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Archiv: 11. Oktober 2010

Rotlichtverstoß – Absehen vom Fahrverbot bei Augenblicksversagen nach ordnungsgemäßem Anhalten

Das OLG Hamm hatte im Rechtsbeschwerdeverfahren einen Fall zu entscheiden, in dem ein Autofahrer an einer Ampelkreuzung auf der Geradeausfahrerspur bei Rot anhielt. Als sodann die rechts neben ihm befindlichen Fahrzeuge losfuhren, weil die Lichtzeichenanlage für den Rechtsabbiegerverkehr – nicht aber für den Geradeausverkehr – auf Grün schaltete, nahm der Betroffene an, auch die Geradeausfahrerspur habe auf Grün geschaltet und fuhr bei bestehendem Rotlicht in die Kreuzung ein. Das OLG Hamm entschied durch Beschluss vom 11.08.1998 AZ 2 Ss OWi 727/98, dass in diesem Fall von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen sei.

Begründung:

"Einem Autofahrer, der sich bei Annäherung an eine Lichtzeichenanlage zunächst ordnungsgemäß verhält und bei Rotlicht anhält, dann aber wegen einer auf einem sogenannten Wahrnehmungsfehler bzw auf dem sogenannten Mitzieheffekt beruhenden Unachtsamkeit (Augenblicksversagen) trotz andauerndem Rotlicht in die Kreuzung einfährt, ist keine grobe Pflichtverletzung im Sinne des StVG § 25 Abs 1, die die Verhängung eines Fahrverbotes erforderlich macht, vorzuwerfen (so auch OLG Hamm, 1995-09-27, 2 Ss OWi 998/95, NZV 1996, 206; entgegen OLG Düsseldorf, 1995-12-22, 2 Ss (OWi) 438/95 – (OWi) 131/95 II, NZV 1996, 117). Einem Betroffenen kann eine grobe Pflichtverletzung nämlich nur dann vorgeworfen werden, wenn sie subjektiv auf grobem Leichtsinn, grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht. Das objektive Gewicht der Tat allein führt nicht zur Annahme einer groben Pflichtverletzung (vergleiche BGH, 1997-09-11, 4 StR 638/96, NZV 1997, 525)."

Rotlichtverstoß – Absehen vom Fahrverbot bei sofortigem Anhalten

Das OLG Karlsruhe hat durch Beschluss vom 25.05.1999 AZ 2 Ss 79/99 entschieden, dass ein atypischer Fall vorliegt und von einem Fahrverbot abzusehen ist, wenn der Betroffene zunächst an der Fußgängerampel hält, dort geraume Zeit (29 Sekunden) wartet und sodann trotz bestehenden Rotlichtes über die Haltelinie fährt.

Der Betroffene dachte, die Ampel sei wieder auf Grün gewschaltet, weil sich von hinten ein Fahrzeug näherte. Dem Betroffenen kam zugute, dass er bei Überfahren der Haltelinie das Blitzlicht der Messanlage bemerkt und sofort wieder angehalten hatte. Das OLG führt diesbezüglich aus:

"In subjektiver Hinsicht wird man das Fehlverhalten des Betroffenen zwar zunächst durchaus als eher grob einschätzen müssen, da es sich bei der Irritation durch ein von hinten heranfahrendes Fahrzeug nicht um einen schlichten Wahrnehmungsfehler handelt, wie dies etwa bei der Verwechslung der Lichtzeichen für verschiedene Fahrtrichtungen der Fall sein mag (OLG Hamm NZV 1999, 176 f.; DAR 1995, 501; NZV 1995, 82; NZV 1996, 117 (L); Senat, NZV 1996, 206). Nachdem der Betroffene jedoch schon ausweislich der schnellen Reaktion auf das Auslösen des Blitzlichts durchaus nicht gänzlich unaufmerksam war und sein Fahrzeug sofort wieder anhielt, handelt es sich letztlich doch um ein – alsbald korrigiertes -kurzfristiges Versagen, das den Handlungsunwert des Verstoßes als weniger gravierend erscheinen läßt. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall auch wesentlich von anderen, in denen nach einem – aus welchen Gründen auch immer – geschehenen Wahrnehmungsfehler der geschützte Bereich der Lichtzeichenanlage schließlich doch zur Gänze und mit zunehmender Geschwindigkeit durchfahren wird oder es gar zu einem Unfall kommt (OLG Hamm NStZ-RR 1998, 117; BayObLG NZV 1999, 216 f.)."

Rotlichtverstoß – Absehen vom Fahrverbot bei fehlendem Querverkehr

Das KG Berlin hat durch Beschluss vom 23.03.2001 AZ 2 Ss 33/01 – 3 Ws (B) 84/01, 2 Ss 33/01, 3 Ws (B) 84/01 Folgendes entschieden:

"Es liegt kein mit einem Fahrverbot zu ahndender qualifizierter Rotlichtverstoß vor, wenn die Betroffene auf der mittleren Fahrspur in die Kreuzung einfuhr, obwohl die Ampel für den Geradeausverkehr bereits länger als eine Sekunde rotes Licht abstrahlte, sie dann aber während der Grünphase für Linksabbieger nach links abbog und sonstige Verkehrsteilnehmer durch diese Fahrweise weder konkret noch abstrakt gefährdet wurden."

Die Betroffene war an einer Ampelkreuzung auf der mittleren Spur bei Rot über die Ampel gefahren. Bei der mittleren Spur handelte es sich um die Spur für Geradeausfahrer. Die Linksabbiegerspur zeigte zu diesem Zeitpunkt Grün. Es herrschte also kein Querverkehr (Gegenverkehr). Die Betroffene bog sodann links ab. Mangels abstrakter Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer war daher nach dem KG Berlin von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen.