in Flensburg" und "Geschwindigkeits-, Abstands- und Rotlichtmessungen" wurde vor allem das hochaktuelle Thema der nunmehr inkraftgetretenen Vollstreckung von europäischen Geldsanktionen (Geldsanktionengesetz) behandelt.

Referent zu diesem Thema, Titel: "Autofahrer – Bitte zur Kasse!", war der ehemalige Generalbundesanwalt Kay Nehm. Vor allem wegen dieses Beitrages habe ich mich dann dazu aufgerafft, die Veranstaltung zu besuchen. Die Referenten trugen erwartungsgemäß souverän und anschaulich vor, allerdings geriet ausgerechnet das mit Spannung erwartete Referat zu den EU – Knöllchen in meinen Augen leider etwas zu kurz. Herr Nehm gab einen Überblick über die Vorverhandlungen bis hin zum Inkrafttreten des Geldsanktionengesetzes am 27.10.2010 und erläuterte die grundsätzlichen Voraussetzungen der Vollstreckungshilfe durch die Bundesrepublik Deutschland.

Eine Übersicht zum Ablauf des Vollstreckungshilfeverfahrens finden Sie hier: Wie funktioniert die Vollstreckung ausländischer Bußgeldbescheide in Deutschland?

Anschließend wurden hochaktuelle, in naher Zukunft klärungsbedürftige Fragen angesprochen, insbesondere was die Frage der Anerkennung der ausländischen Halterhaftung im Rahmen der Vollstreckung durch die Bundesrepublik Deutschland angeht. Hier sah der Referent auch einen wesentlichen Angriffspunkt für die Verteidigung. Meines Erachtens völlig richtig, stellte klar, dass es zunächst erforderlich sei, sich im ausländischen Mitgliedsstaat zu verteidigen.

Eine interessante Frage warf auch der Kollege Gebhardt, der über das Thema Punktekatalog referierte, im Rahmen der sich an die Vorträge anschließenden Diskussionsrunde auf: "Muss ich zur Wahrnehmung meiner Rechte als Betroffener persönlich bei einer Gerichtsverhandlung im EU – Ausland erscheinen?" Diese und weitere juristisch hoch interessanten Fragen wird es in naher Zukunft zu klären gelten.

Die praktische Relevanz des Geldsanktionengesetzes sahen wohl alle Referenten insoweit als eingeschränkt an, als dass die beigetriebenen Sanktionen beim Vollstreckungsstaat verbleiben. Mithin hat der ersuchende Staat, in dem der Verstoß begangen wurde, jede Menge Aufwand zu betreiben und bleibt auf seinen Kosten sitzen. Dass das der Beitreibungsmoral des Begehungsstaates eher abträglich sein dürfte, wird den deutschen Autofahrer freuen (vgl. hierzu auch meinen Blog – Beitrag vom 19.07.2010 "Europaweite Vollstreckung von Bußgeldern"). Mit einer "Schwemme" ausländischer Vollstreckungsersuchen ist also wohl kaum zu rechnen.

Als Fazit bleibt festzuhalten und immer wieder zu betonen, dass es, auch wenn im Vollstreckungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland Verteidigungsmöglichkeiten gegeben sind, in der Regel nicht ausreichen wird, im Verfahren des Mitgliedsstaates zu schweigen. Wer also einen Anhörungsbogen bzw. eine Aufforderung zur Stellungnahme eines Mitgliedsstaates erhält, sollte diese nicht einfach "in die Ecke legen", sondern sich tunlichst qualifizierten Rechtsbeistand suchen.

Denn, und auch das wurde im Rahmen des Forums angesprochen: Deutschland liegt mit seinem Bußgeldkatalog an der unteren Grenze im Vergleich zu den anderen Mitgliedsstaaten. Ein EU- Knöllchen kann also richtig teuer werden, wenn man nicht rechtzeitig "die Bremse zieht".

Stern TV berichtet über Messungen im Straßenverkehr

Am 27.10.2010 lief auf RTL ein Stern TV – Bericht über Messungen im Straßenverkehr. Der Bericht macht die Häufigkeit von Messfehlern deutlich. Der Sachverständige Hans-Peter Grün von der Sachverständigengesellschaft VUT GmbH, nach deren aktueller Studie 80 % der Messungen fehlerhaft sind, zeigt in diesem Bericht einige Fälle aus seiner Praxis auf.

Das Video zur Stern TV – Reportage finden Sie hier:
Stern TV – Messungen im Straßenverkehr

Provida Messung mit Motorrad bei Schrägfahrt ist kein standardisiertes Messverfahren

Der Kollege Burhoff hat auf seiner Homepage burhoff.de ein aktuelles Urteil des OLG Hamm (Beschl. v. 26.08.2010 – III – 3 RBs 226/10) zur Verwertbarkeit von Provida Messungen im Messbetrieb mit einem Motorrad veröffentlicht. Bei dem Provida Messsystem handelt es sich um ein Videomesssystem, das in PKW oder auf Motorrädern installiert wird. Das Provida ist seit über zehn Jahren im Einsatz. Man findet es häufig in diversen Fernsehsendungen wieder.

Das OLG Hamm führt in den Entscheidungsgründen aus, nach von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) übermittelten Erkenntnissen dürfe das Provida Messsystem bei Messungen mit Motorrädern mit Schräglage (also in der Kurve) nicht verwendet werden. Hintergrund ist, dass es durch die Schräglage des Messfahrzeuges zu einem geringeren Reifenabrollumfang des Motorrades kommt. Das Messgerät gibt bei Schräglagen des Messfahrzeugs aus diesem Grund erhöhte Messwerte und Wegstrecken aus, so dass bislang nicht geklärt ist, ob die Toleranzrenze von 5 % der gemessenen Geschwindigkeit eingehalten ist.

Das OLG hat den Schuldspruch aufgehoben und die Sache an den Bußgeldrichter zurückverwiesen mit dem Hinweis, dieser habe sich sachverständig beraten zu lassen, ob die Messung verwertbar und gegebenenfalls welche Verkehrsfehlergrenzen vorgenommen werden müssen. Die Messung wird nun also von einem Sachverständigen überprüft werden.

Die Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm (Beschl. v. 26.08.2010 – III – 3 RBs 226/10)

Fazit: Eine Verteidigung gegen mit dem Provida durchgeführte Motorradmessungen hat vor allem dann Aussicht auf Erfolg, wenn man bestimmte Geschwindigkeitsgrenzen "gerade so" überschritten hat. Im Übrigen existiert in NRW seit März 2010 bereits eine Verfügung des Landesamtes für polizeiliche Dienste, nur noch auf geraden Strecken zu messen. Das stellt eine sehr gute Argumentationsgrundlage für eine Verfahrenseinstellung bereits im Verfahren vor der Bußgeldbehörde dar.

Erfolgte die Messung mit einem Motorrad sollte man sich daher in jedem Fall Akteneinsicht durch Übersendung des Messvideos nehmen, um den Verlauf der Messstrecke überprüfen zu können. Wer rechtsschutzversichert ist, erhält auch die Kosten eines im Gerichtsverfahren einzuholenden Sachverständigengutachtens ersetzt.

Rechtsfolgen einer Unfallflucht

Der Straftatbestand der Unfallflucht ist in § 142 StGB – unerlaubtes Entfernen vom Unfallort – geregelt. Neben den strafrechtlichen Folgen einer Unfallflucht sind immer auch die zivilrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Folgen zu beachten. Nachfolgend gebe ich einen kleinen Überblick, über die Auswirkungen einer Unfallflucht. Der Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

1. Strafrechtliche Folgen: Nach § 142 StGB droht eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Die Unfallflucht ist eine sogenannte Katalogtat, die in § 69 unter Absatz 2 Nummer 3 aufgeführt ist. Ist bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt wurden oder ein bedeutender Sachschaden (ab einer Schadenshöhe von ca. 1200,00 €) an einer fremden Sache entstanden, so kann das Gericht die Fahrerlaubnis entziehen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung durch die Führerscheinstelle verhängen. In diesem Fall kommt auch eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis durch richterlichen Beschluss gemäß § 111 a StPO in Betracht. Bei den Staatsanwaltschaften existieren interne Richtlinie zum Strafmaß und zur Dauer der Sperrfrist, die unter anderem von der Höhe des eingetretenen Schadens abhängig sind und meist sklavisch im Antrag der Staatsanwaltschaft vertreten werden.

2. Verwaltungsrechtliche Folgen: Wer eine Unfallflucht begeht, zeigt charakterliche Mängel. Die Fahrerlaubnisbehörde kann eine MPU anordnen und die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von der bestandenen MPU abhängig machen. Das geschieht in der Praxis allerdings eher selten, wenn nicht sonstige erschwerende Umstände hinzutreten.

Was erstaunlicherweise häufig übersehen wird: Für eine Unfallflucht werden sieben Punkte in Flensburg eingetragen. Man sollte sich daher Gewissheit über den eigenen Punktestand verschaffen.

3. Versicherungsrechtliche Folgen: Dass der Führerscheinverlust und eine Geld- bzw. Freiheitsstrafe  droht, ist den meisten bewusst. Daneben sind aber auch die zivilrechtlichen Folgen zu beachten. Wer eine Unfallflucht begeht, begeht damit  eine sog. Obliegenheitsverletzung in der Kfz – Haftflichtversicherung, die einen (quotenmäßigen) Verlust des Leistungsanspruchs zur Folge hat. Der Kfz – Haftpflichtversicherer wird zwar die Schäden an dem fremden Eigentum ersetzen, danach aber Regress beim eigenen Versicherten nehmen bis zu einer Höhe von 2.500,00 €, in besonders schweren Fällen bis zu 5.000,00 €.

Zudem verliert der Unfallflüchtige seinen Anspruch auf Leistungen aus seiner Vollkaskoversicherung. Er muss also nicht nur die Schäden am fremden Eigentum bezahlen, sondern bleibt trotz bestehender Vollkaskoversicherung auf seinen eigenen Schäden sitzen.

Wer wegen Unfallflucht verurteilt wird, verliert auch den vorläufigen Rechtsschutz. Er muss dem Rechtsschutzversicherer bereits unter Vorbehalt gezahlte Anwaltsgebühren erstatten bzw. diese, soweit sie nicht von der Rechtsschutz bezahlt wurden, selber zahlen.

In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass im Rahmen der Mandatsbearbeitung auf diese Folgen durch den Rechtsanwalt nicht hingewiesen wird. Anstatt eine vernünftige Verteidigung gegen den Vorwurf der Unfallflucht zu führen, soweit dies im Einzelfall agezeigt und möglich ist, erfolgt vorschnell eine Strafmaßverteidigung in dem Sinne, dass der Tatvorwurf eingeräumt wird und der Richter dann sozusagen im Gegenzug die Geldstrafe senkt und die Sperrfrist etwas kürzt. Die Sperrfristverkürzung ist in den Fällen, in denen der Mandant die 17 Punkte – Grenze in Flensburg überschreitet, natürlich ein tolles Ergebnis. Dann ist die Fahrerlaubnis nämlich ohnehin weg und muss komplett neuerworben werden. Der Mandant bleibt außerdem häufig auf allen nur denkbaren Kosten sitzen, ohne vorher hierüber informiert worden zu sein. Herzlichen Glückwunsch und gute Besserung!

Fazit: Nur wer einen Überblick über die möglichen Rechtsfolgen einer Unfallflucht hat, kann den Beschuldigten optimal beraten und darauf vorbereiten, was auf ihn zukommt bzw. zukommen kann. Einen Verteidiger mit der Prüfung der Verteidigungsmöglichkeiten gegen den Vorwurf der Unfallflucht zu beauftragen, lohnt sich in jedem Fall.

Zum Strafmaß bei der Unfallflucht

Bei den Staatsanwaltschaften existieren interne Richtlinien zur Bearbeitung von Verkehrssachen, die von Staatsanwaltschaft zu Staatsanwaltschaft (geringfügige) Abweichungen enthalten. Die Richtlinien sind nicht verbindlich. Der Beschuldigte kann sich darauf also nicht berufen.

Meist wird sich der Antrag der Staatsanwaltschaft aber an die Vorgaben der Richtlinien halten, wenn nicht im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten. Diese sind natürlich von der Verteidigung vorzutragen, soweit sie dem Beschuldigten nützlich sind.

Als Beispiel soll hier die Richtlinie der Staatsanwaltschaft Saarbrücken dienen. Die Richtlinie gilt für Ersttäter. Wer also schon einschlägig vorbestraft ist, muss mit einer höheren Strafe rechnen. Die Richtlinie der Staatsanwaltschaft Saarbrücken sieht Folgendes vor:

Ist ein Sachschaden von 550,00 € bis 650,00 € entstanden, so soll eine Geldstrafe von 20 – 30 Tagessätzen und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt werden. Ein Tagessatz entspricht einem Dreißigstel des monatlichen Einkommens.

Bei einem Sachschaden von 650,00 € bis 900,00 € soll eine Geldstrafe von mindestens 30 Tagessätzen und zwei Monate Fahrverbot verhängt werden.

Liegt der Sachschaden zwischen 900,00 € und 1.100,00 € sollen mindestens 40 Tagessätze und 3 Monate Fahrverbot verhängt werden.

Ab einer Schadenshöhe von 1.100,00 € sind mindestens 50 Tagessätze und eine Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von mindestens 9 Monaten fällig.

Bei Wiederholungstätern kommt eine kurze Freiheitsstrafe von 4 – 6 Monaten (regelmäßig zur Bewährung ausgesetzt) in Betracht. Die Geldstrafe erhöht sich auf 120 bis 180 Tagessätze.

Sind der Unfallflucht eine Trunkenheitsfahrt oder eine Gefährdung des Straßenverkehrs vorausgegangen (was häufig der Fall ist) und wird die Fahrerlaubnis entzogen, so wirkt sich die Unfallflucht vor allem dahingehend aus, dass die Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis um 2 bis 4 Monate verlängert wird. Wichtig: Die Schadenshöhe berechnet sich nur aus den Reparaturkosten inklusive Umsatzsteuer, falls diese anfällt. Je nach Einzelfall ist es daher auch im Strafverfahren stets angezeigt, die tatsächliche Schadenshöhe zu ermitteln bzw. in Frage zu stellen. Es kann sich auch lohnen, mit dem Geschädigten Rücksprache zu halten, ob er das Fahrzeug tatsächlich repariert hat bzw. reparieren lassen möchte. Gegebenenfalls darf die Umsatzsteuer nämlich nicht berücksichtigt werden, weil der Geschädigte diese nicht zahlen muss. Falls keine anderen erfolgversprechenden Verteidigungsmittel in Betracht kommen, lassen sich so zumindest die Geldstrafe und die Dauer des Fahrverbotes reduzieren bzw. die Entziehung der Fahrerlaubnis verhindern.

OLG Zweibrücken zum Beweisverwertungsverbot bei Blutentnahme

So, mein "Haus und Hof" – OLG, das OLG Zweibrücken hat jetzt auch sein "Machtwort" zum Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei Anordnung einer Blutentnahme durch Polizeibeamte gesprochen. Der Kollege Burhoff hat die Entscheidung des OLG Zweibrücken vom 16.08.2010 hier ins Netz gestellt.

Der Entscheidung lag (stark vereinfacht) folgender Sachverhalt zugrunde: Der Betroffene des Bußgeldverfahrens gab auf Befragen an, mit dem Auto gefahren zu sein. Es ergab sich der Verdacht des Drogenkonsums. Ihm wurde nachmittags um 15:10 Uhr auf Anordnung der ermittelnden Polizeibeamten eine Blutprobe entnommen. Der zuständige Amtsrichter wurde nicht informiert, auch nicht die zuständige Staatsanwaltschaft. Ergebnis: Feststellung von Drogen im Blut.

Das OLG Zweibrücken hat sich in diesem Fall gegen ein Beweisverwertungsverbot ausgesprochen und die Verurteilung (unter Abänderung der REchtsfolgen) aufrechterhalten. Im Wesentlichen führt es aus, die Rechtslage sei für die ermittelnden Beamten unklar gewesen, weshalb kein schwerwiegender Verstoß gegen den Richtervorbehalt vorliege. Hierzu ist anzumerken, dass bei der sehr umstrittenen Frage, wann von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen ist, in der obergerichtlichen Rechtsprechung jedenfalls insoweit Einigkeit herrscht, dass bei willkürlichen Verstößen von Polizeibeamten gegen den Richtervorbehalt von einer Unverwertbarkeit der Blutprobe auszugehen ist. Interessant ist insoweit, dass das OLG ausführt, eine solche Sache habe ihm noch nie zur Entscheidung vorgelgen. Da den ermittelnden Polizeibeamten deswegen auch keine obergerichtliche Rechtsprechung des OLG Zweibrücken hierzu bekannt sein konnte, sei kein Vorwurf eines schwerwiegenden Verstoßes zu erkennen. Einfach ausgedrückt: Eine Argumentation, die mir nicht nachvollziehbar ist.

Denkwürdig wird es dann aber, wenn das OLG weiter ausführt, künftig sei auch eine entgegengestzte Entscheidung (also für ein Verwertungsverbot) möglich.

Das genaue Gegenteil ist nämlich der Fall. Das OLG Zweibrücken hat mit dieser Entscheidung dafür gesorgt, dass sich künftig jeder Polizeibeamte, der mutwillig den Amtsrichter nicht anruft, auch auf die Entscheidung des OLG vom 16.08.2010 berufen wird.

Meine Meinung: Mit dieser Entscheidung hat sich das OLG Zweibrücken das eigene Hintertürchen vor der Nase zugeschlagen … Der Hinweis, es könne in Zukunft auch anders entschieden werden, geht voll ins Leere. Das OLG hat das eindeutig rechtswidrige Verhalten der Polizeibeamten abgesegnet, indem es diesen zu Gute hielt, sie könnten die Rechtslage nicht überblicken. Wie wird das denn wohl künftig aussehen, wo nun eine Entscheidung des OLG Zweibrücken contra Beweisverwertungsverbot vorliegt. Darauf wird sich doch wohl jeder Polizeibeamte berufen (dürfen). Eine bedauerliche Entscheidung!

ESO 3.0 – Fehlende Fotolinie reicht nicht zur Unverwertbarkeit

Der Kollege Burhoff berichtet auf seinem Blog über eine neue Entscheidung des OLG Oldenburg zu dem Messverfahren ESO 3.0. Ich hatte über die Entscheidung des AG Lübben berichtet. Während das AG Lübben von einer Unverwertbarkeit der Messung ausgeht, wenn die Fotolinie nicht auf dem Messfoto zu erkennen ist, schlägt das OLG Oldenburg einen anderen Weg ein. Es hält lediglich Zweifel an der Richtigkeit der Messung für begründet, weshalb dann ein Sachverständigengutachten zur Ordnungsgemäßheit der Messung einzuholen ist. Das nur als kleines Update.

Freiheit für Kachelmann

Jörg Kachelmann ist raus. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat der Haftbeschwerde stattgegeben. Die Pressemitteilung des OLG Karlsruhe finden Sie hier: Pressemitteilung vom 29.07.2010.

Das OLG hat entschieden, dass die Tatbestandsvoraussetzung des dringenden Tatverdachts nicht (mehr) vorliege. Die ehemalige Lebensgefährtin des Herrn Kachelmann, die sich dem Prozess als Nebenklägerin angeschlossen hat, habe sich widersprüchlich geäußert. Es stünde "Aussage gegen Aussage". Nach den vorliegenden ärztlichen Gutachten könne zudem nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Nebenklägerin, bei der zudem Belastungstendenzen nicht ausgeschlossen werden könnten, die Verletzungen selbst zugefügt habe. Da schon kein dringender Tatverdacht vorliege, bedürfe die Frage, ob Fluchtgefahr bestehe, keiner Entscheidung. Damit ist die Hauptsache natürlich nicht entschieden. Ob Herr Kachelmann letztlich schuldig gesprochen wird, wird das LG Mannheim zu entscheiden haben.

Meine Meinung: Das Urteil ist ein Sieg für die Unschuldsvermutung. Die Sachverständigengutachten kenne ich natürlich inhaltlich nicht. Dass einige Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin bestanden, wurde im Laufe der viermonatigen Haft aber sehr ausführlich in der Presse diskutiert. Schade ist, dass die Frage der Fluchtgefahr nicht mehr entschieden werden musste. Warum bei Herrn Kachelmann Fluchtgefahr bestanden haben soll, ist für mich nicht einsichtig. Wenn allein ein Wohnsitz in der Schweiz ausreichen soll, um Fluchtgefahr zu begründen, kann man nur sagen: Armes Deutschland!

Blitzerfotos verfassungsmäßig

Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 05.07.2010 AZ 2 BvR 759/10 eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verwertung eines Blitzerfotos nicht zur Entscheidung angenommen.

Geklärt ist jetzt zumindest, was allerdings auch die obergerichtliche Rechtsprechung recht einheitlich so gesehen hat, dass §100 h I Nr.1 StPO (i.V.m. § § 46 I OWiG) taugliche Rechtsgrundlage für die Fertigung von Blitzeraufnahmen ist. Diese Eingriffsnorm sei, so das Bundesverfassungsgericht, nicht auf Observationszwecke beschränkt.

Für die derzeit umstrittene Frage der verdachtsunabhängigen Fertigung von Videoaufnahmen gibt das Urteil allerdings nicht viel her, da insoweit im konkret zu entscheidenden Fall durch die Fachgerichte geklärt wurde, dass der für § 100 h I Nr. StPO erforderliche Tatverdacht vorlag. Mit der Rüge des Bewschwerdeführers, es habe kein entsprechender Willensakt einer Ermittlungsperson vorgelegen, hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht ausführlich befasst. Insoweit wurde auf die angegriffene Entscheidung des Brandenburgischen OLG vom 22.02.2010 AZ 1 Ss (OWi) 23 Z/10, 1 Ss (OWi) 23Z/10, veröffentlicht in NJW 2010, 1471-1473 verwiesen. Dieses hatte klargestellt, der Anfangsverdacht für die Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit könne auch dann vorliegen, wenn die Auslösung des Messfotos nicht für jedes betroffene Fahrzeug durch den Messbeamten gesondert veranlasst wird, sondern auf einer vorab erfolgten Programmierung des Geschwindigkeitsmessgerätes auf einen bestimmten Grenzwert beruhe. Damit dürfte geklärt sein, dass es nicht erforderlich ist, die Blitzerfotos einzeln und manuell von einem Messbeamten auszulösen.

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme stellt das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen darauf ab, dass zwar die verdeckte Datenerhebung zu einer Erhöhung der Eingriffsintensität führe, dem stünde aber das überwiegende Interesse der Allgemeinheit an der Verkehrssicherheit gegenüber. Außerdem würden nur solche Fahrzeugführer geblitzt, die auch Anlass zur Anfertigung von Bildaufnahmen gegeben hätten. Auch bestünden in § 101 StPO hinreichende grundrechtssichernde Verfahrensvorschriften über die Benachrichtigung sowie zur Kennzeichnung und Löschung der erhobenen Daten. Schließlich handele es sich lediglich um einzelne Aufnahmen.

Fazit: Das Urteil befasst sich mit der verdachtsabhängigen Fertigung von Blitzeraufnahmen. Vom überwiegenden Teil des Schrifttums und auch der Oberlandesgerichte wurde die verdachtsabhängige Fertigung solcher Aufnahmen ohnehin für verfassungsmäßig erachtet. Damit liegt das Bundesverfassungsgericht auf einer Linie mit der wohl herrschenden Meinung in Literatur und Schrifttum, was zu erwarten war. Für die Praxis bedeutet das, dass die anlässlich von Geschwindigkeitsmessungen gefertigten Blitzerfotografien verwertbar sind.

Meine Meinung: Die wirklich interessante Frage, ob es für die Verdachtsbildung ausreicht, wenn sich sozusagen das Blitzergerät den Verdacht selbst bildet, ist nun geklärt. Es reicht aus, dass ein Messbeamter dem Messgerät einmalig ins Ohr flüstert, dass es alle Fahrzeugführer für verdächtig zu halten hat, die einen bestimmten Geschwindigkeitsgrenzwert überschreiten. Der Messbeamte antizipiert also die Entscheidung(en) des Messgeräts. Sodann nimmt das Messgerät seine ureigensten Befugnisse als Messgerät, die ihm kraft § 100 h I Nr. 1 StPO verliehen wurden, wahr und entscheidet einige hundert Male pro Tag, wen es so für verdächtig hält. Wer sich die Begründung des Brandenburgischen OLG, auf die das Bundesverfassungsgericht mal kurz pauschal verweist, näher anschaut, merkt schnell, dass hier eine gewisse eine Diskrepanz zwischen dem Wortlaut des § 100 h StPO und dessen Anwendung auf Blitzergeräte vorliegt. Diese Ermächtigungsgrundlage war ersichtlich nicht für Messanlagen, sondern für Ermittlungspersonen gedacht. Rechtsdogmatisch ist die Entscheidung daher meines Erachtens fragwürdig, rechtspolitisch jedoch unantastbar.

Eine kreative Lösung des Problems hätte ich darin gesehen, dem Messgerät selbst eine grüne Uniform zu verpassen und ihm die Befugnisse eines Messbeamten zu verleihen. Robocop lässt grüßen …

Bundesverfassungsgericht zum Richtervorbehalt bei der Entnahme von Blutproben

Neues vom Bundesverfassungsgericht in Sachen Blutentnahme. Mit Beschluss vom 11.07.2010 hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung einer Blutentnahme durch Polizeibeamte, ohne vorherige Einholung eines richterlichen Beschlusses stattgegeben. Das Bundesverfassungsgericht folgt damit einer sich abzeichnenden Tendenz in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Zuletzt hatte das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 12.03.2009 AZ: 3 Ss 31/09 ebenso entschieden.

Meine Meinung: Während die Entscheidung in der Presse als "Stärkung des Richtervorbehaltes" angesehen wird und teilweise von grundlegender Bedeutung die Rede ist, sehe ich die Sache mal wieder etwas anders. Zum einen wurde die gleichzeitig eingelegte Beschwerde gegen die Wohnungsdurchsuchung als "offensichtlich unbegründet" zurückgewiesen. Was die Wohnungsdurchsuchung abelangt, soll nämlich ohne Weiteres Gefahr im Verzug anzunehmen gewesen sein. Zum anderen führt das Bundesverfassungsgericht aus, es sei Sache der Fachgerichte, zu prüfen, ob im Einzelfall Gefahr im Verzug vorliege. Ferner sei es es Sache des Einzelfalls, ob aus dem Verstoß gegen den Richtervorbehalt auch ein Beweisverwertungsverbot resultiere. Letztlich bleibt es also dabei, dass die Verteidigung wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt auf äußerst wackligen Beinen steht und nur in Ausnahmefällen erfolgversprechend erscheint.

Zur allgemeinen Situation um den Richtervorbehalt bei Blutentnahmen vertrete ich ohnehin die Auffassung, dass der Richtervorbehalt aus der Strafprozessordnung gestrichen werden sollte. Er ist eine bloße Förmelei. Man stelle sich vor, der Polizeibeamte vor Ort müsse zunächst den zuständigen Richter kontaktieren, diesem dann schriftlich den Sachverhalt erläutern und um Entscheidung bitten. Anschließend müsse er dann abwarten, bis ihm der schriftliche Beschluss des Richters – ggf. per Fax – zugeht und das, obwohl die Entscheidung des Richters gleichsam vorprogrammiert ist. Kein Richter wird vernünftigerweise, wenn ihm ein Polizeibeamter eine Trunkenheitsfahrt vorträgt, die Anordnung der Blutprobe verweigern. Die Blutprobe wird ohnehin immer und ausnahmslos angeordnet werden. Diese Meinung ist aus Verteidigersicht natürlich höchst unpopulär, aber letztlich dürfte sie, wenn man die Sache mit dem Richtervorbehalt mal "nüchtern" betrachtet, kaum von der Hand zu weisen sein.

Die gängige Praxis sieht jedenfalls so aus, dass es entgegen der Rechtslage den Regelfall darstellt, wenn die Polizeibeamten selbst die Blutprobe anordnen und ich fürchte, dass auch die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts daran nichts ändern wird.