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Spurwechsel vs. Auffahrunfall und Bedeutung einer Zeugenaussage im Prozess – OLG München

Die Situation ist ein Klassiker im Bereich der Unfallregulierung.

Es kommt zu einem Unfall. Einer der am Unfall beteiligten Fahrer – Fahrer A – behauptet, der andere sei ihm von hinten aufgefahren. Der andere Fahrer – Fahrer B – trägt einen Spurwechsel des Vordermannes vor.

Das Oberlandesgericht München hat nun zu Gunsten des Fahrers B, der den Spurwechsel behauptet hatte, entschieden. Es hat ihm 100 %-igen Schadensersatz zugesprochen, weil der Anscheinsbeweis des Spurwechsels greife, nicht aber der Anscheinsbeweis des Auffahrens.

Zusammengefasst hat der Spurwechsler vorliegend den Prozess verloren, weil das unfallanalytische Sachverständigengutachten seine Unfalldarstellung ausschließen konnte. Es lag ein seitlicher Anstoß vor.  Zudem war die Zeugenaussage widersprüchlich.

Die Leitsätze des Urteils:

1. Steht die Kollision zweier Kraftfahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Wechsel des Fahrstreifens, so spricht der Anscheinsbeweis für die Missachtung der Sorgfaltspflichten, die für den Fahrstreifenwechsler gelten, wobei die Haftungsabwägung regelmäßig zu dessen Alleinhaftung führt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

2. Wer mit seinem Kraftfahrzeug auf ein vorausfahrendes oder vor ihm stehendes Kraftfahrzeug auffährt, hat den Anscheinsbeweis gegen sich, wonach er entweder nicht den nötigen Sicherheitsabstand eingehalten hat, mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist oder falsch reagiert hat. Eine bloße Teilüberdeckung der Fahrzeugschäden an Heck und Front lässt nicht auf einen atypischen Geschehensablauf schließen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

3. Der Aussage eines Zeugen kommt keine zwingende prozessrechtliche Priorität vor der Anhörung einer Partei im Rahmen des § 141 ZPO oder auch nur dem Prozessvertrag der anderen Seite zu (vgl. BGH BeckRS 9998, 165994). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz) (OLG München, Urt. v. 13.7.2018 – 10 U 1856/17)

Das Urteil finden Sie im Volltext hier:

OLG München, Endurteil v. 13.07.2018 – 10 U 1856/17

Grundsätzlich hat sich der Bundesgerichtshof zur Beweislastverteilung in seinem Urteil vom  13.12.2016 – VI ZR 32/16 – geäußert:

https://rechtsanwalt-weiser.de/raweiser/bgh-zu-auffahrunfall-und-spurwechsel/

Das Urteil des Oberlandesgerichts München ist aber nicht nur wegen der überzeugenden Ausführungen zur Haftungsverteilung bzw. zum Durchgreifen des Anscheinsbeweises – in diesem Falle gegen den Spurwechsler – lesenswert.

Es räumt auch gründlich mit der weit verbreiteten Fehlvorstellung auf, dass derjenige, der „einen Zeugen hat“, den Prozess gewinnt. Diese immer noch vielfach von Mandanten geäußerte Auffassung ist falsch.

Und das gilt nicht nur, wenn sich der Zeuge, wie im Falle des OLG München, widersprüchlich äußert. Gerade bei einem Verkehrsunfall ist zu beachten, dass die Parteien in der Regel informatorisch angehört und im Einzelfall gegebenenfalls auch als Partei vernommen werden.

Das OLG München stellt diesbezüglich noch einmal unzweifelhaft klar:

Der Aussage eines Zeugen kommt keine zwingende prozessrechtliche Priorität vor der Anhörung einer Partei im Rahmen des § 141 ZPO oder auch nur dem Prozessvertrag der anderen Seite zu (vgl. BGH BeckRS 9998, 165994). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz) (OLG München a. a. O.)

Folge ist übrigens, dass bei streitigem Unfallhergang fast ausnahmslos verkehrsunfallanalytische Gutachten eingeholt werden.

Dominik Weiser

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verkehrsrecht

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